Kurzbeitrag : Praxisfälle zum Datenschutzrecht XXIX: Nachbarschaftlicher Kameraeinsatz : aus der RDV 4/2024, Seite 227 bis 230
I. Sachverhalt
Zwischen dem in Hessen ansässigen Grundstückseigentümer E und seinem Nachbarn N besteht seit Jahren ein angespanntes. Nachbarschaftsverhältnis, was seine Ursache insbes. in einem Bauvorhaben seitens des E hat. Seit einigen Monaten ist unter einem Balkon des auf dem Grundstück von N stehenden Hauses eine moderne Videokamera installiert. Die Kamera ist schwenkbar und verfügt über einen Mechanismus, welcher es ermöglicht, selbstständig Personen nachzuverfolgen.
E fühlt sich durch die Existenz der Kamera in seinen Rechten beeinträchtigt. Dadurch, dass er ständig damit rechnen müsse, von der Kamera aufgezeichnet zu werden, könne er sich auf seinem Grundstück nicht mehr entspannt aufhalten, insbes. nicht mehr in Ruhe im Garten sitzen. Auf entsprechende Hinweise von E hat N erklärt, dass die Kamera zwar schwenkbar sei, er damit aber lediglich sein eigenes Grundstück überwache. N weigert sich hartnäckig, die Kamera zu deinstallieren oder Maßnahmen zu ergreifen, dass das Grundstück von E nicht mehr erfasst werden kann. E wendet sich daher an die örtlich zuständige Datenschutzaufsichtsbehörde mit dem Ersuchen zu seinen Gunsten einzuschreiten.
Ist der Kameraeinsatz seitens N rechtmäßig? Falls nein: Wird die Aufsichtsbehörde einschreiten?[1]
II. Musterfalllösung
1. Rechtmäßigkeit des Kameraeinsatzes
a) Allgemeines
Um die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Kameraeinsatzes feststellen zu können, bedarf es zunächst der Ermittlung der einschlägigen Rechtsgrundlagen. Insofern ergibt sich die Frage, ob der vorliegende Sachverhalt in den Anwendungsbereich der DS-GVO fällt.
b) Anwendungsbereich der DS-GVO
Im Hinblick auf den räumlichen Anwendungsbereich (Art. 3 DS-GVO) ergeben sich keine Bedenken, da es sich um einen Fall aus Hessen, mithin einen Sachverhalt in Europa handelt. Der sachliche Anwendungsbereich der DS-GVO ist dagegen zwar dem Grunde nach eröffnet: Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die DS-GVO für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Gem. Art. 4 Nr. 1 Hs. 1 DS-GVO sind „personenbezogene Daten“ sämtliche Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Im Zusammenhang mit dem Videokameraeinsatz findet eine automatisierte Datenverarbeitung statt. Hinsichtlich der Frage der Identifizierbarkeit natürlicher Personen ist bei einer Videoüberwachung vor allem die Erkennbarkeit der Gesichtszüge aufgezeichneter Personen von Bedeutung.[2] Sofern eine Kamera eindeutige Gesichtsbilder erzeugt, was im vorliegenden Fall zu unterstellen ist, ist daher auch von einer personenbezogenen Datenverarbeitung auszugehen. Nicht erforderlich ist insoweit, dass die betroffenen Personen dem Betreiber namentlich bekannt sind.[3]
Allerdings greift hier ggf. eine der Gegenausnahmen ein, nach denen gem. Art. 2 Abs. 2 DS-GVO die Verordnung in bestimmten Fällen ausnahmsweise dennoch keine Anwendung findet auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, obwohl die Voraussetzungen von Art. 2 Abs. 1 DS-GVO erfüllt sind. In Betracht kommt vorliegend das Eingreifen der „Haushaltsausnahme“ nach Art. 2 Abs. 2 lit. c) DS-GVO. Nach der genannten Bestimmung findet die DS-GVO keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten „durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“. Hintergrund der Ausnahmeregelung ist, dass die Privatsphäre vor übermäßiger Regulierung geschützt werden soll, weil diese die freie Entfaltung der Persönlichkeit gefährden könnte.[4] Als Ausnahmeregelung ist das Haushaltsprivileg grundsätzlich eng auszulegen.
Ob die Haushaltsausnahme einschlägig ist, ist jeweils auf Basis einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände im Einzelfall zu bestimmen.[5] Entscheidend ist ein Bündel an Kriterien, das sich vor allem an räumlichen und sozialen Gesichtspunkten sowie den Zwecken der Datenverarbeitung orientiert.[6] In räumlicher Sicht ist ausschlaggebend, ob sich die betreffende Verarbeitung personenbezogener Daten lediglich auf einen abgegrenzten Privatbereich des Verarbeiters beschränkt (dann: Haushaltsausnahme gegeben) oder sich auf den öffentlichen Raum erstreckt (dann: Haushaltsausnahme nicht erfüllt).[7] Entsprechend hat etwa der EuGH den Betrieb einer Videoüberwachungsanlage zum Schutz des Eigentums durch eine Privatperson nicht mehr als der Haushaltsausnahme unterfallend eingestuft, sofern im Rahmen der konkreten Maßnahme nicht bloß das eigene Grundstück, sondern auch öffentlicher Raum überwacht wird.[8]
Hier erfasst die Videokamera des N zwar nicht nur dessen eigenes Grundstück, sondern auch das Grundstück von E, aber zumindest nicht den öffentlichen Raum. Öffentlicher Raum wäre von der Maßnahme etwa dann betroffen, wenn N mittels der Kamera auch einen an seinem Grundstück entlangführenden öffentlichen Fußweg erfassen würde. Fraglich ist, ob bereits diese „geringfügige“ Überschreitung der eigenen Sphäre durch N eine Anwendbarkeit der DS-GVO begründet. So sieht es die Sächsische Datenschutz- und Transparenzbeauftragte in ihrem Hinweisblatt zur Videoüberwachung auf Privatgrundstücken und in der Nachbarschaft und beruft sich dabei auf die Entscheidung des EuGH vom 11. Dezember 2014, C-212/13.[9] Sobald Räume überwacht würden, die über das eigene Grundstück bzw. die eigene Wohnung hinausgingen, könne der Kamerabetreiber sich nicht mehr auf die Haushaltsausnahme berufen, sondern der Videokameraeinsatz sei an der DS-GVO zu messen, so die Aufsichtsbehörde in Sachsen.
Gegen diese Ansicht spricht, dass es nicht Zweck der DS-GVO, sondern des Zivilrechts ist, Persönlichkeitsverletzungen unter Privaten zu regulieren. Lässt man jede Überschreitung des eigenen Grundstücks bzw. der eigenen Wohnung ausreichen, um das Eingreifen der Haushaltsausnahme zu verneinen, verbliebe kein Raum mehr für Videoüberwachungsmaßnahmen, welche wegen Überschreitung der eigenen Sphäre rechtswidrig sind ohne jedoch zugleich der DS-GVO zu unterfallen. Die Sächsische Datenschutz- und Transparenzbeauftragte beruft sich insoweit auf die zitierte EuGH-Entscheidung. Betrachtet man die Entscheidung im Detail, fällt allerdings auf, dass das Nichteingreifen der Haushaltsausnahme im konkreten Fall ausschließlich damit begründet wird, dass öffentlicher Raum überwacht wird, obwohl die Entscheidung bei Beschreibung des zu beurteilenden Sachverhalts explizit feststellt, dass neben öffentlichem Straßenraum auch der „Eingang des gegenüberliegenden Hauses“ aufgezeichnet wird.[10] Letzteres war für den EuGH aber offenbar nicht der ausschlaggebende Faktor für die Anwendbarkeit der DS-GVO, sondern eben die Überwachung des öffentlichen Raums. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH dürfte das Eingreifen der Haushaltsausnahme daher hier entgegen der Ansicht der sächsischen Behörde zu bejahen sein.
Der Umstand, dass die Voraussetzungen der Haushaltsausnahme gegeben sind, führt allerdings nur dazu, dass die DS-GVO nicht anwendbar ist mit ihren „einzelfallübergreifenden prozeduralen Vorgaben“.[11]N bleibt verpflichtet, die allgemeinen zivil- und strafrechtlichen Vorgaben im Hinblick auf die Verarbeitung personenbezogener Daten zu beachten.[12] Zu diesen zählt insbes. die Pflicht zur Achtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR).
c) Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (§ 823 Abs. 1 BGB) durchN
Nach § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein „sonstiges Recht“ eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Sonstige Rechte im Sinne von § 823 BGB können nur absolute Rechte sein, d.h. solche, die gegenüber jedermann wirken. Praktische Bedeutung als sonstige Rechte im Sinne von § 823 BGB haben insbesondere das sog. allgemeine Persönlichkeitsrecht (abgekürzt: APR) und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Letzteres greift unter bestimmten Voraussetzungen bei Beeinträchtigungen von Gewerbebetrieben. In Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das seinen Ursprung in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit und Menschenwürde) hat, wurden von der Rechtsprechung im Laufe der Zeit verschiedene Einzelverbürgungen anerkannt, etwa das Recht am eigenen Bild, das Recht am eigenen Wort sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, also das Recht auf den Schutz personenbezogener Informationen.
Als verletztes absolutes Recht kommt vorliegend zunächst das Recht am eigenen Bild als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht. Hierbei handelt es sich um ein durch § 823 Abs. 1 BGB geschütztes absolutes Recht.
Die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung von Personenbildnissen sind zivilrechtlich nach §§ 22, 23 Kunsturhebergesetz (KUG) zu beurteilen. Dass eine Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung der von N gefertigten Videoaufzeichnungen erfolgen würde, ist dem Sachverhalt jedoch nicht zu entnehmen. Der Schutzbereich des KUG ist damit in der vorliegenden Konstellation nicht berührt. Als vor Anerkennung des APR geltende Bestimmungen werden die Regelungen des KUG gegenüber Ersterem aber als nicht abschließend angesehen und nach dem Recht am eigenen Bild als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellt bereits die ungenehmigte Herstellung von Bildnissen einer Person einen Eingriff in das Recht dar.[13]
Bzgl. der Feststellung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Eingriffs in das Recht des E am eigenen Bild bedarf es einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung. Im Ergebnis ist insofern die Vorgehensweise ähnlich wie die bei einer Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DS-GVO. So ist in einem ersten Schritt festzustellen, welche potenziellen berechtigten Interessen mit dem Eingriff in das Recht am eigenen Bild verfolgt werden. In einem zweiten Schritt ist sodann zu prüfen, ob der Eingriff zur Wahrung der verfolgten berechtigten Interessen erforderlich ist. Ist auch dies zu bejahen, bedarf es im letzten Schritt der umfassenden Abwägung der auf beiden Seiten im konkreten Fall be-rührten Interessen und Rechtsgüter.
Insofern kann hier Folgendes festgestellt werden: Mit dem Schutz seines Eigentums verfolgt N ein anerkanntes berechtigtes Interesse, der erste Prüfungspunkt kann folglich bejaht werden. Allerdings wäre es zur Wahrung dieses Interesses nicht erforderlich, auch fremdes Eigentum (hier: das Grundstück des E) zu überwachen. Entscheidet sich ein Eigentümer dafür, das Grundstück per Videokamera zu überwachen, enden zulässige Maßnahmen regelmäßig an den Grundstücksgrenzen, d.h., fremde Grundstücke bzw. öffentliche Bereiche (Straßen, Plätze, Gehwege oder sonstige Gemeinschaftsbereiche) dürfen nicht mitüberwacht werden.[14]
Fraglich ist, ob sich an der potenziellen Unzulässigkeit der Maßnahme ggf. dadurch etwas ändert, dass N angibt, mit der schwenkbaren Kamera lediglich das eigene Grundstück überwachen zu wollen. Insofern ist zu beachten, dass es nach ständiger Rechtsprechung für einen Unterlassungsanspruch des Nachbarn gegen eine Videoüberwachungsmaßnahme nicht notwendig darauf ankommt, ob tatsächlich eine Überwachung der klagenden Partei stattfindet.[15] Ausreichend ist, dass ein entsprechender „Überwachungsdruck“ bei der betroffenen Person erzeugt wird.[16] Denn auch in dem Fall, dass eine betroffene Person nur potenziell beobachtet wird, wird sie ihr Verhalten entsprechend ausrichten und ist damit in der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit eingeschränkt. Ob N die schwenkbare Kamera tatsächlich auf das Grundstück des N ausrichtet, ist also nicht entscheidend, sondern lediglich, dass ihm dies möglich wäre. Im Fall, dass das Grundstück des E tatsächlich erfasst wird, läge ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild vor, im Übrigen jedenfalls ein Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Im ersten Fall wird außerdem eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts vorliegen, das wie das Recht am eigenen Bild eine besondere Ausprägung des APR ist. Ergebnis: § 823 Abs. 1 BGB ist durch die Maßnahme im
Ergebnis in jedem Fall verletzt. Der Kameraeinsatz durch N ist rechtswidrig.
2. Einschreiten der Aufsichtsbehörde
Damit ein Einschreiten in Betracht käme, müsste der Sachverhalt in die Zuständigkeit der Datenschutzbehörde fallen. Die örtliche Zuständigkeit der Datenschutzaufsichtsbehörde ist durch den Sachverhalt vorgegeben. Fraglich ist allerdings die sachliche Zuständigkeit der Behörde.
Nach § 13 Abs. 1 Hessisches Datenschutz- und Informationsfreiheitsgesetz (HDSIG) überwacht der Hessische Datenschutzbeauftragte bei den öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen sowie deren Auftragsverarbeitern die Anwendung des HDSIG, der DS-GVO und sonstiger Vorschriften über den Datenschutz. Wie eingangs dargestellt, ist der Anwendungsbereich der DS-GVO vorliegend wegen Eingreifens der Haushaltsausnahme (Art. 2 Abs. 2 lit. c) DS-GVO) nicht eröffnet. Eine Zuständigkeit der Datenschutzaufsichtsbehörde für den Sachverhalt könnte sich damit nur ergeben, wenn der verletzte § 823 Abs. 1 BGB als „Datenschutzvorschrift“ i.S.v. § 13 Abs. 1 HDSIG angesehen werden kann.
Hiergegen könnte sprechen, dass es sich jedenfalls im Ausgangspunkt bei § 823 BGB nicht um eine spezifische Datenschutzregelung handelt, sondern um eine allgemeine Bestimmung, welche den Einzelnen vor widerrechtlichen Eingriffen Dritter in seinen Rechtskreis schützen soll. Für eine effektive Durchsetzung des Datenschutzrechts spricht es allerdings, nicht nur spezifisch auf den Datenschutz bezogene rechtliche Bestimmungen als „sonstige Vorschriften über den Datenschutz“ i.S.v. § 13 Abs. 1 HDSIG anzusehen, sondern jegliche Regelungen, die im Ergebnis dem Schutz personenbezogener Daten dienen.[17] Im Ergebnis ist die Aufsichtsbehörde nach hier vertretener Ansicht damit (nur) zuständig, wenn § 823 Abs. 1 BGB in der Form verletzt wird, dass in das APR in seiner speziellen Ausprägung „Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts“ eingegriffen wird. Eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild oder allgemein des Rechts auf freie Entfaltung reicht hingegen nicht aus, damit die Behörde zuständig ist. Denn es ist nicht Aufgabe der Datenschutzaufsichtsbehörden, persönlichkeitsrechtliche Auseinandersetzungen zwischen Privatpersonen zu klären, sondern eine solche der Zivilgerichte.
Ergebnis: Die Datenschutzbehörde ist für den vorliegenden Sachverhalt nur zuständig, wenn N entgegen seiner Aussage doch auch das Grundstück von N überwacht bzw. zumindest Anhaltspunkte hierfür bestehen.
Selbst wenn ein Sachverhalt in die Zuständigkeit der Datenschutzbehörde fällt, ist im Übrigen zu beachten, dass den Datenschutzaufsichtsbehörden – wie Behörden generell – bei Ausübung ihrer Befugnisse regelmäßig ein Ermessensspielraum zusteht, d.h., ein Petent hat in der Regel keinen Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten der Behörde, sondern nur auf eine fehlerfreie Ausübung des Ermessens durch diese. Nur im Fall der sog. „Reduzierung des Ermessens auf Null“ besteht ausnahmsweise ein Anspruch darauf, dass die Behörde auf eine ganz bestimmte Weise einschreitet.
III. Ergänzende Hinweise
1. Zivilrechtliche Abwehr von Eingriffen in das APR
Im Fall der Beeinträchtigung absoluter Rechte besteht ein Unterlassungsanspruch der betroffenen Person nach § 1004 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), ggf. in analoger, d.h. entsprechender Anwendung der Vorschrift. Nach seinem Wortlaut ist § 1004 Abs. 1 BGB zwar nur auf den Schutz des Eigentumsrechts gerichtet: „Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen (S. 1). Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen (S. 2).“ Neben der Anwendung für das Eigentum werden die Ansprüche aus § 1004 Abs. 1 BGB aber auch entsprechend auf andere absolute Rechte angewendet, wie z.B. das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Hintergrund der entsprechenden Anwendung der Bestimmung auf andere absolute Rechte ist der Gedanke, dass kein Inhaber eines nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtes eine Verletzung desselben hinnehmen müssen und dann auf die Geltendmachung von Schadenersatz verwiesen sein soll.
Im Einzelnen hat der Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB analog i.V.m. §§ 823 ff. BGB, der auch als quasinegatorischer Unterlassungsanspruch bezeichnet wird, folgende Voraussetzungen:
- Störung eines geschützten Rechtsgutes im Sinne der §§ 823 ff. BGB
- Rechtswidrigkeit der Störung, keine Duldungspflicht
- Weitere bevorstehende Störungen
Im Hinblick auf vorstehende Ausführungen könnte E gegen N einen Unterlassungsanspruch bzgl. der Videoüberwachung in ihrer aktuellen Ausgestaltung aus § 1004 BGB analog haben. Für die Geltendmachung des Anspruchs muss E grundsätzlich den Zivilrechtsweg beschreiten. Nur wenn das APR in seiner speziellen Ausgestaltung in Form des informationellen Selbstbestimmungsrechts betroffen ist, kann E sich auch an die Datenschutzbehörde wenden.[18]
2. Befugnisse der Datenschutzaufsichtsbehörde im Verhältnis zu Privatpersonen
Wie dargestellt, kann dem Überwachungsdruck, der von einer tatsächlich nur zulässige Bereiche filmenden Videokamera ausgehen kann, nur über den Zivilrechtsweg begegnet werden.[19] Auch die Demontage einer Kamera lässt sich nur über diesen Weg erreichen. Die Behörde kann nur die Außerbetriebnahme der Kameras fordern und bei Weigerung mit Zwangsmitteln durchsetzen.[20]
Selbst wenn die Datenschutzbehörde im Einzelfall zuständig ist für den Videoeinsatz Privater ist im Übrigen zu beachten, dass den Datenschutzbehörden im Verhältnis zu Privatpersonen nur eingeschränkte Kontrollmöglichkeiten zustehen. So hat die Behörde zwar ein Betretungsrecht im Hinblick auf Geschäftsräume, nicht jedoch bezüglich ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken genutzten Grundstücken und Wohnungen.[21]
3. Anmerkung zur Entscheidung des AG Gelnhausen
In dem Fall, den das AG Gelnhausen zu beurteilen hatte (Urt. v. 04.03.2024 – 52 C 76/24) und an den sich der vorliegende Praxisfall anlehnt, gab es keine entsprechende Aussage des Beklagten, dass er nur sein Grundstück filme, und es war streitig, ob die Schwenkkamera das Nachbargrundstück erfasste oder nicht. Das Gericht nahm an, dass der letzte Punkt auch nicht entscheidungserheblich sei, weil es nach ständiger Rechtsprechung reiche für einen Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB analog, wenn ein unzulässiger Überwachungsdruck erzeugt werde.
Auch wenn bereits ein Überwachungsdruck den Unterlassungsanspruch zu begründen vermag, lässt das AG Gelnhausen allerdings außer Betracht, dass, sofern feststünde, dass die Schwenkkamera das Grundstück des Nachbarn nicht erfassen kann, auch kein unzulässiger Überwachungsdruck gegeben wäre. Insofern ist die Frage, welchen Bereich die Kamera erfassen kann oder nicht, entgegen dem AG Gelnhausen durchaus entscheidungserheblich.
* RAin Yvette Reif, LL.M. ist stellvertretende Geschäftsführerin der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V. und Mitautorin des Werks Gola/Reif, Praxisfälle Datenschutzrecht, 2. Aufl. 2016.
[1] Der vorliegende Praxisfall ist angelehnt an das Urteil des AG Gelnhausen v. 04.03.2024 – 52 C 76/24.
[2] Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Scholz, Anhang 1 zu Art. 6 DS-GVO Videoüberwachung Rn. 40. Im Übrigen kann ggf. auch die sonstige Erscheinung ausreichende Individualisierungsmöglichkeiten bieten, z.B. über Körperhaltung, Gang, Figur, Frisur, Kleidung oder mitgeführte Gegenstände, vgl. Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Scholz, a.a.O.
[3] Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Scholz, Anhang 1 zu Art. 6 DS-GVO Videoüberwachung Rn. 40
[4] BeckOK DatenschutzR/Bäcker DS-GVO Art. 2 Rn. 12 mwN.
[5] BeckOK DatenschutzR/Bäcker DS-GVO Art. 2 Rn. 15.
[6] BeckOK DatenschutzR/Bäcker DS-GVO Art. 2 Rn. 14.
[7] BeckOK DatenschutzR/Bäcker DS-GVO Art. 2 Rn. 15.
[8] EuGH 11.12.2014 – C-212/13; vgl. auch BVwG Österreich, 16.05.2023 – W245 2263873-1/15E
[9] Sächsische Datenschutz- und Transparenzbeauftragte, Hinweisblatt zur Videoüberwachung auf Privatgrundstücken und in der Nachbarschaft, Stand: 01/2023, S. 1 f.
[10] EuGH 11.12.2014 – C-212/13, Rn. 13.
[11] BeckOK DatenschutzR/Bäcker DS-GVO Art. 2 Rn. 12.
[12] BeckOK DatenschutzR/Bäcker DS-GVO Art. 2 Rn. 12
[13] Palandt/Sprau, § 823 BGB Rn. 85, 117.
[14] Sächsische Datenschutz- und Transparenzbeauftragte, Hinweisblatt zur Videoüberwachung auf Privatgrundstücken und in der Nachbarschaft, S. 2.
[15] Vgl. Urt. des AG Gelnhausen v. 04.03.2024 – 52 C 76/24 m.w.N
[16] Vgl. Urt. des AG Gelnhausen v. 04.03.2024 – 52 C 76/24 m.w.N.
[17] Ebenso für die § 13 Abs. 1 HDSIG vergleichbare Bestimmung im bayerischen Datenschutzrecht HK-BayDSG/Kai Engelbrecht, BayDSG, 1. Aufl., Art. 15 Rn. 35.
[18] Vgl. hierzu II. 2
[19] Vgl. auch Sächsische Datenschutz- und Transparenzbeauftragte, Hinweisblatt zur Videoüberwachung auf Privatgrundstücken und in der Nachbarschaft, S. 4.
[20] Vgl. auch Sächsische Datenschutz- und Transparenzbeauftragte, Hinweisblatt zur Videoüberwachung auf Privatgrundstücken und in der Nachbarschaft, S. 4.
[21] Sächsische Datenschutz- und Transparenzbeauftragte, Hinweisblatt zur Videoüberwachung auf Privatgrundstücken und in der Nachbarschaft, S. 4.