Datenschutzkonferenz DAFTA 2025
DA+

Kurzbeitrag : Zur Maßgeblichkeit automatisierter Entscheidungsvorbereitungen : aus der RDV 4/2025, Seite 188 bis 190

Zugleich eine Anmerkung zu LG Bamberg Urteil vom 26.03.2025 – 41 O 749/24 KOIN

Lesezeit 5 Min.

„And so it begins“: Seit der EuGH im Dezember 2023 zur grundsätzlichen Anwendbarkeit des in Art. 22 Abs. 1 DS‑GVO normierten Verbots der automatisierten Entscheidung im Einzelfall auf die Erstellung von Bonitätsscores geurteilt hat, wird die Auslegung des nun zentralen Begriffs der Maßgeblichkeit durch die nationalen Gerichte mit Spannung erwartet. Der Generalanwalt hatte auf diese Entwicklung bereits in seinen Schlussanträgen zum betreffenden Verfahren hingewiesen und sie begrüßt.[1] Mit Blick auf ein aktuelles Urteil des LG Bamberg,[2] in dem ein nationales Gericht soweit ersichtlich erstmals über die Maßgeblichkeit des Scorings für die Kreditvergabe zu befinden hatte, wäre allerdings eine Orientierungshilfe zur Konkretisierung des Merkmals seitens des EuGH wünschenswert gewesen.

I. Entscheidungsvorbereitungen i.R.v. Art. 22 Abs. 1 DS-GVO

Art.  22 Abs.  1 DS‑GVO verbietet[3] es dem Verantwortlichen, eine betroffene Person einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung — einschließlich Profiling — beruhenden Entscheidung zu unterwerfen, die ihr gegenüber rechtliche Wirkung entfaltet oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt. Anders als insbesondere in der deutschen Literatur bis zum wegweisenden Urteil des EuGH überwiegend angenommen wurde, umfasst der Begriff der Entscheidung i.S.v. Art.  22 Abs.  1 DS‑GVO nicht lediglich die Letztentscheidung eines Kreditinstituts über den Abschluss eines Darlehensvertrags, sondern bereits „das Ergebnis der Berechnung der Fähigkeit einer Person zur Erfüllung künftiger Zahlungsverpflichtungen in Form eines Wahrscheinlichkeitswerts“.[4]Die weite Auslegung des Entscheidungsbegriffs dürfte nicht lediglich auf die klassische SCHUFA-Konstellation anwendbar sein, sondern auch auf Zwei-Personen-Konstellationen, andere Score-Werte und sogar andere Formen der automatisierten Entscheidungsvorbereitung. Jedenfalls lassen sich der Begründung des EuGH zur weiten Auslegung des Entscheidungsbegriffs keine Argumente entnehmen, die nicht auch in Zwei-Personen-Konstellationen oder etwa für natürlichsprachliche Entscheidungsvorschläge Geltung beanspruchen.[5]

II. Das Merkmal der Maßgeblichkeit

Eine qualifizierte Wirkung sollen Entscheidung(svorbereitung)en entfalten, wenn sie ein Handeln mit entsprechender Wirkung „maßgeblich leiten“.[6] Dass hierdurch eine Umgehung des Merkmals der „Ausschließlichkeit“ droht, sei nur am Rande erwähnt.[7] Schließlich obliegt es den nationalen Gerichten, im Einzelfall festzustellen, ob ein SCHUFA-Score die Entscheidung eines Kreditinstituts im Einzelfall maßgeblich geleitet hat. Im Verfahren vor dem EuGH nahmen die Richter eine solche maßgebliche Leitung an, da „ein unzureichender Wahrscheinlichkeitswert in nahezu allen Fällen dazu [führt], dass die Bank die Gewährung des beantragten Kredits ablehnt.“ Feststehen dürfte außerdem, dass ein lediglich „formales Abnicken“ der Entscheidungsvorschläge durch einen menschlichen Sachbearbeiter aus einer automatisierten keine menschliche Entscheidung macht.[8]

Ob grundsätzlich eine inhaltliche Auseinandersetzung zumindest in Form einer Plausibilitätsprüfung im Einzelfall erforderlich ist, um den Anwendungsbereich des Art. 22 Abs. 1 DS‑GVO unberührt zu lassen, oder ob sogar die bloße Überwachung des Systembetriebs durch einen Menschen genügt, muss hier nicht diskutiert werden, obwohl jedenfalls die Eigenschaft der Vorschrift als individuelles Betroffenenrecht für die erstgenannte Auffassung spricht. Was das LG Bamberg noch unter einer maßgeblichen Leitung und damit vom Verbot des Art.  22 Abs.  1 DS‑GVO erfasst sieht, strapaziert allerdings Wortlaut und Telos der Norm. Konkret stützt das Gericht die Maßgeblichkeit des „Sch.“Scores für die Entscheidung über die Vergabe eines Kredits auf die Bezahlung eines Entgelts durch das Kreditinstitut. Es führt aus, dass im Geschäftsverkehr keine kostenpflichtigen Auskünfte eingeholt werden, wenn deren Inhalte für den Anfragenden keine Rolle spielen.[9] Art. 22 Abs. 1 DS‑GVO verbietet aber nicht, dass eine automatisierte Entscheidung für ein Handeln mit qualifizierter Wirkung “eine Rolle spielt”. Die Vorschrift verbietet nach der Rechtsprechung des EuGH lediglich die maβgebliche Leitung des Handelns durch die automatisierte Entscheidung.

III. Berücksichtigung der Ligue-des-droits-humains-Rechtsprechung

Darüber hinaus weist das Gericht selbst darauf hin, dass das Kreditinstitut im vorliegenden Fall neben dem SCHUFA-Score weitere Faktoren, namentlich Einkommen und Vermögen, zur Entscheidnungsfindung herangezogen hat. Der Score war also nur einer unter mehreren Parametern, die von einem menschlichen Sacharbeiter in der Enscheidungsfindung berücksichtigt wurden. Dass der LG Bamberg trotzdem ohne weitere Begründung von einer verbotenen Entscheidung ausgehen will, ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH im Urteil Ligue des droits humains ebenfalls kritisch zu betrachten.  Demnach ist eine individuelle Überprüfung automatisch generierter Ergebnisse durch einen Menschen nicht mit dem Recht auf eine wirksame Rechtsbehelf aus Art. 47 GRCh vereinbar, wenn dieses Recht auf hohem Schutzniveau zu gewährleisten ist und “selbstlernende Systeme” zum Einsatz kommen.[10] Erkennt der EuGH damit aber die individuelle Überprüfung algorithmisch generierter Ergebnisse durch einen Menschen als Regelfall an, verbleibt für besonders risikoreiche Entscheidungssituationen lediglich die Eingliederung des automatisiert erstellten Entscheidungsvorschlags in eine Reihe von Parametern die von einen Menschen angemessen gewichtet werden. [11]

So ist auch die Gewährleistung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf sichergestellt. Würde man mit dem LG Bamberg dagegen auch diese Konstellation als vom Verbot des Art. 22. Abs. 1 DS-GVO erfasst erachten stellt sich die Frage, welcher Raum nicht nur für das Scoring, sondern für eine groβe Zahl automatisierter Entscheidungsvorbereitungen verbleibt.[12] Die  Erwartung ist berechtigt, dass das entscheidende Gericht bei Zugrundlegung mehrerer Entscheidungsfaktoren gesonders begründet, warum das Ergebnis der automatisierten Entscheidung in unangemessenen Verhältnis berücksichtigt wurde.

IV. Ergebnis

Es ist zu hoffen, dass die nationalen Gerichte bei der weiteren Konkretisierung des Merkmals der Maßgeblichkeit Fingerspitzengefühl beweisen. Dabei sollte die Rechtsprechung des EuGH nicht nur teilweise berücksichtigt werden: Eine automatisierte Entscheidung fällt unter Art. 22 Abs. 1 DS‑GVO, wenn sie eine Handlung mit qualifizierter Wirkung „maßgeblich leitet“, nicht bereits, wenn sie für diese maßgeblich ist.

*Moritz Köhler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der TH Köln und Doktorand bei Prof. Dr. Gregor Thüsing und Prof. Dr. Rolf Schwartmann.

[1] Generalanwalt Pikamäe, Schlussanträge v. 16.03.2023 – C-634/21, ECLI:EU:C:2023:220 Rn. 45 – SCHUFA Holding AG.

[2] LG Bamberg, Urt. v. 26.03.2025 – 41 O 749/24 KOIN, RDV 2025, 203, in dieser Ausgabe.

[3] EuGH, Urt. v. 07.12.2023 – C-634/21, ECLI:EU:C:2023:957 Rn. 52 – SCHUFA Hol‑ ding AG.

[4] EuGH, Urt. v. 07.12.2023 – C-634/21, ECLI:EU:C:2023:957 Rn. 46 – SCHUFA Hol‑ ding AG.

[5] So auch HmbBfDI, Pressemitteilung v. 07.12.2023, https://daten‑ schutz-hamburg.de/fileadmin/user_upload/HmbBfDI/Pressemitteilungen/2023/2023-12-07-PM_EuGH_Urteil_Schufa_Auswirkungen_auf_KI.pdf (Stand: 15.7.2024)

[6] EuGH, Urt. v. 07.12.2023 – C-634/21, ECLI:EU:C:2023:957 Rn. 46 – SCHUFA Hol‑ ding AG.

[7] Dazu Schwartmann/Köhler/Zenner/Schwartmann/Benedikt/Köhler, KI-VO, 2. Teil 3. Kap. Rn. 41.

[8] Paal/Schulz ZfDR 2025, 89 (101)

[9] LG Bamberg, Urt. v. 26.03.2025 – 41 O 749/24 KOIN, RDV 2025, 203 (204), in dieser Ausgabe.

[10] EuGH Urt. v. 21.06.2022. – C-817/19, ECLI:EU:C:2022:491 Rn. 195 – Ligue des droits humains.

[11] Dazu Köhler EuDIR 2025, 16 (20 Rn. 20 f)

[12] Thüsing LTO vom 10.12.2023. htttps://www.lto.de/recht/meinung/m/eugh-c63421-schufa-scoring-folgen-ki-automatisierung-verarbeitung-kredit-auskunft (Stand: 15.07.2025).