Kurzbeitrag : Zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage im kirchengerichtlichen Datenschutzverfahren : aus der RDV 3/2021, Seite 148 bis 150
I. Einleitung
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 VwGG.EKD i.V.m. § 47 Abs. 1 DSG.EKD ist für den Bereich der evangelischen Kirche in Datenschutzangelegenheiten der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Sofern ein Bescheid vorliegt, kann dieser nach § 17 Abs. 1 VwGG. EKD, § 47 Abs. 1 Nr. 1 DSG.EKD mit der Anfechtungsklage kirchengerichtlich angefochten werden. Im katholischen Bereich fehlt es an einer solchen ausdrücklichen Regelung. § 14 Abs. 2 KDSGO[1] beschreibt die Entscheidungsmöglichkeiten des Interdiözesanen Datenschutzgerichts (IDSG): Es kann einen Antrag als unzulässig verwerfen (lit. a), einen Antrag als unbegründet zurückweisen (lit. b) oder eine Datenschutzverletzung feststellen (lit. c). Trotz dieser abschließenden Regelung geht das IDSG[2] – von einem Beschluss abgesehen – in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass neben der Feststellungsklage auch die Anfechtungsklage statthaft sei.
II. Begründung der Rechtsprechung
Das IDSG hat in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits mehrfach die Anfechtungsklage für statthaft erachtet, obwohl diese in § 14 Abs. 2 KDSGO nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Eine Bestätigung dieser Rechtsansicht durch das Datenschutzgericht der Deutschen Bischofskonferenz als Rechtsmittelgericht steht indes noch aus.
1. Herrschende Rechtsprechung des IDSG
Das IDSG führt zur Begründung seiner Rechtsansicht aus: Der Wortlaut des § 14 Abs. 2 KDSGO sehe lediglich die Feststellungsklage vor. Liege jedoch ein Bescheid vor, so dürfe der Wortlaut des § 14 Abs. 2 KDSGO nicht abschließend betrachtet werden. Vielmehr müsse der Bescheid im Erfolgsfall des Feststellungsbegehrens in den Tenor der kirchengerichtlichen Entscheidung im Interesse der Rechtsklarheit als Annex zur Feststellung der Rechtswidrigkeit aufgenommen werden.[3]
2. Beschluss des IDSG vom 05. Mai 2020
Dagegen hat das IDSG in seinem Beschluss vom 05. Mai 2020 die Ansicht vertreten, dass eine Anfechtungsklage unstatthaft sei. Sei die Klage zulässig und begründet, sehe § 14 Abs. 2 lit. c) KDSGO lediglich die Feststellung der Datenschutzverletzung vor. Die Aufhebung des kirchlichen Bescheids müsse auch nicht im Sinne der Rechtsklarheit erfolgen. Der kirchliche Gesetzgeber habe das IDSG hierzu nicht ermächtigt. Sie sei auch nicht erforderlich, da der Bescheid durch die kirchengerichtliche Feststellung der Rechtsverletzung obsolet werde und keine Rechtswirkungen mehr entfalte. Insbesondere komme der negativen Verletzungsfeststellung der Datenschutzaufsicht keine Bindungswirkung – auch nicht in Bezug auf eine mögliche Entschädigung nach § 50 KDG – zu.[4]
III. Stellungnahme
Der Wortlaut des § 14 Abs. 2 lit. c) KDSGO schließt eine Anfechtungsklage seinem Wortlaut nach aus und beschränkt das kirchengerichtliche Verfahren auf eine Feststellung der Rechtsverletzung. Daher stellt sich die Frage, ob rechtliche Gründe für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage sprechen.
1. Kirchenrecht
Nach can. 221 § 1 CIC steht es allen Christgläubigen (christifideles, can. 204 § 1 CIC)[5] zu, die Rechte, die sie in der Kirche haben, rechtmäßig geltend zu machen und sie vor der zuständigen kirchlichen Instanz zu verteidigen. Der Schutzanspruch beschränkt sich nicht auf diejenigen Rechte des CIC, sondern umfasst alle subjektiven Rechte, die durch (partikulares) Kirchenrecht eingeräumt werden.[6] Daher fallen auch die Datenschutzrechte in den sachlichen Schutzbereich der Bestimmung. Verwaltungsrechtliche Streitigkeiten können nach can. 1400 § 2 CIC nur vor die Oberen (hierarchisch übergeordnete Verwaltungsinstanzen) oder das Verwaltungsgericht (tribunal administrativum) gebracht werden. Auch wenn auf gesamtkirchlicher Ebene bisher keine Verwaltungsgerichtsbarkeit errichtet wurde,[7] ermöglicht die Norm doch, auf diözesaner Ebene entsprechende Gerichte zu errichten.[8]
Betrachtet man das IDSG als Verwaltungsgericht i.S.v. can. 1400 § 2 CIC, so kann der Rechtsschutz nach can. 221 § 1 CIC nur im Rahmen der Gesetze und nach Maßgabe des Prozessrechts erfolgen.[9] Aufgrund der Einheit von Legislative, Exekutive und Judikative in der Person des Bischofs (can. 391 § 1 CIC)[10] besteht kirchlicher Rechtsschutz nur in dem Rahmen, in dem das Kirchenrecht es zulässt. Das Kirchengericht kann daher – trotz einer möglicherweise bestehenden Rechtsverletzung – keine Akte der Kirchenverwaltung aufheben, zu deren Aufhebung es zuvor nicht ausdrücklich ermächtigt wurde.[11] Eine Ausdehnung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis aufgrund von Rechtsschutz- oder Praktikabilitätsüberlegungen ist daher nicht möglich.
Es besteht somit keine kirchenrechtliche Notwendigkeit, den § 14 Abs. 2 lit. c) KDSGO über seinen Wortlaut hinaus dahingehend auszulegen, dass neben der Feststellungsklage auch eine Anfechtungsklage statthaft sein soll. Im Gegenteil spricht das allgemeine Kirchenrecht sogar eher gegen eine solch extensive Auslegung der Norm.
2. Unionsrecht
Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV ordnen und verwalten die Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten im Rahmen der allgemeinen Gesetze selbst. Zu den eigenen Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft zählt auch der Schutz der personenbezogenen Daten ihrer Mitglieder.[12] Das weltliche Datenschutzrecht – namentlich auch die DS-GVO – stellt ein für alle geltendes Gesetz dar und beschränkt daher das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften in verfassungskonformer Weise.[13]
Die Ermächtigung der Religionsgemeinschaften zum Erlass eigener Datenschutzvorschriften setzt nach Art. 91 Abs. 1 DS-GVO voraus, dass sie im Einklang mit dem Unionsrecht stehen. Kirchliche Datenschutzgesetze dürfen nicht nur in Bezug auf das materielle Datenschutzrecht nicht hinter dem Unionsrecht zurückbleiben, sondern auch bezüglich dem geforderten Rechtsschutz nach Art. 78 f. DS-GVO.[14]
Nach Art. 78 Abs. 1 DS-GVO[15] muss jedem Betroffenen das Recht zustehen, um gerichtlichen Rechtsschutz gegen einen rechtsverbindlichen Beschluss der Datenschutzaufsicht nachzusuchen. Welche Entscheidungsmöglichkeiten dem Gericht zustehen müssen, um einen wirksamen Rechtsschutz in diesem Sinne zu ermöglichen, ergibt sich weder aus der Norm noch aus dem dazugehörenden Erwägungsgründen 141 ff. Allerdings ergibt sich aus Erwägungsgrund 141, dass der Rechtsschutz in Übereinstimmung mit Art. 47 Abs. 1 GRCh zu erfolgen hat. Gernot Sydow schließt daraus, dass Art. 78 Abs. 1 DS-GVO primär die Anfechtung der Aufsichtsmaßnahmen ins Auge fasse. Nach dem nationalen Verwaltungsprozessrecht betreffe die Norm daher die Anfechtungsklage.[16]
Dies vermag jedoch nicht zu überzeugen, da ErwG 141 auf Art. 47 Abs. 1 GRCh verweist. Dieses Unionsgrundrecht gibt keine bestimmten Klagearten vor, die das nationale Prozessrecht vorsehen muss. Vielmehr ist es den jeweiligen Gesetzgebern überlassen, wirksame Rechtsbehelfe einzuführen.[17] Für das staatliche Recht mag die Anfechtungsklage aufgrund der Regelung des § 42 Abs. 1 VwGO einen adäquaten Rechtsbehelf nach Art. 78 Abs. 1 DS-GVO darstellen. Ausreichend für effektiven Rechtsschutz kann aber auch ein bloßes Feststellungsurteil sein.[18]
Im staatlichen Recht ist die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage durchaus sinnvoll. Denn die Vollstreckbarkeit rechtswidriger Verwaltungsakte ist solange nicht ausgeschlossen, solange ihre Wirksamkeit nicht nach § 43 Abs. 2 VwVfG beendet wurde.[19] Eine mögliche Wirksamkeitsbeendigung ist die gerichtliche Aufhebung des Verwaltungsaktes gem. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.[20] Solange dies nicht geschehen ist und der Klage keine aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO zukommt, können auch rechtswidrige Verwaltungsakte vollstreckt werden. Im kirchlichen Bereich verhält es sich jedoch anders. Im Gegensatz zur staatlichen Exekutive können Religionsgemeinschaften selbst keine vollstreckbaren Titel erzeugen. Kirchenrechtliche Ansprüche können zwar mithilfe der staatlichen Gerichte durchgesetzt werden. Dies setzt allerdings voraus, dass das Gericht selbstständig nachprüft, ob der Anspruch mit der staatlichen Rechtsordnung vereinbar ist.[21] Sollen aus einem kirchlichen Bescheid Rechtsfolgen für den staatlichen Bereich gezogen werden, so muss das staatliche Gericht aufgrund der Regelung des Art. 91 Abs. 1 DS-GVO nachprüfen, ob er mit der Datenschutzgrundverordnung vereinbar ist. Anders als im staatlichen Recht besteht somit nicht die Gefahr, dass ein rechtswidriger Bescheid Grundlage einer Vollstreckung wird. Einer Aufhebung des Bescheids durch ein Kirchengericht bedarf es somit nicht zwingend. Damit ist die Feststellung der Datenschutzverletzung für den innerkirchlichen Bereich ausreichend, um wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten. Sofern das IDSG die Aufnahme des Bescheids in den Tenor seines Beschlusses aufgrund der Rechtsklarheit für erforderlich hält, kann in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 14 Abs. 2 lit. c) KDSGO auch lediglich festgestellt werden, dass von dem angegriffenen Bescheid eine Datenschutzverletzung ausgeht.
IV. Fazit
Nach § 14 Abs. 2 lit. c) KDSGO kann das Interdiözesane Datenschutzgericht bei einem zulässigen und begründeten Antrag die Rechtsverletzung feststellen. Die Aufhebung eines rechtswidrigen Bescheids mittels Anfechtungsklage ist hingegen nicht vorgesehen Eine extensive Auslegung der Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus ist nicht nur unionsrechtlich nicht geboten, sondern auch kirchenrechtlich problematisch. Zur Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes ist die Feststellung der Datenschutzverletzung durch das Interdiözesane Datenschutzgericht ausreichend.
* Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht (Prof. Dr. Hellermann) an der Universität Bielefeld
[1] Kirchliche Datenschutzgerichtsordnung.
[2] Zu beachten ist, dass „das IDSG“ aus zwei Spruchkörpern mit unterschiedlicher Besetzung besteht.
[3] IDSG, Beschl. v. 15.05.2019 – IDSG 01/2018, Rn. 23; Beschl. v. 23.10.2019 – IDSG 03/2018; Beschl. v. 22.04.2020 – IDSG 03/2019, Rn. 16; Beschl. v. 09.12.2020 – IDSG 05/2019, Rn. 21; Beschl. v. 14.12.2020 – IDSG 01/2020, Rn. 29.
[4] IDSG, Beschl. v. 05.05.2020 – IDSG 02/2018, Rn. 17.
[5] Zum Begriff: Selge, in: Reinhardt, Festgabe für Heinemann, 1995, S. 259 (265 ff.).
[6] Reinhardt, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Stand: 6. Erg.-Lfg. 1987, can. 211 Rn. 2.
[7] Zum katholischen Verwaltungsrechtsschutz: Ambros, Verwaltungsbeschwerde und Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2016.
[8] Lüdicke, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Stand: 7. Erg.-Lfg. 1988, can. 1400 Rn. 5.
[9] Lüdicke (Fn. 8), can. 1491 Rn. 2.
[10] Die Bestellung des Diözesandatenschutzbeauftragten (§ 42 Abs. 1 S. 1 KDG) stellt eine zulässige Delegation (can. 137 § 1 CIC; vgl. Bier, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Stand: 30. Erg.- Lfg. 1998, can. 391 Rn. 15) der bischöflichen Gewalt dar.
[11] Vgl. Kirchliches Arbeitsgericht der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Urt. v. 21.01.2019 – AS 11/18, Rn. 13.
[12] Ziekow, ZevKR 63 (2018), 390 (403). Verlässt die Religionsgemeinschaft den Rechtsbereich der eigenen Angelegenheiten und nimmt sie am allgemeinen Rechtsverkehr teil, so ist der Schutzbereich des Art. 137 Abs. 3 WRV bereits nicht eröffnet und das weltliche Datenschutzrecht gilt uneingeschränkt, Ziekow, ebd., S. 406.
[13] Martini/Botta, DÖV 2020, 1045 (1046 f.).
[14] Martini/Botta, DÖV 2020, 1045 (1049); Seifert, in: Simitis/Hornung/ Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, 2019, Art. 91 Rn. 16; differenzierend: Ziekow, ZevKR 63 (2018), 390 (431).
[15] Art. 79 Abs. 1 DS-GVO ist vorliegend ohne Belang, da nur die Aufsichtsbehörde nach § 47 Abs. 1 KDG einen datenschutzrechtlich relevanten Bescheid erlassen kann.
[16] Sydow, in: ders., Europäisches Datenschutzrecht, 2. Aufl. 2018, Art. 78 Rn. 20.
[17] Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl. 2021, Art. 47 Rn. 29.
[18] Bötticher, ZZP 75 (1962), 28 (43).
[19] BVerwG, Buchholz 345 § 10 Nr. 4, S. 5; Buchholz 345 § 6 Nr. 1, Rn. 12
[20] Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 21. Aufl. 2020, § 43 Rn. 40b; Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2019, § 43 Rn. 60 ff.
[21] BVerwGE 153, 282 (287 f., 290); BVerwG, KirchE 66, 264 (270, 272); BVerwG, Buchholz 11 Art. 140 Nr. 90, Rn. 19, 26.