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Urteil : Beleidigung des Chefs in vertraulicher SMS an Kollegen : aus der RDV 4/2015, Seite 209 bis 210

(Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 Sa 571/14 –)

Archiv RDV
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Beleidigende Äußerungen über Vorgesetzte innerhalb vertraulichen Kollegenkontakts rechtfertigen regelmäßig keine Kündigung. Regelmäßig darf der Arbeitnehmer auf die Vertraulichkeit des Gesprächs vertrauen.

(Nicht amtlicher Leitsatz)

Sachverhalt:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung sein Ende gefunden hat.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.05.2010 als Oberarzt beschäftigt. In den letzten Jahren war er bei der Beklagten ausschließlich als Herzchirurg eingesetzt.

Am 19.05.2014 erklärte er sich in einer Teambesprechung angesichts eines bei der Beklagten bestehenden Personalengpasses bereit, die medizinisch-technische Operationsassistentin Frau N. zu fragen, ob sie bereit sei, Rufbereitschaft zu leisten. Auf die Anfrage antwortete Frau N. wie folgt:

  1. (16.28 Uhr): „Hallo, es ist schon alles mit dem Chef besprochen“

Kläger (16.56 Uhr): „Dann ist ja gut. Heute morgen hat er nichts davon gesagt. Er ist u bleibt ein autistisches krankes Arschl… l G m“

Nachdem Frau N. daraufhin den besagten „Chef“, den Chefarzt Prof. Dr. N., über diesen Vorgang in Kenntnis gesetzt hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 18.06.2014 ordentlich zum 30.09.2014.

Hierzu hat der Kläger u.a. vorgetragen:

Zum einen fehle es an einer Abmahnung. Zum anderen habe er darauf vertrauen dürfen, dass Frau N. seine Äußerung nicht an Prof. Dr. N. bzw. an die Beklagte weiterleiten werde, zumal Frau N. – mit der der Kläger von 2010 bis Herbst 2012 eine eheähnliche Beziehung geführt habe – ihm noch im Frühjahr 2014 angesichts von Meinungsverschiedenheiten in der Abteilung erklärt habe, sie werde nichts tun, um ihm zu schaden. Im Übrigen habe die Beklagte ihm eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz anbieten müssen, da er auch als „normaler“ Chirurg in einer anderen Abteilung arbeiten könne. Negative Auswirkungen auf die Patienten der Herzchirurgie stünden nicht zu befürchten, da er mit Prof. Dr. N. ohnehin nur ein bis zweimal pro Monat gemeinsam operiere.

Aus den Gründen:

Das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche ordentliche Kündigung das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet hat mit der Folge, dass dem Kläger ein Anspruch auf ein qualifiziertes wohlwollendes Zwischenzeugnis zusteht und er seine einstweilige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens verlangen kann.

Mit dem Arbeitsgericht ist zunächst davon auszugehen, dass vorliegend die Voraussetzungen für die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht gegeben sind.

Beleidigt ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber, seinen Vertreter und Repräsentanten, einen Vorgesetzten oder seine Arbeitskollegen grob, d.h. wenn die Beleidigungen nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeutet, stellt dies einen erheblichen Verstoß gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme gem. § 241 BGB aus dem Arbeitsverhältnis dar und kann folglich ebenso einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung an sich bilden, wie auch einen solchen für eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung (vgl. BAG 27.09.2012 – 2 AZR 646/11, EzA-SD 9/2013 S. 6 Leitsatz; 17.07.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38; 10.12.2009 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 29; 10.10.2002 EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 1, 06.11.2003 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60; LAG R.-P. 18.08.2011 NZA RR 2012, 16; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 12. Aufl., 2015, Kapitel 4 Rn. 1313 ff. = S. 1658 ff.).

Bei der rechtlichen Würdigung sind allerdings die Umstände zu berücksichtigen, unter denen die betreffenden Äußerungen gefallen sind. Geschah dies im Rahmen einer emotional geprägten Auseinandersetzung, vermögen sie eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres zu begründen (LAG R.-P. 18.08.2011 a.a.O.). Hat der Arbeitgeber Beleidigungen ausgesprochen, so kann auch eine Reaktion des Arbeitnehmers zulässig und nicht zu beanstanden sein; auch in einer zugespitzten innerbetrieblichen Situation ist es dem Arbeitnehmer erlaubt, für den eigenen Sachstandpunkt mit scharfer Polemik zu werben, soweit dabei nicht andere Personen beleidigt oder in vergleichbar schwerer Weise unsachlich angegriffen werden (LAG Mecklenburg-Vorpommern 14.08.2012 NZA-RR 2013, 20).

Die Grenze zwischen einer lediglich überspitzten und polemischen Kritik und einer nicht mehr vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 GG gedeckten Schmähung ist dann überschritten, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BAG 07.07.2011, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38).

Vorliegend ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass mit der Formulierung „autistisches krankes Arschl…“ eine grobe Beleidigung gegeben ist, ohne dass dies weiter erörtert werden müsste

Allerdings sind bei der rechtlichen Beurteilung in der Wirksamkeit einer darauf gestützten Kündigung die Umstände zu berücksichtigen, unter denen die diffamierende und/oder ehrverletzende Äußerung gefallen ist.

Nach Maßgabe der besonderen Umstände des hier zu entscheidenden Einzelfalles dürfe der Kläger darauf vertrauen, dass Frau N. als Adressatin der SMS diese nicht an Prof. Dr. N. bzw. den Beklagten weiterleiten würde.

Werden diffamierende und ehrverletzende Äußerungen über Vorgesetzte oder Kollegen nur in vertraulichen Gesprächen unter Arbeitskollegen abgegeben, so kann unter Umständen die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ebenso wie die ordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt sein. Denn vertrauliche Äußerungen unterfallen dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die vertrauliche Kommunikation in der Privatsphäre ist Ausdruck der Persönlichkeit und grundrechtlich gewährleistet (BAG 10.12.2009 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 29). Der Arbeitnehmer darf regelmäßig darauf vertrauen, seine Äußerungen werden nicht nach außen getragen und der Betriebsfrieden nicht gestört bzw. das Vertrauensverhältnis nicht zerstört. Hebt der Gesprächspartner später die Vertraulichkeit auf, geht dies rechtlich nicht zu Lasten des Arbeitnehmers (BAG 10.12.2009 a.a.O.). Diesen Schutz der Privatsphäre und der Meinungsfreiheit kann der Arbeitnehmer lediglich dann nicht in Anspruch nehmen, der selbst die Vertraulichkeit aufhebt, so dass die Gelegenheit für Dritte, seine Äußerung zur Kenntnis zu nehmen, ihm zurechenbar wird. Das gilt beispielsweise in dem Fall, in dem er eine Mitteilung an eine – vermeintliche – Vertrauensperson richtet, um einen Dritten „zu treffen“ (BAG 10.10.2002 EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 1; 10.12.2009 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 29; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, a.a.O., Kap. 4 Nr. 1328 = S. 1662 f.).

Insoweit ist das Arbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass dem ein entsprechender „Erfahrungssatz“ des Inhalts zugrunde liegt, „dass anfechtbare Äußerungen über Vorgesetzte, sofern sie im Kollegenkreis folgen, in der sicheren Erwartung geschehen, dass sie nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinaus dringen werden“ (BAG 21.10.1965 AP Nr. 5 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; 30.11.1972 AP Nr. 66 zu § 626 BGB; 10.12.2009 a.a.O.). Diesen Grundsätzen folgt auch das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (LAG R.-P. 19.02.2004 – 6 Sa 1120/03; 08.09.2009 NZA RR 2010, 212; 24.07.2014 – 5 Sa 25/14). Vor diesem Hintergrund gehört es zu den vom Arbeitgeber nach den zuvor dargestellten Grundsätzen darzulegende Kündigungstatsachen, dass Umstände vorliegen, die eine mögliche Rechtfertigung des Verhaltens des Arbeitnehmers gleichwohl ausschließen (BAG 10.12.2009, a.a.O.).

Vorliegend hat das Arbeitsgericht insoweit aber zutreffend angenommen, dass der Kläger darauf vertrauen durfte, dass Frau N. den Inhalt seiner SMS nicht an Prof. Dr. N. oder die Beklagte weiterleiten würde. Dies hat das Arbeitsgericht ausführlich und in jeder Hinsicht zutreffend begründet; deshalb wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 8–10 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 69–71 d. A.) Bezug genommen.

Folglich ist dem Kläger aufgrund der Besonderheit des hier zu beurteilenden Einzelfalles keine Pflichtverletzung anzulasten. Eine durch die Weiterleitung der negativen Äußerung eingetretene Störung des Vertrauensverhältnisses oder des Betriebsfriedens ist hier nicht durch die Herabsetzung des Vorgesetzten an sich eingetreten, sondern erst dadurch, dass der Gesprächspartner die Vertraulichkeit missachtet und sich in einer für den Arbeitnehmer unerwarteten Weise indiskret verhalten hat.

Würde man insoweit eine andere Auffassung vertreten, hätte es vorliegend nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit jedenfalls einer vorherigen – nicht gegebenen Abmahnung – bedurft.