Literaturhinweis : Buchbesprechung : aus der RDV 1/2024, Seite 59
Utz Krahmer (Hrsg.), Sozialdatenschutzrecht – Persönlich‑ keitsschutz nach SGB I, SGB X, DS-GVO, Nomos Verlagsgesellschaft, 5. Aufl., Baden-Baden 2023, ISBN 978-3-8487- 7460-9, 772 S., € 99,00
Der Sozialstaat ist ein Sozialdatenschutzstaat. Schon vor Inkrafttreten der DS-GVO führte dies zu relativ komplizierten Regelungen, die nötig waren (und sind), um die sensiblen Daten zu schützen, die bei der Gewährung von Sozialleistungen eine Rolle spielen. Seit Inkrafttreten der DS-GVO hat sich an der Komplexität der Rechtsmaterie nichts geändert. Im Gegenteil: Entstanden ist ein „komplexes […] ‚Mehrstufen‘-System“, wie der Herausgeber Utz Krahmer im Vorwort formuliert. Es verlangt den Personen, die das Sozialleistungsrecht anwenden bzw. Sozialleistungen erbringen, einiges ab. Orientierung im regulatorischen Dickicht des Sozialdatenschutzrechts, den das Werk konsequent als Persönlichkeitsschutz versteht, ist wichtiger denn je.
Das Werk ist im Wesentlichen ein Kommentar, der durch vertiefende Anhänge (die einzelnen Kommentierungen folgen) sowie drei am Ende angefügte Überblicksbeiträge (= Anhänge, I, II, III) ergänzt wird. Ein aussagekräftiges Stichwortverzeichnis gewährleistet den zügigen Zugang zum Werk. Es versammelt Autorinnen und Autoren aus dem Bereich der Hochschulen (Hoffmann, Kipker, Krahmer, Kreße, Meißner, Palsherm, Terhardt), aus der Datenschutzpraxis (Dix [ehemaliger Landesbeauftragter für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht in Brandenburg sowie Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit in Berlin]), aus der Verwaltung (Strothmann) und aus der Anwaltschaft (Ahrend, Raum [vormals Referatsleiter beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit], Rombey [vormals Universität Bonn], Sommer). Dieses Team garantiert in vielfacher Hinsicht Praxisnähe, auch, weil die Autorinnen und Autoren aus dem hochschulischen Bereich überwiegend an Hochschulen für angewandte Wissenschaft tätig sind und die unterschiedlichen Bereiche des Sozial(versicherungs)wesens und die Anforderungen der jeweiligen Berufe in diesen Feldern kennen.
Zugleich bewegt sich das Werk auf der gebotenen rechtswissenschaftlichen Flughöhe, denn das Sozialdatenschutzrecht ist immer noch eine Rechtsmaterie in der Entwicklung. Die Neuerungen, die durch die DS-GVO nötig wurden, belegen dies, die Verordnung wirft immer noch viele neue Fragen auf. Dem Werk gelingt die nicht einfache Balance zwischen profunden Ausführungen, die unter Einschluss der Rechtsprechung und der maßgeblichen Literatur über das geltende Recht informieren und zugleich seinen interpretatorischen Entwicklungsbedarf benennen, und einer verständlichen Sprache, die nicht nur Menschen mit juristischer oder anderer Datenschutzexpertise die Materie näherbringt.
Auf eine Einführung, die über die Essentials des Sozialdatenschutzrechts – seine Entwicklungsstufen und zentralen Begriffe – informiert, folgt ein genauerer Blick auf § 35 Abs. 1 SGB I. Sodann werden die einzelnen Bestimmungen des allgemeinen Sozialdatenschutzrechts (§§ 67 ff. SGB X) einschließlich ihrer Bezüge zur DS-GVO im Einzelnen erläutert, wobei die Bezüge zwischen der früheren Rechtslage vor Inkrafttreten der DS-GVO und der neueren Rechtslage ständig präsent sind. Deutlich wird, dass es trotz aller Neuerungen, die die DS-GVO regelungstechnisch und konzeptionell bewirkt hat, in der Sache Kontinuitäten gibt, die den Umgang mit der DS-GVO erleichtern. Hilfreich sind hierbei die ständigen Verweise auf die Erwägungsgründe der DS-GVO sowie die Gesetzesmaterialien, die in die Kommentierungen eingebunden sind. Schematische Übersichten und in den Text eingeschobene Erklär-Kästen erleichtern den Überblick über wichtige Rechtsnormen. Auch Rechtsmaterien, mit denen das Sozialdatenschutzrecht eng verbunden ist, werden thematisiert (s. zum strafbewehrten Vertraulichkeitsschutz von Berufsgeheimnisträgern, § 203 StGB, die Kommentierung zu § 76 SGB X Rn. 6 ff.).
Die Anhänge stehen stellvertretend für die hohe Qualität des Werks. Das gilt für die Anhänge zur Datensicherheit mit einem Exkurs zu §§ 78a-78c SGB X a.F. (S. 464 ff.), zur Datenschutz-Folgenabschätzung mit einem Exkurs zu Art. 35 DS-GVO (S. 479 ff.), zum Schadenersatz mit einem Exkurs zu Art. 82 DS-GVO und § 82 SGB X a.F. (S. 581 ff.) sowie für den Anhang zu den Beschränkungen von Regelungen der DS-GVO zu Betroffenenrechten durch nationales Recht mit einem Exkurs zu § 84a SGB X a.F. und zu Art. 23 DS-GVO (S. 647 ff.).
Auch die drei Anhänge, die das Werk abrunden, verdeutlichen exemplarisch die hohe Qualität des Werks: Ein Anhang (S. 671 ff.) widmet sich den Spezialregelungen zum Sozialdatenschutzrecht in den einzelnen Büchern des Sozialgesetzbuchs. Hier wurde ersichtlich Kritik an der Vorauflage aufgegriffen (Rombey, NZS 2020, 588). Für die nächste Auflage könnte geprüft werden, ob auch datenschutzrechtliche Aspekte des im Wesentlichen am 01.01.2024 in Kraft getretenen SGB XIV (Soziale Entschädigung) angesprochen werden (s. etwa § 38 SGB XIV, dazu BT-Drucks. 19/13824, S. 187). Ebenso könnte geprüft werden, ob auch die Vorschriften in den sog. besonderen Teilen des Sozialgesetzbuchs (§ 68 SGB I), soweit sie datenschutzrechtlich relevant sind, erläutert werden (s. etwa § 9e Adoptionsvermittlungsgesetz [AdVermiG], §§ 7a, 7b Bundeskindergeldgesetz [BKGG], §§ 59 ff. Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte [ALG], § 56 Satz 1 Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte [KVLG 1989]).
Ein weiterer Anhang gilt dem Sozialdatenschutz bei den sog. freien Trägern (S. 705 ff.), also den außerhalb des Staates stehenden (in diesem Sinne „staatsfreien“) Trägern der freien Wohlfahrtspflege, die für die Erbringung der Sozialleistungen im Sozialstaat von konstitutiver Bedeutung sind (beispielhaft für die Sozialhilfe § 5 SGB XII); hier finden sich u.a. instruktive Ausführungen zur Reichweite des kirchlichen Datenschutzrechts (S. 711, S. 712 ff.). Schließlich widmet sich ein Anhang dem Sozialdatenschutz bei der Wahrnehmung von Aufgaben nach dem SGB VIII durch das Jugendamt (S. 729 ff.; s. dazu auch S. 691 ff.), ein für die Praxis enorm wichtiges Arbeitsfeld.
Das von Krahmer herausgegebene Werk ist ein verlässlicher Kompass im unwegsamen Gelände des Sozialdatenschutzrechts. Dass das Buch in 5. Auflage erscheint, belegt: Es handelt sich um ein etabliertes Werk, das in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, in der Rechtspraxis, aber auch bei den nicht-juristischen Berufen im Sozial(versicherungs)wesen angenommen wird. Das Werk empfiehlt sich aber nicht nur für all die, die mit dem Sozialrecht befasst sind. Die Ausführungen haben einen allgemein-datenschutzrechtlichen Anspruch. Deshalb sollte das Werk auch von denen konsultiert werden, die nicht mit sozialrechtlichen Fragestellungen zu tun haben. Die 5. Auflage hält das hohe Niveau der Vorauflagen, baut es aus, was sich auch an dem deutlich gestiegenen Umfang des Werks ablesen lässt. Insofern ist der stattliche Preis vollauf gerechtfertigt.
Fazit: Alle, die das Sozialdatenschutzrecht mit seinen EU rechtlichen Bezügen verständig anwenden wollen, werden dieses Standardwerk des Sozialdatenschutzrechts mit großem Gewinn zur Hand nehmen.
Prof. Dr. Stephan Rixen, Universität zu Köln