Aufsatz : Die Veröffentlichung des Entzuges von Doktorgraden und der Datenschutz : aus der RDV 5/2018, Seite 252 bis 257
Datenverarbeitung der öffentlichen Hand zwischen Datenschutz- und Verwaltungsrecht in der Anwendungspraxis
Die DS-GVO ordnet den Datenschutz in der Europäischen Union durch ein Zusammenspiel von EU-Recht und mitgliedstaatlichem Recht: Während das Datenschutzrecht für die Privatwirtschaft – sieht man von Großteilen des Beschäftigtendatenschutzes ab – voll harmonisiert ist, wird für den Datenschutz öffentlicher Stellen nur ein grober Rahmen über sog. Öffnungsklauseln vorgegeben. Die Mitgliedstaaten müssen hier innerhalb dieses Rahmens tätig werden und eigenes Recht schaffen. Die Verordnung wirkt hier vergleichbar einer Richtlinie. In Deutschland wird die Datenverarbeitung durch öffentliche Stellen im BDSG und den Landesdatenschutzgesetzen geregelt. Die Einpassung des nationalen Rechts in den Rahmen der DS-GVO führt für den öffentlichen Bereich – insbesondere mit Blick auf den engen Gesetzesvorbehalt für Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung nach deutschem Verfassungsrecht – zu Problemen im Zusammenspiel von europäischem und deutschem Datenschutzrecht mit dem Verwaltungsrecht. Konkret soll dies an der Veröffentlichung von Entzugsvermerken von Doktorgraden in (Online-)Bibliotheken illustriert werden.[1]
I. Wissenschaftliches Fehlverhalten als Datenschutzproblem
Wissenschaftliches Fehlverhalten, wie etwa bei Plagiaten, führt die auf Wahrheit angewiesene Wissenschaft in die Irre. Wenn in einem strengen und klaren Regeln folgenden Verfahren von einer Hochschule wissenschaftliches Fehlverhalten (z.B. in Form des Plagiats) rechtskräftig festgestellt wird, so ist die Entziehung des Doktorgrades die Konsequenz. Allerdings wissen nur die Beteiligten des Entzugsverfahrens, also die Hochschule und der Betroffene davon, dass die Arbeit einen wissenschaftlichen Mangel aufweist und der Doktorgrad infolge dessen entzogen wurde. Die durch wissenschaftliches Fehlverhalten entstandene Arbeit ist dagegen bislang ohne erkennbaren Makel in (Online-) Bibliotheken verfügbar und erzeugt den Anschein, korrekt entstanden zu sein. Das ist für die Wissenschaft und für die Allgemeinheit gleichermaßen unzumutbar. Deshalb wollen Hochschulen im Sinne der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft in Zukunft in (Online-)Bibliotheken auf den Entzug des Doktorgrades hinweisen. Auch wenn das zwar wissenschaftlich geboten ist, stecken in diesem Hinweis zahlreiche Rechtsprobleme. Denn der Entzugsvermerk stellt schließlich eine Verarbeitung personenbezogener Daten dar und ist daher am Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Plagiierenden zu messen (dazu III. 1.), das die DS-GVO und das Datenschutzrecht der Mitgliedstaaten in einem Zusammenspiel schützen (dazu II.). Unabhängig vom Datenschutz bedarf aber auch die in der Veröffentlichung liegende Information der Allgemeinheit über den Entzug des Doktorgrades einer Ermächtigung (dazu III.), die mit der datenschutzrechtlichen zwar verknüpft, aber dennoch von ihr zu trennen ist (dazu III. 2. und 5.).
II. Datenverarbeitung durch öffentliche Stellen nach DS-GVO im Zusammenwirken mit BDSG oder LDSG
Die Information über den Entzug eines Doktorgrades durch Aufnahme eines entsprechenden Vermerks in eine (Online-) Bibliothek ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine öffentliche Hochschule und damit durch eine öffentliche Stelle. Deren Zulässigkeit regelt die DS-GVO in Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. e) i.V.m. Art. 6 Abs. 3 S. 1, 2 DS-GVO.[2]
Dabei ist im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 DS-GVO wie folgt zu differenzieren: Art. 6 Abs. 3 S. 1 DS-GVO erteilt für öffentliche Stellen vergleichbar einer Richtlinie einen Regelungsauftrag zur Schaffung mitgliedstaatlichen Rechts.[3] Art. 6 Abs. 3 S. 2 DS-GVO gibt dabei den pflichtigen Mindeststandard für die Umsetzung vor. Der Bund und alle Länder bis auf Sachsen-Anhalt, das zum jetzigen Zeitpunkt keine Generalklausel in Umsetzung des Art. 6 Abs. 3 S. 2 DS-GVO erlassen hat, haben diese Pflicht zur Umsetzung des Mindeststandards (Art. 6 Abs. 3 S. 2 DS-GVO) erfüllt und jeweils eine Generalklausel[4] erlassen, die als Grundlage für eine Datenverarbeitung durch öffentliche Stellen dienen kann. Als Rechtsgrundlage im Rahmen des nationalen Rechts muss sie (entsprechend der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 S. 2 DS-GVO) den Zweck der Verarbeitung festlegen oder für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich sein, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Art. 6 Abs. 3 S. 3 DS-GVO eröffnet den Mitgliedstaaten demgegenüber die weitergehende Möglichkeit, über die Erfüllung der Pflichtinhalte des S. 2 hinaus spezifischere datenschutzrechtliche Bestimmungen zu erlassen. Die Bundesländer Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben es gleichwohl bei der von Art. 6 Abs. 3 S. 2 DS-GVO verlangten Pflichterfüllung belassen und darüber hinaus kein eigenes spezifischeres mitgliedstaatliches Datenschutzrecht im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 S. 3 DS-GVO erlassen. Die übrigen Länder[5] haben sich ebenso wie der Bund dazu entschieden, zusätzlich zur pflichtigen Umsetzung noch eine spezifische Regelung zur Zulässigkeit der Datenverarbeitung öffentlicher Stellen in die Gesetze aufzunehmen, indem sie die rechtmäßige Aufgabenerfüllung als Zweck der Datenverarbeitung zusätzlich von der Zuständigkeit der Behörde zur Aufgabenerfüllung abhängig machen. Sie haben damit die Öffnungsklausel des Art. 6 Abs. 3 S. 3 DS-GVO genutzt.[6] Die Nutzung der Öffnungsklausel des Art. 6 Abs. 3 S. 3 DS-GVO ist dabei für den Prüfungsmaßstab entscheidend: Während im Rahmen einer pflichten Umsetzung nach Art. 6 Abs. 3 S. 2 DS-GVO die mitgliedstaatlichen Regelungen durch die europäischen Vorgaben der DS-GVO determiniert werden und damit der Kontrolle des EuGH unterliegen, entlässt Art. 6 Abs. 3 S. 3 DS-GVO die Mitgliedstaaten im Falle der weitergehenden Nutzung der Öffnungsklausel aus ihrer europarechtlichen Verantwortlichkeit zugunsten eines nationalen Prüfungsmaßstabs entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Vorgaben des Grundgesetzes. Folglich unterliegen die datenschutzrechtlichen Umsetzungen des Bundes und der Länder bis auf Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt nationalen Vorgaben.[7]
III. Prüfung der Voraussetzungen der datenschutzrechtlichen Generalermächtigung
1. Verfassungsrechtliche Anforderungen
Im Rahmen der Beurteilung der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Anbringung des Entzugsvermerks ist also zunächst entscheidend, ob die Regelungen des Bundes und der o.g. Länder (materiell) verfassungsgemäß sind und daher als taugliche Grundlage für einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung herangezogen werden können. Das Bundesverfassungsgericht verlangt bei einem Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dass sich aus dem Gesetz ergeben muss, welche staatliche Stelle zur Erfüllung welcher Aufgaben für die geregelte Datenverarbeitung zuständig sein soll.[8] Diese Anforderungen erfüllen die Normen des Bundes und der betroffenen Länder. Gleichwohl erfüllen die Generalklauseln, die die Öffnungsklausel des Art. 6 Abs. 3 S. 3 DS-GVO spezifizierend mittels des zusätzlichen Kriteriums der „Zuständigkeit für die Aufgabenerfüllung“ ausfüllen, mit Blick auf ihre Normenklarheit und Zweckfestlegung lediglich die in der Volkszählungsrechtsprechung festgelegten Mindestvoraussetzungen des Bundesverfassungsgerichts zur materiellen Verfassungsmäßigkeit eines Eingriffs in die informationelle Selbstbestimmung.[9] Sie können deshalb nur geringfügige Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen.[10] Die Intensität des Eingriffs richtet sich unter anderem danach, ob der Betroffene den Anlass für die Datenverarbeitung gesetzt hat.[11] Das ist im Falle wissenschaftlichen Fehlverhaltens des Betroffenen gegeben und der Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung deshalb nicht intensiv, so dass die spezifizierenden Generalklauseln die Veröffentlichung eines Entzugsvermerks in datenschutzrechtlicher Hinsicht bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen grundsätzlich rechtfertigen können.[12]
2. Systematik der datenschutzrechtlichen Generalklauseln
Systematisch knüpfen alle Generalklauseln in Bund und Ländern die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung tatbestandlich an die Voraussetzung, dass diese „zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe“ erforderlich ist. Deshalb muss zunächst die Information über den Entzug in Erfüllung der Aufgaben des Verantwortlichen erfolgen. Sie muss dabei als solche im Sinne des Verwaltungsrechts rechtmäßig sein. Erst daran anschließend kann die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung zum Zwecke der Aufgabenerfüllung überprüft werden. Das rechtliche Schicksal der Zulässigkeit der Datenverarbeitung hängt somit von der Rechtmäßigkeit des Informationshandelns ab. Dies führt zu einer Verzahnung von Datenschutz- und Verwaltungsrecht. Die Information über den Entzug einerseits und der Datenverarbeitungsvorgang, der im Anbringen des Entzugsvermerks andererseits liegt, fallen zwar tatsächlich in einem Akt zusammen, sind aber wegen der unterschiedlichen Rechtfertigungsanforderungen rechtlich voneinander zu trennen. Die rechtliche Trennung ist erforderlich, weil die verfassungsrechtlichen Anforderungen aus dem Datenschutzrecht hinsichtlich der Datenverarbeitung höher sind als diejenigen, die an die Verfassungsmäßigkeit der Information als solche nach Verwaltungsrecht zu stellen sind. Die datenschutzrechtlichen Generalermächtigungen, die die Datenverarbeitung als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung legitimieren, können daher nur auf einem rechtmäßigen Informationshandeln der Hochschule aufbauen. Ist das Informationshandeln als nicht rechtmäßig zu qualifizieren, kann die Datenverarbeitung auch nicht durch eine Generalklausel legitimiert werden. Insofern ist ein rechtmäßiges Informationshandeln seinerseits Tatbestandsvoraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung.
3. Datenschutzrechtliche Tatbestandsvoraussetzungen
Für die Zulässigkeit der Datenverarbeitung ist erforderlich, dass die Voraussetzungen der (jeweiligen) datenschutzrechtlichen Generalklausel erfüllt sind, so wie der Bund und die Länder[13] sie vorsehen. Die Verarbeitung personenbezogener Daten muss zur Erfüllung einer in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden Aufgabe erforderlich sein. Die Veröffentlichung des Entzugsvermerkes muss also der Aufgabenerfüllung der öffentlichen Stelle dienen. Voraussetzung ist dabei zunächst, dass mit dem Entzugsvermerk auf das wissenschaftliche Fehlverhalten als Entzugsgrund hingewiesen wird. Ohne diese Angabe würde der Vermerk nicht den Zweck der Wahrung der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft erfüllen, denn es würde nicht deutlich, ob der Entzug des akademischen Grades auf inhaltlich wissenschaftlichen Gründen oder auf anderen Gründen, etwa Täuschung über die Voraussetzungen zur Zulassung zur Promotion, beruht. Für die sich aus den hochschulrechtlichen Normen ergebende Aufgabe ist aber letztlich nur entscheidend, ob die Arbeit an wissenschaftlichen Mängeln leidet, die den Entzug des Grades rechtfertigen. Anderenfalls würde es an einem hochschulrechtlichen Grund für die Datenverarbeitung fehlen.
4. Verwaltungsrechtliche Implikationen: Rechtmäßiges Informationshandeln
Die Zulässigkeit des Informationshandelns über den Entzug setzt im Rahmen des Gesetzesvorbehalts zunächst grundsätzlich eine Ermächtigung voraus. Eine solche enthalten die Hochschulgesetze der Länder für die Information über den Entzug eines Doktorgrades jedenfalls nicht ausdrücklich. Es ist mit Blick auf das Informationshandeln der öffentlichen Hand in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber anerkannt, dass dieses in besonderen Fällen von der Reichweite einer bestehenden Aufgabennorm mitumfasst sein kann.[14]
a) Verwaltungsrechtliche Ermächtigung zur Information
So kann also die Aufgabe zur Wahrung der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft die Befugnis zur Information im Wege eines Entzugsvermerks bei wissenschaftlichem Fehlverhalten umfassen.[15] Dies gilt jedenfalls, soweit das Informationshandeln als solches keinen selbstständigen Eingriff in Grundrechtspositionen darstellt. Für die Information über den Entzug bedarf es damit dann keiner expliziten gesetzlichen Ermächtigung, wenn das Informationshandeln die Schwelle zu einem Grundrechtseingriff nicht überschreitet. Denn in diesem Fall wird der Gesetzesvorbehalt mangels Eingriff nicht ausgelöst.[16] Es kommt also maßgeblich darauf an, ob der Vermerk über den rechtskräftigen Entzug eines Doktorgrades einen selbständigen Eingriff darstellt. Auf Basis des „modernen Eingriffsbegriffs“[17] fehlt es beim Informationshandeln der Hochschule im Wege der Veröffentlichung eines Entzugsvermerks am Eingriffscharakter. Betrachtet man den rechtskräftigen Entzug des Doktorgrades und die Veröffentlichung der Information darüber, so liegt der Eingriff in die Rechtssphäre des Betroffenen im Entzug selbst. Das Informationshandeln ist dabei nur die unselbstständige Fortsetzung eines bereits erfolgten Eingriffs im Sinne eines rein formalen Akts. Also stellt sich die Informationshandlung letztlich als bloßer unselbstständiger Annex im Rahmen einer rechtskräftigen Entscheidung über den Entzug des Doktorgrades dar.[18] Der informierende Vermerk erweist sich, bezogen auf den rechtskräftigen Entzug des Doktorgrades, als notwendige Folgemaßnahme ohne Eingriffsgehalt. Das Informationshandeln ist vielmehr nur eine Art „Folgenbeseitigung“ des zu Unrecht verliehenen Doktorgrades. Der bereits öffentlich gewordene falsche Schein, es liege ein wissenschaftliches Werk vor, wird wiederum auch öffentlich korrigiert. Hierdurch werden keine über die bereits im Rahmen des Entzugs selbst betroffenen Grundrechtspositionen hinaus tangiert. Unterhalb der Eingriffsschwelle ist ein staatliches Informationshandeln zulässig, wenn durch die Informationshandlung eine staatliche Aufgabe wahrgenommen wird, die Kompetenzordnung gewahrt bleibt sowie der Sachverhalt im Rahmen des Möglichen sorgsam und verlässlich aufgeklärt wird. Die Informationen müssen dem Gebot der Sachlichkeit, Richtigkeit sowie der Verhältnismäßigkeit entsprechen.[19]
b) Information über den Entzug als Aufgabe der Hochschule
Die Aufgabe der Hochschule über den Entzug nach wissenschaftlichem Fehlverhalten zu informieren, lässt sich damit aus den Hochschulgesetzen der Länder ableiten. Hochschulen dienen nach ihren gesetzlich normierten Aufgaben der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie der Pflege und Entwicklung der Wissenschaft durch Forschung, Lehre, Studium und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.[20] Die Universitäten gewährleisten eine gute wissenschaftliche Praxis.[21]
Das Informationshandeln in Wahrnehmung der landesrechtlich normierten Aufgabe der Hochschulen ist rechtlich nicht zu beanstanden, weil es unterhalb der Eingriffsschwelle bleibt. Da es nicht als Eingriff in die Rechtssphäre des Betroffenen zu qualifizieren ist, wird der Gesetzesvorbehalt nicht ausgelöst, so dass es für das Informationshandeln als solches keiner expliziten Ermächtigung bedarf.[22]
Teilt man diese Auffassung nicht und kommt zu dem abweichenden Ergebnis, dass das Informationshandeln der Hochschule als solches die Schwelle zum Eingriff überschreitet, muss dem dadurch ausgelösten Gesetzesvorbehalt durch den Erlass einer expliziten Rechtsgrundlage in den Hochschulgesetzen der Länder für das Informationshandeln der Hochschule Rechnung getragen werden. Der Eingriff wäre gleichwohl verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da dem Schutzgut der Wissenschaft so Rechnung getragen würde. Für die „Reinheit“ der Wissenschaft ist es nämlich unverzichtbar, öffentliche Kenntnis darüber zu erlangen, ob ein als wissenschaftlich geltendes Werk auch tatsächlich wissenschaftlich korrekt erarbeitete Aussagen enthält. Die Wissenschaft baut auf dem öffentlich sichtbaren Austausch wissenschaftlicher Ansichten auf. Die Information über den Entzug des Doktorgrades bezieht sich final nur auf die in dieser Weise publizierte, d.h. in die Öffentlichkeit des wissenschaftlichen Diskurses eingespeiste Dissertation, die dort in der Erwartung aufgenommen wird, dass das, was der wissenschaftlichen Öffentlichkeit als wissenschaftliche Leistung präsentiert wird, auch tatsächlich eine wissenschaftliche Leistung ist. Aufgabe der Hochschulen ist es, die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu erhalten. Dazu müssen Arbeiten, die einen inhaltlich-wissenschaftlichen Mangel aufweisen, gekennzeichnet werden. Während bspw. der Entzug einer Fahrerlaubnis nicht öffentlich gemacht werden muss, um den Straßenverkehr zu schützen, kann der wissenschaftliche Diskurs eben nur durch die Veröffentlichung des Entzuges geschützt werden.[23]
Es ist Forschern und der Integrität der Wissenschaft nicht zuzumuten, unwissentlich auf Ergebnisse aufzubauen, die den Makel des rechtskräftigen Entzugs des akademischen Grades tragen.
5. Verzahnung von Verwaltungsrecht und Datenschutzrecht
Die in der Information liegende und mit dieser verzahnte Datenverarbeitung knüpft also an das rechtmäßige Informationshandeln im hochschulrechtlichen Sinne an. Da jede Verarbeitung personenbezogener Daten einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Person darstellt, bedarf es für die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung einer Rechtsgrundlage, die in den Generalklauseln des Bundes und der Länder[24] auf Basis von Art. 6 Abs. 3 S. 2 DS-GVO (Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) oder Art. 6 Abs. 3 S. 3 DS-GVO (Bund und übrige Länder) liegt. Diese Generalklauseln können aber nur geringfügige Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen. Dass der Eingriff beim Informationshandeln über den Entzug nach rechtskräftig festgestelltem, wissenschaftlichen Fehlverhalten der zuständigen Hochschule ganz fehlt oder nur gering ist und dann durch eine zu erlassende Norm gerechtfertigt werden muss, rechtfertigt datenschutzrechtlich den auch hier nur schwachen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung auf Grundlage der jeweiligen datenschutzrechtlichen Generalklausel. Deren Tatbestandsvoraussetzungen liegen vor, weil die im Anbringen des Entzugsvermerks liegende Datenverarbeitung zur Aufgabenerfüllung der Hochschule (Wahrung der Glaubwürdigkeit und „Reinheit“ der Wissenschaft) erforderlich ist. In einem online zugänglichen Bibliothekskatalog darf also nach derzeitigem Recht auf den Grund für den Entzug des akademischen Grades hingewiesen werden, wenn auch auf das inhaltlich-wissenschaftliche Fehlverhalten hingewiesen wird.[25]
IV. Kein Löschanspruch nach Zeitablauf
Aber gilt das zeitlich unbefristet oder wäre eine befristete Speicherung eines solchen Vermerks für beispielsweise zehn Jahre zulässig? Das hängt davon ab, ob der Zweck der Datenverarbeitung erfüllt ist. Der Betroffene hat etwa nach Ablauf von zehn Jahren kein „Recht auf Vergessenwerden“, präziser gesagt keinen Anspruch auf Löschung des Vermerks auf der Katalogseite, weil der Zweck für die in der Information liegende Datenverarbeitung bestehen bleibt. Jedenfalls solange die betroffene Arbeit verfügbar ist, kann die Integrität der Wissenschaft nur durch den öffentlichen Fortbestand des Entzugsvermerks gewahrt werden. So wie das Plagiat nicht verjährt, verjährt auch die Pflicht, es öffentlich zu machen, nicht.[26]
V. Fazit
Der öffentliche Hinweis auf den rechtskräftigen Entzug eines Doktorgrades ist bei näherer Betrachtung zwar ein typischer, aber zugleich komplexer Fall einer Datenverarbeitung der öffentlichen Hand, dessen Zulässigkeit zunächst im Verhältnis zwischen DS-GVO und mitgliedstaatlichem Recht ausgelotet werden muss. Hier zeigt sich, dass der Bund und ein Teil der Länder für den öffentlichen Bereich unterschiedliche Wege bei der Anpassung des nationalen Rechts an die DS-GVO beschritten haben. Innerstaatlich spielt bei Datenverarbeitungen nicht nur deren Zulässigkeit nach Datenschutzrecht eine Rolle, sondern auch die Rechtmäßigkeit des in der Datenverarbeitung liegenden Verwaltungshandelns. Nur dann, wenn das Verwaltungshandeln rechtmäßig ist, kann die Datenverarbeitung überhaupt zulässig sein. Sie ist gesondert an den engen Anforderungen des Datenschutzrechts zu messen. Nur bei nicht intensiven Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung, kann auf die Generalklauseln in Bund und Ländern zurückgegriffen werden. Intensive Eingriffe setzen eine spezielle und normenklare Ermächtigung voraus, die den Anforderungen der Volkszählungsrechtsprechung gerecht werden muss.
Professor Dr. Rolf Schwartmann Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der TH Köln und Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD). Er ist Mitglied der Datenethikkommission der Bundesregierung und berät die Bundesregierung und die Landesregierung NRW in Gremien und ist unabhängiges Mitglied des Stiftungsrats der European Net-ID Foundation.
Maximilian Hermann Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der TH Köln. Er beschäftigt sich im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit unter anderem mit datenschutzrechtlichen Fragestellungen. Foto: Thilo Schmülgen/TH Köln
Robin Mühlenbeck Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der TH Köln. Er beschäftigt sich im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit unter anderem mit datenschutzrechtlichen Fragestellungen. Foto: Thilo Schmülgen/TH Köln
[1] Die Verfasser haben im Auftrag des Gremiums „Ombudsman für die Wissenschaft“ im September 2018 ein Rechtsgutachten mit dem Titel „Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen“ vorgelegt, abrufbar unter: http://www.ombudsman-fuer-die-wissenschaft. de; vgl. dazu auch Schwartmann, Plagiate müssen erkennbar sein, F.A.Z. vom 19. September 2018, Seite N4, online abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/hoch-schule/wissenschaftsliches-fehlverhalten-plagiate-muessen-erkennbar-sein-15793168.html (zuletzt abgerufen: 09.10.2018).
[2] Eine Rechtfertigung der Verarbeitung personenbezogener Daten aufgrund von Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a–d oder f DS-GVO scheidet aus. Eine Einwilligung scheitert an der (fehlenden) Freiwilligkeit. Denn wird die Durchführung der Promotion von der Erteilung der Einwilligung abhängig gemacht, verbleibt dem Antragsteller bei realistischer Betrachtung kein Entscheidungsspielraum, die Einwilligung zu verweigern und dennoch promoviert zu werden. Zusätzlich besteht jederzeit die Möglichkeit des Widerrufs durch die betroffene Person, vgl. dazu ausführlich Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck, Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 18.
[3] HK-DS-GVO/BDSG, Schwartmann/Jacquemain, Art. 6 Rn. 167.
[4] Vgl. § 4 DSG BW, Art. 4 I BayDSG, § 5 BdgDSG, § 3 BlnDSG, § 3 I BremDSG, § 4 HmbDSG, § 3 HDSG, § 4 I DSG M-V, § 3 I, II DSG NRW, § 3 NDSG, § 3 LDSG RP, § 4 I, II SaarlDSG, § 4 I SächsDSG, § 3 I DSG SH, § 16 I ThürDSG.
[5] Eine Ausnahme ist Sachsen-Anhalt. Dort hat der Gesetzgeber bislang (Stand: Oktober 2018) keine Generalklausel in Umsetzung des Art. 6 Abs. 3 DS-GVO erlassen.
[6] Das ist vor dem Hintergrund der Volkszählungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedeutsam, weil das spezifizierende Zusatzkriterium der „Zuständigkeit“ nicht nur den Kreis der Berechtigten der Datenverarbeitung festlegt, sondern als innerstaatliches Recht zugleich die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts begründet. Die Auslegung des Datenschutzrechts dieser Länder unterliegt nicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, weil die kein eigenständiges, spezifisches mitgliedstaatliches Recht im Rahmen der Öffnungsklausel des Art. 6 Abs. 3 S. 3 DS-GVO geschaffen haben. Weil die DS-GVO in den Mitgliedstaaten selbst unmittelbar keine Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung der öffentlichen Hand darstellt, kann man das aus der DS-GVO im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 S. 1 und S. 2 DS-GVO übernommene „umsetzungspflichtige“ Recht der DS-GVO in den betroffenen Bundesländern nur unmittelbar an den Grundsätzen des EU-Datenschutzgrundrechts messen. Dafür ist der Europäische Gerichtshof zuständig. Für die Überprüfung der Zulässigkeit von Entzugsvermerken von Doktorgraden ergibt sich so eine gespaltene Zuständigkeit innerhalb des Bundes und elf Bundesländern auf der einen sowie fünf Bundesländern auf der anderen Seite. Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Entzugsvermerke nach den Generalklauseln in Bund und Ländern werden also teils durch das Bundesverfassungsgericht und teils durch den EuGH (Bayern, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt) jeweils an verschiedenen Grundrechten (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG – Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. Art. 8 GrCh) überprüft.
[7] Vgl. dazu Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 25 unter Hinweis auf BVerfG Beschl. v. 13.03.2007, Az.1 BvF 1/05.
[8] Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.02.2007, Az. 1 BvR 2368/06, NVwZ 2007, 688 (690 f.) sowie BVerfG, Urt. v. 19.09.2018, Az. 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 Rn. 218 ff.
[9] Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 32 unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 23.02.2007, Az. 1 BvR 2368/06, NVwZ 2007, 688 (690 f.) sowie BVerfG, Urt. v. 19.09.2018, Az. 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 Rn. 218 ff.
[10] So im Ergebnis auch Kühling/Buchner-Petri, DS-GVO BDSG, § 3 BDSG Rn. 9, Wolff/Brink-Wolff, BeckOK Datenschutzrecht, § 3 BDSG Rn. 1.
[11] Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 7 und 34 unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 14.07.1999, Az. 1 BvR 2226/94, 1 BvR 2420/95, 1 BvR 2437/95, BVerfGE 100, 313 (376); BVerfG, Beschl. v. 12.03.2003, Az. 1 BvR 330/96 und 1 BvR 348/99, BVerfGE 107, 299 (318 ff.); BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, Az. 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, BVerfGE 109, 279 (353); BVerfG, Beschl. v. 04.04.2006, Az. 1 BvR 518/02, NJW 2006, 1939 (1942).
[12] Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 54.
[13] Mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt.
[14] Zur Zulässigkeit staatlichen Informationshandelns ohne ausdrückliche Ermächtigung BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002, Az. 1 BvR 558/91, 1428/91, BVerfGE 105, 252 = NJW 2002, 2621 (Glykol) und BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002, Az. 1 BvR 670/91, BVerfGE 105, 279 = NJW 2002, 2626 (Osho).
[15] Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck, Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 44 unter Hinweis auf BVerfG Beschl. v. 21.03.2018, Az. 1 BvF 1/13, NJW 2018, 2109 (2110).
[16] Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck, Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 45 ff.
[17] Vgl. Kingreen/Poscher, Grundrechte – Staatsrecht II, 33. Aufl. 2017, Rn. 294; Sachs, Verfassungsrecht II – Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Kap. 8 Rn. 15 ff., 20 ff. (S. 132 ff.); ders., in: Sachs (Hrsg.), GGKommentar, 8. Aufl. 2018, vor Art. 1 Rn. 78 ff., 83 ff.; s. ferner Peine, Der Grundrechtseingriff (§ 57), in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, 2009, S. 87 ff.; Bethge, Mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen (§ 58), in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. III, 2009, S. 113 ff.
[18] Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck, Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 48 ff.
[19] Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck, Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 49 f.
[20] So etwa § 3 Abs. 5 S. 1 Landeshochschulgesetz (LHG) Baden-Württemberg, Art. 6 Abs. 1 S. 3 Hs. 1 Bayerisches Hochschulgesetz, § 4 Abs. 5 S. 2 Brandenburgisches Hochschulgesetz (BbgHG), § 4 Abs. 4 S. 1 Hochschulgesetz NRW oder § 8 Abs. 2 S. 3 Thüringer Hochschulgesetz.
[21] § 3 Abs. 5 S. 3 Landeshochschulgesetz (LHG) Baden-Württemberg, § 4 Abs. 5 S. 2 Brandenburgisches Hochschulgesetz (BbgHG).
[22] Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck, Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 48 ff.
[23] Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck, Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 12.
[24] Mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt.
[25] Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck, Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 41 und 54 f.
[26] Schwartmann/Hermann/Mühlenbeck, Datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Kenntlichmachung des Entzugs eines Doktorgrades in (Online-) Bibliothekskatalogen, S. 56.