Urteil : Schadenersatzanspruch bei Google-Suchen im Bewerbungsverfahren : aus der RDV 6/2025, Seite 323 bis 324
(BAG, Urteil vom 5. Juni 2025 – 8 AZR 117/24 –)
Relevanz für die Praxis
Im vorliegenden Urteil befasst sich das Bundesarbeitsgericht mit der Frage, inwiefern Verstöße gegen die DS‑GVO im Bewerbungsverfahren zu materiellen und immateriellen Schadenersatzansprüchen nach Art. 82 Abs. 1 DS‑GVO führen können. Es führt zunächst aus, dass ein Verstoß gegen die DS‑GVO zwar einen Fehler im Auswahlverfahren begründet, ein Ersatz des durch die Nichteinstellung des Bewerbers entstandenen materiellen Schadens aber nur in Betracht kommt, wenn der Verstoß für diesen Schaden auch ursächlich war. Sofern ein Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens wegen der Verletzung der Vorgaben der DS‑GVO besteht, kommt einer etwaigen abschreckenden Wirkung bei der Bemessung der Höhe keine Bedeutung zu. Entscheidend ist stattdessen die Ausgleichsfunktion des in Art. 82 Abs. 1 DS‑GVO verankerten Schadenersatzanspruchs. Für Arbeitgeber ist von Interesse, dass der in Frage stehende und nicht bezweifelte Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung im vorliegenden Verfahren unter anderem darin lag, dass der Bewerber im Auswahlverfahren per Google-Anfrage gesucht, dabei aber nicht gem. Art. 14 Abs. 1 DS‑GVO über die gewonnenen Erkenntnisse informiert wurde.
- Die Recherche zu einem Bewerber per Google-Suchanfrage begründet eine Datenverarbeitung, die zu rechtfertigen ist und über die der Bewerber gem. Art. 14 Abs. 1 DS‑GVO zu informieren ist.
- Ein Anspruch auf den Ersatz materieller Schäden wegen eines Verstoßes gegen die DS‑GVO kommt im Bewerbungsverfahren nur in Betracht, wenn der Verstoß ursächlich für einen dem Kläger durch die Nichteinstellung entstandenen Schaden geworden ist.
- Ein Anspruch auf den Ersatz immaterieller Schäden wird in seiner Höhe durch die Ausgleichsfunktion des Art. 82 Abs. 1 DS‑GVO bestimmt und nicht durch eine abschreckende Wirkung.
(Nicht amtliche Leitsätze)
Aus den Gründen:
II. […] Der Kläger hat weder Anspruch auf den im Rahmen des Feststellungsantrags begehrten materiellen Schadenersatz noch kann er wegen der geltend gemachten Verstöße gegen die Datenschutz-Grundverordnung als immateriellen Schadenersatz eine den ihm zweitinstanzlich rechtskräftig zuerkannten Betrag von 1.000,00 Euro übersteigende Entschädigung verlangen.
1. Der Feststellungsantrag zu 1. ist jedenfalls unbegründet. […]
bb) Der mit dem Feststellungsantrag verfolgte Anspruch auf materiellen Schadenersatz steht dem Kläger auch nicht aus Art. 82 Abs. 1 DS‑GVO zu.
(1) Nach dieser Bestimmung hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen.
(2) Hiervon ausgehend kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte, soweit sie im Auswahlverfahren Daten über das gegen den Kläger vor dem Landgericht München I geführte Strafverfahren verarbeitet hat, gegen die DatenschutzGrundverordnung verstoßen hat, insbesondere ob hier ein Verstoß gegen Art. 6, Art. 10 und/oder Art. 14 DS‑GVO vorliegt. Dies kann vielmehr zugunsten des Klägers unterstellt werden. Es fehlt jedenfalls an der Darlegung eines Kausalzusammenhangs zwischen den vom Kläger angeführten Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung und dem geltend gemachten materiellen Schaden als einer der drei kumulativen Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs nach Art. 82 Abs. 1 DS‑GVO (vgl. dazu: EuGH 04.10.2024 – C-200/23 – [Agentsia po vpisvaniyata] Rn. 140; 04.05.2023 – C-300/21 – [Österreichische Post] Rn. 32; BAG 20.02.2025 – 8 AZR 61/24 – Rn. 10 m.w.N.).
Bei den geltend gemachten Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung handelt es sich um Fehler im Auswahlverfahren, die für sich betrachtet nicht ursächlich für einen dem Kläger durch die Nichteinstellung entstandenen Schaden geworden sein können. Dieser Schaden ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass er wegen objektiv begründeter Zweifel an seiner charakterlichen Eignung nicht als geeigneter Bewerber angesehen werden kann und schon deshalb keine Verpflichtung der Beklagten bestand, die ausgeschriebene Stelle mit ihm zu besetzen.
2. Der zulässige Klageantrag zu 2. ist, soweit Gegenstand der Revision, unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger zu Recht keinen über 1.000,00 Euro zzgl. Zinsen ab dem 28.10.2022 hinausgehenden immateriellen Schadenersatz zugesprochen. […]
b) Zugunsten des Klägers kann unterstellt werden, dass ihm nicht nur – wie vom Landesarbeitsgericht angenommen – ein Anspruch auf Zahlung immateriellen Schadenersatzes gem. Art. 82 Abs. 1 DS‑GVO wegen eines Verstoßes der Beklagten gegen ihre Informationspflichten aus Art. 14 Abs. 1 lit. d) DS‑GVO zusteht, sondern die Beklagte bereits die Daten über das gegen den Kläger anhängige Strafverfahren mangels Eingreifens eines Erlaubnistatbestands i.S.v. Art. 6 und Art. 10 DS‑GVO unter Verstoß gegen Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung erhoben hat, und demzufolge mehrere Verstöße gegen die Verordnung vorliegen. Dies führt aber nicht dazu, dass der vom Landesarbeitsgericht festgesetzte Entschädigungsbetrag rechtsfehlerhaft bemessen wäre.
aa) Bei der Bemessung der Höhe des nach Art. 82 Abs. 1 DS‑GVO geschuldeten Schadenersatzes haben die nationalen Gerichte in Ermangelung einer Bestimmung in der Datenschutz-Grundverordnung die innerstaatlichen Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über den Umfang der finanziellen Entschädigung anzuwenden, sofern die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden. Art. 82 Abs. 1 DS‑GVO verlangt dabei nicht, dass die Schwere des Verschuldens berücksichtigt wird. Die Ausgleichsfunktion des in Art. 82 Abs. 1 DS‑GVO verankerten Schadenersatzanspruchs schließt es sogar aus, dass eine etwaige Vorsätzlichkeit des Verstoßes gegen die DatenschutzGrundverordnung bei der Bemessung des Schadenersatzes zum Tragen kommt. Der Betrag ist jedoch so festzulegen, dass er den konkret aufgrund des Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung erlittenen Schaden in vollem Umfang ausgleicht (vgl. EuGH 20.06.2024 – C-182/22, C-189/22 – [Scalable Capital] Rn. 27 ff. m.w.N.; BAG 25.07.2024 – 8 AZR 225/23 – Rn. 36).
bb) Hinsichtlich der nach diesen Maßgaben vorzunehmenden Bemessung der Höhe eines Schadenersatzes steht den Tatsachengerichten nach § 287 Abs. 1 ZPO ein weiterer Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen sie die Besonderheiten jedes einzelnen Falls zu berücksichtigen haben. Die Festsetzung unterliegt nur der eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BAG 25.07.2024 – 8 AZR 225/23 – Rn. 37; 20.06.2024 – 8 AZR 124/23 – Rn. 16).
cc) Der vom Landesarbeitsgericht ausgeurteilte Betrag von 1.000,00 Euro ist jedenfalls ausreichend, um einen dem Kläger entstandenen immateriellen Schaden auszugleichen.
(1) Das Landesarbeitsgericht hat darauf abgestellt, dass der Kläger durch die Art und Weise der Verarbeitung der Daten über das gegen ihn anhängige Strafverfahren in erheblicher Weise zum bloßen Objekt der Verarbeitung geworden sei, was seinen Achtungsanspruch als Person herabgesetzt habe und mit einem erheblichen Kontrollverlust einhergegangen sei. Damit hat es die vom Kläger angeführten tatsächlichen Beeinträchtigungen umfassend gewürdigt. Der auf dieser Grundlage festgesetzte Entschädigungsbetrag hält sich im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum.
(2) Soweit der Kläger eine ausreichend „abschreckende Wirkung“ der ihm zuerkannten Entschädigung vermisst, zeigt er keinen Gesichtspunkt auf, der eine Erhöhung rechtfertigen könnte. Durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist geklärt, dass der in Art. 82 Abs. 1 DS‑GVO geregelte Schadenersatzanspruch ausschließlich eine ausgleichende und keine strafende Funktion hat, und dass die Höhe eines auf der Grundlage dieser Bestimmung gewährten Schadenersatzes nicht über das hinausgehen darf, was zum Ausgleich eines erlittenen Schadens erforderlich ist (zuletzt EuGH 04.10.2024 – C-507/23 – Rn. 40 ff.). Der danach maßgebliche Charakter des Entschädigungsanspruchs als Anspruch auf Ausgleich eines tatsächlich erlittenen Schadens ist nicht davon abhängig, ob Regelungen im nationalen Recht wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung die Verhängung eines Bußgelds gegen den Verantwortlichen ermöglichen oder nicht.
(3) Der Kläger zeigt auch keinen revisiblen Rechtsfehler auf, soweit er geltend macht, das Landesarbeitsgericht sei lediglich von einem Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung ausgegangen, während tatsächlich mehrere Verstöße vorlägen. Selbst wenn Letzteres – was zugunsten des Klägers unterstellt werden kann – zutreffen sollte, beziehen sich die behaupteten Verstöße jedenfalls auf denselben Verarbeitungsvorgang. In einem solchen Fall kann, wie der Gerichtshof der Europäischen Union bereits erkannt hat, der Umstand, dass der Verantwortliche mehrere Verstöße gegenüber derselben Person begangen hat, nicht als relevantes Kriterium für die Bemessung des der betroffenen Person gem. Art. 82 DS‑GVO zu gewährenden Schadenersatzes herangezogen werden. Um den Betrag der als Ausgleich geschuldeten finanziellen Entschädigung festzulegen, ist allein der vom Betroffenen konkret erlittene Schaden zu berücksichtigen (EuGH 11.04.2024 – C-741/21 – [juris] Rn. 64).
Zur Vertiefung
Baum, DS‑GVO und immaterieller Schadenersatz in der Praxis = RDV 1/2025
Reif, Praxisfälle zum Datenschutzrecht XXXI: Datenschutz und „Active Sourcing“ = RDV 6/2024
