Editorial : Willkommen in der Smart World : aus der RDV 5/2014, Seite 229 bis 330
Die Bundesregierung befasst sich derzeit mit dem Thema Fracking. Es ist zunächst ein befristetes Verbot geplant, weil die Umweltrisiken unwägbar sind. Auch mit Fragen der vernetzten Welt setzt sich die Bundesregierung auseinander. Der Innenminister betont zu Recht, dass im Netz dasselbe Recht gilt wie in der körperlichen Welt. Der Justizminister warnt vor der Entmündigung der Bürger durch Google: “Die Nutzer verlieren die Kontrolle über ihre Daten und damit über einen wichtigen Teil ihres Lebens.” Wer will ihm da widersprechen? Regulatorisch fordert der Minister: “Google muss die Kriterien, nach denen die Suchergebnisse geordnet werden, offenlegen.” Das ist eine gewichtige Forderung, die so massiv in die Berufsfreiheit des Datengiganten eingreift, wie die nach der Preisgabe des Coca Cola-Rezepts gegenüber dem Softdrinkgiganten wirken würde, aber noch nicht so intensiv wie ein befristetes Verbot wie beim Fracking. Mit welchem Recht soll der Staat so intensive Einblicke in Geschäftsgeheimnisse verlangen dürfen? Vielleicht mit demselben Recht, mit dem er das Fracking reglementiert: Weil der Dienst, den Google betreibt, unwägbare Risiken für Staat und Gesellschaft birgt, die Staaten nur dulden können, wenn sie die Regeln, nach denen sie funktionieren, kennen. Das ist deshalb so problematisch, weil man mit den Netzdiensten zugleich auch Kommunikationsmöglichkeiten reguliert, die für die bürgerliche Freiheit so elementar sind, wie die Luft zum Atmen. Zudem schaffen diese Datendienste Arbeitsplätze. Aber das ist kein Grund, sie nicht zu regulieren und ihre Gefahren kalkulierbar zu machen.
Welche Unwägbarkeiten von solchen Diensten für Daten ausgehen können, kann man sich leicht an Anwendungen der Smart World veranschaulichen. Wie könnte eine Krankmeldung 4.0 lauten? „Guten Morgen Chef, ich bin heute nicht fit. Meine Herzfrequenz ist zu hoch und ich habe Fieber. Dabei ist mein Blutdruck völlig o.k. und ich habe mich in letzter Zeit immer gesund ernährt und auch kaum Alkohol getrunken. Ich muss mich krankmelden. Muss ich zum Arzt oder reichen Ihnen aktuelle Screenshots von Apple Health? Ich habe alles da und könnte Ihnen aus den Vitalzeichen Atemfrequenz, Blutdruck, Herzfrequenz und Körpertemperatur mailen. Gerne kann ich auch Blutalkoholwert, Inhalatorgebrauch und Co. schicken. Falls Sie eine Schlafanalyse wollen, ist das auch kein Thema, ebenso gebe ich gerne meine Ernährungswerte wie Cholesterin, Magnesium und so weiter durch. Dann können Sie gleich mal prüfen lassen, ob Sie Anhaltspunkte dafür finden, dass das Essen in der Kantine schlecht war…“. Eine solche Krankmeldung ist Stand der Technik. Wer zu seinem Smartphone mit iOS 8 eine Apple-Watch oder ein anderes Wearable am Körper trägt, der kann alle diese Daten über die App Health – die iOS 8 beim Update mit überträgt – jedem mitteilen. Er kann das gegenüber dem Arbeitgeber tun und dieser wiederum kann die Informationen je nach vertraglicher Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer, einer Versicherung, einem Automobilhersteller usw. anbieten. Der Cloud Anbieter hat die Daten ohnehin. Da hat nicht nur der Gesetzgeber viel zu regeln, sondern auch der betriebliche Datenschutzbeauftragte viel zu erklären. Willkommen in der Smart World.
Rolf Schwartmann
Prof. Dr. Rolf Schwartmann
Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Fachhochschule Köln, Mitherausgeber der Fachzeitschrift RDV sowie Vorstandsvorsitzender der GDD e.V., Bonn