Urteil : Dashcam-Aufzeichnungen als Beweismittel im Zivilprozess : aus der RDV 3/2015, Seite 156 bis 160
(Landgericht Heilbronn, Urteil vom 3. Februar 2015 – I 3 S 19/14 –)
Aufzeichnungen einer in einem Pkw installierten Dashcam können im Zivilprozess nicht als Beweismittel zum Hergang eines Unfalls verwertet werden.
Aus den Gründen:
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin prozessführungsbefugt. Sie ist zwar die Halterin, nicht jedoch die Eigentümerin des beim streitgegenständlichen Unfall beschädigten Pkw VW Passat, a.K.: ****, nachdem sie dieses zur Kaufpreisfinanzierung an die Bank **** GmbH sicherungsübereignet hat. Jedoch macht die Klägerin die Schadensersatzansprüche der Sicherungseigentümerin in eigenen (sic!) Namen geltend. Dies ist vorliegend zulässig. Die Klägerin hat die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft ausreichend dargetan.
2. In der Sache bleibt der Klage jedoch der Erfolg versagt. Das Amtsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Auch nach Auffassung der Kammer stehen der Bank **** GmbH die von der Klägerin in gewillkürter Prozessstandschaft geltend gemachten Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten nicht zu.
a. Die Haftungsvoraussetzungen der §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG hinsichtlich der Zweitbeklagten und in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Ziff. 1 VVG bezüglich der Erstbeklagten liegen zwar vor. Der Verkehrsunfall hat sich beim Betrieb des von der Zweitbeklagten gefahrenen Motorrades Suzuki 650, a.K.: ****, ereignet, dessen Halterin sie auch ist und das bei der Erstbeklagten haftpflichtversichert ist. Dadurch ist an dem der Bank **** GmbH sicherungsübereigneten Pkw VW Passat ein Sachschaden entstanden. Dieser Ausgangspunkt ist zwischen den Parteien unstreitig und bedarf deshalb keiner weiteren Darlegung.
b. Die Ersatzpflicht der Zweitbeklagten ist nicht nach §§ 17 Abs. 3, 18 Abs. 1 Satz 2 StVG ausgeschlossen. Gemäß § 17 Abs. 3 S. 3 StVG gilt der Haftungsausschluss des § 17 Abs. 3 S. 1 StVG grundsätzlich auch für die Ersatzpflicht gegenüber dem Eigentümer eines Kraftfahrzeugs der – wie vorliegend – nicht dessen Halter ist. Jedoch vermochten die Beklagten den ihnen obliegenden Unabwendbarkeitsbeweis bzw. den Nachweis fehlenden Verschuldens nicht zu führen. Denn es ist keineswegs bewiesen, dass auch ein Idealfahrer, auf den in diesem Rahmen abzustellen ist, den Verkehrsunfall nicht hätte vermeiden können. Der Sachverständige hat in seinem mündlichen Gutachten vor dem Amtsgericht ausgeführt, dass sich bei der vorliegenden Spurenlage aus technischer Sicht ein Reaktionsverzug der Zweitbeklagten nicht ermitteln lasse. Damit ist jedoch der Nachweis nicht geführt, dass die Zweitbeklagte die Kollision auch bei optimaler Reaktion nicht hätte verhindern können. Dies gilt umso mehr, als sich der Verkehr in Fahrtrichtung der Zweitbeklagten auf der Geradeausspur der Landesstraße L 1110 (Bietigheimer Straße) aufgrund einer Lichtzeichenanlage auf einer Länge von ungefähr 200 m gestaut hatte und ein Idealfahrer beim Befahren der Linksabbiegerspur deshalb mit der naheliegenden Möglichkeit gerechnet und sich darauf eingestellt hätte, dass Führer von auf der Geradeausspur im Stau stehenden Kraftfahrzeugen möglichen Linksabbiegern, die von rechts aus der untergeordneten Zufahrt vom Industriegebiet TammNord in die Landesstraße L 1110 einfahren wollten, den Vorrang gewähren, weshalb nicht ausgeschlossen ist, dass ein Idealfahrer den Unfall in der konkreten Situation möglicherweise durch entsprechend langsame Fahrweise und optimale Reaktion hätte vermeiden können. Bei dieser Sachlage ist auch der der Zweitbeklagten als Fahrerin obliegende Nachweis fehlenden Verschuldens nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG nicht geführt.
c. Die Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- bzw. Mitverschuldensbeiträge für die Entstehung des Verkehrsunfalls führt indessen zur Alleinhaftung des Ehemannes der Klägerin, der den der Bank **** GmbH sicherungsübereigneten Pkw zum Unfallzeitpunkt geführt hat. Die Bank **** GmbH muss sich zwar, weil sie selbst nicht Halterin des beschädigten Pkw ist, nicht gemäß § 17 StVG die Betriebsgefahr ihres Kraftfahrzeugs anspruchsmindernd zurechnen lassen, wohl aber gemäß §§ 9, 17 StVG, 254 BGB das Verschulden des Fahrers ihres Kraftfahrzeugs (BGH, NJW 2011, 996; OLG Hamm, r+s 1996, 339; LG Münster, NJW-RR 2011, 1327).
aa. Dem Ehemann der Klägerin fällt ein schuldhafter Vorfahrtsverstoß gemäß § 8 Abs. 1 StVO zur Last. Gegen ihn spricht bereits der Anscheinsbeweis, da er unmittelbar, bevor er mit dem Motorrad der Zweitbeklagten kollidiert ist, aus der untergeordneten Zufahrt vom Industriegebiet Tamm-Nord auf die bevorrechtigte Landesstraße L1110 eingefahren ist. Stoßen an einer Straßeneinmündung zwei Kraftfahrzeuge zusammen, spricht der Anscheinsbeweis regelmäßig für eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung des Wartepflichtigen (BGH VersR 1982, 903). Die Klägerin konnte den gegen ihren Ehemann sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttern. Nach den Ausführungen des Sachverständigen hätte der Ehemann der Klägerin bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt, selbst wenn er sich langsam in die bevorrechtigte Landesstraße L 1110 hineingetastet hätte, die mit einer maximalen Fahrgeschwindigkeit von 35 km/h heranfahrende Zweitbeklagte so rechtzeitig erkennen können, dass er sein Fahrzeug noch auf dem rechten Fahrstreifen zum Stillstand hätte bringen und den Unfall damit vermeiden können.
bb. Die nach §§ 9, 18 Abs. 3, 17 StVG, 254 BGB vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge der Zweitbeklagten und des Pflichtverstoßes des Ehemannes der Klägerin für die Entstehung des Unfalls führt nach Auffassung der Kammer zu einer Alleinhaftung des Ehemanns der Klägerin.
(1) Zu Lasten der Klägerin ist die schuldhafte Vorfahrtsverletzung ihres Ehemannes zu berücksichtigen, die aufgrund des Anscheinsbeweises erwiesen ist, den die Klägerin nicht zu erschüttern vermochte. Insoweit nimmt die Kammer Bezug auf die oben Ausführungen unter lit. c aa).
(2) Dagegen ist zu Lasten der Zweitbeklagten neben der Betriebsgefahr ihres Motorrades kein relevanter Pflichtverstoß zu berücksichtigen.
Die Klägerin kann sich nicht auf die Grundsätze der sog. Lückenrechtsprechung berufen, die bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Pflichtverstoß der Zweitbeklagten gegen § 1 StVO hätte begründen können. Eine besondere Sorgfaltspflicht des vorfahrtsberechtigten Vorbeifahrenden nach § 1 StVO besteht erst dann, wenn der stockende Verkehr eine so deutliche Lücke gelassen hat, dass mit Querverkehr oder Abbiegern gerechnet werden und der Vorfahrtsberechtigte sich hierauf einstellen muss. Die Lücke muss daher für den auf der freien Spur Fahrenden deutlich erkennbar sein, muss also mehr als nur eine Fahrzeuglänge betragen und über einen gewissen Zeitraum als solche bereits bestanden haben (LG Berlin Schaden-Praxis 2014, 190). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier ersichtlich.
Es ist auch nicht erwiesen, dass die Zweitbeklagte zu schnell gefahren ist und/oder falsch, nämlich auf der Linksabbiegerspur, überholt hat. Zwar hat der Ehemann der Klägerin im Rahmen seiner Vernehmung als Zeuge vor dem Amtsgericht bekundet, dass die Zweitbeklagte zu schnell gefahren sei, was er als erfahrener Autofahrer beurteilen könne. Dem ist das Amtsgericht jedoch völlig zu Recht und mit überzeugender Begründung, der sich die Kammer vollinhaltlich anschließt, nicht gefolgt. Der Sachverständige hat hingegen die Bremsausgangsgeschwindigkeit der Zweitbeklagten im Bereich von 25 km/ bis maximal 35 km/h ermittelt, so dass eine Geschwindigkeit von nur 25 km/h erwiesen ist. Ein Geschwindigkeitsverstoß ist demnach nicht bewiesen. Auch die Behauptung der Klägerin, die Zweitbeklagte habe überhaupt nicht nach links abbiegen wollen, vielmehr habe sie die auf der Geradeausspur stehenden Fahrzeuge verbotswidrig auf der Linksabbiegerspur überholt, ist gleichfalls nicht erwiesen. Denn nach dem Befund des Sachverständigen wäre es der Zweitbeklagten bei der von ihr gefahrenen Geschwindigkeit von 25 km/h bis 35 km/h ohne weiteres möglich gewesen, nach links abzubiegen.
Eine weitere Aufklärung des Unfallhergangs ist nicht möglich. Zwar hat der Ehemann der Klägerin den Unfallhergang offenbar mit einer im Fahrzeug installierten Dashcam des Modells F 900 LHD, einer 2,5“ FullHD Videokamera mit Nachtsichtmodus und HDMI- Anschluss, aufgenommen und die Klägerin hat sich zum Beweis für den von ihr behaupteten Unfallhergang auf die Inaugenscheinnahme dieser Videoaufzeichnung berufen. Auch hat der Sachverständige nicht ausgeschlossen, dass unter Berücksichtigung dieser Videoaufzeichnung weitere Erkenntnisse für die technische Rekonstruktion des Unfalls gewonnen werden könnten. Jedoch hat das Amtsgericht zu Recht eine Verwertung dieses Beweismittels nicht zugelassen. Denn Videoaufzeichnungen, die ohne Kenntnis des Betroffenen angefertigt wurden, sind lediglich nach den Grundsätzen über die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel ausnahmsweise zulässig. Über die Verwertbarkeit ist nach ständiger Rechtsprechung und mangels einer ausdrücklichen Regelung in der ZPO aufgrund einer umfassenden Interessen- und Güterabwägung zu entscheiden (BVerfG NJW 2002, 3619 [3624]; BGH NJW 2003, 1123 [1124 f.]). Indizwirkung haben dabei auch Verstöße gegen einfachgesetzliche Normen, die hier nach Auffassung der Kammer in mehrfacher Hinsicht gegeben sind und einer Verwertung als Beweismittel entscheidend entgegenstehen:
(a) Die Aufzeichnung der Zweitbeklagten mittels Dashcam verletzt diese in ihrem Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst das Recht am eigenen Bild und ist Ausprägung eines sich an moderne Entwicklungen anpassenden Persönlichkeitsschutzes über personenbezogene Informationen. Dem Grundrechtsträger steht hiernach die Befugnis zu, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (BVerfGE 65, 1 [43]; 78, 77 [84]; BVerfG, NJW 2001, 879 [880]). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann jedoch insbesondere durch konkurrierende Grundrechte Dritter eingeschränkt werden (Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2, Rn. 181). Im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist auf Seiten der Klägerin dabei zu beachten, dass das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG der Rechtspflege eine hohe Bedeutung zumisst. Im Hinblick auf § 286 ZPO, dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG und dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG sind die Gerichte gehalten, angebotene Beweise zu berücksichtigen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt die Verpflichtung zu einer fairen Handhabung des Beweisrechts (BVerfG NJW 2007, 753 [758]; NJW 2011, 2783 [2785]).
Allerdings kommt dem Interesse an der Zivilrechtspflege nicht generell ein überwiegendes Gewicht zu. Es müssen vielmehr weitere Gesichtspunkte hinzutreten, die das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Rechtsverletzung als schutzbedürftig erscheinen lassen (vgl. Anm. Bull zu: BVerfG NJW 2009, 3279; NJW 2007, 753 [758]; BGH NJW 2005, 497 [498 f.]). Das kann etwa der Fall sein, wenn sich der Beweisführer in einer Notwehrsituation i.S.v. § 227 BGB oder einer notwehrähnlichen Lage befindet (BGHZ 27, 284 [289 f.]; BGH NJW 2003, 1727 [1728]). Der BGH sieht hingegen durch eine permanente, verdachtslose Überwachung des Zugangs zu einem Wohnhaus das Persönlichkeitsrecht selbst dann als verletzt an, wenn die Aufzeichnungen nicht verbreitet werden sollen. Ein derartiger Eingriff könne höchstens dann zulässig sein, wenn schwerwiegenden Beeinträchtigungen, wie etwa Angriffe auf die Person, nicht in anderer Weise zumutbar begegnet werden könne (BGH NJW 1995, 1955 [1957]). Entsprechend urteilt das BAG zur verdeckten Videoüberwachung am Arbeitsplatz, die nur im Fall des konkreten Verdachts einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers in Betracht kommt. Zudem muss die Überwachung das einzig verbleibende Mittel darstellen (BAG, Urteil v. 21.06.2012, Az.: 2 AZR 153/11, juris-Rn. 30). Vor diesem Hintergrund müssen die von der Dashcam aufgezeichneten Daten auch erforderlich sein (Balzer/Nugel, NJW 2014, 1622 [1623]).
(b) Im vorliegenden Fall können die einzelfallbezogenen Umstände kein überwiegendes Interesse der Klägerin an der Beweissicherung begründen. So sind Abbildungen von Passanten und Verkehrsteilnehmern auf öffentlichen Straßen und Wegen, die nur als Beiwerk des Stadt- oder Straßenbildes mit erfasst werden, von diesen zwar zunächst auch ohne weiteres hinzunehmen (BGH NJW 1995, 1955). Geht es jedoch um die gezielte und verdeckte Fertigung von Bildaufnahmen, muss dann etwas anderes gelten, wenn die Betroffenen nicht absehen können, ob Aufzeichnungen gefertigt werden. Dies ist vorliegend der Fall. Der Ehemann der Klägerin macht mit der im Pkw installierten Dashcam umfassende, als heimlich bezeichenbare Aufzeichnungen des gesamten Verkehrsgeschehens. Eine solche großflächige Beobachtung von öffentlichen Straßen stellt schon deshalb einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dar, weil durch die hier vorgenommene, permanente Aufzeichnung mit der Videokamera eine Vielzahl von Personen in kurzer Zeit in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen wird (VG Ansbach, DAR 2014, 663; a.A. offenbar AG München, NJW-RR 2014, 413, dem die Kammer jedoch nicht zu folgen vermag). Die Videoaufzeichnung des Ehemanns der Klägerin war zudem zeitlich nicht von vornherein auf das konkrete Unfallgeschehen eingegrenzt. Vielmehr wurde ein zeitlich separierter Teil der Aufnahmen nachträglich zur Beweissicherung bestimmt. Technische Vorrichtungen der Kamera zur spezifizierten Beweissicherung, bei der im Rahmen einer Ringspeicherung innerhalb zu bestimmender Zeitabstände die alten gespeicherten Aufnahmen gelöscht werden, sind zudem nicht vorhanden (Bl. 98 d.A.). Auf den jeweiligen Videofilmen wird darüber hinaus festgehalten, wann ein Betroffener die jeweilige Straße mit welchem Verkehrsmittel und ggfs. auch in welcher Begleitung passiert. Grundsätzlich kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Betroffene sich nur kurzzeitig, wie bei einer auf einen bestimmten, festen Ort gerichteten Kamera, im Aufzeichnungsbereich aufhält, da es der Ehemann der Klägerin selbst in der Hand hat, wie lange er einen Betroffenen aufzeichnet und was er anschließend mit der gespeicherten Aufnahme macht. Sieht der BGH schon eine stationäre, permanente und verdachtslose Überwachung ohne Veröffentlichungswillen als unzulässig an, so kann hier erst recht nichts anderes gelten, da die potentiellen Gefahren für das Persönlichkeitsrecht erhöht sind und überdies eine Veröffentlichungsabsicht vorhanden ist. Zudem liegen die von BGH und BAG angedachten Rechtfertigungskonstellationen nicht vor. Letztlich kann auch dann im vorliegenden Fall nichts anderes gelten, wenn die Videoaufzeichnungen wieder gelöscht würden, wenn sich keine besonderen Vorkommnisse ereigneten. Denn es kann nicht allein der Klägerin bzw. ihrem Ehemann überlassen bleiben, wie mit derart hergestellten Videoaufnahmen zu verfahren ist (AG München, Beschluss vom 13.08.2014 – 345 C 5551/14 –, ZD-Aktuell 2014, 04297; VG Ansbach, a.a.O.). Darin läge eine gravierende Missachtung der Befugnis der Betroffenen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung ihrer persönlichen Daten zu bestimmen. Wollte man dies anders sehen und der bloßen Möglichkeit, dass eine Beweisführung erforderlich werden könnte, den Vorrang vor dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung einräumen, würde dies bedeuten, dass innerhalb kürzester Zeit jeder Bürger Kameras ohne jeden Anlass nicht nur in seinem Pkw, sondern auch an seiner Kleidung befestigen würde, um damit zur Dokumentation und als Beweismittel zur Durchsetzung von möglichen Schadensersatzansprüchen jedermann permanent zu filmen und zu überwachen. Damit aber würde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung praktisch aufgegeben (AG München, Beschluss vom 13.08.2014 – 345 C 5551/14, ZD-Aktuell 2014, 04297).
(c) Die permanente, anlasslose Überwachung des Straßenverkehrs durch eine im Pkw installierte Dashcam verstößt zudem gegen § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG und § 22 S. 1 KunstUrhG.
Nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ist die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mittels Videoüberwachung nur zulässig, soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar ist das Anliegen der Klägerin, eine Beweissicherung vorzunehmen, legitim. Wie dargelegt überwiegen jedoch die schutzwürdigen Interessen der Zweitbeklagten, da die dauerhafte Offenbarung privater Daten im vorliegenden Fall nicht freiwillig geschieht.
Nach § 22 S. 1 KunstUrhG dürfen Bildnisse ferner nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden, soweit nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 KunstUrhG die Abgebildeten nicht nur als Beiwerk einer bestimmten Örtlichkeit erscheinen. Die Befugnis nach § 23 Abs. 1 KunstUrhG erstreckt sich gemäß Abs. 2 jedoch nicht auf eine Verbreitung und Zurschaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird. Wie dargelegt, verletzt die gezielte Aufnahme der Betroffenen diese in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
(3) Bei der danach gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- bzw. Mitverschuldensanteile der Unfallbeteiligten erscheint eine Haftungsverteilung von 100 zu 0 zu Lasten der Klägerin gerechtfertigt. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass derjenige, der einen schwerwiegenden Verkehrsverstoß begeht, allein für den Unfallschaden haftet, wenn nicht dem anderen Unfallbeteiligten neben dessen Betriebsgefahr weitere die Betriebsgefahr erhöhende Verursachungsbeiträge bzw. ein Verschulden nachgewiesen werden können (BGH NJW 1998, 1137 [1138]; BGH, NJW 1990, 1483 [1484]). Die Betriebsgefahr des anderen tritt in diese Fall zurück. Genau so liegt der Fall aber hier. Da der Ehemann der Klägerin einen gravierenden schuldhaften Vorfahrtsverstoß begangen hat und der Zweitbeklagten kein relevanter Pflichtverstoß anzulasten ist, hat die Betriebsgefahr des Motorrades zurückzutreten. Dies führt zur Alleinhaftung des Ehemannes der Klägerin.
Urteilsanmerkung zu LG Heilbronn, Urteil vom 3.2.2015 – I 3 S 19/14 –
Der verbreitete Irrglaube, Dashcams seien aus datenschutzrechtlicher Sicht unzulässig, soll offenbar durch die Rechtsprechung kontinuierlich fortgeschrieben werden. Das Heilbronner Urteil, seinerseits die Bestätigung seiner Vorinstanz, reiht sich ein in die Entscheidungen des VG Ansbach, Urteil vom 12.8.2014 – AN 4 K 13.01634 –[1] und des AG München, Beschluss vom 13.8.2014 – 345 C 5551/14 –[2] .
Im Heilbronner Fall fuhr der klägerische Pkw auf eine vorfahrtsberechtigte Landesstraße auf und kollidierte mit dem Motorrad der Beklagtenseite. Insoweit geht das Gericht infolge eines Anscheinsbeweises davon aus, dass den Fahrer gemäß der §§ 9, 17 StVG sowie § 254 BGB überwiegendes Mitverschulden trifft. Er muss einen Vorfahrtsverstoß nach § 8 Abs. 1 StVO begangen haben.
Eine anteilige Haftung der Beklagtenseite ist hingegen nur möglich, wenn dieser ebenfalls ein Sorgfaltsverstoß zur Last gelegt werden kann. Der hinzugezogene Sachverständige hatte dabei nicht ausgeschlossen, dass die klägerische Dashcam-Aufzeichnung durchaus Erkenntnisse für die Unfallrekonstruktion bereitstellen möge. Die weitere Aufklärung des Sachverhaltes sei jedoch nach Auffassung der Kammer nicht möglich, denn sie verneint eine Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen in mehrerlei Hinsicht.
Das LG geht zunächst irrig davon aus, dass Videos, die ohne Kenntnis des Betroffenen aufgezeichnet wurden, nur nach den Grundsätzen über die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel herangezogen werden dürften. Wie die weitere Urteilsbegründung offenbart, ist damit nicht etwa gemeint, dass die fehlende Transparenz nach § 6b Abs. 2 BDSG das Vorgehen illegal macht[3] . Vielmehr übersieht das Gericht schlichtweg die Möglichkeit eines verdeckten und dennoch legalen Videoeinsatzes[4].
Anhaltspunkt für die Verwertbarkeit solcher „rechtswidrigen“ Beweismittel sollen einfachgesetzliche Verstöße sein, wie etwa eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nach den Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG. Das Gericht bleibt eine Erklärung schuldig, wieso es sich bei einer Verletzung dieses Grundrechtes um einen einfachgesetzlichen Verstoß handeln soll, bzw. warum nicht die spezielleren datenschutzrechtlichen Vorschriften als gesetzliche Konkretisierung jenes Rechtsgutes zuerst geprüft werden.[5] Immerhin sind die Datenschutzgesetze erlassen worden, um einen angemessenen Interessenausgleich zu gewährleisten.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird sodann mit dem Recht auf Beweisführung nach den Artt. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 103 Abs. 1 GG[6] abgewogen, jedoch komme der Zivilrechtspflege nur ausnahmsweise überwiegendes Gewicht zu.
Erst dann prüft das LG einen etwaigen Verstoß gegen § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG, lässt den Videoeinsatz jedoch am schutzwürdigen entgegenstehenden Interesse[7] der Betroffenen scheitern.
Das LG zieht dabei eine Rechtsprechungsparallele zur anlasslosen permanenten Überwachung. Es verkennt dabei, dass es sich beim Dashcam-Einsatz gar nicht um eine Überwachung im Rechtssinne handelt[8]. Die im Begriff der Beobachtung enthaltene „Acht” (althochdeutsch: ahta) umschreibt im Wesentlichen das zielgerichtete Beschäftigen mit einem Gegenstand[9]. Die Beobachtung im Rechtssinne konzentriert sich also zwingend auf ein Objekt, einen bestimmten Teil des Raumes. Dashcams bewegen sich jedoch erratisch durch den Raum. Es ist vollkommen dem Zufall überlassen, wo sich die Kamera und der Gefilmte in jedem konsekutiven Augenblick befinden. Es mangelt schlichtweg an einer festen Einrichtung. Datenschutzrechtlich brisante Bewegungsprofile lassen sich auf diese Weise nicht erstellen.
Die Heilbronner Ausführungen zum Kunsturheberrechtsgesetz klammern die besondere Befugnis der Justiz, Bildnisse gemäß § 24 KUG auch ohne Einwilligung für Zwecke der Rechtspflege verbreiten zu dürfen, vollkommen aus. Sie gehen damit am Thema vorbei. Das LG bewegt sich zugleich nicht in dem Rahmen, der vom EGMR zu Art. 8 EMRK gezeichnet wurde[10]. Hier wurden gezielte Videoaufnahmen im öffentlichen Straßenraum im Prozess als verwertbar angesehen, da die Beibringung bei Gericht in ihrer Eingriffstiefe nicht identisch mit einer Veröffentlichung für die Allgemeinheit sei. Im Heilbronner Fall wird zudem übersehen, dass Aufnahmen von Fahrzeugen in aller Regel zwar personenbezogene Daten, jedoch keine Bildnisse im Sinne des KUG darstellen.
Die Kammer stellt sich im Ergebnis gegen einen breiten Konsens in der rechtswissenschaftlichen Literatur, nach dem die Verwendung von Fahrzeugkameras für zulässig gehalten wird[11]. Auch das AG München ging vormals von einer Verwertbarkeit der Aufnahmen aus, wenngleich die Verwertung zu Lasten der beweisführenden Partei vorgenommen wurde[12]. In einem Strafprozess wiederum entschied jüngst das AG Nienburg für Dashcams.[13]
Es ist schlichtweg nicht erklärbar, warum 3,9 Milliarden Euro betriebswirtschaftlichen Schadens durch Diebstähle im Einzelhandel pro Jahr[14] den massiven Ausbau von Videoüberwachung rechtfertigen sollen, 32 Milliarden Euro volkswirtschaftlichen Schadens durch Verkehrsunfälle[15] indes nicht genügen sollen, um den Einsatz von Dashcams zu befürworten.
Beim Heilbronner Urteil ist die rechtspolitische Brisanz dankenswerterweise mit Händen zu greifen. Verschließt ein Gericht ohne Not die Augen vor einem entscheidenden Beweismittel, ist jedes Vertrauen in eine funktionierende Justiz zerstört. (Dipl.-Jur. Michael Atzert/Dr. iur. Lorenz Franck)
[1] Besprechung Schröder, ZD 2014, 590, 594 f.; Besprechung Haustein, K&R 2014, 758, 763 ff.
[2] Besprechung Werkmeister, ZD 2014, 530, 532 f.
[3] Ein Verstoß gegen § 6b Abs. 2 BDSG macht den Kameraeinsatz noch nicht rechtswidrig, vgl. Atzert/Franck, RDV 2014, 136, 138; Gola/ Klug, RDV 2004, 65, 73; Kranig, DSB 2013, 244; Klann, DAR 2013, 188, 190.
[4] Grundlegend dazu BAG Urt. v. 27.3.2003 – 2 AZR 51/02 – dort B I 3 b cc der Gründe; BAG, Urt. v. 21.6.2012 – 2 AZR 153/11 – (= BAGE 105, 356), Rn. 30 (beide jeweils vor Inkrafttreten des § 32 BDSG). Zur Legalität der heimlichen Videoüberwachung am Arbeitsplatz – also innerhalb eines bestehenden Vertrauensverhältnisses zw. Arbeitgeber und Arbeitnehmer – siehe umfassend Forst, RDV 2009, 204, 209 ff.
[5] Ein etwaiger Rechtsverstoß wird auch nicht umso gravierender, je mehr Normen verletzt werden, wie Vahle, Datenschutz-Berater 2015, 90, 91 meint. Alle herangezogenen Vorschriften im Heilbronner Fall schützen ein und dasselbe Rechtsgut.
[6] Hierzu Atzert/Franck, RDV 2014, 136, 138; Klann, DAR 2014, 451, 454.
[7] Zum Interesse der Verkehrsteilnehmer gerade an einem Dashcam-Einsatz siehe Atzert/Franck, RDV 2014, 136, 138.
[8] Gegen die Anwendbarkeit von § 6b BDSG und eine Lösung nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BDSG Atzert/Franck, RDV 2014, 136, 137.
[9] Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 1, 1854, Sp. 165, Stichwort „Acht“ (2).
[10] EGMR Urt. v. 27.5.2014, Az.: 10764/09 („De la Flor Cabrera vs. Spanien“ = NJW 2015, 1080 f.)
[11] Klann, DAR 2013, 188; 191; Klann, DAR 2014, 451, 454; Balzer/ Nugel, NJW 2014, 1622, 1628; Knyrim/Trieb, ZD 2014, 547, 552; Atzert/Franck, RDV 2014, 136, 140.
[12] Urteil des AG München vom 6.6.2013, Az.: 343 C 4445/13. Das Gericht hatte nach Abwägung der widerstreitenden Parteiinteressen zu Recht die Aufzeichnung einer Helmkamera zugelassen, aber gegen den hiermit Beweis antretenden Kläger entschieden; Besprechung Schröder, ZD 2014, 39, 40f.
[13] AG Nienburg, Urt. v. 20.01.2015 – 4 Ds 155/14.
[14] Siehe http://www.heise.de/newsticker/meldung/Milliardenschaedendurch-Ladendiebe-Handel-baut-Videoueberwachung-aus-2238443.html.
[15] Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen für 2012 (Stand: April 2014), abrufbar unter http://www.bast.de/DE/Statistik/UnfaelleDownloads/volkswirtschaftliche_kosten.pdf.