DA+

Bericht : Deutscher Bundestag: Wissenschaftliche Dienste zur Rechtsgrundlage für den Einsatz sog. intelligenter Videoüberwachung durch die Bundespolizei (WD 3 – 3000 – 202/16) : aus der RDV 4/2017, Seite 212 bis 213

Archiv RDV
Lesezeit 4 Min.
  1. Fragestellung

Es wird um eine kurze Einschätzung der Frage gebeten, inwieweit der Einsatz sog. intelligenter Videoüberwachungssysteme, mittels derer unter anderem ein Gesichtsabgleich mit polizeilichen Datenbanken möglich ist, von der Ermächtigungsgrundlage des § 27 Bundespolizeigesetz (BPolG) für den Einsatz „selbststätiger Bildaufnahme- und Bildaufzeichnungsgeräte“ erfasst wird.

  1. Selbststätige Bildaufnahmeund Bildaufzeichnungsgeräte i.S.d. § 27 BPolG

 2.1. Rechtsprechung

Die Rechtsprechung hat sich bisher noch nicht mit der Frage befasst, ob der Einsatz intelligenter Videoüberwachungssysteme durch die Bundespolizei auf die Ermächtigungsgrundlage des § 27 BPolG gestützt werden kann.

2.2. Auffassungen in der Literatur

In der Literatur wird die Frage zur Erstreckung des § 27 BPolG auf intelligente Videoüberwachungssysteme uneinheitlich beantwortet[1] :

Nach einer Ansicht fallen unter den Anwendungsbereich der Norm auch Überwachungstechniken, die eine „intelligente Selektion“ mittels eines Abgleichs mit zuvor gespeicherten personenbezogenen Daten ermöglichen.[2]

Nach anderer Ansicht gestattet die Regelung in § 27 S. 1 BPolG nicht den Einsatz intelligenter Videoüberwachungssysteme.[3] Der Einsatz einer derartigen Technik sei zwar vom Wortlaut des § 27 S. 1 BPolG („Die Bundespolizei kann selbststätige Bildaufnahme- und Bildaufzeichnungsgeräte einsetzen […]“) gedeckt. Gegen eine Subsumtion dieser Technik unter die Norm würden aber sowohl die Entstehungsgeschichte als auch verfassungsrechtliche Einwände sprechen.

Zum einen wird auf die entsprechenden Gesetzesmaterialien verwiesen. Dort heißt es:

„Nach der Vorschrift darf der BGS für bestimmte Zwecke innerhalb seines Aufgabenbereichs automatische Bildaufnahme- und Bildaufzeichnungsgeräte verwenden. Diese Geräte sind an einem festen Standort installiert, und ihr Bildwinkel ist zumeist – fest oder variabel – vorgegeben, kann aber mitunter auch ferngesteuert verändert werden. Ihre Besonderheit besteht vor allem darin, daß Bildaufnahmen nicht erst im Falle einer konkreten Gefahr und dann zielgerichtet nur von Störern gefertigt werden.

Die Geräte werden vielmehr – zumeist im Dauerbetrieb – an bestimmten, abstrakt gefährdeten Gebäuden oder Anlagen, etwa im Rahmen des Objektschutzes, eingesetzt, um frühzeitig etwaige konkrete Gefahren erkennen zu können. Sie ergänzen oder ersetzen die Polizeistreife und tragen somit zur Erhöhung des Sicherheitsstandards im Rahmen bestimmter polizeilicher Aufgaben wesentlich bei.“[4]

Hieraus wird teilweise abgeleitet, dass der Gesetzgeber bei selbststätigen Geräten zur Bildaufnahme und Bildaufzeichnung allein an eine automatische Aufzeichnungim Dauerbetrieb gedacht habe.[5] Ein differenzierender Ansatz weist darauf hin, dass es dem Gesetzgeber unmöglich sei, technische Entwicklungen präzise vorherzusagen und Normen dementsprechend offen zu formulieren.[6] Hieraus könne aber nicht geschlossen werden, dass die Normen auf den Stand von Technik und Wissenschaft im Zeitpunkt der Gesetzgebung festgelegt seien. Technische Weiterentwicklungen wie leistungsstärkere Kameras oder vernetzte Überwachungssysteme müssten demnach vom Gesetzeswortlaut gedeckt bleiben. Dies gelte aber nicht für ein ganz anderes Auswertungsinstrument. Ein solches aliud stelle jedoch die automatisierte Auswertung gegenüber der visuellen Auswertung dar. Für den Einsatz eines derartigen Instruments bedürfe es zuerst der gesetzgeberischen Entscheidung und der entsprechenden Ergänzung der Rechtsgrundlagen.[7]

Hinsichtlich der Frage der Geltung von bestehenden Ermächtigungsgrundlagen für technische Neuerungen werden teilweise auch – jedoch nicht explizit in Bezug auf das Bundespolizeigesetz – die Grenzen der Normenklarheit problematisiert.[8] Nach dem Rechtsstaatsprinzip müssten die Voraussetzungen und Rechtsfolgen so formuliert sein, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten könnten.

Ferner wird auf verfassungsrechtliche Probleme verwiesen, die vom Gesetzgeber nicht bedacht worden seien.[9] Dabei steht jedoch weniger die Verwendung intelligenter Videoüberwachungssysteme zum Zwecke des Abgleiches mit polizeilichen Datenbanken als die Selektion verdächtiger Verhaltensweisen und bestimmter äußerer Erscheinungsmerkmale im Vordergrund. Jedoch wird auch in Hinblick auf den Abgleich mit Fahndungsdatenbanken von einem zusätzlichen und vertieften Grundrechtseingriff gesprochen.[10] Als Vorschlag zur grundrechtsschonenden Gestaltung von intelligenten Videoüberwachungssystemen wurde von Stimmen in der Literatur ein Dreistufenmodell entwickelt, dass zwischen einer allgemeinen beobachtenden Überwachung (1. Stufe), einer gezielten Personenüberwachung (2. Stufe) und einer Personenerkennung (3. Stufe) differenziert.[11]

[1] Teilweise wird diese Frage in der Kommentarliteratur auch gar nicht behandelt, siehe etwa Hoppe, in: Heesen/Hönle/Peilert/ Martens (Hrsg.), Bundespolizeigesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2012, § 27 Rn. 35 ff.

[2] Drewes, in: ders./Malmberg/Walter, Bundespolizeigesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2015, § 27 Rn. 4; von Zezschwitz, in: Roßnagel (Hrsg.), Handbuch Datenschutzrecht, 2003, 9.3 Rn. 41, in Bezug auf die Vorgängerregelung im Bundesgrenzschutzgesetz

[3] Schenke, in: ders./Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 27 BPolG Rn. 18

[4] BR-Drs. 418/94, S. 59.

[5] Schenke, in: ders./Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 27 BPolG Rn. 18.

[6] Held, Intelligente Videoüberwachung. Verfassungsrechtliche Vorgaben für den polizeilichen Einsatz, 2013, S. 187.

[7] Siehe zur Frage, inwieweit neue technische Überwachungsmittel auf bereits vorhandene Ermächtigungsgrundlagen gestützt werden können, auch BVerfGE 112, 304 ff.

[8] Hornung/Desoi, „Smart Cameras“ und automatische Verhaltensanalyse, K&R 2011, S. 153 (155 f.).

[9] Schenke, in: ders./Graulich/Ruthig (Hrsg.), Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 27 BPolG Rn. 18. Ausführlich zur Verfassungsmäßigkeit der intelligenten Videoüberwachung Held, Intelligente Videoüberwachung. Verfassungsrechtliche Vorgaben für den polizeilichen Einsatz, 2013, S. 63 ff.; siehe auch Schenke, Videoüberwachung 2.0 auf dem Prüfstein des Grundgesetzes, in: Zöller/Hilger/Küper/Roxin (Hrsg.), Gesamte Strafrechtswissenschaft in internationaler Dimension, Festschrift für Jürgen Wolter, 2013, S. 1077 (1080 ff.).

[10] Hornung/Desoi, „Smart Cameras“ und automatische Verhaltensanalyse, K&R 2011, S. 153 (155).

[11] Roßnagel/Desoi/Hornung, Gestufte Kontrolle bei Videoüberwachungsanlagen, DuD 2011, S. 694 ff.