Urteil : Keine Anonymisierung der Bruttolohn-Listen nach § 80 BetrVG : aus der RDV 2/2018, Seite 102 bis 103
(Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 19. September 2017 – 7 TaBV 43/17 –)
Die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 2.2 Halbs. BetrVG dürfen nicht anonymisiert zur Einsichtnahme bereitgestellt werden; außerhalb seines Anwendungsbereichs gebieten auch die Bestimmungen des EntgTranspG – insb. § 13 Abs. 2 und 3 i.V.m. §§ 11 und 12 Abs. 3 – keine Anonymisierung.
Aus den Gründen
Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet. …
b) … Die zur Einsichtnahme vorzulegenden Bruttoentgeltlisten i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 2.2. Halbs. BetrVG müssen auch Namen und Vornamen der Beschäftigten enthalten.
aa) Zwar weist die Arbeitgeberin zutreffend darauf hin, dass § 80 Abs. 2 Satz 2.2. Halbs. BetrVG eine ausdrückliche Regelung zur Aufführung von Namen und Vornamen in den Bruttoentgeltlisten nicht enthält. Dies ergibt sich indessen aus dem Sinn und dem Zweck der Vorschrift. Die Beschwerdekammer folgt den zutreffenden Ausführungen des BAG in der Entscheidung v. 14.1. 2014 (1 ABR 54/12), wonach sich der nötige Aufgabenbezug i.S.d. Erforderlichkeit schon daraus ergibt, dass der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass die zu Gunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Tarifverträge durchgeführt werden. Zu Recht hat der Betriebsrat darauf hingewiesen, dass hierzu die sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG ergebende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beachtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes gehört, wie auch die Frage, dass der Betriebsrat Informationen dazu benötigt, ob bestimmte Vergütungsmechanismen, die der Arbeitgeber eingeführt hat, zu einem Mitbestimmungsrecht i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hinsichtlich betrieblicher Entlohnungsgrundsätze führt. Aus diesem Grunde bedarf es auch keiner Darlegung eines besonderen Anlasses für die Ausübung des Einsichtsrechts im Hinblick auf die vereinbarten Vergütungen.
Diesem Anspruch des Betriebsrats zur Einsichtnahme durch den Betriebsausschuss gem. § 80 Abs. 2 Satz 2.2. Halbs. BetrVG stehen datenschutzrechtliche Belange nicht entgegen. Die Beschwerdekammer folgt auch hierzu vollumfänglich der Entscheidung des BAG v. 14.1.2014 (a.a.O.), dort unter Rdnr. 28 und 29, wonach es sich bei dem Einsichtsrecht in die Bruttogehaltslisten um eine nach § 32 Abs. 1 BDSG zulässige Form der Datennutzung handelt. Soweit ersichtlich, hat die Arbeitgeberin sich auch nicht auf den Rechtsstandpunkt gestellt, dass die Auffassung des BAG in dem genannten B. v. 14.1.2014 unzutreffend sei; vielmehr ist die Arbeitgeberin davon ausgegangen, dass datenschutzrechtliche Belange dem Einsichtsrecht in die Bruttoentgeltliste dann entgegenstünden, wenn diese nicht zwingend auch Namen und Vornamen enthalten müsste. Ist das aber geboten – wie oben ausgeführt – sind die Grundsätze aus dem B. v. 14.1.2014 (a.a.O.) ohne Einschränkung heranzuziehen.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich auch aus den Erwägungen und dem Wortlaut zur DS-GVO (die allerdings mangels Inkrafttreten noch nicht anwendbar ist) keine abweichende Beurteilung ergeben kann, da Art. 6 DS-GVO insofern beschreibt, dass eine Datenverarbeitung rechtmäßig ist, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der für die Datenverarbeitung Verantwortliche unterliegt. Dies ist der Fall, wie oben ausgeführt.
Soweit die Arbeitgeberin Individualinteressen der namentlich in der Bruttoentgeltliste bezeichneten Beschäftigten als Grund für eine Anonymisierung der Liste aufgeführt hat, so steht es ihr nicht zu, sich ggü. dem Anspruch des Betriebsrats aus § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG auf die Grundrechte von Arbeitnehmern zu berufen (BAG, B. v. 14.1.2014, a.a.O., Rdnr. 29 und B. v. 20.12.1988 – 1 ABR 63/87, Rdnr. 38 m.w.Nw.).
e) Die Bestimmungen des am 6.7.2017 in Kraft getretenen Entgelttransparentgesetzes stehen schließlich auch dem Anspruch des Betriebsrats auf die namentliche Aufführung der Beschäftigten in der Bruttoentgeltliste i.S.d. § 80 Abs. 2 Satz 2.2. Halbs. BetrVG nicht entgegen. …
(2) Die Regelungen des EntgTranspG v. 30.6.2017 (BGBl. I, S. 21, 52) sehen keine Einschränkung der betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten des Betriebsrats, sondern deren Erweiterung vor (vgl. Kania, NZA 2017, 819 ff., 820). In der Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen heißt es dazu u.a., dass „in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten bei gleichzeitiger Stärkung des Betriebsrates bei der Wahrnehmung des Auskunftsanspruches“ ein individueller Auskunftsanspruch geschaffen wird (vgl. die Begründung zum Gesetzesentwurf, BRDrs. 8/17 v. 12.1.2017). Dieser gesetzgeberische Hintergrund zur Stärkung des Betriebsrats bei der Wahrnehmung des Auskunftsanspruchs würde in sein Gegenteil verkehrt, würde man nun die nach dem EntgTranspG herzustellenden Bruttoentgeltlisten (ohne Namen und Vornamen der dort aufzulistenden Beschäftigten gem. § 12 Abs. 3 EntgTranspG) nehmen, um den betriebsverfassungsrechtlichen Einsichtsanspruch des § 80 Abs. 2 Satz 2.2. Halbs. BetrVG zu begrenzen. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit den Regelungen des Entgelttransparenzgesetzes in dessen Abschnitt 2 (§§ 10 ff.) ausdrücklich „individuelle Verfahren zu Überprüfung von Entgeltgleichheit“ und damit die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Herstellung bestimmter Bruttoentgeltlisten mit im Gesetz geregelten Inhalten eingeführt hat. Der Gesetzgeber hat an dieser Stelle dem Umstand Rechnung getragen, dass nach überwiegender Auffassung in Rspr. und Lit. bislang die Herstellung entsprechender Listen mit konkreten, vom Gesetzgeber vorgesehenen Inhalten, nicht vorgesehen war (vgl. hierzu auch Kania, a.a.O., m.w.Nw.). Dementsprechend kann die Inbezugnahme des § 80 Abs. 2 Satz 2.2. Halbs. BetrVG in § 13 Abs. 2 EntgTranspG nur als Verweisung auf das Verfahren, wie es die betriebsverfassungsrechtlichen Normen beschreiben, gesehen werden, nicht aber als materiellrechtliche Modifikation des Einsichtsrechts außerhalb des EntgTranspG. Hierfür spricht auch die Regelung in § 13 Ab s. 6 EntgTranspG, wonach gesetzliche und sonstige kollektiv-rechtlich geregelte Beteiligungsrechte des Betriebsrats vom EntgTranspG unberührt bleiben. …
Die Rechtsbeschwerde war wegen der grundsätzlichen Bedeutung entscheidungserheblicher Rechtsfragen, insbesondere wegen des Verhältnisses des in § 13 EntgTranspG geregelten Einsichtsrechts des Betriebsausschusses und der allgemeinen Vorschrift des § 80 Abs. 2 Satz 2.2. Halbs. BetrVG gemäß ArbGG i.V.m. § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.