Urteil : Recht auf kostenlose Kopie der eigenen Patientenakte : aus der RDV 1/2024, Seite 51-55
(EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2023 – C-634/21 –)
- Art. 12 Abs. 5 sowie Art. 15 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Ra‑ tes vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass die Verpflichtung des Verantwortlichen, der betroffenen Person unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen, auch dann gilt, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in S. 1 des 63. Erwägungsgrundes der Ver‑ ordnung genannten Zwecken begründet wird.
- Art. 23 Abs. 1 Buchst. i) der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung erlassen wurde, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen kann. Eine solche Möglichkeit erlaubt es jedoch nicht, eine nationale Regelung zu erlassen, die der betroffenen Person zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Verantwortlichen die Kosten für eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung durch den Verantwortlichen sind, auferlegt.
- Art. 15 Abs. 3 S. 1 der Verordnung 2016/679 ist dahin aus‑ zulegen, dass im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses das Recht auf Erhalt einer Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, umfasst, dass der betroffenen Person eine origi‑ nalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten überlassen wird. Dieses Recht setzt voraus, eine vollständige Kopie der Dokumente zu erhalten, die sich in der Patientenakte befinden und unter anderem diese Daten enthalten, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie erforderlich ist, um der betroffenen Person die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten zu ermöglichen und die Verständlichkeit der Daten zu gewährleisten. In Bezug auf die Gesundheitsdaten der betroffenen Person schließt dieses Recht jedenfalls das Recht ein, eine Kopie der Daten aus ihrer Patientenakte zu erhalten, die Informationen wie bspw. Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu an ihr vorgenommenen Behand‑ lungen oder Eingriffen umfasst.
Zu den Vorlagefragen:
Zur ersten Frage:
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 12 Abs. 5 sowie Art. 15 Abs. 1 und 3 DS-GVO dahin auszulegen sind, dass die Verpflichtung des Verantwortlichen, der betroffenen Person unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen, auch dann gilt, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in S. 1 des 63. Erwägungsgrundes der DS-GVO genannten Zwecken begründet wird. […]
Was erstens den Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen betrifft, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass Art. 12 Abs. 5 DS-GVO den Grundsatz aufstellt, dass der betroffenen Person durch die Ausübung ihres Rechts auf Auskunft über die Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, und auf Auskunft über die damit verbundenen Informationen keine Kosten entstehen. Außerdem gibt es nach dieser Bestimmung zwei Gründe, aus denen der Verantwortliche entweder ein angemessenes Entgelt verlangen kann, bei dem die Verwaltungskosten berücksichtigt werden, oder sich weigern kann, aufgrund des Antrags tätig zu werden. Diese Gründe beziehen sich auf Fälle von Rechtsmissbrauch, in denen die Anträge der betroffenen Person „offenkundig unbegründet“ oder – insbesondere im Fall häufiger Wiederholung – „exzessiv“ sind.
Hierzu hat das vorlegende Gericht ausdrücklich festgestellt, dass der Antrag der betroffenen Person nicht missbräuchlich sei.
Zum anderen wird das Recht der betroffenen Person auf Auskunft über ihre Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, und auf Auskunft über die damit verbundenen Informationen – das integraler Bestandteil des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten ist – in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO gewährleistet. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung haben die betroffenen Personen das Recht auf Auskunft über ihre personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind.
Des Weiteren geht aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO hervor, dass der Verantwortliche eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung stellt und er für alle weiteren Kopien, die die betroffene Person beantragt, ein angemessenes Entgelt verlangen kann. Insoweit wird in Art. 15 Abs. 4 klargestellt, dass Abs. 3 dieses Artikels dieser Person ein „Recht“ verleiht. Somit kann der Verantwortliche ein solches Entgelt nur dann verlangen, wenn die betroffene Person bereits eine erste Kopie ihrer Daten unentgeltlich erhalten hat und erneut einen Antrag auf diese stellt.
Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, folgt aus der wörtlichen Auslegung von Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO, dass diese Bestimmung der betroffenen Person das Recht verleiht, eine originalgetreue Reproduktion ihrer personenbezogenen Daten zu erhalten, denen eine weite Bedeutung beizumessen ist und die Gegenstand von Vorgängen sind, die als Verarbeitung durch den für diese Verarbeitung Verantwortlichen eingestuft werden müssen (Urteil vom 4. Mai 2023, Österreichische Datenschutzbehörde und CRIF, C 487/21, EU:C:2023:369, Rn. 28).
Folglich ergibt sich aus Art. 12 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 und 3 DS-GVO zum einen, dass die betroffene Person einen Anspruch darauf hat, eine erste unentgeltliche Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zu erhalten, und zum anderen, dass dem Verantwortlichen unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit eingeräumt wird, entweder ein angemessenes Entgelt zu verlangen, bei dem die Verwaltungskosten berücksichtigt werden, oder sich zu weigern, aufgrund des Antrags tätig zu werden, wenn dieser Antrag offenkundig unbegründet oder exzessiv ist.
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass ein Arzt, der die in Art. 4 Nr. 2 DS-GVO genannten Vorgänge betreffend die Daten seiner Patienten durchführt, als „Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 4 Nr. 7 dieser Verordnung anzusehen ist, der den Verpflichtungen unterliegt, die mit dieser Eigenschaft einhergehen, wobei er insbesondere auf Antrag der betroffenen Personen gewährleistet, dass über die personenbezogenen Daten Auskunft erteilt wird.
Die unentgeltliche Zurverfügungstellung einer ersten Kopie der personenbezogenen Daten ist weder nach dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 5 noch dem von Art. 15 Abs. 1 und 3 DS-GVO davon abhängig, dass diese Personen ihren Antrag begründen. Diese Bestimmungen ermöglichen dem Verantwortlichen demnach nicht, für den Auskunftsantrag der betroffenen Person eine Begründung zu verlangen.
Zweitens ist zum Zusammenhang, in dem die oben genannten Bestimmungen stehen, darauf hinzuweisen, dass Art. 12 DS-GVO zu Abschnitt 1 von Kapitel III dieser Verordnung gehört, der u.a. den in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a) DS-GVO genannten Transparenzgrundsatz zum Gegenstand hat.
So legt Art. 12 DS-GVO allgemeine Pflichten des Verantwortlichen in Bezug auf die Transparenz der Information und Kommunikation sowie die Modalitäten für die Ausübung der Rechte der betroffenen Person fest.
Art. 15 DS-GVO, der zu Abschnitt 2 von Kapitel III gehört, der die Informationspflicht und das Recht auf Auskunft zu personenbezogenen Daten zum Gegenstand hat, vervollständigt den Transparenzrahmen der DS-GVO, indem er der betroffenen Person ein Recht auf Auskunft über ihre personenbezogenen Daten und ein Recht auf Information über die Verarbeitung dieser Daten gewährt.
Nach dem 59. Erwägungsgrund „sollten Modalitäten festgelegt werden, die einer betroffenen Person die Ausübung der Rechte, die ihr nach dieser Verordnung zustehen, erleichtern, darunter auch Mechanismen, die dafür sorgen, dass sie unentgeltlich insbesondere Zugang zu personenbezogenen Daten und deren Berichtigung oder Löschung beantragen und gegebenenfalls erhalten oder von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen kann“.
Da, wie sich aus Rn. 38 des vorliegenden Urteils ergibt, die betroffene Person nicht verpflichtet ist, den Antrag auf Auskunft über die Daten zu begründen, kann der erste Satz des 63. Erwägungsgrundes nicht dahin ausgelegt werden, dass dieser Antrag zurückzuweisen ist, wenn mit ihm ein anderer Zweck verfolgt wird als der, von der Verarbeitung Kenntnis zu nehmen und deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dieser Erwägungsgrund vermag nämlich die Tragweite von Art. 15 Abs. 3 DS-GVO, auf die in Rn. 35 des vorliegenden Urteils hingewiesen wurde, nicht einzuschränken.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts rechtlich nicht verbindlich sind und weder herangezogen werden können, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht (Urteil vom 13. September 2018, Česká pojišťovna, C 287/17, EU:C:2018:707, Rn. 33).
Im Übrigen heißt es im zweiten Satz des 63. Erwägungsgrundes, dass das Recht der betroffenen Personen auf Auskunft über ihre personenbezogenen Daten im Hinblick auf ihre gesundheitsbezogenen Daten „Daten in ihren Patientenakten, die Informationen wie bspw. Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten“, einschließt.
Unter diesen Umständen kann das in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO garantierte Recht auf Auskunft über Gesundheitsdaten nicht durch eine Auskunftsverweigerung oder durch die Auferlegung der Zahlung einer Gegenleistung auf einen der im ersten Satz des 63. Erwägungsgrundes genannten Gründe beschränkt werden. Das Gleiche gilt für das Recht, eine erste kostenlose Kopie zu erhalten, wie es in Art. 12 Abs. 5 und Art. 15 Abs. 3 der Verordnung vorgesehen ist.
Drittens ist zu den mit der DS-GVO verfolgten Zielen festzustellen, dass diese Verordnung, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 10 und 11 ergibt, ein gleichmäßiges und hohes Schutzniveau für natürliche Personen in der Union gewährleisten und die Rechte der betroffenen Personen stärken und präzise festlegen soll.
Gerade zur Erreichung dieses Ziels garantiert Art. 15 Abs. 1 der betroffenen Person ein Recht auf Auskunft über ihre personenbezogenen Daten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2023, Pankki S, C 579/21, EU:C:2023:501, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Mithin gehören Art. 12 Abs. 5 und Art. 15 Abs. 1 und 3 DS-GVO zu den Bestimmungen, die das Auskunftsrecht sowie die Transparenz über die Art und Weise der Verarbeitung der personenbezogenen Daten gegenüber der betroffenen Person gewährleisten sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2023, Österreichische Post [Informationen über die Empfänger personenbezogener Daten], C 154/21, EU:C:2023:3, Rn. 42).
Der Grundsatz, dass die erste Kopie der Daten unentgeltlich ist, sowie die Tatsache, dass der Auskunftsantrag nicht spezifisch begründet sein muss, tragen notwendigerweise dazu bei, der betroffenen Person die Ausübung ihrer Rechte aus der DS-GVO zu erleichtern.
Angesichts der Bedeutung, die die DS-GVO dem in Art. 15 Abs. 1 DS-GVO garantierten Recht auf Auskunft über die personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Erreichung solcher Ziele beimisst, darf die Ausübung dieses Rechts folglich nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden, die der Unionsgesetzgeber nicht ausdrücklich festgelegt hat, wie etwa von der Verpflichtung, einen der im ersten Satz des 63. Erwägungsgrundes DS-GVO genannten Gründe geltend zu machen.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 5 sowie Art. 15 Abs. 1 und 3 DS-GVO dahin auszulegen sind, dass die Verpflichtung des Verantwortlichen, der betroffenen Person unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen, auch dann gilt, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in S. 1 des 63. Erwägungsgrundes der DS-GVO genannten Zwecken begründet wird.
Zur zweiten Frage:
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 23 Abs. 1 Buchst. i) DS-GVO dahin auszulegen ist, dass er eine nationale Regelung gestattet, die vor dem Inkrafttreten der DS-GVO erlassen wurde und die der betroffenen Person zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen des für die Verarbeitung Verantwortlichen die Kosten für eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand dieser Verarbeitung sind, auferlegt.
Was als Erstes die Frage betrifft, ob nur nationale Maßnahmen, die nach dem Inkrafttreten der DS-GVO erlassen worden sind, in den Anwendungsbereich von Art. 23 Abs. 1 DS-GVO fallen können, ist darauf hinzuweisen, dass der Wortlaut dieser Bestimmung hierzu keinen Hinweis enthält.
Art. 23 Abs. 1 DS-GVO besagt nämlich lediglich, dass Gesetzgebungsmaßnahmen eines Mitgliedstaats die Pflichten und Rechte gemäß den Art. 12 bis 22 DS-GVO beschränken können, sofern diese Maßnahmen den in diesen Artikeln vorgesehenen Rechten und Pflichten entsprechen und diese Beschränkungen den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achten sowie eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme darstellen, die den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen sicherstellt.
Folglich schließt Art. 23 Abs. 1 DS-GVO von seinem Anwendungsbereich nationale Gesetzgebungsmaßnahmen, die vor dem Inkrafttreten der DS-GVO erlassen wurden, nicht aus, sofern sie die in diesem Artikel festgelegten Voraussetzungen erfüllen.
Was als Zweites die Frage betrifft, ob eine nationale Regelung, die zum Schutz des wirtschaftlichen Interesses der Behandelnden die Kosten für die Zurverfügungstellung einer ersten – vom Patienten angeforderten – Kopie der Patientenakte diesem Patienten auferlegt, unter Art. 23 Abs. 1 Buchst. i) DS-GVO fällt, ist erstens darauf hinzuweisen, dass, wie aus den Rn. 31 und 33 bis 36 des vorliegenden Urteils hervorgeht, der betroffenen Person gemäß Art. 12 Abs. 5 sowie Art. 15 Abs. 1 und 3 DS-GVO ein Recht darauf zuerkannt ist, eine unentgeltliche erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zu erhalten.
Nach Art. 15 Abs. 3 S. 2 DS-GVO kann jedoch der Verantwortliche für alle weiteren Kopien ein angemessenes Entgelt auf Grundlage der Verwaltungskosten verlangen. Im Übrigen erlaubt Art. 12 Abs. 5 im Licht von Art. 15 Abs. 1 und 3 DS-GVO dem Verantwortlichen, sich vor der missbräuchlichen Ausübung des Auskunftsrechts zu schützen, indem er bei einem offenkundig unbegründeten oder exzessiven Antrag ein angemessenes Entgelt verlangt.
Zweitens ist nach dem vierten Erwägungsgrund der DS-GVO das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten kein uneingeschränktes Recht und muss unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden. Somit steht die DS-GVO im Einklang mit allen Grundrechten und achtet alle Freiheiten und Grundsätze, die mit der Charta anerkannt wurden und in den Verträgen verankert sind (Urteil vom 24. Februar 2022, Valsts ieņēmumu dienests [Verarbeitung personenbezogener Daten für steuerliche Zwecke], C 175/20, EU:C:2022:124, Rn. 53).
So bestimmt Art. 15 Abs. 4 DS-GVO, dass „[d]as Recht auf Erhalt einer Kopie … die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen [darf].“
Auch wird in Art. 23 Abs. 1 Buchst. i) DS-GVO darauf hingewiesen, dass eine Beschränkung des Umfangs der u.a. in Art. 15 DS-GVO vorgesehenen Pflichten und Rechte möglich ist, „sofern eine solche Beschränkung den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achtet und in einer demokratischen Gesellschaft eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme darstellt, die [den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen] sicherstellt“
Folglich ergibt sich aus den Rn. 59 bis 61 des vorliegenden Urteils, dass das der betroffenen Person zuerkannte Recht, eine erste unentgeltliche Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zu erhalten, nicht uneingeschränkt gilt.
Drittens sind nur Erwägungen betreffend insbesondere den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen geeignet, als Rechtfertigung für Beschränkungen dieses Rechts zu dienen, sofern, wie in Art. 23 Abs. 1 Buchst. i) DS-GVO vorgesehen, eine solche Beschränkung dessen Wesensgehalt achtet sowie eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme darstellt, die diesen Schutz sicherstellt.
Wie sich jedoch aus der Vorlageentscheidung ergibt, ermöglicht die Kostenregelung des § 630g Abs. 2 S. 2 BGB dem Behandelnden, dem Patienten die Kosten für die Zurverfügungstellung einer ersten Kopie seiner Patientenakte aufzuerlegen. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass diese Regelung in erster Linie die wirtschaftlichen Interessen der Behandler schützen solle, was die Patienten davon abhalte, unnötig Kopien ihrer Patientenakte anzufordern. Sofern die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung tatsächlich zum Ziel hat, die wirtschaftlichen Interessen der Behandelnden zu schützen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, fallen derartige Erwägungen somit nicht unter die in Art. 23 Abs. 1 Buchst. i) DS-GVO genannten „Rechte und Freiheiten anderer Personen“.
Erstens führt nämlich eine solche Regelung dazu, dass nicht nur Anträgen, die unnötig wären, entgegengewirkt würde, sondern auch solchen Anträgen, mit denen aus berechtigtem Grund eine unentgeltliche erste Kopie der verarbeiteten personenbezogenen Daten verlangt wird. Diese Regelung verstößt folglich notwendigerweise gegen den Grundsatz der Unentgeltlichkeit der ersten Kopie und stellt damit die praktische Wirksamkeit des Auskunftsrechts nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO und mithin den von dieser Verordnung gewährleisteten Schutz in Frage.
Zweitens geht aus der Vorlageentscheidung nicht hervor, dass die von der nationalen Regelung geschützten Interessen über rein administrative oder wirtschaftliche Erwägungen hinausgehen.
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass der Unionsgesetzgeber die wirtschaftlichen Interessen der Verantwortlichen mit Art. 12 Abs. 5 und Art. 15 Abs. 3 S. 2 DS-GVO berücksichtigt hat, in denen, wie in Rn. 58 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Umstände festgelegt sind, unter denen der Verantwortliche ein Entgelt für die Kosten der Zurverfügungstellung einer Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, verlangen kann.
Daher vermag die Verfolgung des Ziels des Schutzes der wirtschaftlichen Interessen der Behandelnden keine Maßnahme zu rechtfertigen, die dazu führt, dass das Recht, unentgeltlich eine erste Kopie zu erhalten, und damit die praktische Wirksamkeit des Rechts der betroffenen Person auf Auskunft über ihre personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, in Frage gestellt werden.
Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 23 Abs. 1 Buchst. i) DS-GVO dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, die vor dem Inkrafttreten der DS-GVO erlassen wurde, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen kann. Eine solche Möglichkeit erlaubt es jedoch nicht, eine nationale Regelung zu erlassen, die der betroffenen Person zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Verantwortlichen die Kosten für eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung durch den Verantwortlichen sind, auferlegt.
Zur dritten Frage:
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO dahin auszulegen ist, dass im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses das Recht auf Erhalt einer Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, umfasst, dass der betroffenen Person eine vollständige Kopie der in ihrer Patientenakte enthaltenen Dokumente, die ihre personenbezogenen Daten enthalten, überlassen wird, oder ob dieses Recht nur umfasst, dass ihr eine Kopie dieser Daten als solche überlassen wird.
Zunächst hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO seinem Wortlaut nach der betroffenen Person das Recht verleiht, eine originalgetreue Reproduktion ihrer personenbezogenen Daten zu erhalten, denen eine weite Bedeutung beizumessen ist und die Gegenstand von Vorgängen sind, die als Verarbeitung durch den für diese Verarbeitung Verantwortlichen eingestuft werden müssen (Urteil vom 4. Mai 2023, Österreichische Datenschutzbehörde und CRIF, C 487/21, EU:C:2023:369, Rn. 28).
Sodann kann Art. 15 DS-GVO nicht dahin ausgelegt werden, dass er in seinem Abs. 3 S. 1 ein anderes Recht als das in seinem Abs. 1 vorgesehene gewährt. Im Übrigen bezieht sich der Begriff „Kopie“ nicht auf ein Dokument als solches, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthält und die vollständig sein müssen. Die Kopie muss daher alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind (Urteil vom 4. Mai 2023, Österreichische Datenschutzbehörde und CRIF, C 487/21, EU:C:2023:369, Rn. 32). Schließlich hat, was die mit Art. 15 DS-GVO verfolgten Ziele angeht, die DS-GVO den Zweck, die Rechte der betroffenen Personen zu stärken und präzise festzulegen.
Somit muss es der betroffenen Person durch die Ausübung des in dieser Bestimmung vorgesehenen Auskunftsrechts nicht nur ermöglicht werden, zu überprüfen, ob sie betreffende Daten richtig sind, sondern auch, ob sie in zulässiger Weise verarbeitet werden. Ferner muss die vom Verantwortlichen nach Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO zur Verfügung zu stellende Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, alle Merkmale aufweisen, die es der betroffenen Person ermöglichen, ihre Rechte aus dieser Verordnung wirksam auszuüben, und diese Daten daher vollständig und originalgetreu wiedergeben (Urteil vom 4. Mai 2023, Österreichische Datenschutzbehörde und CRIF, C 487/21, EU:C:2023:369, Rn. 33, 34 und 39).
Um insbesondere zu gewährleisten, dass die durch den Verantwortlichen bereitgestellten Informationen leicht verständlich sind, wie es Art. 12 Abs. 1 im Licht des 58. Erwägungsgrundes der DS-GVO verlangt, kann sich nämlich die Reproduktion von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten, die u.a. personenbezogene Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, als unerlässlich erweisen, wenn die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten (Urteil vom 4. Mai 2023, Österreichische Datenschutzbehörde und CRIF, C 487/21, EU:C:2023:369, Rn. 41).
Folglich bedeutet das Recht, vom für die Verarbeitung Verantwortlichen eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zu erhalten, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten überlassen wird. Dieses Recht setzt das Recht voraus, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten, die u.a. diese Daten enthalten, zu erhalten, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch diese Verordnung verliehenen Rechte zu ermöglichen (Urteil vom 4. Mai 2023, Österreichische Datenschutzbehörde und CRIF, C 487/21, EU:C:2023:369, Rn. 45).
Zu den im Ausgangsverfahren fraglichen Informationen ist festzustellen, dass die DS-GVO Dokumente identifiziert, von denen der Kläger des Ausgangsverfahrens eine Kopie verlangen können muss. So heißt es in Bezug auf personenbezogene Gesundheitsdaten im 63. Erwägungsgrund der DS-GVO, dass das Recht der betroffenen Personen auf Auskunft „Daten in ihren Patientenakten, die Informationen wie bspw. Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten“, einschließt.
Insoweit hat, wie der Generalanwalt in den Nrn. 78 bis 80 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, der Unionsgesetzgeber aufgrund der Sensibilität der personenbezogenen Gesundheitsdaten natürlicher Personen betont, wie wichtig es sei, dass die Auskunft gegenüber dem Einzelnen über die in seiner Patientenakte enthaltenen Daten so vollständig und genau wie möglich, aber auch verständlich erfolge.
Jedoch könnte in Bezug auf Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu an einem Patienten vorgenommenen Behandlungen oder Eingriffen, die in der Regel zahlreiche technische Daten oder gar Bilder umfassen, bei der Zurverfügungstellung einer einfachen Zusammenfassung oder Zusammenstellung dieser Daten durch den Arzt, um sie in zusammengefasster Form vorzulegen, die Gefahr bestehen, dass bestimmte relevante Daten ausgelassen oder unrichtig wiedergegeben werden oder dass jedenfalls die Überprüfung ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit sowie ihr Verständnis durch den Patienten erschwert werden.
Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO dahin auszulegen ist, dass im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses das Recht auf Erhalt einer Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, umfasst, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten überlassen wird. Dieses Recht setzt voraus, eine vollständige Kopie der Dokumente zu erhalten, die sich in der Patientenakte befinden und unter anderem diese Daten enthalten, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie erforderlich ist, um der betroffenen Person die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten zu ermöglichen und die Verständlichkeit der Daten zu gewährleisten. In Bezug auf die Gesundheitsdaten der betroffenen Person schließt dieses Recht jedenfalls das Recht ein, eine Kopie der Daten aus ihrer Patientenakte zu erhalten, die Informationen wie bspw. Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu an ihr vorgenommenen Behandlungen oder Eingriffen umfasst.