Editorial : Von Faschisten, Datenschutz und richterlicher Zurückhaltung : aus der RDV 6/2025, Seite 287 bis 287
Ein datenschutzrechtlich vertretbares Urteil des LG Bonn gerät wegen scharfer politischer Wertungen in die Kritik – und wirft Fragen nach richterlicher Zurückhaltung auf.
Der Beratende Rat der Europäischen Richter (CCJE) veröffentlichte im Juni 2022 eine Stellungnahme zur Meinungsfreiheit von Richtern. Kluge Worte, denen die meisten von uns wohl intuitiv zustimmen würden: “In a democratic society … judges should avoid becoming involved in public controversies…. (I)t is necessary for judges to refrain from any political activity that might compromise their independence or impartiality, or the reputation of the judiciary.“ (Council of Europe Opinion No. 25/2022).
Die Zeilen kamen mir wieder in den Sinn, als ich die Entscheidung des Landgerichts Bonn vom 3. Juni zunächst mit Erstaunen, dann mit Kopfschütteln, schließlich mit Ärger gelesen habe (13 O 156/24). Es ging um die Auskunftsklage eines Social-Media-Nutzers gegen den US-amerikanischen Plattformbetreiber gegen eine Datenübertragung in die USA ohne dessen explizite Zustimmung. Die Beklagte verweigert die Erfüllung des Auskunftsanspruchs teilweise im Hinblick auf etwaigen Datenzugriff US-amerikanischer Geheimdienste unter Verweis auf die Regelung in Section 702 des US Foreign Intelligence Surveillance Act von 1978, wonach der Beklagten eine solche Auskunft verboten ist. Das Gericht nahm dementsprechend eine Pflichtenkollision an, die eine Auskunftsverweigerung ermögliche.
Die Klage wurde also abgewiesen, und das war datenschutzrechtlich auch ganz richtig. Zugegeben: Die Frage nach den extraterritorialen Wirkungen der DS‑GVO ist eine komplizierte (s. ausführlich bereits Thüsing/Schmidt, IWRZ 2016, S. 22-27). So war auch der Weg über die Pflichtenkollission sicherlich vertretbar, wenn auch andere Gerichte mit solchen Klagen – auch datenschutzrechtlich – klüger umgegangen sind (z.B. LG München, Urt. v. 27.08.2025 – 33 O 635/25). Wer bewusst einen globalen Kommunikationsdienst verwendet, dessen technische Funktionsweise notwendigerweise internationale Datenflüsse voraussetzt, kann sich später nicht auf eine unzulässige Datenübermittlung berufen. Das widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben,
Ärgerlich war etwas ganz anders. Das Landgericht holte – gänzlich unnötig – politisch weit aus: Unter Trump gebe es „deutlich anti-demokratisch, anti-rechtsstaatlich, autokratisch bis faschistische Tendenzen”, heißt es in dem Urteil. Es gebe eine „offen rechtsextremistischpopulistische Regierung“ in den USA, es gelte „ein nicht vorhandenes bis nur eingeschränktes Datenschutzrecht betreffend den einzelnen Bürger”. Auch hätten die USA „die Datenschutzrechte ihrer (und erst recht ausländischer) Bürger schon lange „auf dem Altar der (vermeintlichen) Sicherheit geopfert”.
Man fragt sich: Was soll das? Wem dient eine solche Philippika? Der Sache des Datenschutzes dient das nicht. Da ist deutlich zu viel politischer Schaum vor dem Mund. Und vielleicht auch keine umfassende Sachkenntnis – es mag ein Blick schon in Wikipedia deutlich machen, dass es durchaus Datenschutz gibt: https://en.wikipedia.org/wiki/Privacy_laws_of_the_United_States; tiefergehend Aidun, E. (2025, March 5). Data privacy in the digital age: A comparative analysis of U.S. and EU regulations, University of Cincinnati Law Review Blog. https://uclawreview.org/2025/03/05/data-privacy-inthe-digital-age-a-comparative-analysis-of-u-s-and-eu-regulations; s. auch Erin J. An, It’s Finally Time for A National Data Privacy Law: A Discussion of the American Data Privacy And Protection Act (ADPPA), 18 Brook. J. Corp. Fin. & Com. L. 229 (2023)). Der Rechtsstreit geht wohl in die nächste Instanz. Gleichgültig wie die entscheidet: Die Wortwahl sollte eine andere sein.
Prof. Dr. Gregor Thüsing,
LL.M. (Harvard),
ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht
und Recht der sozialen Sicherheit der Universität
Bonn und Vorstandsmitglied der
Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit
(GDD) e.V., Bonn.

