Urteil : Kein immaterieller Schaden wegen verzögerter Löschung personenbezogener Daten : aus der RDV 1/2023 Seite 51 bis 52
(OLG Celle, Urteil vom 3. November 2022 – 5 U 31/22 –)
Relevanz für die Praxis
Bzgl. der Auslegung von Art. 82 DS-GVO herrscht nach wie vor Unklarheit. Mittlerweile sind eine Vielzahl an gerichtlichen Entscheidungen ergangen. Mehrere Fragen liegen dem EuGH vor.[1] Auf die Auslegung des OLG Celle kann sich daher nicht verlassen werden. Die Entscheidung bestätigt jedoch die ursprüngliche Linie der hiesigen Gerichte, wonach erst eine konkrete, nicht bloß unbedeutende oder empfundene Verletzung von Persönlichkeitsrechten einen immateriellen Schaden begründet. Diese muss kausal auf der rechtswidrigen Verarbeitung beruhen.
- Der Umstand allein, dass einer Löschverpflichtung ursprünglich rechtmäßig gespeicherter Daten nicht rechtzeitig nachgekommen wurde, begründet keinen Schaden im Sinne des Art. 82 DS-GVO.
- Eine Rechtsansicht, nach der allein der Verstoß gegen die DS-GVO einen immateriellen Schaden begründet, würde dazu führen, dass die haftungsbegründenden Tatbestandsmerkmale des Art. 82 DS-GVO, nämlich zum einen der „Verstoß gegen diese Verordnung“ und zum anderen die (darauf beruhende) Entstehung eines materiellen oder immateriellen Schadens, grundsätzlich zusammenfallen würden. Dies ist mit dem Wortlaut der DS-GVO nicht zu vereinbaren.
(Nicht amtliche Leitsätze)
Aus den Gründen:
2. Ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO ergibt sich insbesondere auch nicht für die verbleibende Zeit der Speicherung nach Erlass des Anerkenntnisurteils bis zur endgültigen Löschung.
a. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die für rund sieben Wochen fortlaufende Speicherung der Daten ab Erlass des vollstreckbaren Anerkenntnisurteils oder nach dessen Rechtskraft nunmehr eine rechtswidrige Datenverarbeitung i.S.d. Art. 6 DS-GVO darstellte. Offenbleiben kann auch, ob in dem „bloßen Nichtstun“ auf Seiten der Beklagten eine „Verarbeitung“ der Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 2 DS-GVO zu sehen ist, wofür sprechen könnte, dass jedenfalls nach der durch das Anerkenntnisurteil ausgesprochenen Verpflichtung, den Datensatz zur Löschung zu bringen, und der damit verbundenen Zäsurwirkung für die Speicherung das anschließende „Unterlassen“ der Löschung einem aktiven Speichern entsprechen dürfte.
b. Denn es fehlt jedenfalls an dem für einen Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO vorausgesetzten materiellen oder immateriellen Schaden.
Zutreffend hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zwar herausgearbeitet, dass ein immaterieller Schaden in Form eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auch darin liegen kann, dass für die Kreditwürdigkeit relevante Daten Dritten zur Verfügung gestellt und auf Anfrage potenziellen Kreditgebern übermittelt werden; insoweit kann auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen werden.
Der Senat hat jedoch seiner Entscheidung – wie ausgeführt – zugrunde zu legen, dass die ursprüngliche Speicherung der Daten durch die Beklagte rechtmäßig war. Ein kausaler immaterieller Schaden auf Seiten des Klägers wäre danach nur gegeben, wenn noch nach Erlass des Anerkenntnisurteils die für die Dauer von rund sieben Wochen weiterhin gespeicherten Daten in irgendeiner Form die Sphäre der Beklagten erneut verlassen und zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung geführt hätte, oder der Kläger andere Tatsachen vorgetragen hätte, die einen immateriellen Schaden gerade als Folge der unterlassenen Löschung der Daten nach Erlass des Anerkenntnisurteils begründen. Dies ist nicht der Fall.
Insoweit hat die Beklagte zwar erstinstanzlich eingeräumt, dass es nach Erlass des Anerkenntnisurteils vom 25. Januar 2021 noch zu einer Anfrage der C AG am 5. Februar 2021 gekommen war. Die […] C AG […] hatte jedoch bereits aufgrund einer vorherigen Abfrage Kenntnisse von der – damals – rechtmäßigen Eintragung betreffend den Kläger. Damit fehlt es jedenfalls an der Kausalität zwischen der fortlaufenden (nach vorstehenden Ausführungen erstmals rechtswidrigen) Speicherung der Daten für einen etwaigen materiellen oder immateriellen Schaden.
[…]
Alleiniger Anknüpfungspunkt für einen immateriellen Schaden des Klägers könnte deswegen allein der Umstand sein, dass die Daten überhaupt bei der Beklagten weiterhin gespeichert waren. Eine solche Rechtsansicht würde aber dazu führen, dass die haftungsbegründenden Tatbestandsmerkmale des Art. 82 DS-GVO, nämlich zum einen der „Verstoß gegen diese Verordnung“ und zum anderen die (darauf beruhende) Entstehung eines materiellen oder immateriellen Schadens, grundsätzlich zusammenfallen würden. Dies ist mit dem Wortlaut der DSGVO nicht zu vereinbaren (zum Ganzen etwa Paal/Pauly/Frenzel, DS-GVO, 3. Aufl. 2021, Art. 82 Rn. 10 ff.)
Zur Vertiefung
Meyer, Rechtsmissbräuchliche Schadensersatzforderungen = RDV 2022, (Heft 6).
[Urteil] BAG-EuGH-Anfrage zu immateriellen Schadensersatz wegen der Übermittlung personenbezogener Daten an die vor malige Konzernmutter der Arbeitgeberin in den USA auf Grund einer Betriebsvereinbarung = RDV 2022 (Heft 6).
[Urteil] Zur Höhe eines Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz bei Verstoß gegen die DS-GVO = RDV 2022 (Heft 5).
[Urteil] Ein immaterieller Schadensersatz nach Art. 82 DS-GVO muss konkretisiert sein (Ls) = RDV 2022 (Heft 1)
[1] BAG, Beschluss vom 22.09.2022 – 8 AZR 209/21 (A) –