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Nationale Gesetzgeber müssen Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung verpflichten

Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sind im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie von Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Sachverhalt:

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), der Art. 3, 5, 6, 16 und 22 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) sowie von Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. 1989, L 183, S. 1).

Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO) und der Deutsche Bank SAE über das Fehlen eines betriebsinternen Systems zur Erfassung der von den Arbeitnehmern dieses Unternehmens geleisteten täglichen Arbeitszeit.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 89/391

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 89/391 bestimmt: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, um zu gewährleisten, dass die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und die Arbeitnehmervertreter den für die Anwendung dieser Richtlinie erforderlichen Rechtsvorschriften unterliegen.“

Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor: „Im Rahmen seiner Verpflichtungen trifft der Arbeitgeber die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der Maßnahmen zur Verhütung berufsbedingter Gefahren, zur Information und zur Unterweisung sowie der Bereitstellung einer geeigneten Organisation und der erforderlichen Mittel.“

Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie bestimmt: „Die Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bei der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer haben das Recht, den Arbeitgeber um geeignete Maßnahmen zu ersuchen und ihm diesbezüglich Vorschläge zu unterbreiten, um so jeder Gefahr für die Arbeitnehmer vorzubeugen und/oder die Gefahrenquellen auszuschalten.“

Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie lautet: „Die Bestimmungen dieser Richtlinie gelten uneingeschränkt für alle Bereiche, die unter die Einzelrichtlinien fallen; gegebenenfalls bestehende strengere bzw. spezifische Bestimmungen in diesen Einzelrichtlinien bleiben unberührt.“

Richtlinie 2003/88

Im dritten und vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88 heißt es: „(3) Die Bestimmungen der Richtlinie [89/391] bleiben auf die durch die vorliegende Richtlinie geregelte Materie – unbeschadet der darin enthaltenen strengeren und/oder spezifischen Vorschriften – in vollem Umfang anwendbar. (4) Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.“

Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2003/88 bestimmt: „(2) Gegenstand dieser Richtlinie sind a) die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie b) bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus.“

Art. 3 („Tägliche Ruhezeit“) der Richtlinie 2003/88 lautet: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.“

Art. 5 („Wöchentliche Ruhezeit“) dieser Richtlinie sieht vor: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Art. 3 gewährt wird. Wenn objektive, technische oder arbeitsorganisatorische Umstände dies rechtfertigen, kann eine Mindestruhezeit von 24 Stunden gewählt werden.“

Art. 6 („Wöchentliche Höchstarbeitszeit“) der Richtlinie bestimmt: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer: a) die wöchentliche Arbeitszeit durch innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder in Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern festgelegt wird; b) die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet.“

Art. 16 der Richtlinie 2003/88 legt die Höchstbezugszeiträume für die Anwendung ihrer Art. 5 und 6 fest.

Art. 17 („Abweichungen“) dieser Richtlinie sieht in Abs. 1 vor: „Unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer können die Mitgliedstaaten von den Artikeln 3 bis 6, 8 und 16 abweichen, wenn die Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann, und zwar insbesondere in Bezug auf nachstehende Arbeitnehmer: a) leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis; b) Arbeitskräfte, die Familienangehörige sind; c) Arbeitnehmer, die im liturgischen Bereich von Kirchen oder Religionsgemeinschaften beschäftigt sind.“

Art. 19 der Richtlinie betrifft die Grenzen der von dieser Richtlinie vorgesehenen Abweichungen von Bezugszeiträumen.

Art. 22Abs. 1 der Richtlinie bestimmt: „Es ist einem Mitgliedstaat freigestellt, Art. 6 nicht anzuwenden, wenn er die allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer einhält und mit den erforderlichen Maßnahmen dafür sorgt, dass a) kein Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer verlangt, im Durchschnitt des in Art. 16 Buchstabe b) genannten Bezugszeitraums mehr als 48 Stunden innerhalb eines Siebentagezeitraums zu arbeiten, es sei denn der Arbeitnehmer hat sich hierzu bereit erklärt; c) der Arbeitgeber aktuelle Listen über alle Arbeitnehmer führt, die eine solche Arbeit leisten; d) die Listen den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt werden, die aus Gründen der Sicherheit und/oder des Schutzes der Gesundheit der Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit unterbinden oder einschränken können.“

Spanisches Recht

Das Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut) in der Fassung des Real decreto legislativo 2/2015, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley del Estatuto de los Trabajadores (Königliches Gesetzesdekret 2/2015 zur Billigung der Neufassung des Arbeitnehmerstatuts) vom 23. Oktober 2015 (BOE Nr. 255 vom 24. Oktober 2015, S. 100224 (im Folgenden: Arbeitnehmerstatut) sieht in Art. 34 („Arbeitszeit“) vor: „1. Die Arbeitszeit wird durch Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag festgelegt. Die Höchstarbeitszeit beträgt im Jahresdurchschnitt 40 Wochenstunden.“

„3. Zwischen dem Ende eines Arbeitszeitraums und dem Beginn des folgenden liegen mindestens zwölf Stunden. Die Anzahl der tatsächlich geleisteten gewöhnlichen Arbeitsstunden darf neun Stunden täglich nicht überschreiten, sofern nicht in einem Tarifvertrag oder in Ermangelung dessen in einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und den Arbeitnehmervertretern eine andere Verteilung der täglichen Arbeitszeit vereinbart wird, wobei in jedem Fall die täglichen Ruhezeiten zu beachten sind.“

Art. 35 („Überstunden“) des Arbeitnehmerstatuts bestimmt: „1. Arbeitsstunden, die über die im Einklang mit dem vorstehenden Artikel festgelegte Höchstdauer der Regelarbeitszeit hinaus geleistet werden, stellen Überstunden dar. … 2. Die Zahl der Überstunden darf 80 Stunden jährlich nicht überschreiten. 4. Die Leistung von Überstunden ist freiwillig, soweit sie nicht in einem Tarifvertrag oder in einem Individualarbeitsvertrag innerhalb der Grenzen von Abs. 2 festgelegt ist. 5. Für die Berechnung der Überstunden wird die Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers täglich aufgezeichnet und zum für die Zahlung der Vergütung festgelegten Zeitpunkt zusammengezählt, wobei dem Arbeitnehmer eine Kopie der Aufstellung im Beleg zur entsprechenden Zahlung übermittelt wird.“

Das Real Decreto 1561/1995, sobre jornadas especiales de trabajo (Königliches Dekret 1561/1995 über Sonderarbeitszeiten) vom 21. September 1995 (BOE Nr. 230 vom 26. September 1995, S. 28606) sieht in seiner dritten Zusatzbestimmung („Zuständigkeiten der Arbeitnehmervertreter im Bereich der Arbeitszeit“) vor: „Unbeschadet der den Arbeitnehmervertretern im Bereich der Arbeitszeit im Arbeitnehmerstatut und im vorliegenden Real Decreto zuerkannten Befugnisse haben diese Vertreter das Recht: … b) jeden Monat vom Arbeitgeber über die von den Arbeitnehmern geleisteten Überstunden unterrichtet zu werden, unabhängig von der gewählten Form des Ausgleichs; sie erhalten zu diesem Zweck eine Kopie der Aufstellung nach Art. 35 Abs. 5 des Arbeitnehmerstatuts.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Am 26. Juli 2017 erhob die CCOO, eine Arbeitnehmervereinigung, die Teil einer bedeutenden Gewerkschaft auf nationaler Ebene in Spanien ist, gegen die Deutsche Bank vor der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) eine Verbandsklage; mit dieser Klage begehrte sie die Feststellung, dass die Deutsche Bank nach Art. 35 Abs. 5 des Arbeitnehmerstatuts und der dritten Zusatzbestimmung des Königlichen Gesetzesdekrets 1561/1995 verpflichtet sei, ein System zur Erfassung der von ihren Mitarbeitern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzurichten, mit dem die Einhaltung zum einen der vorgesehenen Arbeitszeit und zum anderen der Verpflichtung, die Gewerkschaftsvertreter über die monatlich geleisteten Überstunden zu unterrichten, überprüft werden könne.

Nach Auffassung der CCOO ergibt sich die Verpflichtung zur Einrichtung eines solchen Erfassungssystems aus den Art. 34 und 35 des Arbeitnehmerstatuts in ihrer Auslegung im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta, der Art. 3, 5, 6 und 22 der Richtlinie 2003/88 sowie der von der Internationalen Arbeitsorganisation am 28. November 1919 in Washington bzw. am 28. Juni 1930 in Genf angenommenen Übereinkommen Nr. 1 über die Arbeitszeit (Gewerbe) und Nr. 30 über die Arbeitszeit (Handel und Büros).

Die Deutsche Bank macht dagegen geltend, den Urteilen Nr. 246/2017 vom 23. März 2017 (Rec. 81/2016) und Nr. 338/2017 vom 20. April 2017 (Rec. 116/2016) des Tribunal Supremo (Oberstes Gericht, Spanien) lasse sich entnehmen, dass das spanische Recht keine solche allgemeingültige Verpflichtung vorsehe.

Die Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) stellt fest, dass die Deutsche Bank trotz zahlreicher Regeln über die Arbeitszeit, die aus einer Vielzahl von auf sie anwendbaren nationalen Branchentarifverträgen und Betriebsvereinbarungen hervorgegangen seien, kein betriebsinternes System zur Erfassung der von ihren Mitarbeitern geleisteten Arbeitszeit eingerichtet habe, mit dem die Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeiten überprüft und die möglicherweise geleisteten Überstunden berechnet werden könnten.

Insbesondere verwende die Deutsche Bank eine Software (Absences Calendar), mit der nur die ganztägigen Fehlzeiten wie Urlaub oder sonstige freie Tage – ohne jedoch die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit und die Zahl der geleisteten Überstunden zu messen – erfasst werden könnten.

Die Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) weist auch darauf hin, dass die Deutsche Bank dem Begehren der Inspección de Trabajo y Seguridad Social de las provincias de Madrid y Navarra (Inspektion für Arbeit und soziale Sicherheit der Provinzen Madrid und Navarra, Spanien, im Folgenden: Arbeitsinspektion) nicht nachgekommen sei, ein System zur Erfassung der täglich geleisteten Arbeitszeit einzurichten, und dass diese daher das Vorliegen eines Verstoßes festgestellt und die Auferlegung einer Sanktion vorgeschlagen habe. Dieser Sanktionsvorschlag sei jedoch anschließend durch das in Rn. 21 des vorliegenden Urteils genannte Urteil des Tribunal Supremo (Oberstes Gericht) vom 23. März 2017 verworfen worden.

Die Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) führt aus, dass sich aus der in dieser Rn. 21 angeführten Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberstes Gericht) ergebe, dass Art. 35 Abs. 5 des Arbeitnehmerstatuts – vorbehaltlich einer anderslautenden Vereinbarung – nur die Führung einer Aufstellung der von den Arbeitnehmern geleisteten Überstunden sowie die Übermittlung der Zahl dieser Überstunden am jeweiligen Monatsende an die Arbeitnehmer und ihre Vertreter auferlege.

Nach Auffassung der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) liegen dieser Rechtsprechung folgende Erwägungen zugrunde. Erstens sei die Verpflichtung zur Führung einer Aufstellung in Art. 35 des Arbeitnehmerstatuts über die Überstunden, und nicht in Art. 34 dieses Statuts über die „gewöhnliche“ Arbeitszeit, welche als die Arbeitszeit definiert werde, die die Höchstarbeitszeit nicht überschreite, vorgesehen. Zweitens habe der spanische Gesetzgeber in allen Fällen, in denen er eine verpflichtende Erfassung der geleisteten Arbeitszeit habe vorsehen wollen, diese für einen speziellen Fall vorgesehen, wie den Fall der Teilzeitbeschäftigten und der mobilen Arbeitnehmer, der Arbeitnehmer in der Handelsmarine und der Arbeitnehmer bei der Eisenbahn. Drittens erlege Art. 22 der Richtlinie 2003/88 ebenso wie das spanische Recht die Pflicht auf, eine Liste der in besonderen Fällen geleisteten Arbeitszeit zu führen, nicht aber eine Liste der „gewöhnlichen“ Arbeitszeit. Viertens habe die Schaffung einer Liste über die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit zu einer Verarbeitung personenbezogener Daten mit der Gefahr eines ungerechtfertigten Eingriffs des Unternehmens in das Privatleben der Arbeitnehmer zur Folge. Fünftes werde das Versäumnis, eine solche Liste zu führen, in den nationalen Vorschriften über die Zuwiderhandlungen und Sanktionen im sozialen Bereich nicht als eindeutiger und offensichtlicher Verstoß eingestuft. Sechstens beeinträchtige die Rechtsprechung des Tribunal Supremo (Oberstes Gericht) nicht die Arbeitnehmerrechte, da nach Art. 217 Abs. 6 der Ley de Enjuiciamiento Civil 1/2000 (Zivilprozessordnung 1/2000) vom 7. Januar 2000 (BOE Nr. 7 vom 8. Januar 2000, S. 575) ohne eine Erfassung der „gewöhnlichen“ Arbeitszeit zwar nicht unterstellt werden dürfe, dass Überstunden geleistet würden, es aber gleichwohl zulasten des Arbeitgebers, der keine solche Erfassung eingeführt habe, gehe, wenn der Arbeitnehmer durch andere Mittel beweise, dass er Überstunden in diesem Sinne geleistet habe.

Die Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) hegt Zweifel an der Vereinbarkeit der durch das Tribunal Supremo (Oberstes Gericht) vorgenommenen Auslegung von Art. 35 Abs. 5 des Arbeitnehmerstatuts mit dem Unionsrecht. Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass eine Umfrage unter der erwerbstätigen Bevölkerung in Spanien im Jahr 2016 ergeben habe, dass 53,7 % der geleisteten Überstunden nicht erfasst worden seien. Ferner ergebe sich aus zwei Berichten der Dirección General de Empleo del ministerio de Empleo y Seguridad Social (Generaldirektion Beschäftigung des Ministeriums für Beschäftigung und soziale Sicherheit, Spanien) vom 31. Juli 2014 und vom 1. März 2016, dass es zur Ermittlung, ob Überstunden geleistet worden seien, erforderlich sei, die Zahl der gewöhnlich geleisteten Arbeitsstunden genau zu kennen. Daraus erkläre sich, warum die Arbeitsinspektion die Deutsche Bank aufgefordert habe, ein System zur Erfassung der von einem jeden Arbeitnehmer geleisteten Arbeitszeit einzurichten, da ein solches System als das einzige Mittel angesehen werde, um mögliche Überschreitungen der Höchstgrenzen im Bezugszeitraum zu überprüfen. Mit der Auslegung des spanischen Rechts durch das Tribunal Supremo (Oberstes Gericht) verlören zum einen die Arbeitnehmer praktisch ein wesentliches Beweismittel, mit dem sie dartun könnten, dass ihre Arbeitszeit die Höchstarbeitszeiten überschritten habe, und zum anderen ihre Vertreter die erforderlichen Mittel für die Überprüfung der Achtung der in dem Bereich geltenden Regeln, so dass die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeit und der Ruhezeiten vom guten Willen des Arbeitgebers abhänge.

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts könne unter solchen Umständen das innerstaatliche spanische Recht nicht die tatsächliche Beachtung der von der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Verpflichtungen hinsichtlich der Mindestruhezeiten und der wöchentlichen Höchstarbeitszeit sowie die sich aus der Richtlinie 89/391 ergebenden Verpflichtungen in Bezug auf die Rechte der Arbeitnehmervertreter gewährleisten.

Unter diesen Umständen hat die Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Ist davon auszugehen, dass das Königreich Spanien durch die Art. 34 und 35 des Arbeitnehmerstatuts nach ihrer Auslegung in der Rechtsprechung die erforderlichen Maßnahmen erlassen hat, um die Wirksamkeit der Grenzen für die Dauer der täglichen Arbeitszeit sowie der wöchentlichen und täglichen Ruhezeiten, die in den Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88 vorgesehen sind, für Vollzeitarbeitnehmer zu gewährleisten, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet haben und die keine mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor sind?
  2. Sind Art. 31 Abs. 2 der Charta sowie die Art. 3, 5, 6, 16 und 22 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391 dahin auszulegen, dass sie innerstaatlichen Rechtsvorschriften wie den Art. 34 und 35 des Arbeitnehmerstatuts entgegenstehen, aus denen nach gefestigter Rechtsprechung nicht abzuleiten ist, dass von den Unternehmen verlangt werden kann, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet haben und die keine mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor sind?
  3. Ist davon auszugehen, dass der den Mitgliedstaaten durch Art. 31 Abs. 2 der Charta sowie die Art. 3, 5, 6, 16 und 22 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391 auferlegten Verpflichtung, die Dauer der Arbeitszeit aller Arbeitnehmer allgemein zu begrenzen, für gewöhnliche Arbeitnehmer durch die innerstaatlichen Rechtsvorschriften in den Art. 34 und 35 des Arbeitnehmerstatuts Genüge getan wird, aus denen nach gefestigter Rechtsprechung nicht abzuleiten ist, dass von den Unternehmen verlangt werden kann, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit für Vollzeitarbeitnehmer einzuführen, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet haben, im Unterschied zu mobilen Arbeitnehmern, Arbeitnehmern in der Handelsmarine und Arbeitnehmern im Eisenbahnsektor?

Zu den Vorlagefragen

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 3, 5, 6, 16 und 22 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391 sowie Art. 31 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten nicht nur eine Regel des Sozialrechts der Union ist, die besondere Bedeutung hat, sondern auch in Art. 31 Abs. 2 der Charta, der nach Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zukommt, ausdrücklich verbürgt ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u.a., C 397/01 bis C 403/01, EU:C:2004:584, Rn. 100, sowie vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, C 684/16, EU:C:2018:874, Rn. 20).

Die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88, insbesondere ihre Art. 3, 5 und 6, konkretisieren dieses Grundrecht und sind daher in dessen Licht auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2014, A, C 112/13, EU:C:2014:2195, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 6. November 2018, Bauer und Willmeroth, C 569/16 und C 570/16, EU:C:2018:871, Rn. 85).

Um sicherzustellen, dass dieses Grundrecht beachtet wird, dürfen die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 insbesondere nicht auf Kosten der Rechte, die dem Arbeitnehmer nach dieser Richtlinie zustehen, restriktiv ausgelegt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 6. November 2018, Bauer und Willmeroth, C 569/16 und C 570/16, EU:C:2018:871, Rn. 38 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Unter diesen Umständen ist zur Beantwortung der vorgelegten Fragen diese Richtlinie unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten auszulegen.

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die zweite und die dritte Frage des vorlegenden Gerichts u.a. Art. 22 der Richtlinie 2003/88 betreffen, nach dessen Abs. 1 die Mitgliedstaaten, wenn sie von der Möglichkeit Gebrauch machen, Art. 6 dieser Richtlinie über die wöchentliche Höchstarbeitszeit nicht anzuwenden, mit den erforderlichen Maßnahmen dafür sorgen müssen, dass der Arbeitgeber aktuelle Listen über alle betroffenen Arbeitnehmer führt und dass diese Listen den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt werden.

Das Königreich Spanien hat jedoch, wie sich aus den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ergibt, von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Daher ist Art. 22 der Richtlinie 2003/88 in der Rechtssache des Ausgangsverfahrens nicht anzuwenden und im vorliegenden Fall folglich nicht auszulegen.

Nach dieser Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass durch die Richtlinie 2003/88 Mindestvorschriften festgelegt werden sollen, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern (vgl. u.a. Urteile vom 26. Juni 2001, BECTU, C 173/99, EU:C:2001:356, Rn. 37, vom 10. September 2015, Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras, C 266/14, EU:C:2015:578, Rn. 23, sowie vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constan a u.a., C 147/17, EU:C:2018:926, Rn. 39).

Diese Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung auf der Ebene der Europäischen Union bezweckt, einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer durch die Gewährung von – u.a. täglichen und wöchentlichen – Mindestruhezeiten und angemessenen Ruhepausen zu gewährleisten sowie eine Obergrenze für die wöchentliche Arbeitszeit vorzusehen (vgl. u.a. Urteile vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u.a., C 397/01 bis C 403/01, EU:C:2004:584, Rn. 76, vom 25. November 2010, Fuß, C 429/09, EU:C:2010:717, Rn. 43, sowie vom 10. September 2015, Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras, C 266/14, EU:C:2015:578, Rn. 23).

Daher müssen die Mitgliedstaaten nach den Art. 3 und 5 der Richtlinie 2003/88 die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden und pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Art. 3 gewährt wird (Urteil vom 7. September 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C 484/04, EU:C:2006:526, Rn. 37).

Darüber hinaus verpflichtet Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 die Mitgliedstaaten, für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit eine Obergrenze von 48 Stunden vorzusehen, wobei ausdrücklich klargestellt ist, dass diese Obergrenze die Überstunden einschließt; von dieser Regel kann, abgesehen von dem vorliegend nicht einschlägigen Fall von Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie, selbst bei Einverständnis des betroffenen Arbeitnehmers in keinem Fall abgewichen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. November 2010, Fuß, C 429/09, EU:C:2010:717, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Die Mitgliedstaaten müssen daher zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der Richtlinie 2003/88 die Beachtung dieser Mindestruhezeiten gewährleisten und jede Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit verhindern (Urteil vom 14. Oktober 2010, Fuß, C 243/09, EU:C:2010:609, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Die Art. 3 und 5 sowie Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 legen zwar nicht die konkreten Maßnahmen fest, mit denen die Mitgliedstaaten die Umsetzung der in ihnen vorgesehenen Rechte sicherstellen müssen. Wie sich bereits aus ihrem Wortlaut ergibt, überlassen diese Bestimmungen es den Mitgliedstaaten, diese Maßnahmen zu ergreifen, indem sie die insoweit „erforderlichen Maßnahmen“ treffen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juni 2001, BECTU, C 173/99, EU:C:2001:356, Rn. 55).

Auch wenn die Mitgliedstaaten daher zu diesem Zweck über einen gewissen Spielraum verfügen, müssen sie angesichts des von der Richtlinie 2003/88 verfolgten wesentlichen Ziels, einen wirksamen Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer sowie einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, sicherstellen, dass die praktische Wirksamkeit dieser Rechte in vollem Umfang gewährleistet wird, indem ihnen tatsächlich die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit, die in dieser Richtlinie festgesetzt sind, zugutekommen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Dezember 2005, Dellas u.a., C 14/04, EU:C:2005:728, Rn. 53, vom 7. September 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C 484/04, EU:C:2006:526, Rn. 39 und 40, sowie vom 14. Oktober 2010, Fuß, C 243/09, EU:C:2010:609, Rn. 64).

Daraus folgt, dass die von den Mitgliedstaaten festgelegten Modalitäten zur Sicherstellung der Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 nicht zu einer Aushöhlung der in Art. 31 Abs. 2 der Charta und den Art. 3 und 5 sowie Art. 6 Buchst. b dieser Richtlinie verankerten Rechte führen dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C 484/04, EU:C:2006:526, Rn. 44).

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen ist, so dass verhindert werden muss, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegen kann (Urteile vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u.a., C 397/01 bis C 403/01, EU:C:2004:584, Rn. 82, vom 25. November 2010, Fuß, C 429/09, EU:C:2010:717, Rn. 80, und vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, C 684/16, EU:C:2018:874, Rn. 41).

Ebenso ist festzustellen, dass ein Arbeitnehmer aufgrund dieser schwächeren Position davon abgeschreckt werden kann, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, da insbesondere die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen könnte, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. November 2010, Fuß, C 429/09, EU:C:2010:717, Rn. 81, und vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, C 684/16, EU:C:2018:874, Rn. 41).

Im Licht dieser allgemeinen Erwägungen ist zu prüfen, ob und inwieweit die Einrichtung eines Systems, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, erforderlich ist, um die tatsächliche Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit sowie der täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten sicherzustellen.

Insoweit ist im Einklang mit den Ausführungen des Generalanwalts in den Nrn. 57 und 58 seiner Schlussanträge festzustellen, dass ohne ein solches System weder die Zahl der vom Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden sowie ihre zeitliche Lage noch die über die gewöhnliche Arbeitszeit hinausgehende, als Überstunden geleistete Arbeitszeit objektiv und verlässlich ermittelt werden kann.

Unter diesen Umständen erscheint es für die Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich, die ihnen durch Art. 31 Abs. 2 der Charta und die Richtlinie 2003/88 verliehenen Rechte durchzusetzen, um tatsächlich in den Genuss der Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit sowie der in dieser Richtlinie vorgesehenen täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten zu kommen.

Die objektive und verlässliche Feststellung der Zahl der täglichen und wöchentlichen Arbeitsstunden ist nämlich für die Beurteilung grundlegend, ob zum einen die wöchentliche Höchstarbeitszeit, die in Art. 6 der Richtlinie 2003/88 festgelegt wird und die nach dieser Bestimmung die Überstunden einschließt, in dem in Art. 16 Buchst. b oder Art. 19 dieser Richtlinie vorgesehen Bezugszeitraum beachtet wurde, und ob zum anderen die in den Art. 3 und 5 dieser Richtlinie festgelegten täglichen oder wöchentlichen Mindestruhezeiten, was die tägliche Ruhezeit betrifft, in jedem 24-Stunden-Zeitraum oder, was die wöchentliche Ruhezeit betrifft, im Bezugszeitraum nach Art. 16 Buchst. a dieser Richtlinie eingehalten wurden.

Da die Mitgliedstaaten, wie sich aus der in den Rn. 40 und 41 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsprechung ergibt, zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der Richtlinie 2003/88 alle erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um die Beachtung der Mindestruhezeiten zu gewährleisten und jede Überschreitung der wöchentlichen Arbeitszeit zu verhindern, ist eine nationale Regelung, die keine Verpflichtung vorsieht, von einem Instrument Gebrauch zu machen, mit dem die Zahl der täglichen und wöchentlichen Arbeitsstunden objektiv und verlässlich festgestellt werden kann, nach der in Rn. 42 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsprechung nicht geeignet, die praktische Wirksamkeit der von Art. 31 Abs. 2 der Charta und von dieser Richtlinie verliehenen Rechte sicherzustellen, da weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer überprüfen können, ob diese Rechte beachtet werden, wodurch sie das Ziel dieser Richtlinie, das darin besteht, einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer sicherzustellen, gefährden kann.

Es ist insoweit unerheblich, dass die im vorliegenden Fall nach spanischem Recht geltende wöchentliche Höchstarbeitszeit, wie die spanische Regierung vorträgt, für den Arbeitnehmer günstiger ist als die in Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 vorgesehene. Dies ändert nämlich, wie diese Regierung weiter ausführt, nichts daran, dass die in diesem Bereich erlassenen innerstaatlichen Bestimmungen Teil der Umsetzung dieser Richtlinie in das innerstaatliche Recht sind, deren Einhaltung die Mitgliedstaaten mit der Festlegung der zu diesem Zweck erforderlichen Modalitäten sicherstellen müssen. Im Übrigen ist es ohne ein System, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, für einen Arbeitnehmer ebenso schwierig oder gar praktisch unmöglich, die tatsächliche Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit – unabhängig von deren Dauer – sicherzustellen.

Diese Schwierigkeit wird nicht dadurch behoben, dass die Arbeitgeber in Spanien nach Art. 35 des Arbeitnehmerstatuts ein System zur Erfassung der Überstunden einrichten müssen, die von Arbeitnehmern geleistet werden, die sich dazu bereit erklärt haben.

Die Einstufung als „Überstunden“ setzt nämlich voraus, dass die Dauer der von dem jeweiligen Arbeitnehmer geleisteten Arbeitszeit bekannt ist und somit zuvor gemessen wurde. Die Verpflichtung, nur die geleisteten Überstunden zu erfassen, bietet den Arbeitnehmern daher kein wirksames Mittel, mit dem zum einen gewährleistet werden kann, dass die von der Richtlinie 2003/88 festgelegte wöchentliche Höchstarbeitszeit, die die Überstunden einschließt, nicht überschritten wird, und zum anderen, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten in jedem Fall eingehalten werden. In jedem Fall kann mit dieser Verpflichtung nicht das Fehlen eines Systems kompensiert werden, das für die Arbeitnehmer, die der Leistung von Überstunden nicht zugestimmt haben, die tatsächliche Beachtung der Regeln u.a. über die wöchentliche Höchstarbeitszeit gewährleisten könnte.

Im vorliegenden Fall ergibt sich zwar, wie die Deutsche Bank und die spanische Regierung geltend machen, aus den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen, dass ein Arbeitnehmer, wenn es an einem System, mit dem die Arbeitszeit gemessen werden kann, fehlt, nach den spanischen Verfahrensvorschriften von anderen Beweismitteln, wie u.a. Zeugenaussagen, der Vorlage von E-Mails oder der Untersuchung von Mobiltelefonen oder Computern, Gebrauch machen kann, um Anhaltspunkte für eine Verletzung dieser Rechte beizubringen und so eine Beweislastumkehr zu bewirken.

Anders als durch ein System, mit dem die täglich geleistete Arbeitszeit gemessen wird, kann mit solchen Beweismitteln jedoch nicht objektiv und verlässlich die Zahl der von dem Arbeitnehmer täglich oder wöchentlich geleisteten Arbeitszeit festgestellt werden.

Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund der schwächeren Position des Arbeitnehmers in einem Arbeitsverhältnis der Zeugenbeweis allein nicht als wirksames Beweismittel angesehen werden kann, mit dem eine tatsächliche Beachtung der in Rede stehenden Rechte gewährleistet werden kann, da die Arbeitnehmer möglicherweise zögern, gegen ihren Arbeitgeber auszusagen, weil sie befürchten, dass dieser Maßnahmen ergreift, durch die das Arbeitsverhältnis zu ihren Ungunsten beeinflusst werden könnte.

Dagegen bietet ein System, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, diesen ein besonders wirksames Mittel, einfach zu objektiven und verlässlichen Daten über die von ihnen geleistete tatsächliche Arbeitszeit zu gelangen, und kann diesen Arbeitnehmern dadurch sowohl den Nachweis einer Verkennung der ihnen durch die Art. 3 und 5 sowie von Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88 verliehenen Rechte, die das in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerte Grundrecht präzisieren, als auch den zuständigen Behörden und nationalen Gerichten die Kontrolle der tatsächlichen Beachtung dieser Rechte erleichtern.

Es kann auch nicht angenommen werden, dass die Schwierigkeiten aufgrund des Umstands, dass ein System, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, fehlt, durch die Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse, die den Kontrollorganen wie der Arbeitsinspektion nach innerstaatlichem Recht verliehen werden, abgemildert werden können.

Ohne ein solches System haben diese Behörden nämlich kein wirksames Mittel, sich den Zugang zu objektiven und verlässlichen Daten über die von den Arbeitnehmern in den einzelnen Unternehmen geleistete Arbeitszeit zu verschaffen, der sich für die Ausübung ihres Kontrollauftrags und gegebenenfalls zur Verhängung einer Strafe als erforderlich erweisen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Mai 2013, Worten, C 342/12, EU:C:2013:355, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Daraus folgt, dass es, wie darüber hinaus aus den in Rn. 26 des vorliegenden Urteils genannten, vom vorlegenden Gericht vorgelegten Unterlagen hervorgeht, ohne ein System, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, keine Garantie dafür gibt, dass die tatsächliche Beachtung des von der Richtlinie 2003/88 verliehenen Rechts auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf Mindestruhezeiten den Arbeitnehmern vollständig gewährleistet wird, da sie dem Arbeitgeber einen Spielraum lässt.

Auch wenn die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Beachtung der durch die Richtlinie 2003/88 verliehenen Rechte nicht unbeschränkt sein kann, kann die Regelung eines Mitgliedstaats, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte keine Pflicht des Arbeitgebers zur Messung der geleisteten Arbeitszeit begründet, die in den Art. 3 und 5 sowie in Art. 6 Buchst. b dieser Richtlinie verankerten Rechte aushöhlen, indem sie den Arbeitnehmern nicht die tatsächliche Beachtung des Rechts auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf Mindestruhezeiten gewährleistet und daher nicht mit dem Ziel dieser Richtlinie vereinbar ist, die diese Mindestvorschriften als unerlässlich für den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer betrachtet (vgl. entsprechend Urteil vom 7. September 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C 484/04, EU:C:2006:526, Rn. 43 und 44).

Um die praktische Wirksamkeit der von der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Rechte und des in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerten Grundrechts zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Dieses Ergebnis wird durch die Bestimmungen der Richtlinie 89/391 bestätigt. Wie sich aus Art. 1 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2003/88 und ihrem dritten Erwägungsgrund sowie aus Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391 ergibt, findet diese Richtlinie auf die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die wöchentliche Höchstarbeitszeit unbeschadet strengerer und/oder spezifischerer Vorschriften in der Richtlinie 2003/88 uneingeschränkt Anwendung.

Insoweit ergibt sich die Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, aus der allgemeinen Verpflichtung der Mitgliedstaaten und der Arbeitgeber nach Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 89/391, eine Organisation und die erforderlichen Mittel zum Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer bereitzustellen.

Darüber hinaus ist ein solches System erforderlich, damit die Arbeitnehmervertreter, die bei der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer eine besondere Funktion haben, ihr in Art. 11 Abs. 3 dieser Richtlinie vorgesehenes Recht ausüben können, den Arbeitgeber um geeignete Maßnahmen zu ersuchen und ihm Vorschläge zu unterbreiten.

Doch obliegt es nach der in Rn. 41 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsprechung, wie der Generalanwalt in den Nrn. 85 bis 88 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, den Mitgliedstaaten, im Rahmen des ihnen insoweit eröffneten Spielraums, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere dessen Form, festzulegen, und zwar gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs, sogar der Eigenheiten bestimmter Unternehmen, namentlich ihrer Größe; dies gilt unbeschadet von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88, nach dem die Mitgliedstaaten unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer Ausnahmen u.a. von den Art. 3 bis 6 dieser Richtlinie vornehmen dürfen, wenn die Dauer der Arbeitszeit wegen besonderer Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht bemessen und/oder vorherbestimmt ist oder von den Arbeitnehmern selbst bestimmt werden kann.

Die vorangehenden Erwägungen können nicht dadurch entkräftet werden, dass bestimmte Sondervorschriften des Unionsrechts im Transportbereich, wie u.a. Art. 9 Buchst. b der Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben (ABl. 2002, L 80, S. 35) und von Paragraf 12 des Anhangs der Richtlinie 2014/112/EU des Rates vom 19. Dezember 2014 zur Durchführung der von der Europäischen Binnenschifffahrts Union (EBU), der Europäischen Schifferorganisation (ESO) und der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) geschlossenen Europäischen Vereinbarung über die Regelung bestimmter Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in der Binnenschifffahrt (ABl. 2014, L 367, S. 86), ausdrücklich die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit der diesen Vorschriften unterliegenden Arbeitnehmer vorsehen.

Auch wenn das Bestehen eines Bedürfnisses nach besonderem Schutz den Unionsgesetzgeber veranlassen konnte, eine solche Verpflichtung bezüglich bestimmter Arbeitnehmergruppen vorzusehen, ist nämlich eine ähnliche Verpflichtung, die in der Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems besteht, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, allgemeiner für alle Arbeitnehmer erforderlich, um die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2003/88 zu gewährleisten und der Bedeutung des in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerten Grundrechts, auf die in Rn. 30 des vorliegenden Urteils verwiesen wird, Rechnung zu tragen.

Was im Übrigen die von der spanischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs angesprochenen Kosten betrifft, die mit einem solchen System für die Arbeitgeber verbunden sein könnten, ist darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus dem vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88 ergibt, der wirksame Schutz der Sicherheit und der Arbeitnehmergesundheit nicht rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden darf (vgl. in Sinne Urteile vom 26. Juni 2001, BECTU, C 173/99, EU:C:2001:356, Rn. 59, sowie vom 9. September 2003, Jaeger, C 151/02, EU:C:2003:437, Rn. 66 und 67).

Im Übrigen haben, wie der Generalanwalt in Nr. 84 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, weder die Deutsche Bank noch die spanische Regierung genau und konkret angegeben, worin die praktischen Hindernisse für die Einrichtung eines Systems, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, im vorliegenden Fall bestünden.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in der Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, und ihre Pflicht nach Art. 4 Abs. 3 EUV, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten obliegen (vgl. u.a. Urteile vom 19. April 2016, DI, C 441/14, EU:C:2016:278, Rn. 30, und vom 13. Dezember 2018, Hein, C 385/17, EU:C:2018:1018, Rn. 49).

Folglich müssen die mit der Auslegung des nationalen Rechts betrauten nationalen Gerichte bei dessen Anwendung sämtliche nationalen Rechtsnormen berücksichtigen und die im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden anwenden, um seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der fraglichen Richtlinie auszurichten, damit das von ihr festgelegte Ergebnis erreicht und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachgekommen wird (Urteil vom 19. April 2016, DI, C 441/14, EU:C:2016:278, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung umfasst die Verpflichtung der nationalen Gerichte, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie unvereinbar ist (Urteile vom 19. April 2016, DI, C 441/14, EU:C:2016:278, Rn. 33, vom 17. April 2018, Egenberger, C 414/16, EU:C:2018:257, Rn. 72, und vom 11. September 2018, IR, C 68/17, EU:C:2018:696, Rn. 64).

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Art. 3, 5 und 6 der Richtlinie 2003/88 im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Charta sowie von Art. 4 Abs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 89/391 dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

 

Zum Anspruch eines Strafgefangenen auf Nutzung eines Computers

(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27. März 2019 – 2 BvR 2268/18 –)

  1. Das Recht eines Gefangenen im bayerischen Strafvollzug, in angemessenem Umfang Bücher und andere Gegenstände zur Fortbildung oder zur Freizeitbeschäftigung zu besitzen, kann aufgrund der grundsätzlich gegebenen Eignung eines Gegenstandes für sicherheits- oder ordnungsgefährdende Verwendungen eingeschränkt werden, sofern derartige Verwendungen nur mit einem von der Anstalt nicht erwartbaren Kontrollaufwand ausgeschlossen werden können.
  2. Verschaffen besondere Gründe in der Person des Gefangenen seinem Interesse am Besitz eines bestimmten Gegenstandes ein erhöhtes Gewicht, ist dieses nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit etwa bei der Bestimmung des für die Anstalt zumutbaren Kontrollaufwands zu berücksichtigen.
    (Nicht amtliche Leitsätze)

Sachverhalt:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage des Anspruchs eines Strafgefangenen auf den Besitz eines Computers (Laptop) beziehungsweise auf die Nutzung der in der Justizvollzugsanstalt Straubing vorhandenen Computer zum Verfassen von Schriftsätzen, insbesondere für gerichtliche Verfahren.

Aus den Gründen:

  1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt, denn sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; 96, 245 <250>; BVerfGK 12, 189 <196>).

Die angegriffenen Entscheidungen, die einen Anspruch des Beschwerdeführers auf Besitz eines Laptops nebst Druckers beziehungsweise hilfsweise auf Nutzung von Computern der Justizvollzugsanstalt zum Verfassen von Schriftsätzen im Ergebnis verneint haben, sind nach den geltenden Maßstäben für die Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

  1. Das Recht eines Gefangenen im bayerischen Strafvollzug, in angemessenem Umfang Bücher und andere Gegenstände zur Fortbildung oder zur Freizeitbeschäftigung zu besitzen, unterliegt gesetzlichen Einschränkungen. Nach Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 BayStVollzG besteht dieses Recht unter anderem dann nicht, wenn der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung des Gegenstands die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden würde. Das Vorliegen einer solchen Gefährdung kann ohne Verfassungsverstoß allein aufgrund der grundsätzlich gegebenen Eignung eines Gegenstandes für sicherheits- oder ordnungsgefährdende Verwendungen bejaht werden, sofern derartige Verwendungen nur mit einem von der Anstalt nicht erwartbaren Kontrollaufwand ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. März 2003 – 2 BvR 1848/02 –, juris, Rn. 4 und vom 12. Juni 2002 – 2 BvR 697/02 –, juris, Rn. 2, jeweils m.w.N.).

Auf die Frage, ob ein Laptop als elektronisches Unterhaltungsmedium im Sinne von Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2 BayStVollzG anzusehen ist, kommt es dabei nicht an. Lässt sich der erforderliche Kontrollaufwand durch technische Vorkehrungen, wie zum Beispiel eine Verplombung, auf ein leistbares Maß reduzieren, so dass dem Gefangenen der Besitz des betreffenden Gegenstandes ohne Gefahr für Sicherheit oder Ordnung der Anstalt ermöglicht werden kann, gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, diese Möglichkeit zu nutzen. Darüber hinaus können besondere Gründe in der Person des Gefangenen seinem Interesse am Besitz eines bestimmten Gegenstandes ein erhöhtes Gewicht verschaffen, das nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit etwa bei der Bestimmung des für die Anstalt zumutbaren Kontrollaufwands zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. März 2003 – 2 BvR 1848/02 –, juris, Rn. 4 und vom 12. Juni 2002 – 2 BvR 697/02 –, juris, Rn. 2, jeweils m.w.N.).

  1. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese verfassungsrechtlichen Maßstäbe im vorliegenden Fall verfehlt worden wären.a) Das Landgericht hat sich mit der Frage der Eignung des begehrten Laptops, aber auch einer privaten Nutzung von Computern der Justizvollzugsanstalt für sicherheits- oder ordnungsgefährdende Verwendungen unter Einbeziehung der oben genannten verfassungsrechtlichen Maßstäbe konkret auseinandergesetzt und diese im Ergebnis bejaht, weil in den Datenspeicher des Computers Textinhalte (z.B. Erkenntnisse über Fluchtwege, verbotene Außenkontakte, Aufstellungen über die Abgabe von Betäubungsmitteln an Mitgefangene und andere verbotene Beziehungen zwischen den Gefangenen) eingegeben und – im Falle der privaten Nutzung von Anstaltscomputern wie auch bei der Gewährung eines privaten Laptops – unerlaubt und unkontrolliert ausgetauscht werden können. Diese generelle Eignungsbeurteilung lässt Anhaltspunkte für Willkür nicht erkennen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. März 2003 – 2 BvR 1848/02 –, juris, Rn. 5).Der vom Beschwerdeführer erhobene Einwand, die Speicherkapazität eines Laptops müsse außer Betracht bleiben, weil er Sachverhalte der Kenntnis der Justizvollzugsanstalt auch dadurch entziehen könne, dass er sich diese schlicht merke, verfängt nicht. Das Landgericht hat nicht auf die Speicherkapazität von Computern als solche, sondern auf die erweiterten Möglichkeiten der Informationsspeicherung, die mit der Verfügung über einen Computer verbunden sind, abgestellt. Diese begründen zusätzliche Möglichkeiten eines sicherheitsgefährdenden Missbrauchs (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. März 2003 – 2 BvR 1848/02 –, juris, Rn. 6).Hinsichtlich der Frage, ob den festgestellten, durch Verplombung oder Einhausung nicht ausschließbaren, erheblichen Sicherheitsgefahren mit Kontrollen seitens der Justizvollzugsanstalt ausreichend begegnet werden kann, ist das Landgericht zu der Einschätzung gelangt, dass eine Entkräftung der Sicherheitsbedenken durch Kontrollen wegen des damit verbundenen erheblichen zusätzlichen zeitlichen Aufwandes ausscheide. Dass das Gericht dabei auf eine generalisierende Betrachtungsweise abgestellt hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. März 2003 – 2 BvR 1848/02 –, juris, Rn. 10). Ebenso begegnet es keinen Bedenken, dass das Landgericht, der Versagungsentscheidung der Justizvollzugsanstalt folgend, darauf abgestellt hat, dass Maßnahmen, mit denen eine ausreichende Kontrollierbarkeit sichergestellt werden kann, auch bei gleicher Handhabung vergleichbarer anderer Fälle umsetzbar sein müssen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. März 2003 – 2 BvR 1848/02 –, juris, Rn. 11). Dass das Gericht diese Frage der Sache nach verneint hat, ist nachvollziehbar.

    Das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Interesse, einen Laptop zwecks Anfertigung und Speicherung von Schriftsätzen an Behörden und Gerichte zu nutzen, um ihn in die Lage zu versetzen, eine Vielzahl auch komplexer Verfahren zur Wahrung seiner Rechte zu führen, hat zwar grundsätzlich Gewicht. Es ist aber kein seinem Gewicht nach so außergewöhnliches Interesse, dass allein auf die isolierte Möglichkeit gefahrenabwehrender Kontrollen in seinem konkreten Fall abgestellt werden müsste. Zudem ist weder dargetan noch ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer ohne den Besitz des Laptops der Zugang zu Gerichten unzumutbar erschwert wäre. Die einschränkenden Faktoren, die der Beschwerdeführer benennt, etwa die Notwendigkeit, um 20 Uhr mit dem Anfertigen von Schriftsätzen aufzuhören, weil seine Schreibmaschine andere Gefangene störe, erscheinen vielmehr zumutbar. Hinsichtlich weiterer geltend gemachter Beschränkungen, etwa der vorgetragenen Notwendigkeit, angegriffene Entscheidungen stets händisch auf der mechanischen Schreibmaschine abzutippen oder Mehrfachfertigungen von Schriftsätzen zu erstellen, ist nicht ersichtlich, warum der Beschwerdeführer die Möglichkeit der Anfertigung von Kopien, auf die die Justizvollzugsanstalt in ihrer Stellungnahme vom 3. Januar 2018 explizit hingewiesen hat, nicht als gangbare Lösung ansieht. Ebenso hat er nicht nachvollziehbar dargetan, warum er die von der Justizvollzugsanstalt in Aussicht gestellte Möglichkeit, den Besitz einer elektrischen Schreibmaschine zu gewähren, mit der wenigstens eine gewisse Erleichterung einträte, ablehnt.

    Schließlich folgt aus dem in der Verfassungsbeschwerde und im fachgerichtlichen Verfahren geltend gemachten Grundsatz der Waffengleichheit in gerichtlichen Verfahren nicht das Recht auf eine gleichwertige technische Ausstattung oder auf den Zugang zu einem Computer (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Juni 2002 – 2 BvR 697/02 –, juris, Rn. 6).

    b) Der generelle Vortrag des Beschwerdeführers, dass angesichts des prägenden Charakters, den die elektronische Datenverarbeitung im modernen gesellschaftlichen Leben hat, aus dem Angleichungsgrundsatz, aber auch aus Resozialisierungsgesichtspunkten ein erhebliches (und stetig steigendes) Interesse an einem Zugang von Strafgefangenen zu Computern besteht, ist zwar bedenkenswert. Diese Gesichtspunkte sind aber für sich genommen nicht geeignet, unter Ausklammerung legitimer Sicherheitsbedenken einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf den Zugang zu neuen Medien im Strafvollzug zu vermitteln.

    Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Zwar hat dieser in Fällen, die den Internetzugang für Strafgefangene betrafen, die gesteigerte Bedeutung der neuen Medien im heutigen Alltag betont (siehe EGMR, Kalda v. Estonia, Urteil vom 19. Januar 2016, Nr. 17429/10, § 52, und Jankovskis v. Lithuania, Urteil vom 17. Januar 2017, Nr. 21575/08, § 54 und § 62). Eine grundsätzliche Verpflichtung der Vertragsstaaten, einen Zugang zu diesen zu ermöglichen, hat er der – im vorliegenden Fall ohnehin nicht einschlägigen – Informationsfreiheit nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK indes nicht entnommen (vgl. EGMR, Kalda v. Estonia, Urteil vom 19. Januar 2016, Nr. 17429/10, § 45, und Jankovskis v. Lithuania, Urteil vom 17. Januar 2017, Nr. 21575/08, § 55).

Ordentliche Kündigung eines Chefarztes wegen der Religion

(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Februar 2019 – 2 AZR 746/14 –)

§ 9 Abs. 2 AGG ist aufgrund von unionsrechtlichen Vorgaben dahin auszulegen, dass eine der Kirche zugeordnete Einrichtung nicht das Recht hat, bei einem Verlangen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses Beschäftigte in leitender Stellung je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedlich zu behandeln, wenn nicht die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung ist, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Einrichtung wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Beklagte betreibt u.a. Krankenhäuser. Dabei verfolgt sie vorrangig eine religiöse Zielsetzung in Form der Verwirklichung von Aufgaben der Caritas als Lebens- und Wesensäußerung der römisch-katholischen Kirche. Die Beklagte unterliegt der Aufsicht des Erzbischofs von Köln. Der Kläger ist katholisch und war bei ihr seit dem Jahre 2000 auf der Grundlage eines Dienstvertrags vom 12. Oktober 1999 als Abteilungsarzt mit der Dienstbezeichnung „Chefarzt“ beschäftigt.

Die Parteien schlossen den Dienstvertrag unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993 (Amtsblatt des Erzbistums Köln S. 222; GrO 1993) und der Grundordnung für katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1996 (Amtsblatt des Erzbistums Köln S. 321; GrOK-NRW). Nach Art. 3 Abs. 2 GrO 1993 konnten kirchliche Dienstgeber pastorale, katechetische sowie in der Regel erzieherische und leitende Aufgaben nur einer Person übertragen, die der katholischen Kirche angehört. Zu den in diesem Sinne leitend tätigen Mitarbeitern gehörten Abteilungsärzte (Abschnitt A. 5. Satz 2 GrOK-NRW).

Art. 4 Abs. 1 GrO 1993 forderte von den katholischen Mitarbeitern, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Nach Art. 5 Abs. 2 GrO 1993 handelte es sich beim Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe um einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen konnte. Die Weiterbeschäftigung war grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der Loyalitätsverstoß von einem leitenden Mitarbeiter begangen wurde (Art. 5 Abs. 3 GrO 1993). In § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Dienstvertrags der Parteien ist das Leben in kirchlich ungültiger Ehe oder eheähnlicher Gemeinschaft als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung genannt.

Eine ungültige Ehe schließt nach katholischem Rechtsverständnis (vgl. Canon [Can.] 1085 § 1 Codex Iuris Canonici [CIC]) wer durch das Band einer früheren Ehe gebunden ist. Eine neue Eheschließung ist auch dann nicht erlaubt, wenn eine frühere Ehe nichtig oder aufgelöst worden ist, die Nichtigkeit bzw. die Auflösung der früheren Ehe aber noch nicht rechtmäßig und sicher feststeht (Can. 1085 § 2 CIC).

Der Kläger war mit seiner ersten Ehefrau nach katholischem Ritus verheiratet. Diese trennte sich von ihm im August 2005. Die Ehe wurde im März 2008 geschieden. Aus ihr waren zwei Töchter hervorgegangen. Mit seiner späteren zweiten Ehefrau lebte der Kläger von 2006 bis 2008 unverheiratet zusammen. Im August 2008 heiratete er ein zweites Mal standesamtlich, ohne dass seine erste Ehe kirchenrechtlich für nichtig erklärt worden war. Die Beklagte erfuhr von der erneuten Eheschließung spätestens im November 2008. Nach Anhörung der bei ihr bestehenden Mitarbeitervertretung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 30. März 2009 fristgerecht zum 30. September 2009.

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben und die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die erneute Heirat stelle keinen Kündigungsgrund dar. Er habe sich nicht kirchenfeindlich verhalten. Die Kündigung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Nach der GrO 1993 habe die Wiederheirat eines evangelischen oder konfessionslosen Abteilungsarztes keine Folgen für dessen Arbeitsverhältnis mit der Beklagten gehabt.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei eine ungültige Ehe im Sinne des katholischen Kirchenrechts eingegangen und habe dadurch in erheblicher Weise gegen seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen. Soweit sie anderen wiederverheirateten Chefärzten nicht gekündigt habe, handele es sich – abgesehen von aus anderen Gründen mit dem Streitfall ihres Erachtens nicht vergleichbaren Fällen – nicht um katholische Arbeitnehmer, von denen nicht in derselben Weise wie von katholischen Mitarbeitern die Befolgung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verlangt werden könne.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Das ihr Rechtsmittel zurückweisende Senatsurteil vom 8. September 2011 (– 2 AZR 543/10 – BAGE 139, 144) hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22. Oktober 2014 (- 2 BvR 661/12 – BVerfGE 137, 273) aufgehoben und die Sache an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der Senat hat mit Beschluss vom 28. Juli 2016 (– 2 AZR 746/14 [A] – BAGE 156, 23) den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV um die Beantwortung von Fragen zur Auslegung von Unionsrecht und vorrangig von Art. 4 Abs. 2 UnterAbs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG (RL 2000/78/EG) ersucht. Hierüber hat der Gerichtshof mit Urteil vom 11. September 2018 (– C-68/17 –) entschieden.

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Kündigung der Beklagten vom 30. März 2009 sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG ist.

I. Der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes fand nach § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 KSchG im Kündigungszeitpunkt auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

II. Die Kündigung der Beklagten ist weder durch Gründe im Verhalten noch in der Person des Klägers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Es fehlt an einem kündigungsrelevanten Verstoß des Klägers gegen eine vertragliche Loyalitätspflicht. Die Loyalitätserwartung, den heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung zu achten, stellt keine berechtigte Anforderung der Beklagten an die persönliche Eignung des Klägers dar.

Die Vereinbarung im Dienstvertrag der Parteien, mit der Art. 4 Abs. 1 sowie Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 GrO 1993 in Bezug genommen wurden, war jedenfalls im Zeitpunkt der streitbefangenen Kündigung gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, soweit danach – in Verbindung mit Abschnitt A. 5. Satz 2 GrOK-NRW – bei Abteilungsärzten der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültigen Ehe einen Loyalitätsverstoß darstellt, der grundsätzlich eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt. Ebenso gem. § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Dienstvertrags, soweit danach das Leben in kirchlich ungültiger Ehe einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellt.

Es handelt sich um Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG, die den Kläger gem. § 7 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligen, ohne dass dies nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt ist.

  1. Gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Sie sind auch dann an dieser Bestimmung zu messen, wenn sie zwar – wie hier – vor Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 abgeschlossen wurden, aber noch danach eine benachteiligende Wirkung entfalten. § 33 AGG enthält insoweit keine entgegenstehende Übergangsregelung. Die benachteiligende Wirkung der Beschäftigungsbedingung, das Eingehen einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültigen Ehe stelle einen Loyalitätsverstoß dar, dauerte über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des AGG an. Sie sollte fortdauernd eine entsprechende arbeitsvertragliche Pflicht des Klägers begründen, gegen die er durch die erneute Eheschließung im August 2008 verstieß. Die benachteiligende Wirkung der Entlassungsbedingungen, wonach ein entsprechender Loyalitätsverstoß die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen konnte, trat mit der darauf gestützten Kündigung der Beklagten vom 30. März 2009 ein.
  2. Der Kläger wurde durch die fraglichen Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen wegen seiner Religion i.S.d. § 1 AGG, nämlich der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, gegenüber nicht der katholischen Kirche angehörenden Abteilungsärzten unmittelbar benachteiligt (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Das Leben in einer kirchlich ungültigen Ehe war gem. Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 der mit dem Dienstvertrag in Bezug genommenen GrO 1993 nur bei katholischen leitenden Arbeitnehmern, zu denen auch Abteilungsärzte gehörten, ein die Weiterbeschäftigung in der Regel nicht zulassender Verstoß gegen die Loyalitätsanforderungen, der eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen konnte. Hingegen hatte die Wiederheirat eines evangelischen oder konfessionslosen Abteilungsarztes nach den Regelungen der GrO 1993 keine Folgen für dessen Arbeitsverhältnis mit der Beklagten.
  3. Diese Benachteiligung war nicht gem. § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt.

a) Nach § 9 Abs. 2 AGG berührt das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung nicht das Recht der in Abs. 1 der Bestimmung genannten Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses zu verlangen. § 9 AGG dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG (RL 2000/78/EG). Die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei den Loyalitätsanforderungen gem. § 9 Abs. 2 AGG ist daher, soweit die im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden es zulassen, unter Beachtung der Richtlinie und der zu ihrer Auslegung ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu prüfen.

b) § 9 Abs. 2 AGG ist aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere von Art. 4 Abs. 2 UnterAbs. 2 RL 2000/78/EG, für eine der Kirche zugeordnete Einrichtung – nur über diese hat der Senat vorliegend zu befinden – dahin auszulegen, dass die Einrichtung nicht das Recht hat, bei einem Verlangen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses Beschäftigte in leitender Stellung je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedlich zu behandeln, wenn nicht die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung ist, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Einrichtung wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Die Frage, ob diese Kriterien erfüllt sind, unterliegt einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle.

aa) Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG bestimmt, dass die Kirchen und andere öffentliche oder private Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für sie arbeitenden Personen verlangen können, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten, sofern die Bestimmungen der Richtlinie im Übrigen eingehalten werden.

bb) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass eine Ungleichbehandlung bei der Anforderung eines loyalen und aufrichtigen Verhaltens im Sinne des Ethos des Arbeitgebers gemäß Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG, die sich ausschließlich auf die Konfession der Beschäftigten stützt, unter anderem die in Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG genannten Kriterien einzuhalten hat (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 49), was angesichts des sich aus Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) ergebenden Rechts auf wirksamen gerichtlichen Schutz der sich für die jeweilige Person aus dem Unionsrecht ergebenden Rechte gegebenenfalls einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen muss (EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 59). Eine Kirche oder eine andere öffentliche oder private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, darf daher bei der Anforderung, sich loyal und aufrichtig im Sinne dieses Ethos zu verhalten, ihre Beschäftigten in leitender Stellung nur dann je nach deren Zugehörigkeit zur Religion bzw. deren Bekenntnis zur Weltanschauung dieser Kirche oder dieser anderen Organisation unterschiedlich behandeln, wenn die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts dieses Ethos ist (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 55). Maßgeblich ist danach, ob die fragliche Loyalitätspflicht als Teil der betreffenden Religion im Hinblick auf die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts dieses Ethos ist (vgl. EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 49 f.). Dies zu beurteilen, ist Sache des nationalen Gerichts (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 56).

(1) „Wesentlich“ ist eine berufliche Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG, sofern die Zugehörigkeit zu der Religion bzw. das Bekenntnis zu der Weltanschauung, auf der das Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation beruht, aufgrund der Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit für die Bekundung dieses Ethos oder die Ausübung des in Art. 17 AEUV und in Art. 10 GRC anerkannten Rechts dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie notwendig erscheinen muss (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 51; vgl. in diesem Sinne auch EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 50, 65).

(2) Die Anforderung ist „rechtmäßig“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG, wenn sie nicht zur Verfolgung eines sachfremden Ziels ohne Bezug zum Ethos oder zur Ausübung des Rechts der Kirche oder Organisation auf Autonomie dient (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 52; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 66).

(3) Das Erfordernis, die Anforderung müsse „gerechtfertigt“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG sein, impliziert nicht nur, dass die Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG genannten Kriterien durch ein innerstaatliches Gericht überprüfbar sein muss, sondern auch, dass es der Kirche oder Organisation, die eine berufliche Anforderung aufgestellt hat, obliegt, im Licht der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls darzutun, dass die geltend gemachte Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist, sodass sich eine solche Anforderung als notwendig erweist (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 53; vgl. in diesem Sinne auch EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 67).

(4) Schließlich muss die Anforderung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen, was bedeutet, dass die nationalen Gerichte prüfen müssen, ob die Anforderung angemessen ist und nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgeht (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 54; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 68).

cc) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union obliegt es den nationalen Gerichten, unter Berücksichtigung sämtlicher nationaler Rechtsnormen und der im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden zu entscheiden, ob und inwieweit eine nationale Rechtsvorschrift wie § 9 Abs. 2 AGG im Einklang mit der RL 2000/78/EG ausgelegt werden kann, ohne dass dies zu einer Auslegung contra legem führt (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 63; vgl. in diesem Sinne auch EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung; zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vgl. BVerfG 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – Rn. 77, BVerfGE 140, 317). Die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in der Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, und ihre Pflicht, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, obliegt allen Trägern öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten (EuGH 19. April 2016 – C-441/14 – [Dansk Industri] Rn. 30). Die mit der Auslegung des nationalen Rechts betrauten nationalen Gerichte müssen bei dessen Anwendung sämtliche nationalen Rechtsnormen berücksichtigen und die im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden anwenden, um seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der fraglichen Richtlinie auszurichten, damit das von ihr festgelegte Ergebnis erreicht und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachgekommen wird (EuGH 19. April 2016 – C-441/14 – [Dansk Industri] Rn. 31; in diesem Sinne bereits EuGH 5. Oktober 2004 – C-397/01 bis C-403/01 – [Pfeiffer ua.] Rn. 113 f. sowie 19. Januar 2010 – C-555/07 – [Kücükdeveci] Rn. 48).

dd) Die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts das Unionsrecht heranzuziehen, findet zwar ihre Grenzen in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (EuGH 19. April 2016 – C-441/14 – [Dansk Industri] Rn. 32; vgl. auch EuGH 15. April 2008 – C-268/06 – [Impact] Rn. 100; 24. Januar 2012 – C-282/10 – [Dominguez] Rn. 25; 15. Januar 2014 – C-176/12 – [Association de médiation sociale] Rn. 39). Das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung umfasst jedoch die Verpflichtung der nationalen Gerichte, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie unvereinbar ist (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 64; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 72; dem folgend BAG 5. Dezember 2012 – 7 AZR 698/11 – Rn. 37, BAGE 144, 85; BGH 28. Oktober 2015 – VIII ZR 158/11 – Rn. 37, BGHZ 207, 209; 26. November 2008 – VIII ZR 200/05 – Rn. 21 mwN, BGHZ 179, 27).

Eine solche Rechtsfortbildung kann in Betracht kommen, wenn der Gesetzgeber mit der von ihm geschaffenen Regelung eine Richtlinie umsetzen wollte, hierbei aber deren Inhalt missverstanden hat (BGH 28. Oktober 2015 – VIII ZR 158/11 – aaO; 21. Dezember 2011 – VIII ZR 70/08 – Rn. 32 f., BGHZ 192, 148). Ein nationales Gericht darf nicht davon ausgehen, dass es eine nationale Vorschrift nicht im Einklang mit dem Unionsrecht auslegen könne, nur weil sie in ständiger Rechtsprechung in einem nicht mit dem Unionsrecht zu vereinbarenden Sinne ausgelegt worden ist (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 65; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

ee) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist § 9 Abs. 2 AGG im Einklang mit dem Unionsrecht und insbesondere Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG dahin auszulegen, dass Anforderungen an ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne des jeweiligen Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft, die zu einer Ungleichbehandlung von Beschäftigten in leitender Stellung je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit führen, die in Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG genannten Kriterien einhalten müssen, wobei die Frage, ob die danach geforderten Voraussetzungen gegeben sind, einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

(1) Wortlaut und Gesetzessystematik geben für die Möglichkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG kein eindeutiges Ergebnis vor. Die Vorschrift spricht zwar – anders als Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG – nicht von einem „(K)önnen …“, „(s)ofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im Übrigen eingehalten werden“, sondern davon, das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung berühre nicht das „Recht“ der Religionsgemeinschaften und der ihnen zugeordneten Einrichtungen, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses zu verlangen. Die Regelung nimmt damit – anders als Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG – zumindest explizit nicht Bezug auf andere, dieses Recht näher definierende Bestimmungen. Der normative Begriff des „Rechts“ lässt aber auch ausreichend sprachlichen Raum für eine richtlinienkonforme Lesart, nach der es sich um ein im Einklang mit dem umzusetzenden Unionsrecht stehendes Recht handeln muss.

(2) Ein solchermaßen unionsrechtskonformes Verständnis von § 9 Abs. 2 AGG erlauben auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der darin zum Ausdruck kommende Wille des deutschen Gesetzgebers, Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG in nationales Recht umzusetzen. Der Gesetzgeber meinte zwar, der Erwägungsgrund 24 der RL 2000/78/EG lasse es zu, dass die Mitgliedstaaten spezifische Bestimmungen entsprechend dem deutschen Verfassungsverständnis auch hinsichtlich von Verhaltensanforderungen beibehalten oder vorsehen, die eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft an ihre Mitarbeiter stelle, und dass es dabei den Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften selbst obliege, dementsprechend verbindliche innere Regelungen zu schaffen (BT-Drs. 16/1780 S. 35 f.). Damit hat er aber, wie aufgrund der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. September 2018 (- C-68/17 -) nunmehr feststeht, den Inhalt der RL 2000/78/EG missverstanden, die – anders als das deutsche Verfassungsverständnis – eine tätigkeitsbezogene Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen bei den Loyalitätserwartungen allein aufgrund der Religion verlangt, die überdies einer wirksamen Kontrolle durch die staatlichen Gerichte unterliegen muss. Das ändert indes nichts an der ausdrücklich verlautbarten gesetzgeberischen Grundentscheidung, die Vorgaben der RL 2000/78/EG umzusetzen. Ein unionsrechtskonformes Verständnis von § 9 Abs. 2 AGG respektiert diese und setzt sich damit nicht etwa über einen eindeutig erkennbaren entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers hinweg (zu dieser Schranke vgl. BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 – Rn. 73).

c) Die demnach in unionsrechtskonformer Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG zu stellenden Anforderungen an die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber den nicht der katholischen Konfession angehörenden Abteilungsärzten der Beklagten in Bezug auf die ihm auferlegte Loyalitätserwartung, den heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung zu achten, sind im Streitfall nicht erfüllt.

aa) Dies folgt allerdings nicht schon aus den Hinweisen, die der Gerichtshof der Europäischen Union in seine Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen aufgenommen hat. Nach diesen erscheint dem Gerichtshof die Akzeptanz des Eheverständnisses der katholischen Kirche unter Berücksichtigung der vom Kläger ausgeübten beruflichen Tätigkeiten für die Bekundung des Ethos der Beklagten nicht notwendig und keine wesentliche Voraussetzung der beruflichen Tätigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG zu sein (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 58). Die vorgenannten Ausführungen des Gerichtshofs entfalten weder nach Unionsrecht noch nach nationalem Recht für den Senat Bindungswirkung. Sie betreffen nicht die abstrakte Auslegung von Unionsrecht, sondern sind einzelfallbezogen und beschränken sich auf die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG auf einen Sachverhalt, für dessen Feststellung dem Gerichtshof die Befugnis fehlt. Sie enthalten lediglich Hinweise, mit denen dieser dem Senat „auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens“ und der vor dem Gerichtshof abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen eine Entscheidung über den Rechtsstreit ermöglichen möchte (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 56).

bb) Zugunsten der Beklagten kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei ihr um eine private Organisation handelt, deren Ethos im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG auf religiösen Grundsätzen beruht (vgl. dazu EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 41). Allerdings hat der Senat in seinem Vorabentscheidungsersuchen die Frage aufgeworfen, ob privatrechtlich verfasste Einrichtungen, die sich in marktüblicher Weise im Gesundheitswesen betätigen, vom Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG erfasst werden. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Fragestellung nur dahingehend beantwortet, dass insoweit Erwägungen zur Rechtsnatur und zur Rechtsform der betreffenden Körperschaft ohne Bedeutung sind und die Bezugnahme auf private Organisationen auch nach Privatrecht gegründete Einrichtungen umfasst (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 40). Zur „Marktüblichkeit“ der Betätigung hat sich der Gerichtshof hingegen nicht verhalten. Einer darauf gestützten Nachfrage des Senats bedarf es indes nicht. Die Revision der Beklagten unterliegt auch dann der Zurückweisung, wenn die beruflichen Tätigkeiten der Arbeitnehmer innerhalb ihrer Einrichtungen von § 9 Abs. 2 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung erfasst werden.

cc) Eine Ungleichbehandlung bei der Anforderung eines loyalen und aufrichtigen Verhaltens im Sinne des Ethos des Arbeitgebers, die sich – wie hier – ausschließlich auf die Konfession der Beschäftigten stützt, hat aufgrund der unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG unter anderem die in Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 RL 2000/78/EG genannten Kriterien (vgl. Rn. 19) einzuhalten (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 49).

Danach hängt es von der Art der fraglichen Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung ab, ob die Religion oder Weltanschauung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation im Sinne dieser Vorschrift darstellen kann. Dies setzt einen – objektiv bestehenden – direkten Zusammenhang zwischen der vom Arbeitgeber aufgestellten beruflichen Anforderung und der fraglichen Tätigkeit voraus. Ein solcher Zusammenhang kann sich entweder aus der Art dieser Tätigkeit ergeben – zum Beispiel wenn sie mit der Mitwirkung an der Bestimmung des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation oder einem Beitrag zu deren Verkündigungsauftrag verbunden ist – oder aus den Umständen ihrer Ausübung, zum Beispiel der Notwendigkeit, für eine glaubwürdige Vertretung der Kirche oder Organisation nach außen zu sorgen (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 50; vgl. in diesem Sinne auch EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 62 f.).

dd) Unter Anwendung dieser Grundsätze liegen die in unionsrechtskonformer Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG zu fordernden Voraussetzungen für eine Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber den nicht der katholischen Konfession angehörenden Abteilungsärzten in Bezug auf die Loyalitätsanforderung, den heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung zu achten, nicht vor. Die Achtung des Gebots, keine nach kanonischem Recht ungültige Ehe einzugehen, war für die Bekundung des Ethos der Beklagten keine im Hinblick auf die Art der beruflichen Tätigkeiten des Klägers oder die Umstände ihrer Ausübung wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung. In Bezug auf diesen Teil ihres Ethos war die Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber den nicht der katholischen Kirche angehörigen Abteilungsärzten nicht durch § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt.

(1) Dies gilt zunächst mit Blick auf die Art der vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten.

(a) Soweit diese die Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus sowie die Leitung der medizinischen Abteilung „Innere Medizin“ als Chefarzt zum Gegenstand haben, wirkte der Kläger dadurch weder an der Bestimmung des Ethos der Beklagten mit noch leistete er einen Beitrag zu deren Verkündigungsauftrag.

(b) Der von der Beklagten zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung angeführte Umstand, die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit lasse sich nicht auf die Ausübung des Heilberufs „Arzt“ im rein praktischen Sinne reduzieren, sondern sei untrennbar mit ihrem karitativen Wirken insgesamt und dessen religiöser Dimension verbunden, vermag eine tätigkeitsbezogene Differenzierung ebenfalls nicht zu begründen. Alle Abteilungsärzte sind in diesem Sinne in das karitative Wirken der Beklagten einbezogen.

(c) Ihre Behauptung, der Kläger sei unter anderem im Bereich der internistischen Onkologie tätig gewesen, was ein besonders hohes Maß an Vertrauen zwischen dem behandelnden Arzt und dem Patienten voraussetze, lässt keinen Zusammenhang mit der Wesentlichkeit, also Notwendigkeit einer beruflichen Anforderung erkennen, im Privatleben den heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung zu achten. Die Beklagte macht vielmehr auch mit Blick auf die konkrete Tätigkeit des Klägers letztlich allein geltend, diese sei als karitative Tätigkeit Teil des Sendungsauftrags der römisch-katholischen Kirche. Das trifft indes nach ihrem eigenen Vorbringen auf alle im karitativen Dienst der Beklagten am Mitmenschen zu erfüllenden Tätigkeiten zu.

(d) Die Auffassung der Beklagten, die ihres Erachtens gegebene Notwendigkeit, vom Kläger die Beachtung der Gebote der katholischen Glaubens- und Sittenlehre zu fordern, werde nicht dadurch infrage gestellt, dass sie vereinzelt gemäß Art. 3 Abs. 2 GrO 1993 auch Personen nicht katholischer Konfession auf Stellen mit medizinischer Verantwortung und Leitungsaufgaben beschäftige, übersieht, dass die Abstufung von Loyalitätsanforderungen je nach Konfessionszugehörigkeit der Beschäftigten zwar nach deutschem Verfassungsrecht zulässig sein mag (so ausdrücklich BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 159 ff., BVerfGE 137, 273), unionsrechtlich aber tätigkeitsbezogen gerechtfertigt sein muss. Soweit die Beklagte geltend macht, die fraglichen Stellen „ähnelten“ sich bloß, lässt dies, wie ausgeführt, keinen relevanten Unterschied in Bezug auf die Forderung nach der Beachtung des kanonischen Eheverständnisses durch die Abteilungsärzte erkennen. Es ist auch unerheblich, ob die Beschäftigung von nicht-katholischen Abteilungsärzten eine bloße Reaktion auf die gesellschaftliche Entwicklung der religiösen Pluralisierung und „Entkirchlichung“ darstellt, wie die Beklagte geltend macht. Sie führt zwar weiter aus, es habe für die Integrität der Dienstgemeinschaft und die Vertrauensbasis der Mitarbeiterschaft, der Patienten und ihrer Angehörigen ein signifikant anderes Gewicht, ob in Ausnahmefällen in leitenden Funktionen auch Personen beschäftigt würden, die aus kirchenrechtlichen Gründen von Beginn an nur verminderten Loyalitätspflichten unterliegen, oder ob katholische Mitarbeiter – wie der Kläger – die ihnen obliegenden Verpflichtungen bewusst brächen. Nach den unionsrechtlichen Anforderungen ist aber die „Integrität der Dienstgemeinschaft“ für sich genommen kein eine Ungleichbehandlung bei den Loyalitätsanforderungen allein aufgrund der Konfession der Beschäftigten rechtfertigender Grund. Auch der Verweis der Beklagten auf die – vom Bundesverfassungsgericht aufgehobene – Senatsentscheidung vom 8. September 2011 (– 2 AZR 543/10 – Rn. 37, BAGE 139, 144) greift insofern zu kurz. Der Senat hatte sich dort nicht mit der Frage befasst, ob nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 RL 2000/78/EG Loyalitätsanforderungen auch innerhalb derselben (Leitungs-)Funktion allein nach der Konfessionszugehörigkeit der Beschäftigten abgestuft werden dürfen.

(2) Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Umständen der Ausübung der beruflichen Tätigkeiten des Klägers.

(a) Soweit die Beklagte geltend macht, der Kläger nehme als leitender Mitarbeiter im Sinne der GrO Repräsentationsfunktionen wahr, die eine besondere Bedeutung für den Bestand und die Entwicklung der Einrichtung sowie die Glaubwürdigkeit der Kirche auch in der außerkirchlichen Öffentlichkeit hätten, vermag dies nicht die Ungleichbehandlung bei den Loyalitätsanforderungen trotz gleich gelagerter (Leitungs-)Tätigkeit allein aufgrund der Konfessionszugehörigkeit zu rechtfertigen.

(b) Die von der Beklagten angeführte Vorbild- und Führungsfunktion des Klägers nach innen hinsichtlich der Erfüllung der an ihn selbst sowie die weiteren Mitarbeiter der Beklagten gestellten Loyalitätsanforderungen kann die unterschiedlichen Loyalitätsanforderungen allein aufgrund der Konfessionszugehörigkeit der Beschäftigten ebenfalls nicht begründen. Die Beklagte unternimmt insoweit den Versuch, die Ungleichbehandlung mit der Ungleichbehandlung – den unterschiedlichen Loyalitätsanforderungen je nach Konfessionszugehörigkeit – und nicht nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung zu rechtfertigen. Dies verkennt erneut die unionsrechtlichen Anforderungen an eine solche Ungleichbehandlung allein aufgrund der Konfessionszugehörigkeit.

(c) Auch die Behauptung, das Verhalten des Klägers werde von den Mitarbeitern, den Patienten und ihren Angehörigen ihr zugerechnet, stützt die Beklagte allein darauf, dass ihre ethische Glaubwürdigkeit gerade durch ihr Führungspersonal vermittelt werde. Zum Führungspersonal gehören indes ebenso die von ihr beschäftigten nicht-katholischen Abteilungsärzte. Die Argumentation der Beklagten läuft auch insofern darauf hinaus, die Ungleichbehandlung rechtfertige sich allein aus der unterschiedlichen Konfessionszugehörigkeit der Beschäftigten, was indes nach der maßgeblichen Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union einer Rechtfertigung nach der Art der ausgeübten Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung bedarf.

(d) Mit dem Hinweis darauf, ihre Mitarbeiter dürften sich berechtigterweise die Frage stellen, warum sie selbst den jeweiligen Loyalitätsanforderungen Folge leisten sollten, wenn ihnen nicht einmal der Kläger als leitender Mitarbeiter Folge leisten müsse, setzt die Beklagte wiederum die Zulässigkeit unterschiedlicher Loyalitätsanforderungen allein aufgrund der Konfessionszugehörigkeit der Mitarbeiter voraus, anstatt sie nach der Art ihrer Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung zu begründen.

  1. Kein anderes Ergebnis in Bezug auf die Unwirksamkeit der Kündigung vom 30. März 2009 ergäbe sich, wenn eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG deshalb unzulässig wäre, weil ihr der gesetzgeberische Wille entgegenstünde (vgl. Rn. 28). In diesem Fall hätte die Vorschrift wegen des zu ihr im Widerspruch stehenden Unionsrechts als Grundlage für die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung in Bezug auf die Loyalitätsanforderungen aufgrund der Religion gänzlich unangewendet zu bleiben (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 71).

III. Nationales Verfassungsrecht steht weder der unionsrechtskonformen Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG noch einer Unanwendbarkeit der Norm entgegen.

  1. Allerdings sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterschiedlich abgestufte Anforderungen der Loyalitätsobliegenheiten nach der Konfession des kirchlichen Arbeitnehmers mit ihrer grundlegenden Kategorisierung nach Katholiken (Art. 4 Abs. 1 GrO 1993), Nichtkatholiken (Art. 4 Abs. 2 GrO 1993) und Nichtchristen (Art. 4 Abs. 3 GrO 1993) verfassungsrechtlich ebenso gerechtfertigt wie die arbeitsrechtliche Sanktionierung von Verstößen aufgrund der Konfession einerseits und der leitenden Stellung andererseits (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 159 ff., BVerfGE 137, 273). Es gehört zum von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV garantierten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, dass die Religionsgemeinschaften autonom eine Abstufung der an die Beschäftigten gerichteten Loyalitätsanforderungen vorsehen und insofern auch bei gleich gelagerter Tätigkeit nach der Religion der Mitarbeiter unterscheiden dürfen (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 145, 151, 159 ff., aaO; 4. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 – zu B II 1 d der Gründe, BVerfGE 70, 138).
  2. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts geht dieses entgegenstehendem nationalen Recht jedoch vor (grundlegend EuGH 15. Juli 1964 – C-6/64 – [Flaminio Costa/E.N.E.L.]). Dies gilt auch im Verhältnis zu nationalem Verfassungsrecht (EuGH 9. März 1978 – C-106/77 – [Simmenthal] Rn. 17 f.; im Grundsatz ebenso BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 115, BVerfGE 142, 123; 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 1 b der Gründe, BVerfGE 126, 286). Diesen Anwendungsvorrang erfordert die wirksame Entfaltung des Rechts der Europäischen Union. Er entspricht der Ermächtigung des Art. 23 Abs. 1 GG, der insoweit ein Wirksamkeits- und Durchsetzungsversprechen enthält (vgl. BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] aaO). Hoheitsakte der Europäischen Union und – soweit sie durch das Unionsrecht determiniert werden – auch Akte der deutschen öffentlichen Gewalt sind daher mit Blick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts grundsätzlich nicht am Maßstab der im Grundgesetz verankerten Grundrechte zu messen (BVerfG 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] Rn. 36, BVerfGE 140, 317; 4. Oktober 2011 – 1 BvL 3/08 – [Investitionszulagengesetz] zu B I 1 a der Gründe, BVerfGE 129, 186). Dies gilt auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 GG nicht nur für Verordnungen, sondern auch für Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEUV und an die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Beschlüsse der Kommission nach Art. 288 Abs. 4 AEUV (früher: Entscheidungen der Kommission nach Art. 249 Abs. 4 EGV; BVerfG 4. Oktober 2011 – 1 BvL 3/08 – [Investitionszulagengesetz] aaO). Auch eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie oder einen Beschluss in deutsches Recht umsetzt, wird nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes gemessen, soweit das Unionsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt, sondern – wie hier – zwingende Vorgaben macht (BVerfG 4. Oktober 2011 – 1 BvL 3/08 – [Investitionszulagengesetz] aaO; vgl. auch BVerfG 13. März 2007 – 1 BvF 1/05 – [Emissionshandel] zu C I 1 d der Gründe, BVerfGE 118, 79; 2. März 2010 – 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08 – [Vorratsdatenspeicherung] zu B II der Gründe, BVerfGE 125, 260). Dies gilt jedenfalls solange, wie die Europäische Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt (BVerfG 4. Oktober 2011 – 1 BvL 3/08 – [Investitionszulagengesetz] aaO; vgl. auch BVerfG 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] Rn. 43, aaO und 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] BVerfGE 73, 339; 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] BVerfGE 102, 147; 13. März 2007 – 1 BvF 1/05 – [Emissionshandel] aaO). Das Bundesverfassungsgericht hat insofern seine ursprünglich angenommene generelle Zuständigkeit, den Vollzug von Gemeinschaftsrecht (jetzt: Unionsrecht) in Deutschland am Maßstab der Grundrechte der deutschen Verfassung zu prüfen (vgl. BVerfG 29. Mai 1974 – 2 BvL 52/71 – [Solange I] BVerfGE 37, 271), im Vertrauen auf die entsprechende Aufgabenwahrnehmung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (jetzt: Union) zurückgestellt (BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C II 1 b aa (4) (a) der Gründe, BVerfGE 123, 267; vgl. BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] zu B II 1 f der Gründe, aaO; bestätigt in BVerfG 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] zu B II 2 a der Gründe, aaO).
  3. Das hier maßgebliche Unionsrecht in der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist nicht seinerseits in Deutschland unanwendbar. Es beruht weder auf einem Akt ultra vires noch berührt es die Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ob diese ihrerseits mit dem Verständnis des Gerichtshofs vom Vorrang des Unionsrechts (dazu zuletzt etwa EuGH 11. Dezember 2018 – C-493/17 – Rn. 19) im Einklang steht, bedarf daher ebenso wenig einer Entscheidung wie die Frage, wie ein Konflikt zwischen dem Gerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht bei unterschiedlichen Auffassungen in Bezug auf die Gültigkeit von Unionsrecht gegebenenfalls aufzulösen wäre.

a) Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union, die ultra vires ergehen, verletzen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das im Zustimmungsgesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG niedergelegte Integrationsprogramm (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 143 und 152, BVerfGE 142, 123). Das Unionsrecht bleibt demnach – auch soweit es als autonome (Teilrechts-)Ordnung verstanden wird – von der vertraglichen Ermächtigung abhängig (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 144, aaO). Nur insoweit kann es am Anwendungsvorrang teilhaben (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 146, aaO). Eine entsprechende Prüfung setzt eine hinreichend qualifizierte Kompetenzüberschreitung voraus. Diese muss offensichtlich und für die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten von struktureller Bedeutung sein (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 147, aaO; 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 1 c cc (1) der Gründe, BVerfGE 126, 286). Da hinreichend qualifizierte Kompetenzüberschreitungen zugleich die Identität der Verfassung berühren, stellt die ultra vires-Kontrolle einen besonderen, an das Zustimmungsgesetz gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG anknüpfenden Anwendungsfall des allgemeinen Schutzes der Verfassungsidentität durch das Bundesverfassungsgericht dar (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 153, aaO).

aa) Ein Akt liegt offensichtlich außerhalb der übertragenen Kompetenzen, wenn sich die Kompetenz – bei Anwendung allgemeiner methodischer Standards – unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründen lässt (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 149, BVerfGE 142, 123; vgl. auch BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 1 c cc (2) und (3) der Gründe, BVerfGE 126, 286). Dieses Verständnis von Offensichtlichkeit folgt aus dem Gebot, die ultra vires-Kontrolle zurückhaltend auszuüben (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO unter Verweis auf Rn. 154 ff.). Bezogen auf den Gerichtshof der Europäischen Union folgt es zudem aus der Unterschiedlichkeit der Aufgaben und Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht einerseits und der Gerichtshof andererseits zu erfüllen oder anzuwenden haben (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Gerichtshof Anspruch auf Fehlertoleranz hat (BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 1 c cc (3) der Gründe, aaO). Eine Grenze findet dieser mit der Aufgabenzuweisung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV notwendig verbundene Spielraum erst bei einer offensichtlich schlechterdings nicht mehr nachvollziehbaren und daher objektiv willkürlichen Auslegung der Verträge. Erst wenn der Gerichtshof diese Grenze überschreitet, soll auch sein Handeln nicht mehr durch Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV gedeckt sein und seiner Entscheidung für Deutschland das gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 iVm. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG erforderliche Mindestmaß an demokratischer Legitimation fehlen (so BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO). Die Annahme einer offensichtlichen Kompetenzüberschreitung setzt allerdings nicht voraus, dass keine unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu dieser Frage vertreten werden (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 150, aaO). Dass Stimmen im Schrifttum, in der Politik oder den Medien einer Maßnahme Unbedenklichkeit attestieren, hindert die Feststellung einer offensichtlichen Kompetenzüberschreitung grundsätzlich nicht. „Offensichtlich“ kann die Kompetenzüberschreitung auch dann sein, wenn sie das Ergebnis einer sorgfältigen und detailliert begründeten Auslegung ist. Insoweit gelten im Rahmen der ultra vires-Kontrolle die allgemeinen Grundsätze (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO).

bb) Eine strukturell bedeutsame Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen kann nur vorliegen, wenn die Kompetenzüberschreitung ein für das Demokratieprinzip und die Volkssouveränität erhebliches Gewicht besitzt (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 151, BVerfGE 142, 123). Das ist etwa der Fall, wenn sie geeignet ist, die kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union zu verschieben und so das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu unterlaufen. Davon ist auszugehen, wenn die Inanspruchnahme der Kompetenz durch das Organ, die Einrichtung oder sonstige Stelle der Europäischen Union eine Vertragsänderung nach Art. 48 EUV oder die Inanspruchnahme einer Evolutivklausel erforderte (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO; vgl. EuGH Gutachten 2/94 vom 28. März 1996 [EMRK-Beitritt] Rn. 30), für Deutschland also ein Tätigwerden des Gesetzgebers, sei es nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG, sei es nach Maßgabe des Integrationsverantwortungsgesetzes (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO).

b) Im Rahmen der sog. Identitätskontrolle prüft das Bundesverfassungsgericht überdies, ob die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze bei der Übertragung von Hoheitsrechten durch den deutschen Gesetzgeber oder durch eine Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union berührt werden (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 138, BVerfGE 142, 123; 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] Rn. 36, 43, BVerfGE 140, 317; 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C I 2 e bb der Gründe, BVerfGE 123, 267).

aa) Das betrifft die Wahrung des Menschenwürdekerns der Grundrechte (Art. 1 GG; BVerfG 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] Rn. 48, BVerfGE 140, 317) ebenso wie die Grundsätze, die das Demokratie-, Rechts-, Sozial- und Bundesstaatsprinzip iSv. Art. 20 GG prägen (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 138, BVerfGE 142, 123).

bb) Mit Blick auf das Demokratieprinzip ist ua. sicherzustellen, dass dem Deutschen Bundestag bei einer Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 GG eigene Aufgaben und Befugnisse von substanziellem politischem Gewicht verbleiben (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 138, BVerfGE 142, 123; vgl. auch BVerfG 12. Oktober 1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92 – [Maastricht] zu C I der Gründe, BVerfGE 89, 155; 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu B I 3 a aa und C I 3 der Gründe, BVerfGE 123, 267) und dass er in der Lage bleibt, seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung wahrzunehmen (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] aaO mwN). Die europäische Vereinigung auf der Grundlage einer Vertragsunion souveräner Staaten darf nicht so verwirklicht werden, dass in den Mitgliedstaaten kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse mehr bleibt (BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C I 3 a cc der Gründe, aaO). Dies gilt ua. für solche politischen Entscheidungen, die in besonderer Weise auf kulturelle, historische und sprachliche Vorverständnisse angewiesen sind und die sich im parteipolitisch und parlamentarisch organisierten Raum einer politischen Öffentlichkeit diskursiv entfalten. Zu solchen wesentlichen Bereichen demokratischer Gestaltung gehören auch Fragen des Umgangs mit dem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis sowie Entscheidungen zum Status von Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und der Einbeziehung des Transzendenten in das öffentliche Leben, die als besonders sensibel für die demokratische Selbstgestaltungsfähigkeit eines Verfassungsstaates gelten (BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C I 3 a cc und dd der Gründe, aaO). Für die Beurteilung, ob eine verfassungswidrige Entleerung der Aufgaben des Deutschen Bundestags vorliegt, kommt es nicht auf quantitative Relationen, sondern darauf an, dass der Bundesrepublik Deutschland für zentrale Regelungs- und Lebensbereiche substanzielle innerstaatliche Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben (BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C II 1 c der Gründe, aaO).

cc) Soweit Maßnahmen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union Auswirkungen zeitigen, die die in den Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegte Verfassungsidentität berühren, gehen sie über die grundgesetzlichen Grenzen offener Staatlichkeit hinaus (vgl. BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 137, BVerfGE 142, 123). Auf einer primärrechtlichen Ermächtigung kann eine derartige Maßnahme nicht beruhen, weil auch der mit der Mehrheit des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 iVm. Art. 79 Abs. 2 GG entscheidende Integrationsgesetzgeber der Europäischen Union keine Hoheitsrechte übertragen kann, mit deren Inanspruchnahme eine Berührung der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität einherginge. Die Identitätskontrolle verhindert nicht nur, dass der Europäischen Union Hoheitsrechte jenseits des für eine Übertragung offenstehenden Bereichs eingeräumt werden, sondern auch, dass Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union umgesetzt werden, die eine entsprechende Wirkung entfalten und jedenfalls faktisch einer mit dem Grundgesetz unvereinbaren Kompetenzübertragung gleichkämen (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 139 mwN, aaO). Anders als die ultra vires-Kontrolle betrifft die Identitätskontrolle nicht die Einhaltung der Reichweite der übertragenen Zuständigkeit. Vielmehr wird die in Rede stehende Maßnahme der Europäischen Union in materieller Hinsicht an der „absoluten Grenze“ der Grundsätze der Art. 1 und Art. 20 GG gemessen (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 153 mwN, aaO).

  1. Die Prüfung, ob ultra vires– oder Identitätskontrolle nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäben vorliegend einen Ausschluss des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts gebieten, obliegt dem erkennenden Senat insofern, als er – bejahendenfalls – erwägen muss, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen (vgl. BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 162, BVerfGE 142, 123; 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] Rn. 43, BVerfGE 140, 317; 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C I 2 e bb der Gründe, BVerfGE 123, 267). Die Feststellung der Unanwendbarkeit von Unionsrecht in der Bundesrepublik Deutschland hat sich das Bundesverfassungsgericht vorbehalten (BVerfG 21. Juni 2016 – 2 BvE 13/13 ua. – [OMT-Programm] Rn. 155, aaO; 15. Dezember 2015 – 2 BvR 2735/14 – [Europäischer Haftbefehl] aaO; 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] aaO). Ein von diesem für denkbar gehaltenes, speziell auf die ultra vires– und Identitätskontrolle zugeschnittenes verfassungsgerichtliches Verfahren zur Absicherung der Verpflichtung deutscher Organe, kompetenzüberschreitende oder identitätsverletzende Unionsrechtsakte im Einzelfall in Deutschland unangewendet zu lassen (vgl. dazu BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] aaO), ist bislang allerdings weder vom deutschen Gesetzgeber geschaffen worden, noch hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Durchführung eines solchen – nicht normativ ausgestalteten – (Zwischen-)Verfahrens verfassungsrechtlich geboten ist.
  2. Unter Anwendung der vorstehenden Grundsätze gebieten es weder die ultra vires– noch die Identitätskontrolle, das hier maßgebliche Unionsrecht in der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union bei der Auslegung oder Anwendung von § 9 Abs. 2 AGG unberücksichtigt zu lassen.

a) Der Europäische Rat hat mit dem Erlass der RL 2000/78/EG nicht offensichtlich außerhalb der ihm übertragenen Kompetenzen und damit ultra vires gehandelt. Insbesondere ist das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nicht verletzt. Ermächtigungsgrundlage für die Richtlinie ist Art. 19 Abs. 1 AEUV (Ex-Art. 13 EGV aF; EUArbR/Mohr 2. Aufl. RL 2000/78/EG Art. 1 Rn. 2; für das Verbot der Altersdiskriminierung BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 2 b cc der Gründe, BVerfGE 126, 286).

b) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bei der Auslegung von Art. 4 Abs. 2 UnterAbs. 2 RL 2000/78/EG seine Kompetenz nicht offensichtlich überschritten. Es kann daher dahinstehen, ob diese Überschreitung anderenfalls eine hinreichend weitreichende Kompetenzverschiebung im Verhältnis zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten bewirkt hätte.

aa) Der Gerichtshof sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV). Er entscheidet nach Maßgabe der Verträge im Wege der Vorabentscheidung auf Antrag der einzelstaatlichen Gerichte über die Auslegung des Unionsrechts oder über die Gültigkeit der Handlungen der Organe (Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV). Dies umfasst – nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts – die Anwendung der spezifisch unionsrechtlich geprägten Methoden der Rechtsfindung, an die sich der Gerichtshof gebunden sieht und die der „Eigenart“ der Verträge und den ihnen eigenen Zielen Rechnung tragen (BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] zu C I 1 c cc (3) der Gründe, BVerfGE 126, 286).

bb) Die hier in Rede stehende, auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats erfolgte Auslegung von Art. 4 Abs. 2 UnterAbs. 2 RL 2000/78/EG durch den Gerichtshof der Europäischen Union beruht nicht auf einer objektiv willkürlichen Auslegung der Verträge.

(1) Der Begriff des „Status“ der Kirchen in Art. 17 AEUV bzw. in der durch den Erwägungsgrund 24 der Richtlinie in Bezug genommenen Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften zur Schlussakte des Vertrags von Amsterdam (Amsterdamer Kirchenerklärung) lässt nicht offensichtlich allein ein Verständnis entsprechend der teilweise in Deutschland vertretenen Auffassung zu, die nationalen Grundsätze zum Kirchenarbeitsrecht müssten bei der Ausgestaltung von Unionsrecht vollständig gewahrt bleiben (so etwa KR/Fischermeier 12. Aufl. Kirchl. ArbN Rn. 8; ders. ZMV-Sonderheft Tagung 2009 S. 7, 10 f.; Richardi ZfA 2008, 31, 49; Mohr/von Fürstenberg BB 2008, 2122, 2124 f.; Schliemann FS Richardi 2007 S. 959 ff.; ders., in: Reichold, Loyalitätsobliegenheiten im Umbruch S. 73 ff.; Schoenauer KuR 2012, 30, 35; Steinmeyer FS Wank 2014 S. 587, 591; Joussen NZA 2008, 675, 677 ff.; Thüsing, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 46, 129, 148; Thüsing/Fink-Jamann/von Hoff ZfA 2009, 153, 178 ff.; offengelassen BAG 25. April 2013 – 2 AZR 579/12 – Rn. 46, BAGE 145, 90; zu möglichen unionsrechtlichen Auslegungsvarianten vgl. auch Reichegger, Die Auswirkungen der Richtlinie 2000/78/EG auf das kirchliche Arbeitsrecht unter Berücksichtigung von Gemeinschaftsgrundrechten als Auslegungsmaxime, S. 219 ff.).

Das demgegenüber vertretene Verständnis des Gerichtshofs, Art. 17 AEUV bringe zwar die Neutralität der Union demgegenüber zum Ausdruck, wie die Mitgliedstaaten ihre Beziehungen zu den Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften gestalten, könne jedoch nicht bewirken, dass die Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG genannten Kriterien einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle entzogen würde (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 48; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 56 bis 58), ist als Ergebnis einer spezifisch unionsrechtlichen Auslegung nachvollziehbar (dem EuGH zustimmend auch Reichold/Beer NZA 2018, 681, 682). Der Gerichtshof hat insbesondere den Umstand gewürdigt, dass der Wortlaut des Art. 17 AEUV im Kern der Amsterdamer Kirchenerklärung entspricht, auf die jedoch im Erwägungsgrund 24 der RL 2000/78/EG bereits Bezug genommen ist, was deutlich mache, dass der Unionsgesetzgeber sie beim Erlass der Richtlinie berücksichtigt haben müsse. Dieses Verständnis hält sich im Rahmen der Gesamtsystematik des europäischen Rechts (Joussen EuZA 2018, 421, 435; Junker NJW 2018, 1850, 1851 f.; Sagan EuZW 2018, 386; kritisch Greiner NZA 2018, 1289, 1291; Klumpp Anm. AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 42; kritisch hinsichtlich der Begründung des EuGH, dem Ergebnis aber zustimmend Classen EuR 2018, 752, 761). Nach dem Erwägungsgrund 24 ist die Rechtsetzung der Mitgliedstaaten in Bezug auf Ungleichbehandlungen wegen der Religion inhaltlichen Beschränkungen unterworfen („spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen …, die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein können“). Jedenfalls ist die Grenze der objektiven Willkür nicht erreicht (zweifelnd auch Fremuth EuZW 2018, 723, 730). Dass ein anderes Verständnis von Art. 17 AEUV bzw. der Amsterdamer Kirchenerklärung vertretbar erscheinen mag (vgl. etwa Greiner jM 2018, 233, 235; Schuhmann ZAT 2018, 110, 112 f.; Thüsing/Mathy BB 2018, 2805, 2807), genügt ebenso wenig zur Annahme eines Aktes ultra vires wie der Umstand, dass der Gerichtshof seine Entscheidung nicht ausführlicher begründet hat (so auch Heuschmid/Höller AuR 2018, 587, 588; Jacobs RdA 2018, 263, 267; Klocke/Wolters BB 2018, 1460, 1464; Sagan EuZW 2018, 386, 387; zweifelnd Greiner aaO; Schuhmann ZAT 2018, 110, 115; Thüsing/Mathy RIW 2018, 559, 561).

(2) Entgegen der Auffassung von Krimphove (ArbRAktuell 2018, 511, 512) ist es – abgesehen davon, ob dies hinreichend offensichtlich wäre – nicht methodisch verfehlt, wenn der Gerichtshof mangels eines einschlägigen Freiheitsrechts auf ein Gleichheitsrecht „zurückgreift“. Der Schutz vor Diskriminierung ist, worauf der Gerichtshof explizit hinweist (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 69; 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 76), mittlerweile auch durch Art. 21 Abs. 1 GRC gewährleistet (nicht durch Art. 17 AEUV, wie Krimphove an anderer Stelle annimmt: ArbRAktuell 2019, 27, 29) und steht insofern gleichrangig neben dem Schutz etwa der Religionsfreiheit gem. Art. 10 Abs. 1 GRC. Vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, nach dem die Charta den gleichen Rang wie die Verträge hat, ergab sich der Grundsatz des Verbots einer Diskriminierung wegen der Religion aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 69).

(3) Eine objektiv willkürliche Verletzung der Verträge resultiert auch nicht aus der Annahme des Gerichtshofs, Art. 4 Abs. 2 UnterAbs. 2 RL 2000/78/EG entgegenstehendes nationales Recht habe gegebenenfalls unangewendet zu bleiben, selbst wenn es um einen Sachverhalt vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gehe (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 68 ff.). Die Argumentation des Gerichtshofs, vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon folge der Grundsatz des Verbots einer Diskriminierung wegen der Religion aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten, habe auch als solcher allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter und verleihe dem Einzelnen ein Recht, das er in einem Rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft, als solches geltend machen könne, so dass die nationalen Gerichte auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen verpflichtet seien, von der Anwendung mit diesem Verbot nicht im Einklang stehender nationaler Vorschriften abzusehen (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 67 bis 69), hält sich ebenfalls im Rahmen der ihm übertragenen Kompetenz (einen Akt ultra vires nehmen insoweit auch Thüsing/Mathy BB 2018, 2805, 2808 nicht an; kritisch Greiner NZA 2018, 1289, 1291 bzgl. der „gemeinsamen Verfassungstraditionen“ vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon in Bezug auf eine konfessionsanknüpfende Ungleichbehandlung bei den Loyalitätsobliegenheiten; dagegen wiederum, dem EuGH zustimmend, Stein ZESAR 2018, 277, 281: für die gemeinsamen Verfassungstraditionen sei nicht der „kleinste gemeinsame Nenner“ entscheidend). Sie entspricht der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Verbot der Diskriminierung wegen des Alters (vgl. EuGH 19. April 2016 – C-441/14 – [Dansk Industri] Rn. 36 mwN; 19. Januar 2010 – C-555/07 – [Kücükdeveci] Rn. 51; 22. November 2005 – C-144/04 – [Mangold] Rn. 77; Greiner NZA 2018, 1289, 1290; Thüsing/Mathy aaO; Klocke/Wolters BB 2018, 1460, 1464), die ihrerseits nicht ultra vires ergangen ist (BVerfG 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – [Honeywell] Rn. 77 bis 79, BVerfGE 126, 286). Bereits in der Rechtssache Mangold hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, das grundsätzliche Verbot aller nach der Richtlinie verbotenen Formen der Diskriminierung habe, wie sich aus der ersten und der vierten Begründungserwägung der Richtlinie ergebe, seinen Ursprung in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten (EuGH 22. November 2005 – C-144/04 – [Mangold] Rn. 74). Dies hat zwischenzeitlich eine Bestätigung in Art. 21 Abs. 1 der von allen Mitgliedstaaten beschlossenen Charta der Grundrechte der Europäischen Union gefunden.

(4) Es liegt – ungeachtet der Frage, ob dies einen Ausschluss des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zu begründen vermöchte – auch kein Eingriff in die völkerrechtliche Souveränität des Heiligen Stuhls vor, weil der Gerichtshof der Europäischen Union die nationalen Gerichte aufforderte, dem Unionsrecht entgegenstehendes kirchliches Recht nicht mehr anzuwenden (so aber Krimphove ArbRAktuell 2018, 511, 513; anders Krimphove ArbRAktuell 2019, 27, 29). Unangewendet zu bleiben hat gegebenenfalls allein dem Unionsrecht entgegenstehendes nationales, also staatliches (Verfassungs-)Recht (EuGH 11. September 2018 – C-68/17 – Rn. 71). Die GrO 1993 findet in Rechtsverhältnissen, die staatlichem Arbeitsrecht unterliegen, nicht autonom als Kirchenrecht Anwendung. Sie ist auch nicht Gegenstand eines Konkordats mit dem Heiligen Stuhl. Sie wurde vielmehr von den deutschen (Erz-)Bischöfen verabschiedet, um in Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts die in Deutschland verfassungsgerichtlich anerkannten Freiräume durch eine eigene kirchenrechtliche Regelung auszufüllen (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 10, BVerfGE 137, 273; vgl. Dütz NJW 1994, 1369; zum in der Bundesrepublik fortgeltenden Reichskonkordat vom 20. Juli 1933, Reichsgesetzblatt vom 18. September 1933 II S. 679, vgl. BVerfG 26. März 1957 – 2 BvG 1/55 – [Reichskonkordat] BVerfGE 6, 309).

c) Art. 4 Abs. 2 UnterAbs. 2 RL 2000/78/EG in der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union berührt nicht die in den Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegte Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland.

aa) Der Menschenwürdekern der Grundrechte, insbesondere der Religionsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, ist nicht betroffen. Zwar ist das von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 iVm Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV geschützte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften berührt, an dem auch die Beklagte teilhat (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 146, BVerfGE 137, 273). Dem korporativen Gewährleistungsinhalt der Religionsfreiheit kommt indes kein Menschenwürdekern zu. Kapitalgesellschaften, Vereine, Personengesellschaften etc. können die „Menschenwürde“ ihrem Wesen nach nicht für sich in Anspruch nehmen (Art. 19 Abs. 3 GG; vgl. zuletzt BVerfG 13. Juli 2018 – 1 BvR 1474/12, 1 BvR 670/13, 1 BvR 57/14 – Rn. 92). Menschenwürde kommt nur natürlichen Personen zu. Auch der Menschenwürdekern der Religions- und Weltanschauungsfreiheit gem. Art. 4 Abs. 1 GG betrifft allein den Menschen als sittliche Person, der nur mit der Freiheit bestehen kann, sich eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu bilden, sie zu haben oder nicht zu haben (BeckOK GG/Germann Stand 15. November 2018 Art. 4 Rn. 1). Sind juristische Personen betroffen, kann lediglich die Menschenwürde der hinter ihnen stehenden Individuen tangiert sein (BeckOK GG/Hillgruber Stand 15. November 2018 Art. 1 Rn. 6; vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth GG 14. Aufl. Art. 1 Rn. 7; Höfling, in: Sachs GG 8. Aufl. Art. 1 Rn. 66; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke GG 14. Aufl. Art. 1 Rn. 10; Robbers, in: Umbach/Clemens GG Art. 1 Rn. 21; Herdegen, in: Maunz/Dürig GG Stand November 2018 Art. 1 Abs. 1 Rn. 72). Diese bleibt von der Entscheidung des Gerichtshofs unberührt (ebenso Fremuth EuZW 2018, 723, 730).

bb) Das Demokratieprinzip gem. Art. 20 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht berührt.

(1) Das Bundesverfassungsgericht hat zum Stand der Integration nach dem Vertrag von Lissabon entschieden, dass das Legitimationsniveau der Europäischen Union im Hinblick auf den Umfang der übertragenen Zuständigkeiten und den erreichten Grad von Verselbstständigung der Entscheidungsverfahren noch den deutschen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Mit dem Vertrag von Lissabon ist weder die für die Verfassungsorgane unverfügbare verfassungsgebende Gewalt übertragen noch die staatliche Souveränität der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben worden. Dem Deutschen Bundestag sind vielmehr eigene Aufgaben und Zuständigkeiten von hinreichendem Gewicht verblieben (BVerfG 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 ua. – [Lissabon-Vertrag] zu C II 1 der Gründe, BVerfGE 123, 267).

(2) Daran ändert die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 UnterAbs. 2 RL 2000/78/EG durch den Gerichtshof der Europäischen Union nicht in einer solchen Weise etwas, dass der Bundesrepublik Deutschland in Fragen des Umgangs mit dem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis bzw. mit religiösen Gemeinschaften kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung dieses Lebensbereichs mehr verbliebe (vgl. zu Überlegungen in diese Richtung Fremuth EuZW 2018, 723, 730 f.; Schuhmann ZAT 2018, 110, 115). Die Entscheidung des Gerichtshofs wirkt sich zwar auf das Verhältnis der Kirchen und der ihnen zugeordneten Einrichtungen zu den dort beschäftigten Arbeitnehmern aus. Sie knüpft die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wegen der Religion an tätigkeitsbezogene Voraussetzungen. Nach deutschem Verfassungsverständnis gehört es dagegen zum garantierten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, den Religionsgemeinschaften auch insoweit ein der Kontrolle durch staatliche Gerichte weitgehend entzogenes Recht zuzugestehen, verbindlich selbst unterschiedliche Loyalitätsanforderungen abhängig allein von der Konfessionszugehörigkeit der Beschäftigten zu stellen. Bei den inhaltlichen Anforderungen an Loyalitätspflichten für Arbeitnehmer, die in einer der Kirchen oder der ihnen zugeordneten Einrichtungen beschäftigt werden, und dem dafür geltenden gerichtlichen Prüfungsmaßstab handelt es sich aber nicht um einen unverzichtbaren Teil der deutschen Verfassungsidentität, der einer Ausgestaltung durch Unionsrecht vollständig entzogen wäre. Auch nach Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 3 WRV ist das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nur innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes garantiert (vgl. auch Roßbruch PflR 2018, 715, 717). Art. 137 Abs. 3 WRV geht als speziellere Norm insoweit Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG vor (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 85, BVerfGE 137, 273; sog. Schrankenspezialität). Zwar ist nach deutschem Verfassungsrecht dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet und insofern dem Selbstbestimmungsrecht sowie dem Selbstverständnis der Religionsgesellschaften bei dem Ausgleich der gegenläufigen Interessen besonderes Gewicht zuzumessen ist (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – aaO). Der Bundesrepublik Deutschland verbleibt aber nicht etwa allein deshalb kein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung ihrer Beziehungen zu den Religionsgemeinschaften mehr, weil im Falle eines Konflikts mit dem Recht der Arbeitnehmer auf Schutz vor Diskriminierungen unionsrechtlich eine das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht mehr absolut setzende gerichtliche Kontrolle gefordert ist. Die nach deutschem Verfassungsverständnis tragenden Grundsätze des kirchlichen Arbeitsrechts bleiben vielmehr auch unionsrechtlich unangetastet und sind einer Gestaltung durch den deutschen Gesetzgeber damit nicht entzogen. Auch das Unionsrecht erkennt das Recht auf Autonomie der Kirchen und der anderen Organisationen an, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht (EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 50 f.). Die Vorgaben des Gerichtshofs in der Entscheidung vom 11. September 2018 (– C-68/17 –) sind zudem nur dann von Relevanz, wenn eine Kirche oder eine ihr zugeordnete Einrichtung unterschiedliche Loyalitätsanforderungen an Arbeitnehmer mit vergleichbaren (Leitungs-)Tätigkeiten allein aufgrund ihrer Konfession stellt. Die Bundesrepublik Deutschland verfügt in Fragen des Umgangs mit dem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis bzw. mit religiösen Gemeinschaften weiterhin über ausreichenden Raum zur politischen Gestaltung dieses Lebensbereichs, weil die Kirchen bzw. die ihnen zugeordneten Einrichtungen auch nach Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG im Hinblick auf Ungleichbehandlungen wegen der Religion gegenüber anderen privaten oder öffentlichen Arbeitgebern privilegiert sind. Jenseits des Bereichs konfligierenden Diskriminierungsschutzes verbleibt den Religionsgemeinschaften auch unionsrechtlich uneingeschränkt das Recht auf Selbstbestimmung und auf Achtung des Status, den sie in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen (der „Status der Kirchen als solcher“ ist nicht betroffen: Sagan EuZW 2018, 386, 387).

  1. Die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 UnterAbs. 2 RL 2000/78/EG durch den Gerichtshof der Europäischen Union erfordert keine Abkehr von der „Solange II“-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der verfassungsrechtlichen Kontrolle von Unionsrecht.

a) Dies setzte voraus, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Ergehen der „Solange II“-Entscheidung (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – BVerfGE 73, 339) unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken wäre (zum Erfordernis, dies für eine zulässige Vorlage entsprechend Art. 100 Abs. 1 GG darzulegen, vgl. BVerfG 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] zu B I und II 2 d der Gründe, BVerfGE 102, 147). Das Bundesverfassungsgericht wird erst und nur dann im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit wieder tätig, wenn der Gerichtshof den Grundrechtsstandard verlassen sollte, den es in der „Solange II“-Entscheidung festgestellt hat (BVerfG 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] zu B II 2 b der Gründe, aaO). Ein deckungsgleicher Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen des Grundgesetzes durch das europäische Gemeinschaftsrecht – heute: Unionsrecht – und die darauf fußende Rechtsprechung des Gerichtshofs ist nicht gefordert (BVerfG 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] zu B II 2 c der Gründe, aaO). Den verfassungsrechtlichen Erfordernissen ist entsprechend den in der „Solange II“-Entscheidung genannten Voraussetzungen genügt, wenn die Rechtsprechung des Gerichtshofs einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften (Union) generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt. Dies ist bereits im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaften der Fall gewesen. Es ist ein Maß an Grundrechtsschutz erwachsen, das nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im Wesentlichen gleich zu achten ist (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] zu B II 1 d der Gründe, aaO). Dieser Grundrechtsstandard ist insbesondere auch durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der (damals noch) Europäischen Gemeinschaften inhaltlich ausgestaltet worden, gefestigt und zureichend gewährleistet (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] zu B II 1 d aa der Gründe, aaO). Dies betrifft auch das Grundrecht der Religionsfreiheit (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] aaO). Dass sich auf der gemeinschaftsrechtlichen – heute: unionsrechtlichen – Ebene unter Umständen andersartige Fragen bei der Regelung von Grundrechten oder der Konkretisierung ihres Schutzbereichs stellen, vermag der Angemessenheit des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes aus der Sicht des Grundgesetzes keinen generellen Abbruch zu tun (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] zu B II 1 e der Gründe, aaO). Von Grundgesetzes wegen sind auch Regelungen auf der Ebene der Gemeinschaft ermöglicht, die die Grundrechte im Einklang mit den Zielen und besonderen Strukturen der Gemeinschaft wahren; der Wesensgehalt der Grundrechte und zumal der Menschenrechte andererseits ist unabdingbar und muss auch gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft Bestand haben (BVerfG 22. Oktober 1986 – 2 BvR 197/83 – [Solange II] aaO).

b) Die europäische Rechtsentwicklung ist aufgrund der Auslegung von Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG durch den Gerichtshof der Europäischen Union nicht unter den demnach erforderlichen Grundrechtsstandard gesunken.

aa) Die RL 2000/78/EG trägt in der Auslegung des Gerichtshofs sowohl dem Schutz des Grundrechts der Arbeitnehmer, nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, als auch – durch Art. 4 Abs. 2 – dem in Art. 17 AEUV und in Art. 10 GRC – der Art. 9 der EMRK entspricht – anerkannten Recht auf Autonomie der Kirchen und der anderen öffentlichen oder privaten Organisationen Rechnung, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht (EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 50). Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG bezweckt die Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen einerseits dem Recht auf Autonomie der Kirchen und der anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, und andererseits dem Recht der Arbeitnehmer, nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden, falls diese Rechte im Widerstreit stehen sollten (EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 51).

bb) Der Umstand, dass dem Recht der Arbeitnehmer, nicht wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert zu werden – anders als nach deutschem Verständnis, das auch insoweit ein der gerichtlichen Überprüfung weitgehend entzogenes kirchliches Proprium anerkennt (Fremuth EuZW 2018, 723, 728; Menges ZMV 2018, 292) – ein gerichtlich nachprüfbares Gewicht beigemessen wird, führt nicht dazu, dass der Standard eines wirksamen Schutzes der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union grundsätzlich verlassen würde, dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz nicht mehr im Wesentlichen gleich zu achten oder generell nicht auch weiterhin der Wesensgehalt der Grundrechte verbürgt wäre (ebenso Fremuth EuZW 2018, 723, 730). Der Gestaltungsspielraum der Kirchen wird zwar an tätigkeitsbezogene Merkmale geknüpft und daher in gewisser Weise eingeschränkt (Suttorp/Braun KuR 2018, 270, 274), wodurch umgekehrt das Schutzniveau für die Arbeitnehmer steigt (Fremuth EuZW 2018, 723, 730). Es verletzt aber nicht den Kernbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, wenn diesem im Konflikt mit dem unionsrechtlich verbürgten Diskriminierungsschutz nicht generell der Vorrang eingeräumt wird (aA Greiner NZA 2018, 1289, 1291; Thüsing/Mathy BB 2018, 2805, 2808). Die Religionsgemeinschaften bleiben als Grundrechtsträger vielmehr selbst besonders geschützt, sie können unionsrechtlich lediglich keine Privilegierung im Verhältnis zur gerichtlichen Überprüfbarkeit von Diskriminierungen beanspruchen (Joussen EuZA 2018, 421, 430). Sie dürfen ihren Freiraum auch unionsrechtlich nach eigenen Maßstäben ausfüllen, nur nicht verbindlich selbst über die Reichweite dieses Freiraums im Verhältnis zu den grundrechtlich geschützten Belangen Dritter auf Schutz vor Diskriminierung entscheiden (vgl. Stein ZESAR 2018, 277, 281).

cc) Die Legitimität des Ethos der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaft haben die staatlichen Gerichte grundsätzlich auch nach Unionsrecht nicht zu beurteilen (EuGH 17. April 2018 – C-414/16 – [Egenberger] Rn. 61, 64; Menges ZMV 2018, 292, 293). Es trifft daher nicht zu, dass eine Beurteilung des jeweiligen Ethos anhand weltlicher Maßstäbe zu erfolgen hätte (so aber wohl Thüsing/Mathy BB 2018, 2805, 2808; dies. RIW 2018, 559, 562; zutreffend dagegen Schneedorf NJW 2019, 177, 179) bzw. staatliche Gerichte das kirchliche Ethos zu beurteilen hätten. Es bleibt vielmehr die alleinige Angelegenheit der jeweiligen Religionsgesellschaft festzulegen, wie die jeweilige Glaubenslehre zu interpretieren ist und welcher Angebote und Dienste es zur Verwirklichung dieser Glaubenslehre bedarf sowie in welcher Organisationsform die konkrete Umsetzung erfolgt (zutreffend Schneedorf aaO). Bedienen sich kirchliche Einrichtungen – wie insbesondere in Diakonie und Caritas – für die Ausgestaltung ihrer Beschäftigungsverhältnisse des staatlichen Rechts, führt dies auch unionsrechtlich nicht etwa automatisch zu einer Nichtanwendbarkeit der Grundsätze des kirchlichen Arbeitsrechts (Schneedorf aaO). Es hat lediglich ein Ausgleich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts mit dem Recht der Arbeitnehmer stattzufinden, vor Diskriminierung geschützt zu werden. Ein mit dem Grundgesetz deckungsgleicher Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen ist dagegen nicht erforderlich (vgl. BVerfG 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97 – [Bananenmarktordnung] zu B II 2 c der Gründe, BVerfGE 102, 147). Deshalb kann ein Ausschluss des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts entgegen der Auffassung von Thüsing/Mathy (RIW 2018, 559, 562) auch nicht allein damit begründet werden, die Religionsfreiheit sei „im umfassenden Sinne“ zu schützen. Wäre dies der Fall, müsste eine Ausgestaltung des Schutzes vor Benachteiligungen wegen der Religion im Bereich der Kirche und der ihr zugeordneten Einrichtungen im gesamten Bereich der Europäischen Union trotz der in Art. 4 RL 2000/78/EG enthaltenen Vorgaben unterbleiben.

IV. Der Senat konnte nicht offenlassen, ob die in unionsrechtskonformer Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG geltenden Voraussetzungen an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wegen der Religion (vgl. Rn. 32) in Bezug auf die Anforderung, den heiligen und unauflöslichen Charakter der kirchlichen Eheschließung zu achten, erfüllt sind. Bliebe das Recht des Klägers auf Schutz vor Diskriminierung nach der vorgenannten Vorschrift außer Betracht, wäre die Revision der Beklagten begründet. Das Berufungsurteil wäre aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Es bedürfte ergänzender Feststellungen zu den nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 22. Oktober 2014 (– 2 BvR 661/12 – BVerfGE 137, 273) bei der Interessenabwägung auf Seiten des Klägers zu beachtenden Umständen (ebenso schon der Aussetzungsbeschluss des Senats vom 28. Juli 2016 – 2 AZR 746/14 [B] – Rn. 2 ff.).

  1. Der Kläger hätte gegen eine Loyalitätsanforderung verstoßen, die ihm nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässigerweise auferlegt war und an die er sich freiwillig durch den Abschluss des Arbeitsvertrags mit der Beklagten gebunden hatte. Dies wöge bei ihm als iSd. § 5 Abs. 3 GrO 1993 leitendem Mitarbeiter nach dem zu beachtenden Selbstbestimmungsrecht der römisch-katholischen Kirche besonders schwer. Es handelte sich nicht um ein bloß einmaliges – überwundenes – Fehlverhalten, sondern die Beklagte wäre bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers voraussichtlich dauerhaft mit seinem illoyalen Verhalten, dem Leben in einer kirchlich ungültigen Ehe, konfrontiert gewesen (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 182, BVerfGE 137, 273). Demgegenüber könnte allein die Dauer der Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten von gut neun Jahren im Zeitpunkt der Kündigung keine Interessenabwägung zu seinen Gunsten rechtfertigen. Es sind bislang auch keine Umstände festgestellt, aufgrund derer das Lebensalter des Klägers bereits eine besondere Schutzbedürftigkeit begründet hätte. Dies gilt auch für die Beurteilung seiner Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt.
  2. Soweit der Kläger die Vertragsgestaltung hinsichtlich der Geltung der in der GrO 1993 bestimmten Loyalitätsanforderungen für unklar hält, vermöchte dies nicht zu einer abweichenden Beurteilung zu führen. Ungeachtet der Frage, welche Rechtsfolge sich daraus ergäbe, liegt keine „unklare“ Vertragsgestaltung vor. a) Der Kläger macht nicht geltend, die Unklarheit ergebe sich aus seinem Dienstvertrag selbst. Dafür gibt es auch objektiv keine Anhaltspunkte. b) Soweit er darauf abstellt, die Unklarheit folge daraus, dass die Beklagte vom Wortlaut her identische Chefarztverträge ebenso mit evangelischen Chefärzten abgeschlossen, diesen aber im Falle einer Wiederheirat nicht gekündigt habe, sind zum einen zum Inhalt anderer Chefarztverträge keine Feststellungen getroffen. Eine zulässige Verfahrens(gegen-)rüge hat der Kläger nicht erhoben. Zum anderen bleibt sein Vorbringen auch im Revisionsverfahren unsubstanziiert. Es ist – bis auf den Fall des schon bei seiner Einstellung durch die Beklagte zum zweiten Mal verheirateten Dr. H – weder dargelegt, um die Verträge welcher Chefärzte es sich handeln soll, noch behauptet, er, der Kläger, habe bereits bei seinem eigenen Vertragsschluss Kenntnis vom Inhalt der fraglichen Verträge und ihrer praktischen Handhabung in anderen Fällen gehabt. Im Übrigen wäre bei identischem Vertragswortlaut auch jeweils die GrO 1993 in Bezug genommen, die für den Loyalitätsverstoß durch Wiederverheiratung gerade zwischen katholischen und nicht-katholischen Mitarbeitern unterscheidet.
  3. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wie ihn das Landesarbeitsgericht zugunsten des Klägers bei der Interessenabwägung berücksichtigt hat, läge ebenfalls nicht vor. Die Beklagte durfte – § 9 Abs. 2 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung ausgeklammert – an Katholiken auch bei gleich gelagerter (Leitungs-)Tätigkeit nach deutschem Verfassungsrecht weitergehende Loyalitätsanforderungen als an Angehörige anderer Konfessionen oder konfessionslose Arbeitnehmer stellen. Ebenso durfte sie das Leben in einer nach kirchlichem Recht ungültigen Ehe als gegenüber dem Zusammenleben in nichtehelicher Gemeinschaft schwerer wiegenden Verstoß werten (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 172 ff., BVerfGE 137, 273) und musste daher nicht schon das eheähnliche Zusammenleben des Klägers mit seiner künftigen zweiten Ehefrau zum Anlass für eine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nehmen. Es sind auch keine Umstände festgestellt oder objektiv ersichtlich, aus denen sich ergäbe, die Beklagte hätte ihr Kündigungsrecht dadurch verwirkt, dass sie die Kündigung erst im März 2009 erklärte, obwohl sie bereits im November 2008 Kenntnis von der zweiten Eheschließung des Klägers erlangte. Das gilt sowohl für das Zeit- als auch für das Umstandsmoment. Die Beklagte musste nicht nur das in der GrO 1993 vorgeschriebene beratende Gespräch mit dem Kläger führen, sondern auch den Aufsichtsrat beteiligen und eine Stellungnahme des Generalvikars einholen. Angesichts der – auch für die Beklagte und das Krankenhaus – weitreichenden Folgen des Kündigungsentschlusses ist es nicht zu beanstanden, dass sie dabei umsichtig und ohne Hast vorging (so bereits BAG 8. September 2011 – 2 AZR 543/10 – Rn. 13, BAGE 139, 144).
  4. Der Senat könnte die erforderliche Bewertung der nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bei der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu beachtenden Interessen des Klägers auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht selbst vornehmen. Dafür bedürfte es weiterer Sachaufklärung.

a) Dies gilt zunächst für die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Bewertung, ob die Rechtspositionen des Klägers und seiner zweiten Ehefrau aus Art. 6 Abs. 1 GG und den Wertungen aus Art. 8 Abs. 1 sowie Art. 12 EMRK in einem Maße tangiert sind, das es rechtfertigen würde, den Interessen des Klägers den Vorrang vor den Interessen der Beklagten einzuräumen (vgl. dazu BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 180, BVerfGE 137, 273).

aa) Soweit der Kläger im Personalgespräch am 25. November 2008 mitgeteilt haben soll, mit Rücksicht auf seine beiden Kinder von einer kirchlichen Annullierung der ersten Ehe abgesehen zu haben, bevor er standesamtlich die zweite Ehe geschlossen habe, wäre dies nicht geeignet, besondere Interessen an seiner Wiederheirat zu begründen. Nach dem kirchlichen Selbstverständnis wäre es – solange die Annullierung nicht feststeht – vielmehr unerheblich, ob diese bereits beantragt war oder aus welchen Gründen zunächst nicht. Zudem ist weder vom Kläger dargelegt noch objektiv ersichtlich, dass die kirchenrechtlichen Voraussetzungen für eine Annullierung seiner ersten Ehe gegeben gewesen wären.

bb) Dass die Schließung der zweiten Ehe nach dem Vorbringen des Klägers möglicherweise kein öffentliches Ärgernis ausgelöst hat, wäre nach der hier noch maßgeblichen GrO 1993 für die kündigungsrechtliche Sanktion eines leitenden Mitarbeiters ebenfalls unerheblich.

cc) Soweit der Kläger behauptet hat, er sei von seiner ersten Ehefrau böswillig verlassen worden, ist zwar nicht ausgeschlossen, dass dies – gegebenenfalls unter Berücksichtigung weiterer Umstände – für ein besonderes Interesse am Eingehen einer zweiten Ehe sprach. Ein solcher Sachverhalt ist aber bislang ebenfalls nicht festgestellt.

dd) Soweit das Landesarbeitsgericht ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen hat, könnten sich zwar auch aus dem damit in Bezug genommenen Vorbringen besondere Interessen des Klägers an der zweiten Eheschließung ergeben haben. Indes fehlt es auch insoweit bislang an Feststellungen.

b) Ebenfalls an ausreichenden Feststellungen mangelt es mit Blick auf die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts etwaig nach dem Gedanken des Vertrauensschutzes zugunsten des Klägers zu berücksichtigenden Umstände.

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat im Streitfall die Berücksichtigung des Gedankens des Vertrauensschutzes in Bezug darauf für möglich gehalten, dass § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Dienstvertrags in Abweichung von der GrO 1993 unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich von Verstößen gegen kirchliche Grundsätze – Verstoß gegen das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe einerseits und Verstoß gegen das Verbot des Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft andererseits – nicht vorsehe und die individualvertragliche Abrede besonderes Vertrauen des Klägers ausgelöst haben könnte (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 181, BVerfGE 137, 273).

bb) Es ist jedoch nicht festgestellt, dass der Kläger Kenntnis davon gehabt hätte, zur Kündigung berechtigte Vertreter der Beklagten hätten von dem eheähnlichen Zusammenleben mit seiner späteren zweiten Ehefrau gewusst. Dies wäre Voraussetzung dafür, dass sich bei ihm ein schützenswertes Vertrauen dahingehend hätte bilden können, die Beklagte werde einen solchen Verstoß gegen die Loyalitätsanforderungen und – wegen der gleichgeordneten Aufzählung beider Verstöße als Kündigungsgründe im Arbeitsvertrag – möglicherweise auch eine Wiederheirat nicht zum Anlass für eine Kündigung nehmen. Soweit der Kläger erstmalig im Revisionsverfahren behauptet, ihm sei bekannt gewesen, dass der Geschäftsführung der Beklagten Anhaltspunkte dafür vorlagen, er sei eine nichteheähnliche Lebensgemeinschaft eingegangen, hat die Beklagte diesen – zudem substanzlosen – Vortrag ausdrücklich bestritten.

cc) Die tatrichterliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe jedenfalls „seit Herbst 2006 von der nichteheähnlichen Lebensgemeinschaft mit der neuen Lebensgefährtin des Klägers Kenntnis“ gehabt, wird im Übrigen nicht vom wiedergegebenen Ergebnis der Beweisaufnahme getragen. Die diesbezüglich von der Beklagten erhobene Rüge einer Verletzung von § 286 Abs. 1 ZPO wäre begründet. Das Berufungsgericht hat die Kenntnis der Beklagten aus der Aussage eines der ehemaligen Geschäftsführer geschlossen, er sei gegen Ende seiner Dienstzeit von dem weiteren Geschäftsführer „über das Gerücht informiert worden, dass der Kläger eine neue Lebensgefährtin habe“. Dies ist logisch nicht nachvollziehbar. Wer ein Gerücht kennt, weiß deshalb noch nicht, dass die mit ihm verbreiteten Tatsachen wahr sind. Das Landesarbeitsgericht hat seine Schlussfolgerung auch nicht mit weiteren Indizien begründet. Soweit es auf die Angabe des Zeugen verwiesen hat, man habe sich entschlossen gehabt, „diesen Gerüchten nachzugehen, was letztlich dann wohl doch unterblieben sei“, ergibt sich auch daraus nicht, die Beklagte müsse positive Kenntnis von den tatsächlichen Umständen eines eheähnlichen Zusammenlebens des Klägers mit seiner Lebensgefährtin gehabt haben.

Unzulässiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer per Betriebsvereinbarung

(Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11. Dezember 2018 – 1 ABR 12/17 –)

Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, nach der ein Arbeitgeber zu einem Personalgespräch, das er mit einem Arbeitnehmer führt, bevor er aufgrund eines diesem vorgeworfenen Fehlverhaltens eine arbeitsrechtliche Maßnahme ergreift, gleichzeitig auch den Betriebsrat zu laden hat, ist nach § 75 Abs. 2 BetrVG unwirksam.

Aus den Gründen:

  1. Die in § 4 Nr. 4.1 Satz 1 und Satz 3 RBV geregelte Einladung des Betriebsrats und das daran anknüpfende Verfahren zur Beteiligung eines Mitglieds des Betriebsrats an dem vor Ausspruch einer „disziplinarischen“ Maßnahme iSv. § 4 Nr. 4.1 Satz 2 RBV obligatorischen Personalgespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beeinträchtigen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der zum Gespräch geladenen Arbeitnehmer.
    a) Ein Personalgespräch iSv. § 4 Nr. 4.1 RBV dient der Vorbereitung einer „disziplinarischen“ Maßnahme, der typischerweise ein vom Arbeitgeber beanstandetes Verhalten des Arbeitnehmers zugrunde liegt. Da die Einladung an den Betriebsrat als Gremium gerichtet ist, wird die Information einer drohenden „disziplinarischen“ Maßnahme aufgrund eines (etwaigen) fehlerhaften Verhaltens des Arbeitnehmers allen Mitgliedern des Betriebsrats bekannt. Weil die Einladung des Betriebsrats nach § 4 Nr. 4.1 Satz 1 RBV „gleichzeitig“ zu erfolgen hat, hängt es weder vom Willen des Arbeitnehmers ab, ob der Betriebsrat überhaupt von dem konkret bevorstehenden Gespräch erfährt, noch kann er selbst bestimmen, welches oder welche Mitglieder des Betriebsrats hiervon ggf. Kenntnis erlangen sollen.
    b) Darüber hinaus sieht § 4 Nr. 4.1 RBV – anders als vom Betriebsrat angenommen – nicht vor, dass der betroffene Arbeitnehmer selbst entscheiden kann, welches Betriebsratsmitglied seines Vertrauens er zum Gespräch hinzuzieht. Weder der Wortlaut dieser Norm noch ihre Systematik lassen den Schluss darauf zu, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf hat, das am Gespräch teilnehmende Betriebsratsmitglied selbst zu bestimmen. Vielmehr richtet sich die Einladung zum Gespräch nach § 4 Nr. 4.1 Satz 1 und Satz 4 RBV an den gesamten Betriebsrat. Dieser kann daher im Rahmen seines ihm obliegenden Auswahlermessens dasjenige Mitglied bestimmen, welches sich am Gespräch beteiligt. Das dem Arbeitnehmer in § 4 Nr. 4.1 Satz 3 RBV eingeräumte Wahlrecht beschränkt sich lediglich auf die Befugnis, das Gespräch ohne jegliche Beteiligung eines Betriebsratsmitglieds zu führen. Es beinhaltet jedoch nicht das Recht, es nur mit einem bestimmten – vom Arbeitnehmer ausgewählten – Betriebsratsmitglied zu führen.
  2. Die durch § 4 Nr. 4.1 Satz 1 und Satz 3 RBV bewirkte Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen Arbeitnehmer ist gemessen am Zweck der Betriebsratsbeteiligung nicht verhältnismäßig.
    a) § 4 Nr. 4.1 RBV verpflichtet den Arbeitgeber, mit dem betroffenen Arbeitnehmer vor Ausspruch einer „disziplinarischen“ Maßnahme zunächst ein Gespräch zu führen. Dem Arbeitnehmer soll damit Gelegenheit gegeben werden, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Dadurch erhält er die Möglichkeit, ein ihm ggf. zur Last gelegtes Fehlverhalten auszuräumen oder entlastende Umstände vorzubringen und damit die vom Arbeitgeber beabsichtigte Maßnahme entweder gänzlich zu verhindern oder diese zumindest abzumildern. Als Unterstützung in einer Situation struktureller Unterlegenheit des Arbeitnehmers und ggf. zu dessen Beratung wollten die Betriebsparteien ihm hierbei ein Mitglied des Betriebsrats zur Seite stellen. Auch kann dem am Gespräch beteiligten Betriebsratsmitglied im Hinblick auf das vom Arbeitgeber vorgebrachte Fehlverhalten des Arbeitnehmers eine wichtige Kontroll- und Korrekturfunktion zukommen. Zudem wird durch seine Teilnahme sichergestellt, dass für den Arbeitnehmer eine Person als Zeuge zugegen ist (vgl. hierzu auch BAG 16. November 2004 – 1 ABR 53/03 – Rn. 24, BAGE 112, 341).
    b) Im Hinblick auf diesen Zweck sind die Regelungen in § 4 Nr. 4.1 Satz 1 und Satz 3 RBV – ihre Geeignetheit unterstellt – weder erforderlich noch angemessen.
    aa) Um dem Arbeitnehmer dem bei der Führung des obligatorischen Personalgesprächs gebotenen Schutz zu gewährleisten, ist die in § 4 Nr. 4.1 Satz 1 und Satz 3 RBV vorgesehene Verfahrensweise nicht erforderlich. Eine im Interesse des Arbeitnehmers liegende Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds am Personalgespräch ist auch dann hinreichend gewährleistet, wenn dem betroffenen Arbeitnehmer ein Recht auf Hinzuziehung eines bestimmten Betriebsratsmitglieds eingeräumt und er hierauf in der Einladung zum Gespräch hingewiesen wird. Dies zeigen die Regelungen in § 81 Abs. 4 Satz 3 und § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Nach dem sich aus diesen gesetzlichen Regelungen ergebenden Leitbild ist der durch die Beteiligung eines Betriebsratsmitglieds an den Erörterungen und Gesprächen des Arbeitgebers mit dem Arbeitnehmer über dessen berufliche Fähigkeiten und Leistungen vermittelte Schutz schon dann ausreichend sichergestellt, wenn die Initiativlast für die Hinzuziehung des Betriebsratsmitglieds beim Arbeitnehmer liegt. Dies gilt – wie § 81 Abs. 4 Satz 3 BetrVG erkennen lässt – auch dann, wenn eine Pflicht des Arbeitgebers zur Gesprächsführung mit dem Arbeitnehmer besteht.
    bb) Darüber hinaus ist das in § 4 Nr. 4.1 RBV geregelte Verfahren angesichts der Intensität der damit einhergehenden Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer in mehrfacher Hinsicht nicht angemessen.
    (3) Hinzu kommt, dass die Betriebsparteien in § 4 Nr. 4.1 RBV für das am Gespräch teilnehmende Betriebsratsmitglied keine Pflicht zur Verschwiegenheit über dessen Inhalt geregelt haben. Die Vorschrift des § 79 Abs. 1 Satz 1 BetrVG greift insoweit nicht. Auch eine analoge Anwendung von § 99 Abs. 1 Satz 3 und § 102 Abs. 2 Satz 5 BetrVG bzw. – wie vom Landesarbeitsgericht angenommen – von § 82 Abs. 2 Satz 3 BetrVG scheidet aus. Eine solche setzt eine vom Normgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke voraus, deren Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann (vgl. nur BAG 27. Juni 2018 – 10 AZR 295/17 – Rn. 23). Hieran fehlt es.
    c) Die verfahrensrechtlichen Regelungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) nach § 167 Abs. 2 SGB IX gebieten keine andere Bewertung. Auch im Rahmen des bEM darf die Hinzuziehung des Betriebsrats nur mit vorheriger Einwilligung des Arbeitnehmers erfolgen (vgl. BAG 22. März 2016 – 1 ABR 14/14 – Rn. 11 und 30 mwN, BAGE 154, 329). Unabhängig davon zielt das bEM darauf ab, eine bestehende und in aller Regel auch betriebsbekannte Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern (vgl. BAG 7. Februar 2012 – 1 ABR 46/10 – Rn. 21, BAGE 140, 350). Damit dient dieses Verfahren anderen Zwecken als das typischerweise an ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers anknüpfende Personalgespräch nach § 4 Nr. 4.1 RBV.
    d) Entgegen der Ansicht des Betriebsrats ergibt sich auch aus seinen Unterrichtungsrechten nach § 99 Abs. 1 Satz 1, § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bei einer etwaigen nachfolgenden Versetzung oder Kündigung des Arbeitnehmers vorliegend nichts Gegenteiliges. Die genannten Bestimmungen treffen keine Aussage darüber, wie die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu einem ggf. im Vorfeld einer solchen personellen Einzelmaßnahme zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber stattfindenden Gespräch ausgestaltet werden kann.

Anspruch auf Löschung der gespeicherten Kopien eines Personalausweises ohne Passbild

(Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. April 2019 – L 26 AS 2611/17 –)

Der Speicherung der Kopien des Personalausweises in der elektronischen Akte eines Sozialleistungsträgers steht auch ohne Speicherung des Fotos entgegen, dass dort Angaben zur Augenfarbe und Größe des Betroffenen enthalten sind, die nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 Verordnung zur Erhebung von Daten nach § 51b SGB II vom 12. August 2010 gerade nicht zu erheben sind. Es ist auch nicht erkennbar, dass das Vorhalten von Kopien des Personalausweises in der elektronischen Akte der Überprüfung einer korrekten Leistungserbringung und der Bekämpfung von Leistungsmissbrauch dienen kann.

Aus den Gründen:

Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Löschung der in der elektronischen Akte des Beklagten gespeicherten und nach Entfernen des Passfotos nur noch unvollständigen Kopien des Personalausweises ist Art. 17 Abs. 1 a der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DS-GVO), in Kraft getreten am 25. Mai 2018. Danach hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern die personenbezogenen Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind.

Diese Regelung entspricht im Wesentlichen dem zuvor bis zum 24. Mai 2018 in Deutschland geltenden Recht. Sozialdaten waren nach § 84 Abs. 2 SGB X a. F. auch zu löschen, wenn ihre Kenntnis für die verantwortliche Stelle zur rechtmäßigen Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich war und kein Grund zu der Annahme bestand, dass durch die Löschung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB X i. d. F. durch Art. 8 § 2 Nr. 18 d des Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze vom 18. Mai 2001, in Kraft getreten am 23. Mai 2001, <a. F., BGBl. I S. 904>).

Die Norm des Art. 17 Abs. 1 DS-GVO ist auch anwendbar. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. A. 2017, § 54 RdNr. 34 m.w.N.; s. a. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 31/17 R –, RdNr. 14; abweichend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Dezember 2018 – L 32 AS 2045/16 –, RdNrn. 32 ff.; jeweils zitiert nach juris). Es sind schließlich keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die DS-GVO nach ihrem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis nicht umfassen soll. Dies gilt im vorliegenden Fall erst recht, weil die begehrte Löschung eine in die Zukunft gerichtete Leistung ist.

Nach § 35 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) i. d. F. durch Art. 19 des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2017, in Kraft getreten am 25. Mai 2018, (n. F.; BGBl. I S. 2541) regeln die Vorschriften des Zweiten Kapitels des SGB X und der übrigen Bücher des Sozialgesetzbuchs die Verarbeitung von Sozialdaten abschließend, soweit nicht die DS-GVO unmittelbar gilt. Für die Verarbeitung von Sozialdaten im Rahmen von nicht in den Anwendungsbereich der DS-GVO fallenden Tätigkeiten finden die DS-GVO und dieses Gesetz entsprechende Anwendung, soweit nicht in diesem oder einem anderen Gesetz Abweichendes geregelt ist (§ 35 Abs. 2 Satz 2 SGB I).

Die Speicherung von Kopien eines Personalausweises durch den Beklagten betrifft Sozialdaten im Sinne von § 35 SGB I. Sozialdaten sind personenbezogene Daten (vgl. Art 4 Nr. 1 DS-GVO), die von einer in § 35 SGB I genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch verarbeitet werden (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 1 SGB X n. F.). Zu den in § 35 SGB I genannten Stellen gehört der Beklagte im Sinne von §§ 12, 19a Abs. 2 SGB I, der als Kreis für die Erbringung von Leistungen nach dem SGB II zuständig ist. Im Hinblick auf die Auffangregelung in § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB I kann der Senat offen lassen, ob die DS-GVO unmittelbare oder entsprechende Anwendung findet (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 31/17 R –, RdNr. 15, zitiert nach juris).

Die Frage stellt sich im hiesigen Fall, weil die DS-GVO keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen einer Tätigkeit findet, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt (vgl. Art. 2 Abs. 2a DSGVO). Nach Art. 4 Abs. 2 b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV oder auch Vertrag von Lissabon vom 26. Oktober 2012) erstreckt sich die von der Union mit den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit u.a. auf die Sozialpolitik hinsichtlich der in dem Vertrag genannten Aspekte (dann direkte Anwendung), nicht aber auf die Verwaltungstätigkeit der Sozialbehörden (dann analoge Anwendung).

Nach den übrigen Regelungen in Art. 2 DS-GVO ist die DS-GVO sachlich anwendbar. Die von dem Beklagten durchgeführte Speicherung des Personalausweises der Klägerin stellt eine Verarbeitung (Art. 4 Nr. 2 DS-GVO) personenbezogener Daten dar, die in einem Dateisystem (Art. 4 Nr. 6 DS-GVO) im Sinne von Art. 2 Abs. 1 DS-GVO gespeichert worden sind. Der Ausdruck „personenbezogene Daten“ bezeichnet alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (auch: betroffene Person) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann (Art. 4 Nr. 1 DS-GVO).

Dazu gehören die Angaben in dem gespeicherten Personalausweis zu Namen, Geburtstag und -ort, Nationalität, Wohnort, Augenfarbe und Größe der Klägerin sowie Personalausweisnummer, Ausstelldatum und ausstellende Behörde. Der Ausdruck „Verarbeitung“ bezeichnet jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung (vgl. Art. 4 Nr. 2 DS-GVO). Der Ausdruck „Dateisystem“ bezeichnet jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, unabhängig davon, ob diese Sammlung zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geografischen Gesichtspunkten geordnet geführt wird (vgl. Art. 4 Nr. 6 DS-GVO). Eine elektronische Akte, die den gesamten Ablauf des Verwaltungsverfahrens wiedergibt und auch den kopierten Personalausweis enthält, zählt ohne Zweifel hierzu.

Die Voraussetzungen des Anspruchs aus Art. 17 Abs. 1 a DSGVO sind erfüllt, denn der Beklagte als Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DS-GVO und § 67 Abs. 4 Satz 1 SGB X n. F. hat den Personalausweis der Klägerin als von der Speicherung ihrer personenbezogenen Daten betroffener Person gespeichert. Die Speicherung soll nach den internen Verwaltungsvorschriften zu den Aufbewahrungs- und Löschungsfristen zehn Jahre ab Beginn des auf die letzte Auszahlung folgenden Jahres dauern. Im Fall der Klägerin, die bis zum 31. August 2012 Arbeitslosengeld II von dem Beklagten bezogen und am 4. Februar 2015 die Löschung beantragt hat, bedeutet dies, dass die Kopien erst am 31. Dezember 2022 gelöscht werden sollen.

Der Löschungsanspruch setzt weiter voraus, dass die gespeicherten Kopien des Personalausweises der Klägerin für die Zwecke, für die er gespeichert wurde, nicht mehr notwendig sind. Die Rechtsgrundlage zur Feststellung der Zwecke, für die der Verantwortliche, also der Beklagte, die Daten erhoben hat, ergibt sich aus der Regelung der rechtmäßigen Datenverarbeitung in Art. 6 DS-GVO (vgl. dazu BSG, Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 31/17 R –, zitiert nach juris). Denn die Norm des Art. 17 Abs. 1 a DS-GVO knüpft nach Wortlaut, Regelungssystem (Art. 17 Abs. 1 d DS-GVO) und -zweck an die Beendigung einer rechtmäßigen Datenverarbeitung an.

Die Verarbeitung ist nach Art. 6 Abs. 1 c DS-GVO rechtmäßig, wenn die Verarbeitung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche unterliegt. Die Rechtsgrundlage hierfür wird u.a. festgelegt durch das Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt (Art. 6 Abs. 3 Satz 1 b DS-GVO). Der Zweck der Verarbeitung muss in dieser Rechtsgrundlage festgelegt sein (vgl. Art. 6 Abs. 3 Satz 2 DS-GVO).

Eine solche Rechtsgrundlage enthält § 67a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X n. F. Danach ist die Erhebung von Sozialdaten durch die in § 35 SGB I genannten Stellen zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung einer Aufgabe der erhebenden Stelle nach diesem Gesetzbuch erforderlich ist. Dies gilt auch für die Erhebung der besonderen Kategorien personenbezogener Daten im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DS-GVO, die hier jedoch nicht erfolgt ist. Die anschließende Speicherung, Veränderung, Nutzung, Übermittlung, Einschränkung der Verarbeitung und Löschung von Sozialdaten durch die in § 35 SGB I genannten Stellen ist nur erlaubt, soweit datenschutzrechtliche Vorschriften des SGB X oder eine andere Vorschrift des SGB dies erlauben oder anordnen (§ 67b Abs. 1 Satz 1 SGB X n. F.).

Hierzu zählen die einschlägigen Regelungen der §§ 50 ff. SGB II. Die dort getroffenen Regelungen enthalten bereichsspezifische Datenschutznormen für die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Solche Regelungen des bereichsspezifischen Datenschutzes gehen den allgemeinen Vorschriften des Sozialdatenschutzes der §§ 67 ff. SGB X vor. § 50 SGB II ermächtigt die Grundsicherungsträger zur Datenübermittlung. § 51b SGB II stellt eine Spezialvorschrift über die Datenerhebung und -verarbeitung durch die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende dar. Ausweislich der Gesetzesmaterialien erfüllt § 51b SGB II auch die Funktion, dass weitere Daten mit Rücksicht auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Leistungsempfänger nicht erhoben werden dürfen (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R –, RdNr. 22, zitiert nach juris).

Nach § 51b Abs. 1 SGB II erheben die zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende laufend die für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende erforderlichen Daten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats die nach Satz 1 zu erhebenden Daten, die zur Nutzung für die in Abs. 3 genannten Zwecke erforderlich sind, einschließlich des Verfahrens zu deren Weiterentwicklung festzulegen.

Die nach den Absätzen 1 und 2 erhobenen Daten dürfen nur für folgende Zwecke verarbeitet und genutzt werden:

  1. die zukünftige Gewährung von Leistungen nach diesem und dem Dritten Buch an die von den Erhebungen betroffenen Personen,
  2. Überprüfungen der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf korrekte und wirtschaftliche Leistungserbringung,
  3. die Erstellung von Statistiken, Kennzahlen für die Zwecke nach § 48a Abs. 2 und § 48b Abs. 5, Eingliederungsbilanzen und Controllingberichten durch die Bundesagentur, der laufenden Berichterstattung und der Wirkungsforschung nach den §§ 53 bis 55,
  4. die Durchführung des automatisierten Datenabgleichs nach § 52,
  5. die Bekämpfung von Leistungsmissbrauch.

Der Beklagte beruft sich vorliegend auf die Zwecke nach Nrn. 2 und 5. Danach durfte der Beklagte personenbezogene Daten der Klägerin u.a. zu Familien- und Vornamen, Anschrift, Familienstand, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit usw. (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung zur Erhebung der Daten nach § 51b SGB II vom 12. August 2010, BGBl. I S. 1150) erheben. Dies schließt die Anforderung und Vorlage entsprechender Dokumente zum Nachweis der gemachten Angaben durch die Klägerin nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 45/07 R –, RdNr. 22, zitiert nach juris).

Allerdings steht der Speicherung der Kopien des Personalausweises auch nach Löschung des Passbildes bereits entgegen, dass dort Angaben zur Augenfarbe und Größe der Klägerin enthalten sind, die nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 der genannten Verordnung gerade nicht zu erheben sind. Es ist auch nicht erkennbar, dass das Vorhalten von Kopien des Personalausweises in der elektronischen Akte der Überprüfung einer korrekten Leistungserbringung und der Bekämpfung von Leistungsmissbrauch dienen kann.

Zunächst ist festzustellen, dass der Beklagte selbst die Vorlage des Personalausweises in seiner Anforderung vom 13. Januar 2009 unter der Rubrik „Ausweispapiere“ nur alternativ neben die Vorlage eines Passes oder einer Meldebescheinigung gestellt hat. Offenbar sollte die Vorlage dieser Dokumente dem Nachweis des Wohnsitzes der Klägerin und damit der Feststellung der Zuständigkeit zur Leistungserbringung des Beklagten dienen. Die Meldebescheinigung ist – neben den Kopien des Personalausweises – zu den Akten genommen worden. Die Daten des Personalausweises sind außerdem mit Ausnahme von Augenfarbe und Größe auch in dem von der Klägerin unterschriebenen Antragsformular enthalten. Zwar sind die beiden Personalausweise ausstellenden Behörden sowie die Personalausweisnummern nicht im Antragsformular oder an anderer Stelle angegeben. Allerdings ist nicht erkennbar, dass diese Angaben zur Erfüllung der Zwecke in § 51b Abs. 3 Nr. 2 und 5 SGB II erforderlich sind.

Zur Vermeidung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II an einen Dritten, der sich der echten Ausweispapiere eines anderen bedient, kann die gespeicherte Kopie eines Personalausweises ohne Passbild nicht beitragen. Wenn sich ein Antragsteller mit einem Ausweis Leistungen erschleichen will, lässt sich die Identität des Antragstellers nur durch den Abgleich des Gesichts mit dem vorgezeigten Personalausweisbild feststellen. Ein Dokumentenprüfgerät kann die Echtheit eines gefälschten Personalausweises erkennen. Die unvollständige Kopie eines Personalausweises ist dazu nicht geeignet.

Der Auffassung des Beklagten, die Kopie sei auch erforderlich, um gegebenenfalls eine noch zehn Jahre nach der Bewilligung erforderliche Aufhebung nach § 45 SGB X zu prüfen, kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Denn die in dem Ausweis enthaltenen Daten sind durch den ausgefüllten Leistungsantrag hinlänglich bekannt.

Schließlich sind nach den obigen Ausführungen weder die internen Verwaltungsvorschriften zu den Aufbewahrungs- und Löschungsfristen noch der Aktenplan II der Bundesagentur für Arbeit vom 1. Oktober 2012 mit den dort jeweils geregelten pauschalen Aufbewahrungsfristen geeignet, ein Recht des Beklagten auf Speicherung der Ausweiskopien der Klägerin über eine Frist von zehn Jahren zu begründen.

Zum Umfang des Auskunftsanspruchs nach § 15 DS-GVO

(Landgericht Köln, Teilurteil vom 18. März 2019 – 26 O 25/18 –)

  1. Der Auskunftsanspruch nach § 15 DS-GVO dient nicht der vereinfachten Buchführung des Betroffenen, sondern soll den Betroffenen in die Lage versetzen, den Umfang und Inhalt der gespeicherten personenbezogenen Daten zu beurteilen.
  2. Er erstreckt sich daher nicht auf sämtliche internen Vorgänge des Verantwortlichen, wie z.B. Vermerke, oder darauf, dass sämtlicher gewechselter Schriftverkehr, der dem Betroffenen bereits bekannt ist, erneut ausgedruckt und übersendet werden muss.
  3. Rechtliche Bewertungen oder Analysen einer Versicherung stellen insofern ebenfalls keine personenbezogenen Daten in diesem Sinne dar.

Aus den Gründen:

Gemäß Art. 15 Abs. 1 DS-GVO steht der betroffenen Person ein umfassender Anspruch auf Auskunft über verarbeitete, sie betreffende personenbezogene Daten sowie weitere Informationen zu. Die Information muss u.a. auch die Verarbeitungszwecke (Ziffer a)), die Empfänger von Daten (Ziffer b)) und die geplante Dauer der Speicherung (Ziffer c)) enthalten. Gemäß Art. 4 Nr. 1 DS-GVO sind „personenbezogene Daten“ in diesem Sinne alle Informationen, die sich auf identifizierte oder identifizierbare natürliche Personen beziehen. Eine „Verarbeitung von Daten“ stellt gemäß Art. 4 Nr. 2 DS-GVO jeder Vorgang im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten dar. Insofern ergibt sich ein umfassendes Auskunftsrecht bezogen auf die gespeicherten bzw. verarbeiteten personenbezogenen Daten. Dies beinhaltet Daten wie Namen oder Geburtsdatum genauso wie jegliche Merkmale, die die Identifizierbarkeit einer Person ermöglichen können, z.B. Gesundheitsdaten, Kontonummer usw.

Nach diesen Grundsätzen und auf Grundlage der Erwägungsgründe stellen ärztliche Unterlagen, Gutachten oder sonstige vergleichbare Mitteilungen anderer Quellen ebenfalls „personenbezogene Daten“ dar. Nach der Auffassung der Kammer bezieht sich der Auskunftsanspruch aber nicht auf sämtliche internen Vorgänge der Beklagten, wie z.B. Vermerke, oder darauf, dass die betreffende Person sämtlichen gewechselten Schriftverkehr, der dem Betroffenen bereits bekannt ist, erneut ausgedruckt und übersendet erhalten kann (so das OLG Köln zu § 34 BDSG a.F., Beschluss vom 26.07.2018, 9 W 15/18). Rechtliche Bewertungen oder Analysen stellen insofern ebenfalls keine personenbezogenen Daten in diesem Sinne dar. Der Anspruch aus Art. 15 DS-GVO dient nicht der vereinfachten Buchführung des Betroffenen, sondern soll sicherstellen, dass der Betroffene den Umfang und Inhalt der gespeicherten personenbezogenen Daten beurteilen kann. Folgerichtig bestimmt Art. 15 Abs. 3 DS-GVO, dass der Betroffene eine Kopie (lediglich) der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, erhält.

Vorliegend hat die Beklagte verschiedene Auskünfte und Informationen erteilt (u.a. Bl. 164 ff. d.A. = Anlage K 10; Bl. 234 d.A. = Anlage B 4, Bl. 359 ff. d.A. = SS vom 20.12.2018 nebst Anlage B 5) und angegeben, dass weitere personenbezogene Daten über die Klägerin nicht gespeichert seien bzw. verarbeitet wurden. Substantiierter Vortrag der Klägerin, welche Informationen seitens der Beklagten darüber hinaus noch verarbeitet worden sein könnten, ist nicht erfolgt. Insofern sind konkrete Anhaltspunkte, dass die Auskunft – nach Maßgabe der Rechtsauffassung der Kammer – unvollständig ist, nicht vorhanden. Aus den Auskünften der Beklagten ergeben sich vielmehr die personenbezogenen Daten sowie die sonstigen Informationen i.S.v. Art. 15 Abs. 1 a)-h) wie Gruppen von personenbezogenen Daten, Erfassung der Daten, Speicherdauer usw.

Schwärzung von Drittkonten in der Auskunft des Bundeszentralamts für Steuern durch den Gerichtsvollzieher

(Landgericht Rostock, Beschluss vom 7. Mai 2019 – 3 T 66/19 (3) –)

Eine Schwärzung oder Löschung von Auskünften des Bundeszentralamts für Steuern durch den Gerichtsvollzieher über Konten, über die der Schuldner lediglich verfügungsbefugt ist, ist grundsätzlich nicht zulässig.

Sachverhalt:

Die Gläubiger betreiben die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid. Unter dem 06.11.2017 erteilten die Gläubiger einen kombinierten Sachpfändungsauftrag an die zuständige Verteilerstelle für Gerichtsvollzieher. Da der zuständige Gerichtsvollzieher den Schuldner in seiner Wohnung nicht antraf, bestimmte er auftragsgemäß einen Termin zur Abgabe einer Vermögensauskunft. Der Pflicht zur Abgabe einer Vermögensauskunft kam der Schuldner jedoch nicht nach. Die Gläubiger beauftragten daraufhin den zuständigen Gerichtsvollzieher, eine Drittauskunft nach § 802l Abs. 1 Ziffer 2 ZPO beim Bundeszentralamt für Steuern einzuholen. Der Gerichtsvollzieher leitete die Auskunft des Bundesamtes für Steuern über den Schuldner an die Gläubiger weiter, schwärzte aber die Namen der Kontoinhaber zu bestehenden Konten, an denen der Schuldner lediglich verfügungsberechtigt ist, sodass diese Namen unkenntlich sind. Hiergegen wendete sich der Gläubiger.

Aus den Gründen:

Die gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 793 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts vom 13.02.2019 ist in der Sache begründet. Sie führt zur Änderung der Entscheidung des Vollstreckungsgerichts dahin, dass auf die Vollstreckungserinnerung der Gläubiger nach § 766 ZPO der zuständige Obergerichtsvollzieher angewiesen wird, die erhaltene Auskunft des Bundesamtes für Steuern über die Namen der Inhaber von Konten, für die der Schuldner eine Verfügungsberechtigung hat, ohne Schwärzungen, Löschungen oder Sperrungen durch den Gerichtsvollzieher mitzuteilen.

Gemäß § 802l Abs. 1 Nr. 2 ZPO darf der Gerichtsvollzieher das Bundeszentralamt für Steuern ersuchen, bei den Kreditinstituten die in § 93b Abs. 1 AO bezeichneten Daten abzurufen (§ 93 Abs. 8 AO), wenn der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft – wie hier – nicht nachkommt oder bei einer Vollstreckung in die dort aufgeführten Vermögensgegenstände eine vollständige Befriedigung des Gläubigers voraussichtlich nicht zu erwarten ist. Gemäß § 802l Abs. 1 S. 2 ZPO ist dies nur zulässig, soweit dies zur Vollstreckung erforderlich ist. Daten, die für die Zwecke der Vollstreckung nicht erforderlich sind, hat der Gerichtsvollzieher nach § 802l Abs. 2 ZPO unverzüglich zu löschen oder zu sperren.

Es entspricht dem Anwendungsbereich des § 802l Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO, die vom Bundeszentralamt für Steuern in eigener Verantwortung nach § 93 Abs. 8 AO an den Gerichtsvollzieher übermittelten Auskünfte ohne Löschungen oder Sperrungen der Daten über sogenannte Drittkonten, über die der Schuldner lediglich verfügungsbefugt ist, einschließlich der Namen dieser Kontoinhaber, an die Gläubiger weiterzuleiten. Denn die Weitergabe der vollständigen Daten ist für die Zwecke der Vollstreckung erkennbar erforderlich und entspricht einer effektiven Zwangsvollstreckung. Erst die vollständigen Daten können für den Gläubiger wichtige Informationen darüber enthalten, ob der Schuldner gegebenenfalls eigene Vermögenswerte mit Hilfe anderer Personen, die als Kontoinhaber dem Schuldner eine Verfügungsbefugnis über ein Konto einräumen, der Zwangsvollstreckung entziehen will.

Ein schützenswertes Interesse der Kontoinhaber, die dem Schuldner eine Verfügungsbefugnis über ein Konto einräumen, an der Nichtweitergabe ihrer Daten, ist nicht ersichtlich. Die beim Bundeszentralamt für Steuern nach § 93 Abs. 1 AO über sie verfügbaren Daten können nach dieser Vorschrift ohnehin an die dort genannten Verwaltungen und Behörden weitergegeben werden. Für die Vollstreckung von privaten Gläubigern kann kein anderer Maßstab gelten.

Die genannten Kontoinhaber tragen ferner ebenso wie sonstige Drittschuldner grundsätzlich das allgemeine Risiko, von Vollstreckungsmaßnahmen gegen einen Schuldner, mit dem sie in Rechtsbeziehung stehen, mittelbar betroffen zu werden. Der Schutzbereich des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung ist in entsprechenden Fällen nicht betroffen.

Zu den Grenzen des Akteneinsichtsrechts eines Ratsmitglieds

(Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 3. Mai 2019 – 1 K 3063/18 –)

  1. Das Akteneinsichtsrecht aus § 55 Abs. 5 Satz 1 GO NRW, nach dem jedem Ratsmitglied vom Bürgermeister auf Verlangen Akteneinsicht zu gewähren ist, soweit die Akten der Vorbereitung oder der Kontrolle von Beschlüssen des Rates dienen, umfasst nicht die allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle von bereits gefassten Ratsbeschlüssen, für welche dem einzelnen Ratsmitglied auch sonst keine eigenen organschaftlichen Rechte in der Gemeindeordnung eingeräumt sind.
  2. Das Auskunftsrecht aus § 55 Abs. 1 Satz 2 GO NRW gegenüber dem Bürgermeister wird durch grundrechtlich geschützte Positionen privater Dritter begrenzt. Bestehen solche Belange, hat der Bürgermeister nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er die begehrte Auskunft erteilt oder nicht. Der pauschale Verweis auf datenschutzrechtliche Vorschriften genügt dem nicht.

Rechtsschutz gegen eine Beanstandung des Landesbeauftragten für Informationsfreiheit

(Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 21. Februar 2019 – 14 K 17293/17 –)

  1. Die Beanstandung des Landesbeauftragten für die Informationsfreiheit ist einer gerichtlichen Überprüfung weder im Rahmen einer Anfechtungsklage noch einer Feststellungsklage zugänglich. Rechtsschutz gegen eine Beanstandung auf Grundlage des LIFG ist für informationspflichtige Stellen grundsätzlich nicht möglich, da einer Beanstandung nach dem LIFG eine materielle Rechtswirkung nicht zukommt.
  2. Die Beanstandung des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit stellt mangels Regelungswirkung keinen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 Landesverwaltungsverfahrensgesetz (LVwVfG) dar.
  3. Es handelt sich bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach dem LIFG nicht um eine Angelegenheit der kommunalen Selbstverwaltung, sondern um staatliche Aufgaben, also um Verwaltungsaufgaben zur Erfüllung nach Weisung.

Datenschutzrechtliche Zulässigkeit eines Ortungssystems im Beschäftigungskontext

(Verwaltungsgericht Lüneburg, Teilurteil vom 19. März 2019 – 4 A 12/19 –)

  1. Die GPS-Überwachung der Firmenfahrzeuge der Objektbetreuer, Reinigungskräfte und der Hausmeister einer Reinigungsfirma ist nicht nach § 26 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 1 BDSG erforderlich, weil sie für die genannten Zwecke ungeeignet ist.
    a) Kein Anlass zur pauschalen Überwachung von Wochenendfahrverboten oder eines Verbots von Privatfahrten besteht, wenn Privatfahrten geduldet werden. Zudem genügt anderenfalls die Anweisung, etwa Fahrzeugschlüssel am Firmensitz abzugeben, und/oder die Auflage, Fahrtenbücher zu führen.
    b) Soweit während wie auch außerhalb der Arbeitszeiten anfallende Daten über das Ortungssystem zu dem Zweck erhoben und gespeichert werden, um Diebstähle zu verhindern bzw. womöglich entwendete Firmenfahrzeuge wieder aufzufinden, ist dies nicht erforderlich, da für das Wiederauffinden womöglich entwendeter Firmenfahrzeuge die anlassbezogene Erhebung im Falle eines festgestellten Fahrzeugverlustes ausreicht.
    c) Die Speicherung der Arbeitszeiten kann auch nicht mit der Planung von Touren und der Koordination des Mitarbeiter- und Fahrzeugeinsatzes begründet werden. Die Tourenplanung ist zukunftsorientiert. Informationen über aktuelle und vergangene Standorte der Firmenfahrzeuge sind planungsunerheblich. Für eine womöglich außerplanmäßig (z.B. infolge von Krankheitsausfällen, Staus, Unfällen) akut werdende zentrale Koordination von Mitarbeitern und Fahrzeugen würde die Erreichbarkeit von Mitarbeitern per Mobiltelefon genügen.
    d) Zum Nachweis für geleistete Tätigkeiten gegenüber Auftraggebern ist die Speicherung nicht erforderlich, da ein Nachweis über Tätigkeiten am/im Objekt eines Kunden mittels Ortungsdaten nicht geführt werden kann. Über diese Daten könnte allenfalls nachgewiesen werden, dass ein bestimmtes Firmenfahrzeug am Objekt bzw. in dessen Nähe für einen bestimmten Zeitraum anwesend gewesen ist. Somit ist die Erfassung solcher Daten zur Erreichung des Zwecks völlig ungeeignet.
  2. Im Rahmen von § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG ist darüber hinaus zweifelhaft, ob es insoweit nicht außerdem schon am Bezugspunkt zur Durchführung eines Beschäftigungsverhältnisses mangelt, denn es werden Nachweispflichten des datenverarbeitenden Arbeitgebers gegenüber seinem Kunden als Vertragspartner zum Bezugspunkt gemacht, die mit den Pflichten/Rechten aus dem Beschäftigungsverhältnis nichts zu tun haben. Aber auch wenn man hier auf die allgemeinen Erlaubnistatbestände aus Art. 6 UAbs. 1 c) oder f) DS-GVO zurückgriffe, mangelte es aus den zuvor ausgeführten Gründen an der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung.

DS-GVO-Vorlagefragen an den EuGH

(Verwaltungsgericht Wiesbaden, Beschluss v. 28. März 2019 – C-272/19 –)

  1. Findet die VERORDNUNG (EU) 2016/679 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO) – hier Art. 15 DSGVO, Auskunftsrecht der betroffenen Person – auf den für die Bearbeitung von Eingaben von Bürgern zuständigen Ausschuss eines Parlaments eines Gliedstaates eines Mitgliedstaates – hier den Petitionsausschuss des Hessischen Landtages – Anwendung und ist dieser insoweit wie eine Behörde i.S.v. Art. 4 Nr. 7 DSGVO zu behandeln?
  2. Handelt es sich bei dem vorlegenden Gericht um ein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV i.V.m. Art. 47 Abs. 2 CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROPÄISCHEN UNION (GrCH)?

Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft ist als Wohnung zu betrachten

(Verwaltungsgericht Hamburg, 9. Kammer, Urteil vom 15. Februar 2019 – 9 K 1669/18 –)

  1. Die beiden Zimmer der Kläger in einer Gemeinschaftsunterkunft nach § 53 AsylG sind als Wohnung im Sinne von § 23 HmbVwVG und Art. 13 Abs. 1 GG zu qualifizieren.
  2. Wenn Vollstreckungspersonen eine Wohnung öffnen und betreten, um darin bestimmte Personen aufzufinden und zu ergreifen, handelt es sich um eine Durchsuchung, die bei fehlender richterlicher Anordnung nur bei Gefahr im Verzuge zulässig ist.

Bekanntgabe der Benotung einer Pflicht-Modulprüfung eines Bachelorstudiengangs im Online-Portal der Hochschule

(Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2018 – 2 K 1233/18 –)

  1. Die in einem Online-Portal der Hochschule gegenüber dem/der Studierenden bekannt gegebene Benotung einer Pflicht-Modulprüfung eines Bachelorstudiengangs mit „nicht bestanden“ stellt einen wirksam bekannt gegebenen Verwaltungsakt dar.
  2. Die nach §§ 43 Abs. 1, 41 HmbVwVfG erforderliche Bekanntgabe des Verwaltungsakts, d.h. der Bewertung einer Modulprüfung mit „nicht bestanden“, kann zulässigerweise auch über das Online-Portal einer Hochschule erfolgen, wenn dies der normativ geregelte bzw. übliche Weg der Kommunikation zwischen der Hochschule und den Studierenden ist (vgl. ausführlich zu einer ähnlichen Konstellation OVG Münster, Urt. v. 21.3.2017, a.a.O., juris Rn. 45 ff.).