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Urteil : Kein Schaden durch Datenscraping bei unveränderter Weiternutzung der Plattform : aus der RDV 2/2023, Seite 126 bis 127

(LG Bielefeld, Urteil vom 19. Dezember 2022 – 8 O 182/22 –)

Archiv RDV
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Behauptete Sorgen und Ängste durch Datenscraping sind nicht glaubhaft, wenn die klagende Partei keine (drastischen) Konsequenzen aus dem Datenscraping zieht und insb. weiterhin auf der von der Beklagten betriebenen Plattform angemeldet bleibt.

(Nicht amtlicher Leitsatz)

Aus den Gründen:

Das Gericht kann nicht erkennen (§ 287 Abs. 1 ZPO), dass der Kläger einen Schaden tatsächlich erlitten hat.

Die in den Schriftsätzen beschriebenen formelhaften Ängste und Sorgen, das Unwohlsein, die aufgewendete Zeit und der Stress haben sich in der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung nicht mehr gezeigt. Sie sind Teil einer Klageschrift und Replik, die mit dem gleichen Inhalt in einer Vielzahl von Verfahren rechtshängig wurden. Schon deswegen war der persönliche Eindruck des erkennenden Gerichts vom Kläger in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung entscheidend. In dieser hat der Kläger zunächst geschildert, er habe sich zwischen 2009 und 2010 auf … angemeldet und nutze die Plattform bis heute.

Es ist festzuhalten, dass alle Daten – bis auf die Handynummer – aus dem öffentlichen Profil des Klägers „abgelesen“ wurden, die der Kläger bereitwillig dort selbst eingetragen hat. Ein Identitätsdiebstahl hat insoweit nicht stattgefunden. Soweit diese Daten öffentlich waren, standen sie bereits bei ihrer Eingabe nicht mehr unter der ausschließlichen klägerischen Kontrolle. Ein Kontrollverlust kann sich daraus gerade nicht ergeben.

Die schriftsätzliche Argumentation, der Kläger sei verstärkt misstrauisch bzgl. Spam-Mails, ist zurückzuweisen. Die E-Mail-Adresse des Klägers war nicht betroffen. Während dies in der Klage noch behauptet wurde (s. nur: „unbekannte Kontaktversuche […] per Mail (Bl. 24 dA)“; „Auch von [der Klagepartei] wurden Daten wie […] Mailadresse abgegriffen“ (Bl. 24 dA)), hat sich dies aus der persönlichen Anhörung gerade nicht ergeben: Nach den Kenntnissen des Klägers sei die E-Mail-Adresse nicht betroffen. Es passt zudem nicht zu den schriftsätzlichen Schilderungen des Klägers bezüglich des Scraping-Vorfalls. Es wäre völlig unklar, wie die Scraper an die E-Mail-Adresse des Klägers gekommen sein sollten.

Das Gericht konnte nicht erkennen, dass der Kläger sich tatsächlich „beobachtet“ gefühlt hat. Er wirkte nicht hilflos oder sah sich zu einem reinen Objekt der Datenverarbeitung degradiert. Zu erkennen war lediglich ein verständlicher Ärger („Mist“) über die Veröffentlichung der Handynummer im Internet, der nicht genügt. Das Gericht hält schriftsätzlich behauptete Sorgen und Ängste des Klägers nicht für glaubhaft. Der Kläger war bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung auf Facebook angemeldet. (Drastische) Konsequenzen hat er nicht gezogen. Im Hinblick auf die schriftsätzlichen Behauptungen ist ein solches Verhalten aber gerade nicht plausibel. Er hat, und das ist mitentscheidend, entsprechende Suchbarkeitseinstellungen bzgl. seiner Handynummer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung überhaupt nicht geändert oder aber seine Handynummer aus den Nutzereinstellungen entfernt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung bekundet, er wisse bis heute nicht, wie sich die Einstellungen ändern ließen. Er kenne diese Funktion nicht. Selbst wenn dem Kläger vor Klageeinreichung – wie behauptet – die Einstellungsmöglichkeiten auf … nicht intuitiv und nachvollziehbar vorgekommen sein sollten, hätte er die verschiedenen Einstellungsmöglichkeiten nunmehr mittels Klageerwiderung und eigener Replik nachvollziehen können müssen. Schließlich hat er die unterschiedlichen Suchbarkeitseinstellungen selbst vortragen lassen und arbeitet überdies in der IT-Branche.

Soweit der Kläger Ängste und Misstrauen bzgl. SpamSMS, im konkreten bzgl. des Erhalts sog. „Paketshop-SMS“ dargelegt hat, ist unklar, ob diese SMS tatsächlich im Zusammenhang mit dem Scraping-Vorfall verschickt wurden, was auch dem Kläger bewusst ist. Es ist gerichtsbekannt, dass auch Inhaber von Mobilfunknummern, die niemals bei … angemeldet waren, solche oder ähnliche Spam-SMS enthalten. Im Übrigen ist ein geschärftes Bewusstsein beim Erhalt von SMS stets angezeigt.

Das erkennende Gericht ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger überhaupt irgendwelche Komfort- und Zeiteinbußen im Zusammenhang mit dem Scraping-Vorfall erlitten hat. Anders als schriftsätzlich vorgetragen, musste sich der Kläger gerade nicht mit der Beklagten selbst auseinandersetzen. Er musste insbesondere nicht selbst um Auskunft bitten oder weitere Nachforschungen bzgl. des Scraping-Vorfalls anstellen und hat dies auch nicht getan. Er musste auch nicht den Sachverhalt ermitteln. Er hat geschildert, er habe ein YouTube-Video eines Rechtsanwalts der Prozessbevollmächtigten über den Scraping-Vorfall gesehen und sodann ein Formular auf einer Internetseite genutzt, um zu überprüfen, ob die eigene Handynummer betroffen sei. Dies sei der Fall gewesen. Sodann hätten ihm die Prozessbevollmächtigten bereits auf dieser Website die Möglichkeit eröffnet, sich bei diesen zu melden, um dann gegen die Beklagte vorzugehen. Soweit der Kläger bekundet hat, es sei viel Arbeit gewesen, den gesamten Schriftverkehr zwischen den Prozessbevollmächtigten zu lesen, genügt dies nicht. Welche Zeit der Kläger im Übrigen dafür aufgewendet haben will, sich vor drohendem Missbrauch zu schützen, ist unklar geblieben.