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Kurzbeitrag : Löschung personenbezogener Daten im Datenbestand von Wirtschaftsauskunfteien : aus der RDV 3/2014, Seite 144 bis 148

Lesezeit 13 Min.

I. Funktion von Wirtschaftsauskunfteien

Wirtschaftsauskunfteien sind aus dem heutigen Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken. Sie erfüllen eine wichtige Funktion im Geschäftsverkehr, da sie mit ihren Auskünften Unternehmen Informationen liefern, die eine Basis für den Abschluss eines Vertrages oder eine Kreditentscheidung bilden, und es Verbrauchern ermöglichen, innerhalb weniger Minuten einen Handy-Vertrag abzuschließen, Ware auf Rechnung zu bestellen oder zeitnah einen Kredit genehmigt zu bekommen. Wirtschaftsauskunfteien, die zum Teil bereits vor mehr als 100 Jahren gegründet wurden und vielfach weltweit tätig sind, stellen mit der Übermittlung der von ihnen gespeicherten Informationen an die anfragenden Unternehmen somit sicher, dass Wirtschaftsabläufe funktionieren.

Die Speicherung von bonitätsrelevanten Daten durch Auskunfteien dient dem Zweck, Kreditentscheidungen ihrer Kunden abzusichern und das Zustandekommen neuer bzw. die Festigung bestehender Kundenbeziehungen zu fördern. Zugleich wird die kreditgebende Wirtschaft durch die Bonitätsinformationen vor Forderungsausfällen geschützt, womit ein wesentlicher Beitrag zur Prophylaxe gegen volkswirtschaftlich schädliche Insolvenzverluste geleistet wird (vgl. EuGH vom 23.11.2006, Rechtssache C-238/05 in WM 2007, S.157).

II. Rechtliche Rahmenbedingungen

Auskunfteien speichern und übermitteln in großem Umfang personenbezogene Daten, soweit sie bonitätsrelevant sind. Ihre Tätigkeit wird daher durch die Regelungen des BDSG bestimmt[1]. Da es sich bei bonitätsrelevanten Merkmalen in erster Linie um sogenannte Negativmerkmale[2] handelt, stellt sich nicht nur die Frage, unter welchen Voraussetzungen derartige Merkmale bei Wirtschaftsauskunfteien eingemeldet werden dürfen, sondern insbesondere für die Betroffenen ist es naturgemäß von erheblicher Bedeutung, nach welchen Maßgaben rechtmäßig gespeicherte Negativmerkmale wieder gelöscht werden müssen.

Jüngst wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Wirtschaftsauskunfteien eingehend dargestellt und dabei das Hauptaugenmerk auf die Voraussetzungen für die Löschung der bei einer Auskunftei gespeicherten personenbezogenen Daten gerichtet[3]. Die dabei gezogenen Schlussfolgerungen sind jedoch durchaus in Frage zu stellen.

III. Prüf- und Löschungsfristen

1. Unterscheidung zwischen erledigten und nicht erledigten Sachverhalten

Wirtschaftsauskunfteien übermitteln personenbezogene Daten geschäftsmäßig an ihre Kunden. Für sie gilt nach § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG die Verpflichtung, die von ihnen gespeicherten Daten am Ende bestimmter Fristen daraufhin zu überprüfen, ob diese Daten auch nach Ablauf der gesetzlichen Fristen noch gespeichert werden müssen oder – falls die Prüfung ergibt, dass dies nicht der Fall ist – eine Löschung dieser Daten vorzunehmen ist. Zu Recht ist in diesem Zusammenhang festzustellen, dass die Vorschrift viele Fragen aufwirft[4].

§ 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG enthält zunächst eine Prüfpflicht. Die Prüfung dient dem Zweck festzustellen, ob Gründe für eine fortdauernde Speicherung bestehen oder die Löschung vorzunehmen ist, wenn derartige Gründe eben nicht vorliegen. Es gibt keinen Automatismus von Zeitablauf und Löschung[5]. Dauert ein eröffnetes Insolvenzverfahren an oder ist eine offene Forderung auch nach Ablauf von vier Kalenderjahren nicht beglichen, so wird die Prüfung regelmäßig ergeben, dass eine weitere Speicherung erforderlich ist. Im Falle der offenen Forderung ist es im Rahmen der Prüfung zulässig, den Schluss zu ziehen, dass der Betroffene auch zukünftig nicht zahlungswillig ist, weil er gezeigt hat, dass er sich über einen erheblichen Zeitraum hinweg einer erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche seiner Gläubiger entzogen hat.

Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang, ob eine offene Forderung tituliert ist oder nicht. Wenn es sich um eine unstreitige Forderung handelt, wovon im Falle eines Titels spätestens nach Eintritt der Rechtskraft ausgegangen werden kann, so besteht nach Ablauf von vier Kalenderjahren keine Verpflichtung der Auskunftei zur Löschung, wenn die Forderung nicht vollständig beglichen wurde.

Die Fristen des § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG richten sich danach, ob die jeweiligen Daten sich auf einen erledigten oder nicht erledigten Sachverhalt beziehen. Handelt es sich um einen nicht erledigten Sachverhalt, beträgt die Frist vier Kalenderjahre, geht es um einen erledigten Sachverhalt, hat die Löschung nach drei Kalenderjahren zu erfolgen[6]. Eine gesetzliche Definition, wann es sich um einen erledigten Sachverhalt handelt oder noch um einen solchen, der nicht erledigt ist, existiert nicht. Der Gesetzgeber ging offenbar davon aus, dass diese Formulierung selbsterklärend ist.

Entscheidend für die Prüfung ist also, ob ein erledigter oder nicht erledigter Sachverhalt vorliegt[7]. Da die bei Wirtschaftsauskunfteien gespeicherten Daten regelmäßig sog. Negativmerkmale darstellen, kommt dieser Frage in der Praxis wegen der unterschiedlichen Prüffristen erhebliche Bedeutung zu. Hervorzuheben ist dabei in grundsätzlicher Hinsicht, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass mit der Erledigung eines Sachverhalts nicht etwa jedes berechtigte Interesse an einer fortgesetzten Speicherung und Übermittlung durch Wirtschaftsauskunfteien entfällt, sondern ein beschränkter Kreis von Interessenten durchaus noch länger – nämlich drei Kalenderjahre lang – Gelegenheit haben soll, das Verhalten des Betroffenen aus der Vergangenheit einzuschätzen[8].

Unerledigte Sachverhalte sind solche, die tatsächlich noch nicht abgeschlossen sind. Hierzu zählen etwa offene Forderungen, nicht ausgeglichene Ratenzahlungsvereinbarungen oder laufende Insolvenzverfahren. Erledigt ist ein Sachverhalt im Sinne des § 35 BDSG erst dann, wenn er vollständig beendet ist[9]. Wird die offene Forderung beglichen, die letzte Rate gezahlt oder die Restschuldbefreiung erteilt, findet mit diesem letzten Akt der Sachverhalt seinen Abschluss.

2. Berechnung der Fristen des § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG

Auskunfteien dürfen Negativmerkmale nach § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG zunächst für vier Kalenderjahre speichern. Die Frist beginnt mit dem Kalenderjahr, das der erstmaligen Speicherung folgt. In Anlehnung an die Vorschrift des § 199 BGB bleibt das Jahr, in dem die erstmalige Speicherung stattfindet, außer Betracht. Die Fristbestimmung lässt also das Kalenderjahr der erstmaligen Speicherung unberücksichtigt und zählt dann die vollen Kalenderjahre[10]. Die Löschung der Daten erfolgt damit nicht, wie oft irrtümlich angenommen, nach genau vier Jahren, sondern zum Ende des vierten Kalenderjahres nach der Speicherung[11].

Damit ergeben sich im Ergebnis unterschiedlich lange Prüf- und Löschungsfristen nicht nur im Hinblick darauf, ob es sich um erledigte oder nicht erledigte Sachverhalte handelt, sondern auch bedingt durch den Zeitpunkt, zu dem ein Erledigungsereignis eingetreten ist. Wird einem Schuldner die Restschuldbefreiung nach § 300 InsO am 02. Januar eines Kalenderjahres erteilt, führt dies naturgemäß zu einer längeren Speicherung dieses Merkmals im Vergleich zu einem Schuldner, der die Restschuldbefreiung am 30. Dezember des gleichen Jahres erhält.

Dieser Umstand hat auch Aufnahme in den aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes“ gefunden[12]. Ziel ist die taggenaue Löschung, die de lege lata von den Betroffenen nicht verlangt werden kann. Dabei steht dem Interesse des Betroffenen an einer verkürzten Löschungsfrist die Notwendigkeit der prozesstechnischen Verarbeitung der erheblichen Datenmengen der Wirtschaftsauskunfteien gegenüber, die ein berechtigtes Interesse an der Verfahrenserleichterung haben, nur einmal am Jahresende ihre Datenbestände prüfen zu müssen[13].

3. Löschung offener Forderungen

Ist eine offene Forderung nach Ablauf von vier Kalenderjahren nicht beglichen, so wird die Prüfung regelmäßig dazu führen, dass eine länger währende Speicherung des Merkmals der nicht beglichenen Forderung erforderlich ist. Dabei handelt es sich nicht um eine zeitlich unabsehbare Speicherung personenbezogener Daten, sondern um die aktuelle Verarbeitung des Merkmals der offenen Forderung im Rahmen der Prüfung zum Ende der Prüffrist. Da der Forderungsschuldner durch die fehlende Begleichung der offenen Forderung seine Zahlungsunfähigkeit bzw. -unwilligkeit zum Ausdruck gebracht hat, d.h. er zur Erfüllung der Forderung nicht in der Lage oder nicht willig ist, lässt § 35 BDSG eine fortdauernde Speicherung – für zunächst weitere vier Jahre – ohne weiteres zu.

Der BGH hat eine Klärung der Frage, ob Wirtschaftsauskunfteien personenbezogene Daten für eine unbegrenzte Zeit speichern, nutzen und Dritten zugänglich machen dürfen, unter Hinweis auf die gesetzliche Regelung des § 35 BDSG ausdrücklich abgelehnt[14]. Entgegen der aus den Reihen der Datenschutzaufsichtsbehörden vertretenen Auffassung sind damit offene Forderungen im Regelfall nach Ablauf der Vier-Jahres-Frist gerade nicht zu löschen.

4. Prüf und Löschungsfrist bei erledigten Sachverhalten

Problematisch wird es allerdings dann, wenn tatsächlich die Erledigung eines Sachverhalts eintritt. Die Prüfungsfrist reduziert sich in diesem Fall auf drei Kalenderjahre. Unklar bleibt, an welchen Tatbestand diese Frist anknüpft bzw. ab welchem Zeitpunkt die Frist berechnet wird. Das Gesetz spricht hier nur von der „erstmaligen Speicherung“, ohne dass zugleich festgelegt wird, welches erstmalig gespeicherte Merkmal des Sachverhalts für die Fristberechnung maßgeblich ist.

Wird eine offene Forderung beglichen, so stellt diese Handlung ein erledigendes Ereignis dar. Die Prüfungsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt der Erledigung zu laufen[15]. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch, wenn es sich um mehraktige Vorgänge handelt. Bei mehraktigen Vorgängen ist nicht klar, ob die in § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG genannte Frist ausschließlich an den ersten Akt eines Vorgangs anknüpft, so dass die folgenden Akte im Hinblick auf die Löschungsregelung unbeachtlich wären, oder ob jeder weitere Akt für sich genommen eine neue Löschungsfrist in Gang setzt. Praktisch relevant wird diese Frage etwa im Falle einer mit dem Schuldner einer offenen Forderung getroffenen Ratenzahlungsvereinbarung oder eines Insolvenzverfahrens.

Umstritten ist, welche Auswirkungen die Erledigung bei mehraktigen Vorgängen auf die Berechnung der Prüf- und Löschungsfrist hat. Dabei wird die Auffassung vertreten, dass es bei solchen Sachverhalten jeweils ein „Grundereignis“ gibt und alle weiteren Akte lediglich „Ergänzungsangaben“ darstellen, denen im Rahmen der Prüfung des § 35 keine eigene rechtliche Bedeutung zukomme[16]. Dies führt dazu, dass nach dieser Ansicht die dem Grundereignis folgenden Einzelakte keine Verlängerung der Prüffrist bewirken[17]. Wird ein nach §§ 80 ff. InsO eröffnetes Insolvenzverfahren nach Ablauf von vier Kalenderjahren aufgehoben, so wäre die Erledigung des Sachverhalts „Insolvenzverfahren“ eingetreten und der gesamte Sachverhalt wäre, da die Fristberechnung an das – mehr als vier Kalenderjahre zurückliegende – Grundereignis der Insolvenzeröffnung anknüpfen soll, mangels Verlängerung der Prüffrist vollständig zu löschen. Gleiches würde gelten, wenn die Zahlung der letzten Rate aufgrund einer Ratenzahlungsvereinbarung nach mehr als drei Kalenderjahren erfolgt.

Demgegenüber stehen die Verfechter der Auffassung, dass ein Vorgang wie ein Insolvenzverfahren als Gesamtheit betrachtet werden muss, dessen einzelne Akte jeweils selbständige Sachverhalte sind, die ihrerseits bei der Prüfung, ob ein Sachverhalt insgesamt gelöscht werden muss, zu berücksichtigen sind. Danach verlängert sich z.B. mit jedem weiteren Akt im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Prüffrist des § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG um vier Kalenderjahre, und zwar solange, bis das Verfahren endgültig abgeschlossen ist. Mit der Aufhebung des Verfahrens bzw. bei Verbraucherinsolvenzen der Erteilung der Restschuldbefreiung ist der Gesamtvorgang „Insolvenzverfahren“ erledigt, so dass – anknüpfend an dieses Erledigungsmerkmal – die Drei-Jahres-Frist für erledigte Sachverhalte beginnt.

Dafür, dass eine solche Betrachtungsweise zutreffend ist, gibt es gute Gründe. Müssten einzelne Akte wie etwa die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Fristablaufs gelöscht werden, wären die im Rahmen einer Auskunft mitgeteilten verbleibenden Akte aus dem Zusammenhang gerissen und ohne Bezug zu dem Gesamtvorgang nicht verständlich. Die Bonitätsbewertung würde auf diese Weise beeinträchtigt, und die Funktion der Auskunft, ein möglichst zuverlässiges Bild über die Kreditwürdigkeit des zukünftigen Vertragspartners zu geben, könnte nicht erfüllt werden. Es ist daher notwendig, dass die Fristberechnung an die Erledigung des Gesamtkomplexes und nicht an dem „Grundereignis“ anknüpft.

5. Löschungsfrist bei vorzeitiger Restschuldbefreiung

Einigkeit besteht darüber, dass Wirtschaftsauskunfteien den Beschluss über die Erteilung der Restschuldbefreiung für die Dauer von drei Kalenderjahren speichern und Auskunft über dieses Merkmal erteilen dürfen[18]. Fraglich ist, ob sich daran etwas ändert, wenn es sich um eine vorzeitige Restschuldbefreiung handelt. Für diesen speziellen Fall wird die Ansicht vertreten, dass eine derartige Restschuldbefreiung abweichend von der Regelung des § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG bereits nach sechs Monaten gelöscht werden müsse[19]. Begründet wird dieser Standpunkt damit, dass nach § 3 Abs. 2 der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (InsOBekVO) auch die Insolvenzgerichte diesbezügliche Beschlüsse nur für diesen begrenzten Zeitraum in das Internet einstellen dürfen.

Verkannt wird dabei jedoch, dass § 3 InsOBekVO eine ganz andere Zielrichtung als § 35 BDSG hat[20]. Nach § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG gehen andere Rechtsvorschriften des Bundes den Vorschriften des BDSG nur vor, soweit diese Vorschriften auf personenbezogene Daten einschließlich deren Veröffentlichung anzuwenden sind. Danach geht den Regelungen des BDSG jedoch nur eine in jeder Hinsicht „deckungsgleiche“ Vorschrift vor. Dies ist bei § 3 InsOBekVO gerade nicht der Fall. Zum einen lassen sich Normstruktur und Normgehalt der Verordnungsvorschrift nicht mit § 35 BDSG vergleichen[21]. Zum anderen beinhaltet § 3 InsOBekVO anders als § 35 BDSG keinen Anspruch des Betroffenen, sondern Normadressat ist die öffentliche Justizverwaltung, die angehalten wird, binnen einer bestimmten Frist Insolvenzbekanntmachungen zur Löschung zu bringen. Darüber hinaus zielen die Insolvenzbekanntmachungen auf die Ermöglichung einer öffentlichen Bekanntmachung wichtiger Entscheidungen des Insolvenzgerichts ab, denen Geltung gegenüber jedermann verschafft werden soll[22]. Die Löschung durch die Justizbehörden nach sechs Monaten knüpft damit vor allem an den Umstand des öffentlichen Informationszugangs für jedermann an, der einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedeutet. Demgegenüber geht es bei § 35 BDSG um Daten, die geschäftsmäßig zum Zwecke der Übermittlung verarbeitet werden, wobei die Daten bei den Wirtschaftsauskunfteien im Einzelfall unter Darlegung eines berechtigten Interesses gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 1 BDSG abgefordert werden müssen. Die Auskunft kann daher nicht von jedermann, sondern nur von den Vertragspartnern der Auskunftei und bei Vorliegen eines berechtigten Interesses beansprucht werden. § 3 InsOBekVO ist daher nicht „deckungsgleich“ im Verhältnis zu § 35 BDSG, so dass ein Vorrang nach § 1 Abs. 3 S. 1 BDSG ausscheidet. Der unterschiedliche Normgehalt, die Unterschiede in Zielsetzung und Normadressat verbieten es zudem, § 3 InsOBekVO als lex specialis im Verhältnis zu § 35 BDSG anzusehen[23].

Für die Zulässigkeit der Speicherung von Daten aus allgemein zugänglichen Quellen kommt es auch nicht darauf an, dass das Datum zum Zeitpunkt der zulässigen Speicherung („aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen“) auch bei der weiteren Verarbeitung vorliegt und die Information nach Ablauf der sechsmonatigen Veröffentlichungsfrist nach § 3 InsOBekVO nicht mehr öffentlich zugänglich ist. Dass die Voraussetzung für eine zulässige Speicherung auch während der Verarbeitung vorliegen muss, ist § 29 Abs. 1 BDSG nicht zu entnehmen[24].

6. Kein Anspruch auf vorzeitige Löschung aus der Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr („Datenschutzrichtlinie“)

Aus der unionsrechtskonformen Auslegung des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG im Lichte der Datenschutzrichtlinie ergibt sich ebenfalls kein Anspruch auf vorzeitige Löschung von Insolvenzdaten[25]. Gemäß Art. 7 f) der Datenschutzrichtlinie ist die Speicherung von Daten zulässig, soweit diese im berechtigten Interesse der verantwortlichen Stelle oder eines Dritten ist und das Interesse der betroffenen Person nicht überwiegt. Damit ist eine Datenverarbeitung aufgrund einer Interessenabwägung zulässig. Das deutsche Datenschutzrecht entspricht den Vorgaben der europäischen Datenschutzrichtlinie, da die von Art. 7 f) der Richtlinie geforderte Interessenabwägung sowohl in § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG als auch in § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG enthalten ist.

IV. Ergebnis

Obgleich die Vorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG einige Fragen aufwirft, besteht zumindest zur Speicherdauer von Insolvenzdaten – insbesondere der Speicherung der Restschuldbefreiung – eine Rechtsprechung, die mittlerweile als gefestigt bezeichnet werden darf. An den Punkten, an denen die Verpflichtung zur Löschung personenbezogener Daten im Datenbestand von Auskunfteien eine nach wie vor nicht vollständig geklärte Rechtsmaterie ist, kommt es daher darauf an, zu rechtssystematisch begründeten und in sich schlüssigen Lösungen zu gelangen. Die Rechtsprechung hat zu einzelnen Fragestellungen wichtige Entscheidungen getroffen, die gewisse Leitlinien geben.

* Der Autor ist Chefjustiziar der Creditreform-Gruppe und Geschäftsführer des Verbandes der Handelsauskunfteien (VdH) in Neuss.

[1] In § 29 Abs.1 BDSG werden die Auskunfteien ausdrücklich aufgeführt

[2] Bei Negativmerkmalen oder Negativdaten wird zwischen „harten“ und „weichen“ Merkmalen unterschieden (Ehmann, in: Simitis, BDSG, 7. Aufl. 2011, § 29 Rn. 175 ff.). Als harte Negativmerkmale werden solche bezeichnet, die auf gerichtlichen Entscheidungen beruhen, z.B. die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung oder eine Insolvenz. Bei weichen Negativmerkmalen fehlt eine solche Grundlage, wie etwa bei einer fälligen offenen, jedoch nicht titulierten Forderung.

[3] Krämer, NJW 2012, 3201 ff.

[4] Plath-Kamlah, BDSG-Kommentar, 2013, § 35 Rn. 22.

[5] Schaffland/Wiltfang, BDSG, 2012, § 35 Rn. 39.

[6] Durch das Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (BTDrs. 16/10529, S.18, Nr.9) ist die gesetzliche Prüffrist in § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG von vier auf drei Jahre verkürzt worden.

[7] Plath-Kamlah, BDSG-Kommentar, 2013, § 35 Rn. 24.

[8] LG Dessau-Roßlau, Urteil vom 16.08.2012 – 1 S 76/12.

[9] Plath-Kamlah, BDSG-Kommentar, 2013, § 35 Rn. 24.

[10] Plath-Kamlah, BDSG-Kommentar, 2013, § 35 Rn. 23.

[11] Schaffland/Wiltfang, BDSG, 2012, § 35 Rn. 39; VG Karlsruhe, Beschluss vom 05.09.2012 – 6 K 1782/12.

[12] Drucksache 17/4230 vom 10.01.2013.

[13] Drucksache 17/4230 vom 10.01.2013, S. 21.

[14] BGH NJW 2003, 2904, 2905.

[15] Plath-Kamlah, BDSG-Kommentar, 2013, § 35 Rn. 24.

[16] Krämer, NJW 2012, 3201, 3204 ff.

[17] Krämer, NJW 2012, 3201, 3205.

[18] OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.12.2012 – 4 U 190/11; OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 21.03.2012 – 8 U 166/11; OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.09.2009 – 21 U 45/09; OLG München, Urteil vom 16.05.2011 – 21 U 968/11; LG Baden-Baden, Beschluss vom 04.07.2011 – 3 S 24/11; LG Wiesbaden, Beschluss vom 21.10.2010 – 5 T 9/10 = MMR 2011, 348; LG Regensburg, Urteil vom 26.02.2008 – 2 S 229/07 (1); LG Wiesbaden, Beschluss vom 05.07.2007 – 7 O 175/07; Gola/Schomerus, BDSG, 10. Aufl. 2010, § 35 Rn. 14; Dix, in: Simitis, BDSG, § 35 Rn. 42.

[19] Krämer, NJW 2012, 3201, 3206.

[20] Vgl. KG Berlin, Urteil vom 07.02.2013 – 10 U 118/12 (KG).

[21] LG Dessau-Roßlau, Urteil vom 16.08.2012 – 1 S 76/12.

[22] LG Dessau-Roßlau, Urteil vom 16.08.2012 – 1 S 76/12.

[23] LG Dessau-Roßlau, Urteil vom 16.08.2012 – 1 S 76/12.

[24] Vgl. KG Berlin, Urteil vom 07.02.2013 – 10 U 118/12 (KG).

[25] Vgl. KG Berlin, Urteil vom 07.02.2013 – 10 U 118/12 (KG).