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Datenverarbeitung im Beschäftigungsverhältnis zur Aufdeckung von Straftaten

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Die Mitgliedstaaten haben über die Eröffnungsklausel in Art. 88 DS-GVO die Möglichkeit, durch „Rechtsvorschriften oder durch Kollektivvereinbarungen“ die Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext näher zu regeln. Hiervon hat der deutsche Gesetzgeber mit § 26 BDSG Gebrauch gemacht. Die Rechtsprechung hat sich in der Vergangenheit mit der Zulässigkeit der Datenverarbeitung im Beschäftigungsverhältnis nach Maßgabe des § 32 BDSG a.F. auseinandergesetzt. Auch wenn in der Literatur die Übertragung der von der Rechtsprechung zu einer verdeckten Videoüberwachung entwickelten Grundsätze auf § 26 BDSG teilweise abgelehnt wird, sind die Regelungen des § 32 BDSG a.F. letztendlich „weitgehend wortgleich in § 26 überführt worden“. Es besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass diese Grundsätze auch künftig, wenn nur auch teilweise, in der Rechtsprechung Beachtung finden. Vor diesem Hintergrund untersucht dieser Aufsatz, anhand einer Entscheidung des BAG zu BDSG a.F., diese Grundsätze.

I. Sachverhalt

In seinem Urteil vom 20.10.2016 – 2 AZR 395/15 – hat sich das BAG mit der Frage befasst, inwiefern personenbezogene Daten im Beschäftigungsverhältnis, zur Aufdeckung von Straftaten erhoben, verarbeitet oder benutzt und unter welchen Bedingungen die sich daraus ergebenden Erkenntnisse in einem Kündigungsschutzverfahren verwendet werden können. In einem Ersatzteillager der Beklagten, einem Kfz-Vertragshändler, wurden Inventurdifferenzen festgestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt durften die Mitarbeiter eigenhändig Teile aus dem Lager entnehmen und falls diese doch nicht benötigt wurden, zurückbringen. Mit Hilfe eines Aushangs wurden diese Differenzen im Betrieb bekannt gemacht. Die bisherige Handhabe wurde dahingehend geändert, als den Mitarbeitern, bis auf zwei Lageristen, den Zutritt zum Lager und die eigenständige Entnahme von Ersatzteilen untersagt wurde. Mit den Lagermitarbeitern wurden auch Gespräche geführt. Eine Aufklärung der Fehlbestände war jedoch nicht möglich.

Aus diesem Grund ließ die Beklagte den Lagerraum mit Hilfe einer Videokamera überwachen. Kenntnis hiervon hatten nur die Lageristen und der Betriebsleiter. Der Betriebsrat wurde nicht beteiligt. Auf den sodann erstellten Aufzeichnungen konnte beobachtet werden, wie ein Mitarbeiter (der spätere Kläger) Ersatzteile aus einem Regal entnimmt und mit diesen den Lagerraum verlässt. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurden sodann eine außerordentliche sowie eine ordentliche Kündigung ausgesprochen. Hiergegen richtete sich die Kündigungsschutzklage des Klägers. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Der Sachvortrag der Beklagten, der auf diesen Aufzeichnungen gestützt war, durfte nach Ansicht des LAG, aufgrund eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, nicht verwertet werden.

 

II. Rechtsgrundlage eines Verwertungsverbotes

Zunächst eruiert das BAG die mögliche Rechtsgrundlage für ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot. Ein solches Verbot ist nach BAG weder der ZPO noch dem Arbeitsgerichtsgesetz zu entnehmen. Denn in der Regel ist im Rahmen eines Gerichtsverfahrens der komplette Sachvortrag zu verwerten. Dies gebieten der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG sowie § 286 ZPO, wonach das Gericht den gesamten Inhalt „der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme“ bei seiner Entscheidung berücksichtigen muss. Das BDSG wiederum enthält zwar Vorschriften über die Zulässigkeit der Verarbeitung von personenbezogenen Daten, jedoch keine dahingehende Sanktion, wonach Erkenntnisse, die unter Verstoß gegen das BDSG gewonnen wurden, einem Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot im Prozess unterliegen. Zu der alten Fassung des BDSG hat das BAG entschieden, dass dessen Vorschriften zwar eine Konkretisierung des Schutzes „des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild“, jedoch keine Anordnung enthalten, „dass unter ihrer Missachtung gewonnene Erkenntnisse oder Beweismittel bei der Feststellung des Tatbestands im arbeitsgerichtlichen Verfahren vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürften“.

Als Legitimation für die Annahme eines Beweis- oder Sachverwertungsverbotes bleibt nach BAG nur der zwingend gebotene Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit seinen besonderen Ausprägungen. Denn bei der Urteilsfindung sind die Gerichte an die Grundrechte gebunden, so dass Erkenntnisse, die durch einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Betroffenen gewonnen worden sind, möglicherweise gegen diesen nicht verwendet werden dürfen. Hierbei kommt nach Auffassung des BAG nicht nur ein Beweis-, sondern sogar ein Sachvortragsverwertungsverbot (Nichtbeachtung unstreitigen Sachvortrags) in Betracht. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern auch das Recht am eigenen Bild und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Danach kann jeder Mensch selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten entscheiden. Ob ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht stattgefunden hatte, prüft sodann das BAG anhand des Regelungswerks des § 32 BDSG a.F.

III. Zulässigkeit der Datenverarbeitung nach BDSG

Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten im Beschäftigungsverhältnis setzte nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG a.F. voraus, dass Anhaltspunkte für eine Straftat im Beschäftigungsverhältnis gegeben waren, die Maßnahme erforderlich war und das schutzwürdige Interesse des Arbeitnehmers an dem Ausschluss dieser Maßnahme nicht überwog, insbesondere die Maßnahme nicht unverhältnismäßig war.

1. Verdacht einer Straftat

Nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG a.F. bedurfte es zunächst für die Datenverarbeitung des Verdachtes einer Straftat im Beschäftigungsverhältnis. Das BAG sieht einen Eingriff in das Recht am eigenen Bild aber auch dann als gerechtfertigt, wenn „nur“ der konkrete Verdacht einer „anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers“ gegeben ist. Nach BAG entfaltete § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG a.F. keine „Sperrwirkung“ gegenüber der Erlaubnisnorm des Satzes 1, mit der Folge, dass eine verdeckte Videoüberwachung auch beim Verdacht einer schweren Pflichtverletzung eingesetzt werden kann, wenn die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gewährleistet ist.

Der Wortlaut der Vorschrift – „den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat“ – würde, für sich genommen, den Einsatz einer verdeckten Videoüberwachung erst dann erlauben, wenn sich der Verdacht auf den durch die Maßnahme Betroffenen beziehen würde. Das BAG entscheidet sich für eine großzügigere Auslegung. Der Verdacht müsse sich nicht „gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten“, sondern es reiche vielmehr aus, dass dieser „einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern“ umfasst. Das BAG sieht sich an diesem Auslegungsergebnis trotz des Wortlautes der Vorschrift nicht gehindert. Dabei verweist es auf die Gesetzesbegründung, wonach das Regelwerk des § 32 BDSG a.F. die bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze nicht ändern soll. Es muss aus Sicht des BAG nur sichergestellt werden, dass der Kreis der Verdächtigen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen eingeschränkt werden kann. Des Weiteren stellte sich die Frage, wie sicher es sein muss, dass eine Straftat begangen worden ist, bevor eine versteckte Videoüberwachung eingesetzt wird. Ein „dringender Verdacht“ ist nach Auffassung des BAG nicht erforderlich. Ein „einfacher Verdacht“ sei vielmehr ausreichend. Es müsse, mit anderen Worten, nicht mit großer Wahrscheinlichkeit feststehen, dass eine Straftat begangen worden ist. Es reiche vielmehr ein „gewisses Maß an Konkretisierung und Verdichtung“, so dass die Begehung einer Straftat „nach der Lebenserfahrung“ als möglich erscheint.

Dieser Verdacht könnte vorliegend nach Auffassung des BAG gegeben sein, auch wenn andere Ursachen für die vorgetragenen Inventurdifferenzen nicht ausgeschlossen werden können. Nach BAG hat das LAG den Vortrag der Beklagten – die Differenzen seien in kurzen zeitlichen Abständen aufgetreten, es seien leicht zu entfernende Teile betroffen, die anderen Maßnahmen hätten nicht geholfen – nicht ausreichend gewürdigt. Denn diese Angaben könnten einen hier ausreichenden „Anfangsverdacht“ begründen.

2. Erforderlichkeit der Videoüberwachung

Nach Auffassung des BAG waren, unter Zugrundelegung des Vortrags der Beklagten, keine weniger einschneidenden, jedoch gleichermaßen erfolgversprechenden Maßnahmen ersichtlich. Der angestrebte Zweck der Aufklärung hätte man insbesondere nicht mit einer offenen Videoüberwachung erreichen können. In einem ähnlichen Fall hat das BAG ausgeführt: „Derart auf Heimlichkeit angelegtes Verhalten kann seiner Natur nach nicht durch offen angekündigte Beobachtung entdeckt werden.“

3. Angemessenheit

Die Maßnahme ist nach Auffassung des BAG allgemein nicht unangemessen. Räumlich betreffe diese nur das Lager und somit genau den Ort, an welchem die vermissten Gegenstände aufbewahrt worden sind. Durch das Zutrittsverbot sei außerdem der Kreis der möglicherweise betroffenen Personen eingeschränkt worden. Wer trotzdem unbefugt diesen Bereich betrete, müsse den Eingriff hinnehmen.

4. Sonstige Gründe für ein Verwertungsverbot

Nach Ansicht des BAG kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, dass die Videoüberwachung möglicherweise das allgemeine Persönlichkeitsrecht anderer Personen verletzt habe. Sinn und Zweck des § 32 BDSG a.F. bestehe nicht in einer Generalprävention. Auch ein Verstoß gegen die nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG a.F. erforderliche Dokumentationspflicht führt für das BAG nicht zu einer Unverwertbarkeit des Sachvortrags. Sinn und Zweck dieser Dokumentationspflicht bestehe darin, die Rechtmäßigkeitskontrolle zu gewährleisten. Dieser Zweck könne aber auch dadurch erreicht werden, dass der Arbeitgeber in dem späteren Prozess die konkreten Anhaltspunkte für den Verdacht vorträgt. Dies würde dann die bezweckte Rechtmäßigkeitskontrolle erlauben.

Ebenso wenig ergäbe sich ein Verwertungsverbot aus der fehlenden Zustimmung des Betriebsrates. Die Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sei jedenfalls dann unbeachtlich, wenn die Datenverarbeitung nach „allgemeinen Grundsätzen“ zulässig sei. Denn in diesem Fall sei der auch mit dieser Vorschrift bezweckte Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erreicht, falls die Maßnahme etwa nach Maßnahme des BDSG zulässig sei. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wurde sodann aufgehoben. Nach Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz, ist die Angelegenheit derzeit beim LAG Köln – 4 Sa 1198/14 anhängig.

IV. Fazit

Mit dieser Entscheidung präzisiert das BAG die an einen Verdacht im Sinne des § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG a.F. zu stellenden Anforderungen. Nach BAG ist der Einsatz einer heimlichen Videoüberwachung nicht nur beim Verdacht einer „Straftat“, sondern auch beim Verdacht einer „schweren Verfehlung“ im Arbeitsverhältnis zulässig. Dies erlaube der Grunderlaubnistatbestand des § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG a.F., denn § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG a.F. entfalte insoweit keine Sperrwirkung. Dies erscheint konsequent. Eine schwere Pflichtverletzung kann für die Entscheidung bezüglich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses von gleicher Bedeutung sein wie eine Straftat.

Die Grundsätze bezüglich des erforderlichen Verdachtsgrades stellen einerseits sicher, dass kein uferloser Einsatz von heimlichen Überwachungsmethoden zulässig ist. Andererseits eröffnen diese dem Arbeitgeber einen gewissen Beurteilungsspielraum, da dieser mit solchen Maßnahmen nicht so lange warten muss, bis eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gegeben ist.

Hilfreich sind auch die Ausführungen bezüglich der Substantiierbarkeit des Sachvortrags des der Überwachungsmaßnahme einsetzenden Arbeitgebers. Dieser muss insbesondere das Gericht überzeugen, dass mildere und vergleichbar geeignete Mittel ausgeschöpft worden sind. Wenn eine weitere Einschränkung der Betroffenen durch mildere Mittel nicht möglich ist, darf die verdeckte Überwachungsmaßnahme eingesetzt werden.

Des Weiteren wird klargestellt, dass nicht jeglicher Verstoß gegen die Vorschriften des BDSG a.F. eine Unverwertbarkeit der sich aus der Überwachungsmaßnahme ergebenden Erkenntnisse nach sich zieht. Eine Unverwertbarkeit kommt erst dann in Betracht, wenn damit eine Perpetuierung eines Eingriffs in grundrechtlich geschützte Positionen stattfinden würde. Man darf letztendlich mit Spannung abwarten, ob die Rechtsprechung diese Grundsätze auch nach Inkrafttreten der DS-GVO anwenden wird. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass § 26 BDSG eine verdeckte Videoüberwachung nicht mehr erlauben würde. Denn das in Art. 88 Abs. 2 DS-GVO verankerte Transparenzgebot könne nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 1 DS-GVO nur durch eine gesetzliche Regelung eingeschränkt, und eine solche könne nicht in Art. 26 BDSG hineingelesen werden.