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Urteil : Lügendetektor als Beweismittel : aus der RDV 3/2015, Seite 150 bis 151

(Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 31. Juli 2014 – 2 B 20.14 –)

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  1. Auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren ist ein am beklagten Beamten durchgeführter Polygraphietest ein ungeeignetes Beweismittel (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 30. November 2010 – 1 StR 509/10 – NStZ 2011, 474).
  2. Die Würdigung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen sowie der Glaubhaftigkeit seiner Aussage ist grundsätzlich Sache des Gerichts.
  3. Die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens ist jedoch dann geboten, wenn die Aussagetüchtigkeit eines Zeugen durch Umstände, wie etwa bestimmte Erkrankungen, beeinträchtigt sein kann, deren Bedeutung der Richter regelmäßig nicht eindeutig beurteilen kann.

Aus den Gründen:

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und § 67 Satz 1 LDG NRW) sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine – vom Beschwerdeführer zu bezeichnende – grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, u.a. Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90<91 f > ). In Bezug auf die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage

„ob Sachverständigengutachten bzgl. polygraphischer Untersuchungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein völlig ungeeignetes Beweismittel darstellen“,

ist dies nicht der Fall. Die Frage ist bereits durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, rechtsgrundsätzlich geklärt.

Auch im Verwaltungsprozess ist ein Beweismittel ungeeignet, wenn es keinerlei Beweiswert hat und deshalb untauglich ist. Ein entsprechender Beweisantrag kann unter Hinweis auf die entsprechend heranzuziehende Bestimmung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt werden (Beschlüsse vom 9. Mai 1983 – BVerwG 9 B 10466.81 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 5 und vom 31. Juli 1989 – BVerwG 7 B 104.89 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 265). Es bedarf nicht der Durchführung des angestrebten Revisionsverfahrens, um rechtsgrundsätzlich zu klären, dass das beim Kläger durchgeführte polygraphische Testverfahren nichts zur Klärung der Frage beitragen kann, ob der Beklagte im Zeitraum zwischen 1986 und 1989 seine 1980 geborene Tochter zweimal sexuell missbraucht hat.

Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deshalb nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat die Psychologin, die mit Hilfe eines Polygraphie-Geräts die Reaktion des Beklagten auf verdachtsbezogene Fragen getestet hat, einen sog. Kontrollfragentest durchgeführt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. Dezember 1998 – 1 StR 156/98 – BGHSt 44, 308 = juris Rn. 20). Nach der ständigen Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs kommt diesem Kontrollfragentest kein auch nur geringfügiger indizieller Beweiswert zu (BGH, Urteil vom 17. Dezember 1998 a.a.O. Rn. 45 ff. und Beschluss vom 10. Februar 1999 – 3 StR 460/98 – NStZ-RR 2000, 35). Das Kontrollfragenverfahren ist ungeeignet, weil es sich nicht um eine Methode handelt, die in den maßgebenden Fachkreisen allgemein zweifelsfrei als richtig und zuverlässig eingestuft wird. Hierfür sind folgende Gründe maßgeblich:

Zwischen bestimmten kognitiven oder emotionalen Zuständen eines Menschen und spezifischen Reaktionen des vegetativen Nervensystems, die vom Polygraphen während der Befragung kontinuierlich gemessen werden, sind keine eindeutigen Zusammenhänge zu erkennen. Dies gilt insbesondere für Reaktionen bei der unwahren Beantwortung von Fragen (BGH, Urteil vom 17. Dezember 1998 a.a.O. Rn. 28 und 45 ff.). Damit ist es nicht möglich, aus der Sichtung erzielter Messergebnisse darauf zu schließen, der Proband habe im Rahmen der Untersuchung eine auf die Tat bezogene Frage bewusst falsch beantwortet. Eine derartige Einschätzung kann nur an unterschiedlich starke Reaktionen bei der Beantwortung der tatbezogenen Fragen und der Kontroll- oder Vergleichsfragen anknüpfen. Dieser methodisch zweifelhafte Ansatz gibt dem Gericht keine Möglichkeit zu überprüfen, ob das Testverfahren im konkreten Fall zu zutreffenden Ergebnissen geführt hat. Diese Einschätzung hat der Bundesgerichtshof jüngst bestätigt, wobei er sich mit den Einwendungen gegen seine Rechtsprechung auseinander gesetzt hat (Beschluss vom 30. November 2010 – 1 StR 509/10 – NStZ 2011, 474). Für das Zivilverfahren hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung der Strafsenate übernommen (Beschluss vom 24. Juni 2003 – VI ZR 327/02 – NJW 2003, 2527).

Diese Beurteilung des Kontrollfrageverfahrens als ungeeignetes Beweismittel gilt generell. Aus der Beschwerdebegründung ergeben sich keine Anhaltspunkte, die diese Bewertung substantiiert in Frage stellen und eine rechtsgrundsätzliche Klärung auch für den Verwaltungsprozess erforderlich erscheinen lassen.

Für die Bewertung des Kontrollfragentests als ungeeignet ist der Befund tragend, dass zwischen bestimmten kognitiven oder emotionalen Zuständen eines Menschen und spezifischen Reaktionen des vegetativen Nervensystems, die vom Polygraphen während der Befragung kontinuierlich gemessen werden, keine eindeutigen Zusammenhänge zu erkennen sind und dies insbesondere für Reaktionen bei der unwahren Beantwortung von Fragen gilt (BGH, Urteil vom 17. Dezember 1998 a.a.O. Rn. 28 und 45 ff.). Diese tragenden Erwägungen stellt die Beschwerdebegründung durch den bloßen Hinweis auf die hohe durchschnittliche Trefferquote bei experimentellen Untersuchungen an realen Beschuldigten nicht in Frage. Die in der Begründung aufgeführten Gerichtsentscheidungen stammen zum Teil noch aus der Zeit vor dem grundlegenden Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. Dezember 1998 (1 StR 156/98) und berücksichtigen deshalb nicht die Erkenntnisse, die der Bundesgerichtshof aus den von ihm eingeholten Sachverständigengutachten gewonnen hat. Auch die späteren, in der Begründung angeführten Gerichtsentscheidungen in Sorgerechtsstreitigkeiten (OLG Dresden, Beschluss vom 14. Mai 2013 – 21 UF 787/12, 21 UF 0787/12 – juris Rn. 19; AG Bautzen, Beschluss vom 28. Januar 2013 – 12 F 1032/12 – juris Rn. 64 ff.) verweisen in erster Linie auf die weltweite Verbreitung und Anerkennung von polygraphischen Befragungsverfahren, nehmen aber nicht ausreichend zur Frage eines festen Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Aussageverhalten und spezifischen Reaktionsmustern des vegetativen Nervensystems Stellung.

Da das Beweismittel des Kontrollfragenverfahrens mittels eines Polygraphen kein geeignetes Beweismittel ist, verletzt die Ablehnung des Beweisantrags des Beklagten auf Anhörung der Frau K. als Sachverständige zu dem Test vom 8. November 2013 ihn auch nicht in seinem Recht auf rechtliches Gehör.