Urteil : Zur Reichweite des datenschutzrechtlichen Medienprivilegs : aus der RDV 2/2016, Seite 98 bis 99
(Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29. Oktober 2015 – 1 B 32.15 –)
- Telemedien sind vom Medienprivileg umfasst, wenn sie unter den Pressebegriff des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.
- Der Begriff „Presse“ ist weit auszulegen. Darunter fallen auch selbständige Journalisten, die nicht in redaktionelle Strukturen eingebunden sind oder, bei organisatorisch Selbständigkeit der Abteilung, auch Kunden-, Werks-, Partei- und Vereinspublikationen. Es muss also eine „publizierende Abteilung als Unternehmen im Unternehmen“ vorliegen.
- Das Medienprivileg ist kein allgemeines Meinungsprivileg. § 41 BDSG und § 57 RStV finden deshalb auch nicht auf alle Meinungsäußerungen, Foren oder Bewertungsportale im Internet Anwendung. Insbesondere folgt aus dem Umstand, dass journalistische Tätigkeiten nicht Medienunternehmen vorbehalten sind, nicht, dass jegliche Verbreitung von Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit „allein zu journalistischen Zwecken“ erfolgt.
(Nicht amtliche Leitsätze)
Aus den Gründen:
Wie sich aus dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen ergibt, gilt das sogenannte Medienprivileg nur für Unternehmen und Hilfsunternehmen der Presse (§ 41 Abs. 1 BDSG, § 57 Abs. 1 RStV). Das Medienprivileg stellt die Presse bei der Erfüllung ihrer in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zuerkannten und garantierten Aufgaben von der Einhaltung von Datenschutzvorschriften weitgehend frei, denn ohne Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten auch ohne Einwilligung der Betroffenen wäre journalistische Arbeit nicht möglich; die Presse könnte ihre in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK, Art. 11 Abs. 1 GRC zuerkannten und garantierten Aufgaben nicht wahrnehmen (BGH, Urteile vom 23. Juni 2009 – VI ZR 196/08 – BGHZ 181, 328 und vom 9. Februar 2010 – VI ZR 243/08 – NJW 2010, 2432). Die Ausnahmeregelungen für die Presse sind Ausfluss der im Grundgesetz verankerten Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). § 41 BDSG gilt für die Presse im verfassungsrechtlichen Sinne und folglich auch für die „elektronische Presse“ (Dix, in: Simitis, BDSG, 8. Aufl. 2014, § 41 Rn. 9). Telemedien sind mithin grundsätzlich vom Medienprivileg dann umfasst, wenn sie unter den Pressebegriff des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fallen (BGH, Urteil vom 23. Juni 2009 – VI ZR 196/08 – BGHZ 181, 328 Rn. 20). Der Begriff der Presse ist unter Berücksichtigung des Grundes für die Einführung des Medienprivilegs weit auszulegen (Herb, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2012, § 57 RStV Rn. 10; Gaertner, in: Gierschmann/Saeugling, Systematischer Praxiskommentar Datenschutzrecht, 2014, § 41 BDSG Rn. 9). Beispielsweise können auch selbständige Journalisten, die nicht in redaktionelle Strukturen eingebunden sind, Unternehmen der Presse sein (Führ, in: Auernhammer, BDSG, 4. Aufl. 2014, § 41 Rn. 11; Dix, in: Simitis, BDSG, 8. Aufl. 2014, § 41 Rn. 11; vgl. auch: EuGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 – C-73/07 [ECLI:EU:C:2008:727], Satamedia – Rn. 58). Auch für Kunden-, Werks-, Partei- und Vereinspublikationen wird grundsätzlich anerkannt, dass das Medienprivileg Anwendung findet. Vereine, Parteien oder sonstige Unternehmen, die Mitglieder-, Kunden- oder sonstige Publikationen erstellen, können das Medienprivileg aber nur in Anspruch nehmen, wenn die für die Publikationen zuständige Abteilung organisatorisch selbständig ist (Buchner, in: Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, 2013, § 41 BDSG, Rn. 20; Gaertner, in: Gierschmann/Saeugling, Systematischer Praxiskommentar Datenschutzrecht, 2014, § 41 BDSG Rn. 8; Führ, in: Auernhammer, BDSG, 4. Aufl. 2014, § 41 Rn. 12; Gola/Schomerus, BDSG, 12. Aufl. 2015, § 41 Rn. 7 f.; Dix, in: Simitis, BDSG, 8. Aufl. 2014, § 41 Rn. 11; Wedde, in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG, 4. Aufl. 2014, § 41 Rn. 9). Tauglicher Adressat des Medienprivilegs nach nationalem Recht sind daher nur organisatorisch in sich geschlossene, gegenüber den sonstigen (betrieblichen) Stellen abgeschottete, in der redaktionellen Tätigkeit autonome Organisationseinheiten (Gola/Schomerus, BDSG, 12. Aufl. 2015, § 41 Rn. 8). Die vom Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob für die Anwendbarkeit des Medienprivilegs eine „publizierende Abteilung als Unternehmen im Unternehmen“ vorliegen muss, ist daher im Ansatz zu bejahen, ohne dass Art und Umfang dieser Verselbständigung hier näher zu vertiefen sind. Denn es genügt diesen Anforderungen offenkundig nicht, wenn der Vorstand einer Wählervereinigung seine allerdings von der Meinungsäußerungsfreiheit geschützten Beiträge zur Unterrichtung der Öffentlichkeit und zur öffentlichen Auseinandersetzung auf der Website veröffentlicht. Denn es fehlt insoweit an einer eigenständigen, vom sonstigen Handeln des Vorstandes abgegrenzten, autonomen redaktionellen Stelle innerhalb des Vereins, die diese Informationsbearbeitung zu einer Verarbeitung „allein“ bzw. „ausschließlich“ zu eigenen journalistischen Zwecken werden lassen könnte. Das Berufungsgericht nimmt zu Recht an, dass das sog. Medienprivileg kein allgemeines Meinungsprivileg enthält. § 41 BDSG und § 57 RStV finden deshalb auch nicht auf alle Meinungsäußerungen, Foren oder Bewertungsportale im Internet Anwendung (Dix, in: Simitis, BDSG, 8. Aufl. 2014, § 41 Rn. 11). Insoweit ergeben sich auch in Ansehung von Art. 9 RL 95/46/EG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (s. Urteil vom 16. Dezember 2008 – C-73/07 –) keine Zweifelsfragen des Unionsrechts im Sinne des Art. 267 AEUV. Insbesondere folgt aus dem Umstand, dass journalistische Tätigkeiten nicht Medienunternehmen vorbehalten sind, nicht, dass jegliche Verbreitung und Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit „allein zu journalistischen Zwecken“ erfolgt. Auch bei einer etwa erforderlichen unionsrechtskonformen Auslegung des § 41 BDSG kann dies für die hier in Rede stehende Informationsverbreitung offenkundig ausgeschlossen werden.