Kurzbeitrag : Meldungen von Fehlverhalten – Die DS‑GVO setzt einen fairen Rechtsrahmen, der auch die Meldenden und Meldestellen in die Verantwortung nimmt : aus der RDV 3/2023 Seite 176 bis 178
Bürger dürfen gegen Unrecht und Missstände vorgehen. Wer seine Mitbürger meldet, muss aber auch deren Rechte wahren. Das Datenschutzrecht bietet einen fairen Rahmen für die Abwägung gegenläufiger berechtigter Interessen.
Der Fall Luise ist eine außergewöhnliche Tragödie. Sie offenbart, dass Hass und Gewalt an Schulen ein zunehmendes Problem sind. Sicherheit an Schulen geht alle an. Dürfen Mitschüler deshalb einen Gewaltvorfall, wie eine Prügelei filmen und das Video danach an die Schulleitung weitergeben? Man darf andere Menschen im Straßenverkehr nicht rechtswidrig behindern. Darf man Falschparker fotografieren und die Fotos an die Polizei übermitteln? In der Demokratie darf man seine Meinung frei äußern, solange man dadurch nicht die Rechte anderer verletzt. Personen, die sich „antifeministisch“ äußern, kann jeder bei der Meldestelle Antifeminismus melden.[1] Dort werden Daten gesammelt, ausgewertet und dokumentiert. Welche Pflichten zum Schutz des Gemeldeten bringt ein solches Melderecht mit sich?[2]
Die Meldung einer potenziellen Straftat, einer potenziellen Ordnungswidrigkeit und einer Meinung haben eines gemeinsam. Es geht um Erhebung und Weitergabe personenbezogener Daten durch nicht öffentliche Stellen an öffentliche Stellen jenseits familiärer und persönlicher Zwecke. Kurz: Bürger – datenschutzrechtlich Verantwortliche – melden Mitbürger – datenschutzrechtlich betrachtet betroffenen Personen – an den Staat. Derartige Verarbeitungen personenbezogener Daten erfolgen im Rechtsstaat nicht im rechtsfreien Raum. Sie müssen nach den Kategorien der DS-GVO und des Datenschutzrechts des Bundes oder der Länder vielmehr zunächst auf Grundlage einer rechtlichen Erlaubnis erfolgen, also zulässig sein.
Ist das der Fall, dann treten zum Schutz der Betroffenen weitere Pflichten der Verantwortlichen hinzu. Sie müssen die von der Meldung betroffenen Mitbürger grundsätzlich umfangreich über die Datenweitergabe informieren. Der, dessen Daten verarbeitet werden, muss vom Verantwortlichen proaktiv insbesondere über den Gegenstand und die Rechtsgrundlage der Verarbeitung, deren Zwecke und Speicherdauer, seine Beschwerde- und Auskunftsrechte in Kenntnis gesetzt werden. An die Verletzung der Transparenzpflicht knüpft das Recht behördliche Bußgelder und Schmerzensgeldansprüche.
Für die Ausgangsfälle bedeutet das Folgendes:
I. Prügelei in der Schule
Datenverarbeitung zu persönlichen oder familiären Zwecken unterfällt nicht dem Datenschutzrecht. Solange Fotos oder Videos der Prügelei in der Schule auf dem eigenen Smartphone bleiben, greift der Datenschutz also nicht.
1. Datenschutz bei Weiterleitung an die Schule
Sobald das Video aber an die Schulleitung oder das Lehrpersonal weitergegeben wird, verlässt es den persönlichen oder familiären Raum. Für die Weitergabe braucht man als Schüler eine Rechtsgrundlage. Das Datenschutzrecht gewährt sie für den Fall, dass die Gründe für die Weitergabe des Videos schwerer wiegen, als die Persönlichkeitsrechte der prügelnden Schüler.
2. Kein Datenschutz für Straftaten
Weil man sich in der Schule nicht prügeln darf und jede Schlägerei potenziell eine Körperverletzung ist, haben die an der Schlägerei Beteiligten kein überwiegendes Interesse daran, ihr Handeln geheim zu halten. Die Schule wiederum muss den Vorfall aufklären, den Schuldigen sanktionieren und dafür sorgen, dass in der Schule künftig keine Prügeleien stattfinden.
3. Vorsicht bei Kinderfotos
Kinder sind zwar durch die DS-GVO in besonderem Maße geschützt. Doch wenn Kinder prügeln, dann hilft ihnen auch der Datenschutz nicht. Bleiben die Aufnahmen innerhalb der Schule, dann dürfte die Weiterleitung in Ordnung sein. Dieselbe Wertung dürfte bei Fotos von anderen Straftaten, etwa Drogenhandel gelten.
4. Datensparsamkeit: Erlaubt ist nur, was erforderlich ist
Da Fotografieren und Filmen Datenverarbeitungen sind, muss man sich bei Weitergabe von Videos und Bildern mit dem Datenschutz auseinandersetzen. Man darf nach der DS-GVO nur das tun, was erforderlich ist, um einen Vorfall aufzuklären. Dazu zählt sicherlich eine Weitergabe von Bildern an die Schulleitung, nicht hingegen die Verbreitung auf Social Media, denn das Verbreiten von Gewaltvideos kann ebenso eine Straftat sein, § 131 StGB.
5. Rechte des Fotografierten
Grundsätzlich muss nach der DS-GVO jeder, der Daten verarbeitet, darüber informieren, dass und wie er mit den Daten umgeht. Das Recht auf Information ist jedoch dann ausgeschlossen, wenn es für den Fotografierenden unmöglich oder unverhältnismäßig wäre zu informieren. Im Fall der Prügelei ist das so, denn wer riskiert es schon selbst Opfer einer Gewalttat zu werden, nur weil er den Prügelnden meldet.
II. Fotos von Falschparkern
Es gibt aber auch Fälle, in denen es nicht um Straftaten geht. In Bayern ist kürzlich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach rechtskräftig geworden, wonach Passanten Aufnahmen von im Weg stehenden, falschparkenden Fahrzeugen machen und an die Polizei weiterleiten dürfen.[3] Dass ein Foto eines Falschparkers ausreicht, um eine Ordnungswidrigkeit zu verfolgen, kann man mit guten Gründen bezweifeln. War es der Halter des Fahrzeugs oder ein anderer Fahrer? Belegt das Foto beweissicher Datum, Uhrzeit und Ort der Tat? Im Gegensatz zur Datenschutzbehörde sah das Verwaltungsgericht Ansbach in der Weitergabe an die Polizei keinen Verstoß gegen das Datenschutzrecht.
1. Information der Falschparker erforderlich
Das Gericht in Bayern hat sich nicht dazu geäußert, ob der Fotograf und selbst ernannte Hilfssheriff die Halter der fotografierten Fahrzeuge darüber informieren muss, dass Fotos an die Polizei weitergeleitet wurden. Eine solche Information wäre leicht möglich. Doch wer hinterlässt schon als Fotograf einen Zettel unter den Scheibenwischern mit seinen Namen, seiner Anschrift und dem Hinweis, dass die Fotos an die Polizei weitergeleitet werden? Der Fotograf muss den Halter auch noch darauf hinweisen, dass dieser Auskunftsrechte gegenüber dem Fotografen hat, und dass der Halter sich bei der Datenschutzbehörde über die Datenübermittlung an die Polizei beschweren kann.
2. Auskunftsrecht des Falschparkers
Das Transparenzgebot ist eine wichtige Pflicht des Daten verarbeitenden Fotografen, der nach den Kategorien der DS-GVO Verantwortlicher mit zahlreichen Obliegenheiten ist. Anders als bei Straftaten, wie im Fall von prügelnden Schülern, entfällt die Informationspflicht nicht. Denn dem Fotografen ist es weder unmöglich noch unzumutbar zu informieren, es ist lediglich unangenehm.
3. Schadensersatzanspruch gegen den Fotografen
Da eine fehlende oder falsche Information einen Datenschutzverstoß darstellt, könnte der nicht informierte, fotografierte Falschparker den Spieß umdrehen und allein wegen der fehlenden Information Schadensersatz vom Fotografen verlangen. Die Rechtsprechung erkennt solche Ansprüche an.
III. Meldestellen
Handlungen unterhalb der Schwelle einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit können ebenfalls gemeldet werden. Zahlreiche Meldeportale werden mittlerweile in Deutschland, finanziert mit Mitteln der öffentlichen Hand, betrieben. Queerfeindliche, antisemitische und antifeministische Vorfälle können bei nicht öffentlichen Stellen gemeldet werden. Im Gegensatz zu den Fällen von prügelnden Schülern und Falschparkern geht es nicht darum, konkrete Personen anzuzeigen, denn Namen und weitere identifizierenden Angaben sollen nicht mitgeteilt werden. Der Fokus liegt auf Betroffene und Zeugen von diskriminierenden Vorfällen. Vor diesem Hintergrund verfolgen Meldestellen also den rechtsstaatlich erwünschten Zweck, anonym Trends von Entwicklungen zu ermitteln, die gegen das Recht – wie es etwa im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) niedergelegt ist – offenzuegen. Es ist aber wichtig, dass die Portale nicht über diesen Zweck hinausgehen. Das geschieht, wenn in Eingabefenstern der Portale die Möglichkeit eingeräumt wird, Daten einzugeben, die auf Personen schließen lassen. Dazu reichen in der Regel schon konkrete Angaben zu Zeit oder Ort aus. Konkret ist es für die Ermittlung eines Trends etwa ausreichend, in einem Eingabemenü Arten von Verstößen nach den Kategorien des AGG zu benennen, die in Regionen, etwa Bundesländern begangen werden. Meldende können die entsprechenden Vorfälle dann ohne Ansehen einer Person per Klick melden. Wenn aber solche Portale auch nur mittelbar Meldungen zu konkreten Personen möglich machen, kann sich deren Zweck in Richtung Meinungsüberwachungsstaat kehren. Die berechtigten Anforderungen des Datenschutzes für von Meldungen, betroffenen Personen verhindern diesen Missbrauch. Das ist wichtig, denn für Meldungen die konkrete Personen und deren möglicherweise rechtswidriges Verhalten betreffen, sind im Rechtsstaat ausschließlich an die Polizei zu richten.
Nach den gesetzlich vorgegebenen und erwünschten Zwecken der Meldeportale sind Meldungen anonymisiert und zur Auswertung für statistische Zwecke zulässig.
1. Plichten des Meldenden
Die Meldenden werden darauf hingewiesen, dass sie keine personenbezogenen Daten übermitteln dürfen. Wer sich nicht daran hält, ist neben dem Meldeportal datenschutzrechtlich verantwortlich. In diesem Fall müsste der Meldende die gemeldete Person informieren und Betroffenenrechte gewährleisten. Ob das realistisch ist, darf bezweifelt werden. Hinzu kommt, dass die Meldung über diskriminierende Vorfälle geeignet sein kann, das Ansehen der gemeldeten Person zu beeinträchtigen.
2. Plichten der Meldestellen
Dieses Dilemma entsteht gar nicht erst, wenn im Meldeportal keine personenbezogenen Daten von Dritten werden können.[4] Geht es darum, dem Meldenden Beratung und Hilfe anzubieten, sind dessen Daten ausreichend. Für ein Monitoring genügen Dropdown-Listen und Angaben zu Zeit und Ort. Freitextfelder oder Upload-Funktionen haben dort nichts zu suchen. Sie konterkarieren das erwünschte, zivilgesellschaftliche Engagement. Auch hier kann das Auskunftsrecht genutzt werden, um über das Meldeportal die Identität des Meldenden zu erfahren. Im schlimmsten Fall wird das Opfer einer Tat offenbart.
IV. Vorprüfung durch Künstliche Intelligenz (KI)
Wenn das Foto bei der Polizei ist, muss diese ermitteln, ob es echt ist, wann es aufgenommen wurde und vor allem, ob der Falschparker einen Grund hatte, sein Fahrzeug kurzzeitig falsch abzustellen, etwa weil er sich einer besonderen Situation, wie einem Notfall befand. Weil es gut möglich ist, dass die Polizei nach der Entscheidung aus Ansbach künftig mit Fotos von Falschparkern überflutet wird, muss sie sich nun damit befassen, wie sie die Fälle auswertet, ohne dass ihre sonstige Arbeit lahmgelegt wird. Um der Flut der Meldungen Herr zu werden, können Meldebehörden möglicherweise im Rahmen einer Vorprüfung Software einsetzen, um im Rahmen einer von Menschen zu überprüfenden Vorauswahl belanglose Fälle von relevanten zu unterscheiden. Eine Software könnte die Fotos nach vorgegebenen Kriterien prüfen und unbegründete Fälle für den Menschen vorsortieren. Je nachdem, wie selbstständig die Software die Auswahl trifft, wird es aber datenschutzrechtlich komplex. Als potenzieller Täter, der sich im Bereich des Erlaubten bewegt, hat man das Recht, nicht ausschließlich von einer Software untersucht zu werden.
V. Fazit
Kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht[5] entschieden, dass der derzeitige Einsatz von Polizei-Software in Hessen und Hamburg verfassungswidrig ist. Daten unbeteiligter Personen würden zu Ermittlungszwecken verarbeitet werden. Das sei unverhältnismäßig, da mittels Software Persönlichkeitsprofile erstellt werden könnten.
Diese Entscheidung ist kein absolutes Verbot, wenn es um den Einsatz Künstlicher Intelligenz zur Verbrechensbekämpfung geht. Für einen zulässigen Einsatz muss der Gesetzgeber Art und Umfang der Datenverarbeitung und die Grenzen staatlicher Ermittlungen regeln.[6] Etwas anderes könnte jedoch im Fall der Falschparkermeldungen gelten. Hier geht es nicht darum, mittels KI Täter zu ermitteln, sondern automatisiert Fälle zu erfassen, die von der Behörde nicht verfolgt werden. Ob eine Behörde die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten einstellt, entscheidet sie nach pflichtgemäßem Ermessen. Wird sie bei der Ermessensentscheidung von Künstlicher Intelligenz unterstützt, dürften die strengen Maßstäbe des BVerfG nicht gelten. Das ist aber offen, denn zum Ermessen schweigt die Entscheidung aus Karlsruhe.
Prof. Dr. Rolf Schwartmann, Kölner Forschungsstelle für Medienrecht der Technischen Hochschule Köln, Mitherausgeber von Recht der Datenverarbeitung (RDV) sowie Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V. (GDD).
[1]Https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/judith-rahner-meldestelle-antifeminismus-absurd-von-cancel-culture-zu-sprechen-li.323572.
[2]Https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/projekte/meldestelle-antifeminismus/.
[3] VG Ansbach, Urt. v. 02.11.2022 – AN 14 K 22.00468 und AN 14 K 21.01431.
[4] Dazu Benedikt/Schwartmann, Wer meldet, hat Pflichten in F.A.Z. Einspruch vom 24.03.2023 https://www.faz.net/einspruch/einspruch-exklusiv-wermeldet-hat-pflichten-18774939.html. Zur Unzulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten bei der Meldung Limbach und Winkelmeier-Becker in Einspruch Podcast vom 03.05.2023 https://www.faz.net/podcasts/fa-z-einspruch-podcast/f-a-z-einspruch-podcast-schwarz-und-gruen-antipoden-der-rechtspolitik-18865266.html.
[5] BVerfG, Urt. v. 16.02.2023 – 1 BvR 1547/19 – 1 BvR 2634/20. Dazu Hartmann/ Cipierre/Beeck, Datamining in der Strafjustiz? Zur Bedeutung der aktuellen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur automatisierten Datenverarbeitung in der Gefahrenabwehr für die Strafverfolgungspraxis und Lottkus, Die Entscheidung des BVerfG zur polizeilichen Datenanalyse, nachfolgender Beitrag.
[6] BVerfG, Urt. v. 16.02.2023 – 1 BvR 1547/19, BeckRS 2023, 1828, Rn. 114.