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Urteil : Zur Einwilligung in Videoüberwachung am Arbeitsplatz : aus der RDV 2/2016, Seite 101 bis 103

(Verwaltungsgericht Saarlouis, Urteil vom 29. Januar 2016 – 1 K 1122/14 –)

Archiv RDV
Lesezeit 4 Min.
  1. Die Erforderlichkeit einer Videoüberwachung setzt voraus, dass Tatsachen dargelegt werden, die es nachvollziehbar machen, dass das festgelegte Ziel mit der Überwachung tatsächlich erreicht werden kann.
  2. Beschäftigte können in eine offene Videoüberwachung einwilligen.
  3. Bestehen Zweifel an der Freiwilligkeit der Einwilligung bzw. des Genügens der Hinweispflicht, können diese durch die Einvernahme der Betroffenen geklärt werden.

Sachverhalt:

Der Kläger wendet sich gegen die datenschutzrechtliche Anordnung der Beklagten. Er ist Eigentümer und Betreiber der S.-Apotheke in A-Stadt.

Der Kläger erwarb die Apotheke im Jahr 2007/2008. Ein zu dieser Zeit vorliegendes Gutachten ergab, dass sie über einen schlechten Ertrag verfüge. Dem Gutachten zufolge war der Schwund außergewöhnlich hoch. Daher erfolgte ein Hinweis darauf, dass in der Apotheke Entwendungen stattfänden, die auch von der Belegschaft verübt worden sein könnten. Nach Ergreifen arbeitsrechtlicher Maßnahmen, welche erfolglos blieben, brachte der Kläger im Jahr 2008 im Verkaufsraum der Apotheke drei Videokameras an. In Folge einer im Jahr 2011 auftretenden Lagerdifferenz in Höhe von 44.000,– EUR erweiterte er im Jahres 2013 um zwei weitere Kameras.

Mit dem streitigen Bescheid vom 30.07.2014 forderte die Beklagte den Kläger auf, die Videoüberwachung in dem Verkaufsraum sowie an dem Betäubungsmittelschrank während der Öffnungszeiten der Apotheke unverzüglich, spätestens zwei Wochen nach Eintritt der Bestandskraft, einzustellen und binnen dieser Frist die ergriffenen Maßnahmen mitzuteilen.

Aus den Gründen:

Die zulässige Anfechtungsklage hat dahingehend Erfolg, dass die Anordnung der Beklagten vom 30.07.2014 insoweit aufzuheben ist, als sie die Videoüberwachung an dem Betäubungsmittelschrank betrifft; im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, was zur diesbezüglichen Abweisung der Klage führt. …

Die Videoüberwachung im Verkaufsraum dient der Wahrnehmung des Hausrechts nach § 6 b Abs. 1 Nr. 2 BDSG, nicht aber der Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 6 b Abs. 1 Nr. 3 BDSG. Zur Wahrnehmung des Hausrechts ist sie jedoch nicht erforderlich. …

Die offene Videoüberwachung an dem Betäubungsmittelschrank ist hingegen datenschutzrechtlich zulässig, weil die Beschäftigten eingewilligt haben.

Soweit keine Einwilligung vorliegt, beurteilt sich die Zulässigkeit der Videoüberwachung in diesen Bereichen nach § 32 BDSG. Im konkreten Fall liegen dessen Voraussetzungen jedoch nicht vor. …

Es liegt jedoch zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, entsprechend VG Berlin, Urteil vom 24.05.2011 – 1 K 133.10 –, eine Einwilligung aller Beschäftigten vor. …

Im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses können Arbeitnehmer sich grundsätzlich „frei entscheiden“, wie sie ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben wollen. Dem steht weder die grundlegende Tatsache, dass Arbeitnehmer abhängig Beschäftigte sind noch das Weisungsrecht des Arbeitgebers, § 106 GewO, entgegen. Mit der Eingehung eines Arbeitsverhältnisses und der Eingliederung in einen Betrieb begeben sich die Arbeitnehmer nicht ihrer Grund- und Persönlichkeitsrechte. …

Nach § 4a Abs. 1 Satz 2 BDSG muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf den Zweck der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung hinweisen, also auf den konkreten Kontrollzweck (Grundsatz der informierten Einwilligung). Unwirksam ist beispielsweise die für eine noch nicht konkretisierte Vielzahl von Fällen – und in der betrieblichen Praxis oft vorzufindende – Pauschaleinwilligung im Arbeitsvertrag. …

Durch die Videoüberwachung am Betäubungsmittelschrank wird auch nicht in so schwerwiegender Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten des Klägers eingegriffen, dass deren Einwilligung mit der Rechtsordnung unvereinbar wäre. …

Seitens der Beschäftigten wurde im Verwaltungsverfahren eine Einwilligung nicht wirksam erklärt. Die dem klägerischen Schreiben vom 12.12.2013 beigefügte Unterschriftenliste unter dem alleinigen Satz – „Mir ist bekannt, dass in der S.-Apotheke 5 Überwachungskameras aufgestellt sind und ich erkläre mich damit einverstanden.“ – genügt offensichtlich auf keinen Fall den Anforderungen des § 4 a Abs. 1 BDSG.

Danach ist die Einwilligung nur wirksam, wenn sie auf der freien Entscheidung des Betroffenen beruht. Er ist auf den vorgesehenen Zweck der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung sowie, soweit nach den Umständen des Einzelfalles erforderlich oder auf Verlangen, auf die Folgen der Verweigerung der Einwilligung hinzuweisen. Die Einwilligung bedarf der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. Soll die Einwilligung zusammen mit anderen Erklärungen schriftlich erteilt werden, ist sie besonders hervorzuheben.

Die während des gerichtlichen Verfahrens vorgelegten 18 einzelnen Einwilligungserklärungen der Beschäftigten genügen formal den Anforderungen des § 4 a Abs. 1 BDSG.

Die Einwilligung ist jedoch nur dann wirksam, wenn sie auf einer freien Entscheidung des Betroffenen beruht. Von einer generell bestehenden Unfreiwilligkeit kann in einem Arbeitsverhältnis nicht ausgegangen werden. … Auch in einem Verhältnis des Machtungleichgewichts muss die Selbstbestimmung nicht unbedingt ausgeschlossen sein. Es bedarf daher konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitnehmer im Einzelfall die Einwilligung nicht ohne Zwang abgegeben hat. Als Indiz für einen zusätzlichen Druck kann der Zwang zur Unterschrift auf einer gemeinsamen Erklärung angesehen werden. So wird ein gewisser Gruppenzwang zwischen den Arbeitnehmern erzeugt und setzt diejenigen, die eigentlich nicht unterschreiben wollen, unter Zwang. Werden dann, wie im Laufe des Verfahrens hier geschehen, Einzelerklärungen jedes einzelnen Arbeitnehmers nachgereicht, kann der ursprünglich generierte Gruppenzwang damit fortgesetzt werden. Weiter muss für die Einwilligenden klar zu erkennen gewesen sein, unter welchen Bedingungen sie sich mit der Verarbeitung welcher Daten einverstanden erklärt haben.

Bestehen Zweifel an den Tatsachen der Freiwilligkeit der Einwilligung bzw. des Genügens der Hinweispflicht, können diese durch die Einvernahme der Betroffenen geklärt werden. Bei dieser Sachlage sah der Einzelrichter keine Veranlassung zur Beweiserhebung von Amts wegen. Auf den dahingehenden Hinweis in der mündlichen Verhandlung wurden Beweisanträge nicht gestellt. Damit ist das Einverständnis der Beschäftigten nachgewiesen. …

Ist somit die Videoüberwachung am Betäubungsmittelschrank zulässig, erweist sich die diesbezügliche Anordnung als rechtswidrig, was auch die dahingehende Androhung und aufschiebende bedingte Festsetzung des Zwangsgeldes erfasst.