Urteil : Personalakteneinsicht durch bevollmächtigten Rechtsanwalt : aus der RDV 1/2015, Seite 45 bis 47
(Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 17. April 2014 – 5 Sa 385/13 –)
- Der im laufenden Arbeitsvertrag nach § 83 Abs. 1 S. 1 BetrVG bestehende Anspruch auf Personalakteneinsicht steht regelmäßig nur dem Arbeitnehmer persönlich zu.
- Für das sich aus § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. Art.2 GG, Art.1 GG ergebende nachvertragliche Einsichtsrecht gilt nichts anderes. (Nicht amtliche Leitsätze)
Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Einsichtnahme des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in deren Personalakte.
Die Klägerin war seit dem 01.05.1989 bei der Beklagten, die Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfte betreibt, als Fleischereifachverkäuferin beschäftigt.
Die Beklagte erteilte der Klägerin mit Schreiben vom 27.07.2009 eine Abmahnung. Infolge einer Kundenbeschwerde erteilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 04.07.2012 eine weitere Abmahnung. Mit Anwaltsschreiben vom 05.12.2012 wies die Klägerin den mit der Abmahnung vom 04.07.2012 erhobenen Vorwurf zurück und reichte eine Gegendarstellung ein. Mit Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 18.03.2013 forderte die Klägerin die Beklagte auf, die Abmahnungen vom 27.07.2009 und 04.07.2012 aus ihrer Personalakte zu entfernen. Des Weiteren beantragte sie, ihrem jetzigen Prozessbevollmächtigten Einsicht in ihre Personalakte zu gewähren. Mit Schreiben vom 02.04.2013 teilte die Beklagte mit, dass sie an der Rechtmäßigkeit der Abmahnungen festhalte und der Klägerin Einsicht in ihre Personalakte gewähre, und bat um Terminabsprache.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17.10.2013 in vollem Umfang stattgegeben.
Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Einsichtnahme in die Personalakte durch den von ihr namentlich benannten Prozessbevollmächtigten zu. Dieser Anspruch ergebe sich für Betriebe, in denen Betriebsräte gebildet seien, aus § 83 BetrVG, ansonsten aus einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht. Eine Einsicht in die Personalakte sei grundsätzlich durch die Arbeitnehmerin persönlich auszuüben. Diese sei aber auch berechtigt, sich zur Ausübung ihres Einsichtsrechts eines der Arbeitgeberin benannten Bevollmächtigten zu bedienen. Die Überprüfung, ob in der Personalakte ggf. Daten zu beseitigen oder zu korrigieren seien, sei angesichts der Vielzahl insoweit einschlägiger Rechtsnormen oder gerichtlicher Entscheidungen von einer Arbeitnehmerin in der Regel kaum sachgerecht durchzuführen. Sich in dieser Angelegenheit von einer arbeitsrechtlich informierten Person, z.B. einem Fachanwalt für Arbeitsrecht, auf eigene Kosten vertreten zu lassen, sei angemessen. Da die Arbeitnehmerin berechtigt sei, Aufzeichnungen über den Inhalt der Personalakte zu fertigen, wäre es reine Förmelei, sie darauf zu verweisen, zunächst solche Aufzeichnungen zu erstellen und sodann diese zur weiteren Überprüfung ihrem Prozessbevollmächtigten vorzulegen.
Gegen das ihr am 01.11.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.11.2013 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Berufung eingelegt.
Nachdem das Arbeitsverhältnis der Parteien im Rahmen eines Folgeprozesses zwischenzeitlich durch Prozessvergleich gemäß § 278 Abs. 6 ZPO beendet wurde, haben die Parteien den vorliegenden Rechtsstreit über die Entfernung der beiden streitgegenständlichen Abmahnungen aus der Personalakte der Klägerin im Berufungstermin durch Teilvergleich erledigt.
Aus den Gründen:
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch darauf, dass ihr Prozessbevollmächtigter für sie Einsicht in ihre Personalakte nimmt.
1. Es ist zwischen den Parteien nicht streitig, dass der Klägerin – auch nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses – auch ohne besonderen Anlass gegenüber der Beklagten ein persönliches Einsichtsrecht in deren Personalakte zusteht. Der Arbeitnehmer hat gemäß § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Einsicht in seine vom ehemaligen Arbeitgeber weiter aufbewahrte Personalakte (BAG, Urt. v. 16.11.2010 – 9 AZR 573/09 –, Rn. 40, juris). Für das nachvertragliche Einsichtsrecht bedarf es keines besonderen berechtigten Interesses des ausgeschiedenen Arbeitnehmers (BAG, Urt. V. 16.11.2010 – 9 AZR 573/09 –, Rn. 41, juris).
Dies erkennt die Beklagte ausdrücklich an. Mit Schreiben vom 02.04.2013 hat sie der Klägerin persönlich ausdrücklich zugestanden, Einsicht in ihre Personalakte zu nehmen. In der Berufungsverhandlung hat die Beklagte nochmals bestätigt, dass sie auch nach der erfolgten Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiterhin gewillt ist, der Klägerin persönlich Einsicht in deren Personalakte zu gewähren.
2. Das sich aus § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 2 GG, Art. 1 GG ergebene nachvertragliche persönliche Einsichtsrecht kann entgegen der Auffassung der Klägerin aber grundsätzlich nicht auf einen Dritten übertragen werden. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das nachvertragliche Einsichtsrecht in die Personalakte nicht weiter reicht als das zuvor bestehende vertragliche Einsichtsrecht.
a) Der im bestehenden Arbeitsvertrag nach § 83 Abs. 1 Satz 1 BetrVG begründete Anspruch auf Personalakteneinsicht, den die Klägerin mit ihrer Klage zunächst geltend gemacht hat, steht nur dem Arbeitnehmer höchstpersönlich zu. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinn und Zweck der Norm.
aa) Bereits nach dem Wortlaut des § 83 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat nur der Arbeitnehmer und nicht ein durch ihn beauftragter Dritter das Recht, in die über ihn geführte Personalakte Einsicht zu nehmen. Aber gerade die Systematik der Sätze 1 und 2 des § 83 Abs. 1 BetrVG macht deutlich, dass es sich bei dem Personalakteneinsichtsrecht um ein höchstpersönliches Recht des Arbeitnehmers handelt. Denn nach § 83 Abs. 1 Satz 2 BetrVG kann der Arbeitnehmer bei der Einsichtnahme ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen. Gerade der Umstand, dass das Gesetz ausdrücklich nur die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds vorsieht, lässt den Umkehrschluss zu, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, sonstigen vom Arbeitnehmer hinzugezogenen Dritten Akteneinsicht zu gewähren. Zudem bedeutet „hinzuziehen“ nicht bevollmächtigen. Bei der Bevollmächtigung nimmt ein Dritter anstelle des Berechtigten dessen Rechte wahr. Demgegenüber bedeutet „hinzuziehen“ grundsätzlich, dass der Berechtigte bei der Ausübung seiner Rechte einen Dritten zu Rate zieht. In diesem Sinne ist § 83 Abs. 1 Satz 2 BetrVG so zu verstehen, dass der Arbeitnehmer Anspruch gegenüber seinem Arbeitgeber hat, gemeinsam mit einem Betriebsratsmitglied in seine Personalakte Einsicht zu nehmen, damit das Betriebsratsmitglied ihm ggf. beratend zur Seite stehen kann. Das Einsichtsrecht nach § 83 Abs. 1 Satz 1 BetrVG umfasst mithin grundsätzlich nicht das Recht zur Bevollmächtigung eines Dritten, der dann anstelle des Arbeitnehmers Akteneinsicht nimmt. Deshalb kann gegen den Willen des Arbeitgebers das Einsichtsrecht nicht von einem Bevollmächtigten ausgeübt werden, d. h. grundsätzlich auch nicht von einem beauftragten Rechtsanwalt oder Gewerkschaftsvertreter (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 14. Aufl., Rn. 10 zu § 148; HWK/Schrader, BetrVG, 5. Aufl., Rn. 6 zu § 83; Richardi/Thüsing, BetrVG, 14. Aufl., Rn. 27 zu § 83; HWGNRH/Rose, BetrVG, 9. Aufl., Rn. 45 zu § 83; GK-BetrVG/Franzen, 10. Aufl., Rn. 23 zu § 83; AnwK-ArbR/Gola, Rn. 23 zu § 83 BetrVG; Hessisches LAG, Urt. v. 10.12.1980 – 2 Sa 393/80 –, LS 2, juris; ArbG München, Urt. v. 07.03.1997 – 24 Ca 434/79 –, DB 1979, 2284; a.M. Poeche in Personal-buch 2013, Rn. 15 zu § 333; Fitting, BetrVG, 26. Aufl., Rn. 13 zu § 83; DKKW/Buschmann, BetrVG, 14. Aufl., Rn. 16; ErfK/Kania, 13. Aufl., Rn. 4 zu § 83 BetrVG). Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, einem Bevollmächtigten des Arbeitnehmers Zutritt zum Betrieb zu gewähren, so dass dieser dort die Personalakte des Arbeitnehmers einsehen kann.
bb) Aber auch nach der teleologischen Auslegung handelt es sich bei dem Recht auf Personalakteneinsicht um ein nur dem Arbeitnehmer höchstpersönlich zustehendes Recht. Die Akteneinsicht dient dazu, Kenntnis über die in der Personalakte enthaltenen Daten zu erlangen. Bei der Einsichtnahme in die Personalakte geht es lediglich um einen dem Beseitigungs- oder Korrekturanspruch vorgelagerten Transparenzschutz hinsichtlich des fremd geschaffenen und zeitlich aufbewahrten Meinungsbilds. Bevor der Arbeitnehmer seine Rechte auf Beseitigung oder Korrektur unrichtiger Daten in seiner Personalakte gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen kann, muss er Gelegenheit haben, überhaupt Kenntnis über die in der Personalakte enthaltenen Daten zu erhalten (BAG, Urt. v. 16.11.2010 – 9 AZR 573/09 –, Rn. 42, juris). Bei der Akteneinsicht geht es mithin um die reine Kenntniserlangung und nicht um die rechtliche Beurteilung eines Beseitigungs- oder Korrekturanspruchs. Zudem kann regelmäßig nur der Arbeitnehmer selbst beurteilen, ob die in der Personalakte enthaltenen Daten richtig sind oder nicht. So kann nur er beispielsweise beurteilen, ob ein in der Personalakte befindlicher Aktenvermerk über den Inhalt eines Personalgesprächs falsche Angaben enthält oder nicht.
Zutreffend weist die Beklagte insofern darauf hin, dass ein bevollmächtigter Rechtsanwalt im Regelfall nicht in der Lage ist, überhaupt eine Unrichtigkeit in der Personalakte festzustellen. Er kann in aller Regel lediglich beurteilen, ob eine dort enthaltene Dokumentation für den von ihm vertretenen Arbeitnehmer rechtlich von Nachteil ist. Eine in der Personalakte befindliche Abmahnung ist stets mit Rechtsnachteilen behaftet, muss aber nicht notwendigerweise auch Unrichtigkeiten enthalten. Die Klägerseite verkennt vorliegend, dass das Personalakteneinsichtsrecht dem Transparenzgebot dient und nicht bereits der Ausübung weitergehender Rechte auf Beseitigung oder Korrektur unrichtiger Daten. Es geht um die Möglichkeit der Feststellung, ob in der Personalakte Unrichtigkeiten enthalten sind. Nur der Arbeitnehmer selbst kann in aller Regel beurteilen, ob bestimmte Daten richtig oder falsch sind. Nur der Arbeitnehmer hat das Arbeitsverhältnis „gelebt“
cc) Das in § 83 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verankerte Recht auf Einsichtnahme in die Personalakte gilt als ein allgemeiner Grundsatz auch für Arbeitnehmer in betriebsratslosen Betrieben. Die Verpflichtung zur Gewährung der Personalakteneinsicht folgt in diesen Fällen als Nebenpflicht aus der vertraglichen Fürsorge- und Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG.
dd) Das hier gefundene Ergebnis steht auch damit in Einklang, dass in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes das Recht auf Einsichtnahme auch durch einen schriftlich Bevollmächtigten expressis verbis geregelt ist (§ 3 Abs. 5 Satz 2 TVöD, § 3 Abs. 6 Satz 2 TV-L). Einer solchen ausdrücklichen Erweiterung des höchstpersönlichen Einsichtsrechts bedürfte es nicht, wenn der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der vertraglichen Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB bereits verpflichtet wäre, einem vom Arbeitnehmer bevollmächtigten Dritten Zutritt zur Dienststelle und Einsicht in die Personalakte zu gewähren.
ee) Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn der Arbeitnehmer selbst über einen längeren Zeitraum verhindert ist, sein Akteneinsichtsrecht höchstpersönlich wahrzunehmen, z.B. während einer langanhaltenden Erkrankung oder einem längeren Auslandseinsatz. Unter vertraglichen Fürsorgegesichtspunkten kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, einem konkret bevollmächtigten Dritten Einsicht in die Personalakte des Arbeitnehmers zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer selbst unverschuldet verhindert ist, das Einsichtsrecht wahrzunehmen und eine sofortige Einsichtnahme erforderlich ist. In einem solchen Ausnahmefall kann der Arbeitnehmer verlangen, dass ein Dritter für ihn das Einsichtsrecht wahrnimmt (h.M., vgl. nur: Schaub, a.a.O., Rn. 10 zu § 148).