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Urteil : Einwand unzulässiger Rechtsausübung kann Auskunftsersuchen entgegenstehen : aus der RDV 4/2023 Seite 260 bis 262

(VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 8. Februar 2023 – 15 K 3678/22 –)

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  1. Wenn ein Auskunftsersuchen nach dem IFG offensichtlich verfahrensfremden Zwecken dient, steht der Rechtsausübung der Einwand der Unzulässigkeit.
  2. Dieser Einwand kann auch der Geltendmachung von Betroffenenrechten nach der DS‑GVO entgegenstehen, wenn die Zwecke ihrer Ausübung außerhalb ihres Schutzbereichs liegen.

(Nicht amtliche Leitsätze)

Aus den Gründen:

Wenn ein Rechtsschutzersuchen erkennbar nicht mehr der Wahrnehmung prozessualer Rechte, sondern ausschließlich verfahrensfremden Zwecken dient, bedarf es keiner förmlichen Abweisung oder Verwerfung durch Prozessurteil. Das Ersuchen ist dann von vornherein unbeachtlich; wurde es anfangs unzutreffender Weise als förmlicher Rechtsbehelf behandelt, so ist das Verfahren einzustellen. […]

2. Das vermeintliche Rechtsschutzersuchen im vorliegenden Einzelfall stellt einen Extremfall unzulässiger Rechtsausübung dar.

Dem „Kläger“ steht für Auskunftsersuchen wie dem vorliegenden kein schützenswertes Interesse zur Seite. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat zu Auskunftsersuchen des „Klägers“ nach dem Informationsfreiheitsgesetz ausgeführt, unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte, insbesondere der Vielzahl der Informationsbegehren des Klägers, sei davon auszugehen, dass ein (unterstellter) Anspruch wegen unzulässiger Rechtsausübung ausgeschlossen sei. „Denn der Kläger nutzt seine diesbezüglichen Anträge jedenfalls im Wesentlichen dazu, im Zuge eines privat motivierten Vergeltungsfeldzugs die Justiz und Justizverwaltung zu schikanieren und zu belästigen.“ OVG NRW, Urt. v. 06.10.2022 – 15 A 760/20 – juris Rn. 86.

Das Oberverwaltungsgericht für das Land NordrheinWestfalen hat mit dem Oberlandesgericht Hamm festgestellt, der „Kläger“ sei von einem Vergeltungsdrang gegenüber der Justiz mit Blick auf erfolglose Gerichtsverfahren in einer familienrechtlichen Angelegenheit getragen (OVG NRW, Urt. v. 6. Oktober 2022 – 15 A 760/20 –, juris Rn. 86; OLG Hamm, Beschl. v. 08.05.2018 – I-15 VA 12/18 –, juris Rn. 59).

Den hierzu getroffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen: „Dieser Beweggrund wird ferner durch die seitens des Beklagten im hiesigen Verfahren wie auch im Verfahren 15 A 593/20 dokumentierte Anzahl an Gesuchen des Klägers gegenüber den Gerichtsverwaltungen belegt. So hat der Kläger mit Stand 30.08.2021 seit dem dritten Quartal 2017 rund 350 Eingaben im Zusammenhang mit Geschäftsverteilungsplänen allein bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit des Landes NordrheinWestfalen eingereicht, die im Schriftsatz des Beklagten vom 27.09.2021 wie auch im Schriftsatz des Beklagten vom 05.10.2021 im Verfahren 15 A 593/20 im Einzelnen aufgelistet werden. Hinzu treten Einsichtnahmegesuche auch in anderen Gerichtsbarkeiten, namentlich bei den Verwaltungsgerichten, wie dem Senat aufgrund derzeit anhängiger Beschwerden des Klägers in verschiedenen einschlägigen Prozesskostenhilfeverfahren bekannt ist. […]

Bereits die Anzahl der gestellten Anträge zeigt, dass der Kläger den ihm u.a. durch das Informationsfreiheitsgesetz NRW zur Verfügung gestellten Informationsanspruch nutzt, um die Justizbehörden möglichst umfänglich zu beschäftigen. Zusätzlich erhöht er den Arbeitsaufwand der betroffenen Behörden dadurch, dass er gestaffelte Anträge stellt und seine Begehren sukzessive erweitert (so OLG Hamm, Beschl. v. 08.05.2018 – I-15 VA 12/18 –, juris Rn. 59).

Der aus diesem Vorgehen gezogenen Schlussfolgerung, dass diese Staffelung ersichtlich dazu dient, bei den vom Kläger angefragten Behörden zusätzlichen Aufwand zu verursachen, tritt der Senat bei. Mangels eines erkennbaren sonstigen Interesses an einer solchen Vielzahl von Anträgen und angesichts des hiermit auch auf Seiten des Klägers verbundenen Aufwands erscheint zudem der Schluss berechtigt, dass der Kläger seine Gesuche maßgeblich aus der von ihm selbst bezeichneten, privaten Vergeltungsmotivation heraus stellt.

Dies wird auch durch den Schwerpunkt der von ihm adressierten Justizbehörden deutlich, der sich nach Maßgabe der Anzahl der Eingaben vor allem auf das Amtsgericht D. (knapp 250 Anträge) und das diesem übergeordnete Oberlandesgericht Z. (ca. 380 Anträge) bezieht, bei denen der in M. wohnhafte Kläger nach Mitteilung des Beklagten im Verfahren 15 A 593/20 die Mehrzahl seiner familiengerichtlichen Streitigkeiten betrieben hat bzw. derzeit noch betreibt. […]

Diese Gesamtschau seiner – sicherlich immer noch nicht vollständig erfassten – Auskunftsersuchen in der Gerichtsbarkeit des Landes Nordrhein-Westfalen trägt die Überzeugungsbildung, dass dem vorliegenden Verfahren ebenso der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegensteht. […]

Für den auf Art.  15 Abs.  3 S.  1 der VO (EU) 2016/679 […] – nachfolgend DS-GVO – gestützten Antrag zu a) gilt nichts anderes. Das Oberverwaltungsgericht für das Land NordrheinWestfalen hat den Einwand unzulässiger Rechtsausübung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitet (vgl. OVG NRW, Urt. v. 06.10.2022- 15 A 760/20 –, juris Rn. 78).

Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz unzulässiger Rechtsausübung kann auch der Geltendmachung eines Betroffenenrechts der DS-GVO entgegenstehen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dürfen nationale Gerichte eine innerstaatliche Rechtsvorschrift über die gegen Treu und Glauben verstoßende missbräuchliche Rechtsausübung anwenden, um zu beurteilen, ob ein sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebendes Recht missbräuchlich ausgeübt wird (EuGH, Urt. v. 12.05.1998 – C-367/96, ECLI:EU:C:1998:222 = EuZW 1999, 56 Rn. 20f.; Lembke, NJW 2020, 1841 (1845)).

Wenn die rechtsmissbräuchliche Berufung auf Unionsrecht anhand einzelner nationaler Rechtsvorschriften zum Schutz von Treu und Glauben festgestellt werden kann, gilt dies erst recht für den demselben Schutz dienenden allgemeinen, die gesamte Rechtsordnung durchziehenden Rechtsgedanken. Nach der vom Europäischen Gerichtshof hierfür gezogenen Grenze darf hierbei die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden, insbesondere dürfen die Tragweite einer Gemeinschaftsbestimmung, aus der sich das der Missbrauchskontrolle unterzogene Recht ergibt, nicht verändert oder die mit ihr verfolgten Zwecke nicht vereitelt werden (EuGH, Urt. v. 12.05.1998 – C-367/96, ECLI:EU:C:1998:222 = EuZW 1999, 56 Rn. 22).

Letztlich ist der Anspruch aus Art. 15 DS-GVO von derselben Motivation getragen, die den Einwand unzulässiger Rechtsausübung sonstiger Ansprüche auf Informationszugang, -auskunft und -kopie begründen. Eine andere Würdigung eröffnete die Möglichkeit, den Einwand, der den nationalen Ansprüchen entgegensteht, zu umgehen. Deshalb steht dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch aus Art. 15 DS-GVO hier auch der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen.

Die Einordnung des vorliegenden Begehrens als gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßend wahrt die dargestellten Anforderungen des Unionsrechts. In dem gegebenen Extremfall wird weder die Tragweite der Grundsätze des Datenschutzes und der Betroffenenrechte nach Art.  15 ff. DS-GVO verändert noch die mit ihnen verfolgten Zwecke vereitelt. Datenschutzfremde Zwecke und eine Belästigungsabsicht gegenüber der Gerichtsbarkeit sind nicht vom Schutzzweck der Betroffenenrechte (Transparenz und Rechtmäßigkeitskontrolle, vgl. Erwägungsgrund 63 S.  1 zur DS-GVO) erfasst. […]