Kurzbeitrag : Datenschutzrechtliche Aspekte des Tarifeinheitsgesetzes : aus der RDV 4/2015, Seite 183 bis 185
1. Das Mehrheitsprinzip entscheidet über Tarifvertrag
Am 22. Mai und nachfolgend am 12. Juni hat das Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) den Bundestag und den Bundesrat passiert. Die gesetzlichen Regelungen sind nach wie vor umstritten. Verfassungsklagen sind u.a. von Berufsgewerkschaften angekündigt.
Mit der Einfügung eines § 4a in das TVG soll der Grundsatz der Tarifeinheit wiederhergestellt werden, den das BAG mit seiner Entscheidung vom 7.7.2010 (NZA 2010, 1068) aufgegeben hatte. Infolge der damit bestehenden Tarifpluralität konnten für dieselbe Beschäftigtengruppe unterschiedliche Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften zur Anwendung kommen.
Nach § 4a Abs. 2 S. 2 TVG sind bei kollidierenden Tarifverträgen nur noch die Normen des Tarifvertrages maßgebend, der von der mitgliederstärkeren Gewerkschaft abgeschlossen wurde.
Dieses Mehrheitsprinzip ist nach der Auffassung des Gesetzgebers in besonderer Weise geeignet, das wieder angestrebte Ziel der Tarifeinheit zu erreichen. Der Tarifvertrag soll zur Anwendung kommen, dessen Interessenausgleich die größte Akzeptanz in der Belegschaft besitzt. Das Mehrheitsprinzip gebe dem durch Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) ermöglichten Koalitionswettbewerb, d.h. dem Wettbewerb der Gewerkschaften um Mitglieder, Raum. Indem im Fall konkurrierender Tarifverträge der effektiv im Betrieb gestaltende Tarifvertrag nach dem Mehrheitsprinzip ausgewählt wird, werde diese Auswahlentscheidung den organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und damit letztlich dem Koalitionswettbewerb anvertraut.
Über die Gültigkeit von konkurrierenden Tarifverträgen entscheidet also die Mitgliederzahl, die die jeweilige Gewerkschaft bei Abschluss des Vertrages hat.
§ 4a Abs. 2 TVG regelt wie folgt: „Der Arbeitgeber kann nach § 3 an mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sein. Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat.
Kollidieren die Tarifverträge erst zu einem späteren Zeitpunkt, ist dieser für die Mehrheitsfeststellung maßgeblich. …………“
2. Beweisführung über die Mitgliederstärke
Damit liegt das Interesse des Arbeitgebers, der in einem tarifpluralen Betrieb in Tarifverhandlungen steht, zu erfahren, welche Gewerkschaft letztlich der maßgebende Tarifpartner ist, auf der Hand. Andererseits ist eindeutig, dass die Gewerkschaftszugehörigkeit des Beschäftigten im Bewerbungs- und auch im Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich nicht vom Fragerecht des Arbeitgebers erfasst wird. Das BAG hat sich nunmehr (Beschluss vom 18. 11. 2014 – 1 AZR 257/13 –) mit der besonderen Konstellation bei Tarifvertragsverhandlungen mit konkurrierenden Gewerkschaften befasst und auch hier das Fragerecht im konkreten Fall von Tarifverhandlungen verneint.
Die Leitsätze lauten wie folgt: „1. Art. 9 Abs. 3 GG schützt eine Gewerkschaft auch darin, der Arbeitgeberseite in einer konkreten Tarifvertragsverhandlungssituation Angaben über ihren Organisationsgrad und die Verteilung ihrer Mitglieder in bestimmten Betrieben vorzuenthalten. 2. Verlangt ein Arbeitgeber während laufender Tarifvertragsverhandlungen von seinen Arbeitnehmern die Offenlegung ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit, handelt es sich um eine gegen die gewerkschaftliche Koalitionsbetätigungsfreiheit gerichtete Maßnahme“.
Andererseits kann es nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes aber Fälle geben, in denen der Arbeitgeber zu Recht nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft seiner Arbeitnehmer fragt, was dann zur Zurückweisung des pauschalen Unterlassungsantrags der Gewerkschaft führte. Dazu, ob eine derartige Situation nach Abschluss konkurrierender Tarifverträge besteht, hat sich das BAG nicht geäußert.
Jedoch hat die Rechtsprechung bereits zuvor in einer gleichgelagerten Situation nach einer datenschutzkonformen Lösung gesucht, bei der die Art der Nachweisung der Gewerkschaftsmitgliedschaft den unterschiedlichen Interessen des Arbeitgebers einerseits und der Gewerkschaft und der Arbeitnehmer andererseits Rechnung trägt (BAG vom 25.3.1992 – 7 AZR 65/90 –). Dabei ging es darum, dass das Betriebsverfassungsgesetz den Gewerkschaften zahlreiche Aufgaben und Befugnisse im Betrieb zuweist; dies jedoch unter der Voraussetzung, dass die Gewerkschaft im Betrieb vertreten ist (vgl. u.a. §§ 2 Abs. 1 und 2, 14 Abs. 7, 16 Abs. 2, 17 Abs. 3, 18 Abs. 1 und 2, 19 Abs. 2 BetrVG etc.) (vgl. die Aufstellung bei Fitting, BetrVG, § 2, Rn. 52).
Die Vertretung ist bereits anzunehmen, wenn nur ein Arbeitnehmer des Betriebes der betreffenden Gewerkschaft angehört; fraglich ist jedoch, wie die Gewerkschaft den ggf. erforderlichen Nachweis der Vertretung erbringen kann, d.h., ob sie hierzu zumindest die Mitgliedschaft eines Beschäftigten dem Arbeitgeber offenbaren muss oder ob zutreffend auch insoweit dem Datenschutz der betroffenen Arbeitnehmer Vorrang einzuräumen ist. Gemäß der h.M. in Rechtsprechung und Literatur (vgl. Richardi, BetrVG, § 2 Rn. 71) kann sie den erforderlichen Beweis führen, ohne den Namen eines betriebsangehörigen Mitglieds zu nennen. Es genügt die Vorlage einer notariellen Erklärung, in der bescheinigt wird, dass eine Person, deren Personalien hinterlegt sind, einem Betrieb und einer bestimmten Gewerkschaft angehört.
Der Leitsatz Nr. 2 der oben genannten Entscheidung des BAG lautet: 2.
Die Gewerkschaft kann den erforderlichen Beweis auch durch mittelbare Beweismittel, z.B. durch notarielle Erklärungen führen, ohne den Namen ihres im Betrieb des Arbeitgebers beschäftigten Mitglieds zu nennen. Ob diese Beweisführung ausreicht, ist eine Frage der freien Beweiswürdigung. Die Tatsachengerichte müssen dem geringeren Beweiswert mittelbarer Beweismittel durch besonders sorgfäItige Beweiswürdigung und Begründung ihrer Entscheidung Rechnung tragen.
Zwar könne, wie das LAG Düsseldorf (DB 1989, 1036) festhält, ein für den Arbeitgeber eindeutig nachprüfbarer Nachweis letztlich nur durch die Nennung des Mitglieds erfolgen. Dem stehe aber entgegen, dass es der Gewerkschaft schon aus datenschutzrechtlichen Gründen versagt sei, den Namen des Mitglieds ohne dessen Einwilligung weiterzugeben. Ferner folge aus der grundsätzlichen Unzulässigkeit der Erhebung des Datums im Rahmen des Fragerechts des Arbeitgebers, dass die Gewerkschaftszugehörigkeit auch im Wege der Zeugenvernehmung nicht offenbart werden dürfe. Das damit für den Nachweis des »Vertretenseins« gerechtfertigte »Geheimverfahren« gewährt dem einzelnen Arbeitnehmer dem seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Koalitionsfreiheit angemessenen Schutz.
Auch wenn es bei § 4a TVG nicht um ein konkretes einzelnes Gewerkschaftsmitglied, sondern um deren Gesamtzahl zu einem bestimmten Zeitpunkt geht, hat der Gesetzgeber obige Überlegungen im Zusammenhang mit der Nachweisführung im Rahmen des § 4a TVG aufgegriffen und nunmehr als generelle Regelung in entsprechenden Fällen in § 58 Abs. 3 ArbGG die Möglichkeit des Urkundenbeweises gesetzlich geregelt.
§ 58 Abs. 3 ArbGG lautet: „Insbesondere über die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder oder das Vertretensein einer Gewerkschaft in einem Betrieb kann Beweis auch durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden.“
Nach § 415 Abs. 1 ZPO liegt dann eine öffentliche Urkunde vor, wenn sie von einer öffentlichen Behörde innerhalb des zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen ist. Mit öffentlichem Glauben versehene Personen sind diejenigen, die durch Gesetz zu Beurkundungen ermächtigt sind. Dazu zählen insbesondere die Notare. Zu den Amtsbefugnissen der Notare gehört die Erstellung einer Tatsachenbescheinigung der vorliegenden Art. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Ausstellung einer Bescheinigung über amtlich von ihnen wahrgenommene Tatsachen (§ 20 Abs. 1 Satz 2 BNotO). Die Wahrnehmung ist amtlich, wenn der Notar auftragsgemäß in seiner Eigenschaft als Notar tätig geworden ist. Zu den von ihm wahrgenommenen Tatsachen zählen auch nichtrechtsgeschäftliche Erklärungen. Nach § 415 Abs. 1 ZPO begründet eine öffentliche Urkunde den vollen Beweis des von Notar beurkundeten Vorganges, die hier darin bestehen kann, dass die Gewerkschaft ihm eine pseudonymisierte Mitgliederliste zur Einsicht vorgelegt hat, deren Inhalt er bestätigt (vgl. jedoch auch die diesbezüglichen Bedenken bei Fischer, Die DGB-Gewerkschaften und das Tarifeinheitsgesetz, NZA 2015, 662). Natürlich könnte die Gewerkschaft den unmittelbaren Beweisantritt auch durch Vorlage ihrer Mitgliederbücher führen, was jedoch das Einverständnis der Mitglieder voraussetzt.
* Der Autor ist Ehrenvorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V., Bonn.