Urteil : Unwirksamkeit einer Kündigung des Datenschutzbeauftragten wegen reiner Amtspflichtverletzung : aus der RDV 1/2023 Seite 57 bis 59
(ArbG Heilbronn, Urteil vom 29. September 2022 – 8 Ca 135/22 –)
Relevanz für die Praxis
Die Kündigung eines DSB ist stets heikel, denn der DSB genießt Sonderkündigungsschutz. Das macht ihn indes nicht unkündbar. Ist die Fortführung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar, ist auch eine Kündigung möglich. Eine solche Unzumutbarkeit kann sich jedoch, das hat das ArbG Heilbronn nun entschieden, nicht allein aus Amtspflichtverletzungen ergeben. Das ist bei der Benennung eines internen DSB rechtzeitig zu bedenken. Unter Umständen besteht, selbst wenn der Mitarbeiter seine Pflichten als DSB schwerwiegend verletzt, keine Möglichkeit, ihn zu kündigen.
- Die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Datenschutzbeauftragten aufgrund reiner Amtspflichtverletzungen ist nach Systematik sowie Sinn und Zweck von § 6 Abs. 4 BDSG unwirksam.
- Eine reine Verletzung der Pflichten als Datenschutzbeauftragter kann grundsätzlich nur seine Abberufung nach § 6 Abs. 4 S. 1 BDSG rechtfertigen.
Zum Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Arbeitgeberkündigung […].
Der aktuell 60 Jahre alte Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. Oktober 2002 beschäftigt; dies zuletzt als Rechtsanwalt (Syndikusanwalt) und Leiter der Rechtsabteilung […]. Der Kläger wurde mit Wirkung zum 1. Dezember 2018 zum Datenschutzbeauftragten bestellt; er ist des Weiteren Datenschutzbeauftragter von drei Tochtergesellschaften. […]
Grund zum Ausspruch der fristlosen Kündigung sei, dass der Kläger seine Aufgaben als Datenschutzbeauftragter über einen Zeitraum von mehreren Jahren gar nicht wahrgenommen habe. Dies habe ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft P. ergeben, das dem Vorstandsvorsitzenden Dr. X. erstmals am 31. Mai 2022 in finaler Fassung vorgelegen habe. Hieraus ergebe sich nach Auffassung der Beklagten eine beharrliche Arbeitsverweigerung durch den Kläger. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sei […] mit der Durchführung einer Revisionsprüfung zum Datenschutz im Unternehmen der Beklagten beauftragt worden. P. habe hierbei elf Feststellungen zu Datenschutzmängeln mit mittlerem Risiko- und acht Hochrisiko Feststellungen getroffen.
Aus den Gründen:
a) Der Kläger genoss zum Zeitpunkt der Kündigung den besonderen Kündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte nach §§ 38 Abs. 2, 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG, da er im Unternehmen der Beklagten ab 1. Dezember 2018 zum Datenschutzbeauftragten bestellt worden ist.
Aufgrund der möglichen Interessenkonflikte eines Datenschutzbeauftragten ordnet § 6 Abs. 4 BDSG einen besonderen Schutz des Amtsträgers vor Abberufung und Kündigung seines Arbeitsverhältnisses an. Nach S. 1 der Vorschrift ist die Abberufung des Datenschutzbeauftragten nur in entsprechender Anwendung von § 626 BGB zulässig. Der interne Datenschutzbeauftragte genießt zudem einen Sonderkündigungsschutz in Bezug auf sein Arbeitsverhältnis: So bestimmt § 6 Abs. 4 S. 2 BDSG, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses unzulässig ist, es sei denn, es liegen Tatsachen vor, welche den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Diese nationale Norm, welche neben Art. 38 Abs. 3 DS-GVO tritt, ist auch europarechtskonform, denn in Rahmen ihrer Kompetenz zur Regelung des materiellen Arbeitsrechts sind die Mitgliedstaaten befugt, einen besonderen Kündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte vorzusehen (EuGH 22. Juni 2022 – C-534/20 im Anschluss an LAG Nürnberg 19. Februar 2020 – 2 Sa 147/19; Kühling/Buchner DS-GVO BDSG 3. Aufl. 2020 Art. 38 DS-GVO Rn. 33).
b) Die normative Ausgestaltung des Schutzes des Datenschutzbeauftragten legt nach Auffassung der Kammer nahe, dass – ebenso wie bei anderen Amtsträgern wie beispielsweise Betriebsratsmitgliedern (ständige Rechtsprechung des BAG, zum Beispiel BAG 9. September 2015 – 7 ABR 13 – Rn. 41; BAG 26. Januar 1994 – 7 AZR 640/92) – stets zwischen der Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten und solchen, die allein die Amtsführung betreffen, zu unterscheiden ist. Bei Verstößen gegen Amtspflichten, die nicht zugleich eine Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen, kommt eine vertragsrechtliche Sanktion wie beispielsweise eine Abmahnung oder Kündigung nicht in Betracht, sondern die für Amtspflichtverletzungen gesetzlich vorgesehene Sanktion. Dies ist im Falle eines Betriebsratsmitglieds der Antrag auf Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat nach § 23 Abs. 1 BetrVG. Zwar nimmt das Bundesarbeitsgericht in ebenfalls ständiger Rechtsprechung an, dass die Übertragung des Amtes des internen Datenschutzbeauftragten auf einen Arbeitnehmer in aller Regel im Wege der jedenfalls konkludenten Vereinbarung Teil der vertraglich geschuldeten Leistung werden soll (BAG 23. März 2011– 10 AZR 562/09 – Rn. 29; BAG 29. September 2010 – 10 AZR 588/09 – Rn. 15; BAG, 13. März 2007 – 9 AZR 612/05). Dies könnte dafür sprechen, dass im Fall der Verletzung von Amtspflichten auch eine vertragsrechtliche Sanktion hinsichtlich des zugrunde liegenden Arbeitsvertrages möglich ist.
c) Aus Sicht der Kammer sprechen jedoch Systematik sowie Sinn und Zweck der Regelung in § 6 Abs. 4 BDSG i.V.m. Art. 38 Abs. 3 DS-GVO gegen ein solches Verständnis. § 6 Abs. 4 unterscheidet in S. 1 und 2 eindeutig zwischen Abberufungs- und Kündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten: Während Abberufungsgründe in entsprechender Anwendung von § 626 BGB zu bestimmen sind (nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes kommen insoweit als wichtige Gründe besonders solche in Betracht, die mit der Funktion und Tätigkeit des Datenschutzbeauftragten zusammenhängen und eine weitere Ausübung dieser Tätigkeit unmöglich machen oder sie zumindest erheblich gefährden (BAG 23. März 2011 – 10 AZR 562/09 m.w.N.), ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich unzulässig, es sei denn, es ist ein fristloser Kündigungsgrund gegeben. Hätte der Gesetzgeber einen Gleichlauf in der Weise gewollt, dass eine Amtspflichtverletzung die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt sowie umgekehrt eine Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis die Abberufung, hätte es der gesetzlichen Differenzierung nicht bedurft. Diese Sichtweise entspricht auch dem gesetzgeberischen Zweck von § 6 Abs. 4 BDSG: Der Beauftragte soll hinsichtlich seines Amtes zugunsten einer freien Amtsführung gegen eine Abberufung ohne Grund geschützt werden. Zugleich wird den möglichen, aus dem Amt fließenden Konflikten im Arbeitsverhältnis dadurch Rechnung getragen, dass ihm ein Sonderkündigungsschutz zugesprochen wird. Dieser doppelte Bestandsschutz schließt es nach Auffassung der Kammer aus, in Fällen wie dem vorliegenden die Kündigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund von Amtspflichtverletzungen auszusprechen.
Für diese Sichtweise spricht auch die Entwicklung der Rechtsprechung des BAG im Hinblick auf eine erforderliche Teilkündigung im Falle der Abberufung des Datenschutzbeauftragten: Während das BAG in seiner Entscheidung vom 13. März 2007 – 9 AZR 612/05 für die wirksame Abberufung des Berechtigten zusätzlich eine Teilkündigung des Arbeitsverhältnisses forderte (mit dem Argument der Implementierung der Pflichten als Datenschutzbeauftragter in die arbeitsvertraglichen Pflichten), hat es an dieser Auffassung in neueren Entscheidungen nicht mehr festgehalten (BAG 29. September 2010 – 10 AZR 588/09 – Rn. 15; BAG 13. März 2007 – 9 AZR 612/05).
d) Letztlich streitet auch das ultima ratio – Prinzip gegen die Zulässigkeit einer Kündigung bei der Verletzung von Pflichten als Datenschutzbeauftragter, denn die Abberufung wird in einem solchen Fall der reinen Amtspflichtverletzung stets das mildere Mittel gegenüber der Beendigung des gesamten Arbeitsverhältnisses im Wege der Kündigung darstellen.
e) Da die Beklagte vorliegend die fristlose Kündigung ausschließlich darauf stützt, dass der Kläger seinen Pflichten als Datenschutzbeauftragter nicht nachgekommen sei, liegt auch keine Konstellation vor, bei der zugleich eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vorliegt. Die Kündigung ist daher unwirksam.
Zur Vertiefung:
Piltz/Häntschel, Der Datenschutzbeauftragte – Anwalt, Berater, Haftungsobjekt? = RDV 2019 (Heft 6).
Heberlein, Regulierung des Datenschutzbeauftragten durch nationales Recht? = RDV 2021 (Heft 3).
Meyer, Vereinbarkeit der Tätigkeit als Rechtsanwalt und Datenschutzbeauftragter = RDV 2021 (Heft 1).
[Urteil] Sonderkündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte ist europarechtskonform = RDV 2022 (Heft 4).
[Urteil] Vorlage an den EuGH zum Abberufungsschutz eines Beauftragten für Datenschutz = RDV 2021 (Heft 4).