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Urteil : Persönlichkeitsrechtsverletzung eines verurteilten Straftäters : aus der RDV 4/2016, Seite 207 bis 209

(Oberlandesgericht Frankfurt/M., Urteil vom 25. Mai 2016, – 16 U 198/15 –)

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Die identifizierende Schilderung des Werdegangs eines wegen seiner Vorgehensweise bereits bestraften Dschihadisten, der die Strafe weitgehend verbüßt hat und wegen des Strafrestes unter Bewährung steht, ist wegen der Gefährdung einer möglichen Resozialisierung nicht zulässig und zu unterlassen.

Aus den Gründen:

Wie das BVerfG in der ersten Lebach-Entscheidung ausgeführt hat, stellt eine öffentliche Berichterstattung über eine Straftat unter Namensnennung, Abbildung oder Darstellung des Täters zwangsläufig eine erhebliche Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts dar, weil das Fehlverhalten des Täters öffentlich bekannt gemacht und seine Person in den Augen der Adressaten von vornherein negativ qualifiziert wird. Für die Intensität der Beeinträchtigung kommt es auf die Art und Weise der Darstellung an, etwa ob es sich um eine um Objektivität und Sachlichkeit bemühte Berichterstattung handelt und in welchem Medium (Fernsehen oder Printmedium) berichtet wird. Insoweit ist auch der Grad der Verbreitung des Mediums von Bedeutung (BVerfG NJW 1973, 1226 (1229) [BVerfG 05.06.1973 – 1 BvR 536/72]).

Andererseits sprechen, wie das BVerfG ebenfalls betont, erhebliche Erwägungen für eine auch die Person des Täters einbeziehende vollständige Information der Öffentlichkeit über vorgefallene Straftaten, ihre Entstehungsursachen und Hintergründe. Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Darüber hinaus begründet die Verletzung der allgemeinen Rechtsordnung und die Beeinträchtigung individueller Rechtsgüter, die Sympathie mit den Opfern und Angehörigen, die Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das Bestreben, dem vorzubeugen, grds. ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Straftat in Begehungsweise und Schwere von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt (BVerfG a.a.O., S. 1230).

Demnach ist bei der hier dargestellten Straftat einer mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer international aktiven terroristischen Vereinigung im Ausland (D), welche viele Anschläge und Kampfhandlungen mit einer Vielzahl von Toten und Verletzungen begangen hat, ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Interesse an näherer Information über die Tat und ihren Hergang sowie über die Person des Klägers und sein persönliches Leben anzuerkennen, soweit es in unmittelbarer Beziehung zur Tat steht, Aufschlüsse über seine Motive gibt und für die Bewertung seiner Schuld als wesentlich erscheint.

Bei der Abwägung des Informationsinteresses an einer entsprechenden den Täter nennenden Berichterstattung mit der damit zwangsläufig verbundenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts kommt im Rahmen der aktuellen Berichterstattung über Straftaten dem Informationsinteresse genereller Vorrang zu. Denn wer den Rechtsfrieden bricht und durch diese Tat und ihre Folgen Mitmenschen oder Rechtsgüter der Gemeinschaft angreift oder verletzt, muss sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern auch dulden, dass das von ihm selbst durch seine Tat erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit in einer nach dem Prinzip freier Kommunikation lebenden Gemeinschaft auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird [BVerfG a.a.O.].

Auch wenn die dem Kläger zur Last gelegte Straftat gemäß § 129 a und b StGB bei ihrem Bekanntwerden beträchtliche Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt hat und – wie die Beklagte meint – „zur deutschen Kriminalgeschichte“ geworden ist, lässt die Ausstrahlungswirkung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit es freilich nicht zu, dass die Kommunikationsmedien sich über die aktuelle Berichterstattung hinaus zeitlich unbeschränkt mit der Person des Klägers befassen (vgl. OLG Ffm. Beschl. vom 13.8.2001 – 11 W 20/01 – Rn. 11, 14; OLG Hamburg NJW-RR 1991, 990 (991) [OLG Hamburg 22.11.1990 – 3 U 170/90]; Prinz/Peters, Medienrecht, 1999, 3. Kap. Rn. 109).

Nach Befriedigung des aktuellen Informationsinteresses tritt mit fortschreitender zeitlichen Distanz zur Straftat und zum Strafverfahren das Interesse und Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, über diesen Fall unter namentlicher Erwähnung unterrichtet zu werden, immer weiter zurück, während das Recht des Täters darauf, „allein gelassen zu werden“, – auch bei schweren Straftaten – zunehmend an Bedeutung gewinnt und dem Wunsch der Massenmedien und einem Bedürfnis des Publikums, seinen individuellen Lebensbereich zum Gegenstand der Erörterung oder gar der Unterhaltung zu machen, Grenzen setzt. Auch der Täter, der durch eine schwere Straftat in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten ist und die allgemeine Missachtung erweckt hat, bleibt dennoch ein Glied dieser Gemeinschaft mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Schutz seiner Individualität. Hat die das öffentliche Interesse veranlassende Tat mit der Strafverfolgung und strafgerichtlichen Verurteilung die im Interesse des öffentlichen Wohls gebotene gerechte Reaktion der Gemeinschaft erfahren und ist die Öffentlichkeit hierüber hinreichend informiert worden, so lassen sich darüber hinausgehende fortgesetzte oder wiederholte Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich des Täters im Hinblick auf sein Interesse an der Wiedereingliederung in die Gemeinschaft nicht ohne weiteres rechtfertigen (BVerfG a.a.O., S. 1231).

Die zeitliche Grenze zwischen der grds. zulässigen aktuellen Berichterstattung und einer unzulässigen späteren Darstellung oder Erörterung hat das BVerfG nicht mit einer fest umrissenen Frist fixiert. Das entscheidende Kriterium sieht es darin, ob die betreffende Berichterstattung gegenüber der aktuellen Information eine erhebliche neue oder zusätzliche Beeinträchtigung des Täters zu bewirken geeignet ist. Insoweit nennt das BVerfG als maßgeblichen Orientierungspunkt für die nähere Bestimmung der zeitlichen Grenze das Interesse an der Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft, d.h. an seiner Resozialisierung, deren entscheidendes Stadium mit der Entlassung beginnt.

Hiermit ist allerdings keine vollständige Immunisierung vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse gemeint. Zutreffend führt die Berufung aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Straftäter keinen Anspruch darauf vermittelt, nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden. Selbst die Verbüßung der Strafhaft führt nicht dazu, dass ein Täter den uneingeschränkten Anspruch erwirbt, vor einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben, da mit der Verbüßung der Strafe lediglich dem Strafanspruch des Staates Genüge getan, nicht aber das Verhältnis des Täters zu Dritten, insbesondere den Medien, berührt wird. Wie das BVerfG in seiner zweiten Lebach-Entscheidung ausgeführt hat, ist maßgeblich vielmehr stets, in welchem Ausmaß das Persönlichkeitsrecht des Straftäters, insbesondere sein Interesse an der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, welche zugleich im öffentlichen Interesse liegt, unter den konkreten Umständen des Einzelfalls von der Berichterstattung beeinträchtigt wird (BVerfG NJW 2000, 1859 (1860) [BVerfG 25.11.1999 – 1 BvR 348/98]).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist dem Landgericht darin beizupflichten, dass eine Identifizierbarkeit des Klägers im Zusammenhang mit der Berichterstattung über seine früheren Straftaten in dem streitgegenständlichen Buch nicht gerechtfertigt ist, auch wenn es sich aufgrund der Art und Schwere der Straftat nach § 129 a und b StGB und der Begleitumstände durchaus um einen aus dem durchschnittlichen Geschehen herausgehobenen gravierenden Kriminalfall gehandelt hat. Bei der gebotenen Güter- und Interessenabwägung hat die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Berichterstattungsfreiheit der Beklagten und das von ihr verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit vorliegend hinter dem Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit und an der Achtung seines Privatlebens zurückzutreten, insbesondere im Hinblick auf sein Resozialisierungsinteresse.

(wird weiter ausgeführt)