Urteil : Kein DS-GVO-Schadensersatzanspruch bei bloßen Bagatellverstößen : aus der RDV 2/2020, Seite 94 bis 95
(Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 11. Juni 2019 – 4 U 760/19 –)
Bei bloßen Bagatellverstößen im Datenschutzrecht ohne ernsthafte Beeinträchtigung für das Selbstbild oder Ansehen einer Person besteht kein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs.1 DS-GVO
Sachverhalt:
Der Kläger war bei Facebook Mitglied. Wegen eines umstrittenen Postings sperrte ihn Facebook und löschte auch seinen Text. Der Kläger sah hierin eine unerlaubte Datenschutzverletzung und verlangte nach Art. 82 Abs.1 DS-GVO Schadensersatz iHv. 150,– EUR.
Aus den Gründen:
Dass dem Kläger durch die Sperrung ein materieller oder immaterieller Schaden im Sinne des Art. 82 DS-GVO entstanden wäre, kann der Senat überdies nicht erkennen. Die bloße Sperrung seiner Daten stellt ebenso wie der Datenverlust noch keinen Schaden im Sinne der DS-GVO dar (Wybitul/Haß/Albrecht, NJW 2018 S. 113 (114)). Die behauptete Hemmung in der Persönlichkeitsentfaltung durch die dreitägige Sperrung hat allenfalls Bagatellcharakter (s.o.).
Auch wenn in der Literatur unter Bezug auf Erwägungsgrund 146 der DS-GVO vereinzelt die Auffassung vertreten wird, eine wirksame Durchsetzung europäischen Datenschutzrechts erfordere einen Abschreckungseffekt und den Verzicht auf die nach bisherigem Recht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 29.11.2016 – VI Z 530/15) geltende Erheblichkeitsschwelle (Gola, DS-GVO, 2. Aufl. Art 82 Rn 13 m.w.N.; so auch AG Dietz, Urteil vom 7.11.2018 – 8 C 130/18 –)) rechtfertigt dies keinen Ausgleich immaterieller Bagatellschäden. Das Datenschutzrecht schützt zwar per se ein subjektives Recht, das einen starken Bezug zum persönlichen Empfinden des Einzelnen hat. Dennoch ist Art. 82 nicht so auszulegen, dass er einen Schadensersatzanspruch bereits bei jeder individuell empfundenen Unannehmlichkeit oder bei Bagatellverstößen ohne ernsthafte Beeinträchtigung für das Selbstbild oder Ansehen einer Person begründet (Becker in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Artikel 82 DSGVO, Rn. 4c). Insbesondere kann der Hinweis auf einen „vollständigen und wirksamen Schadensersatz“ in Erwägungsgrund 146 der DSGVO nicht in diesem Sinne verstanden werden (so auch Lach, jurisPR-ITS 5/2019 Anm. 3). Die Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG und des Schutzes personenbezogener Daten nach Art. 8 GRC gebieten einen solchen Ausgleich regelmäßig nicht. Anders mag dies in den Fällen sein, in denen der datenschutzrechtliche Verstoß eine Vielzahl von Personen in gleicher Weise betrifft und Ausdruck einer bewussten, rechtswidrigen und im großen Stil betriebenen Kommerzialisierung ist (Becker, in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Artikel 82 DSGVO, Rn. 4d). So liegen die Dinge hier indes nicht. Zwar gehört die Kommerzialisierung von Nutzerdaten zum Geschäftsmodell der Beklagten; die Sperrung des klägerischen Accounts befördert jedoch diese Kommerzialisierung nicht, sondern behindert sie vielmehr, weil der Kläger in dieser Zeit keine Daten „produziert“, die die Beklagte verwerten könnte. Gegen eine Ausdehnung des immateriellen Schadensersatzes auf Bagatellschäden spricht auch das erhebliche Missbrauchsrisiko, das mit der Schaffung eines auf Rechtsfolgenseite nahezu voraussetzungslosen Schmerzensgeldanspruchs gerade im Bereich des Datenschutzrechts einherginge. Angesichts dessen sowie der damit einhergehenden vollständigen Abkehr von der bisher geltenden Rechtslage wäre zu erwarten gewesen, dass eine solche Änderung im Verordnungstext oder in den Erwägungsgründen einen deutlichen Ausdruck gefunden hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall.