Kurzbeitrag : Kandidatensuche in berufsorientierten sozialen Netzwerken – Rechtsgrundlage und Pflichten : aus der RDV 5/2018, Seite 260 bis 263
Dr. Niels Lepperhoff*1 /Tatjana Ermola*2, Düsseldorf
I. Gezielte Recherche als Mittel gegen Personalknappheit
Offene Stellen und wenige oder keine geeigneten Bewerber führen verstärkt dazu, dass Unternehmen geeignete Personen in sozialen Netzwerken recherchieren, um sie anzuwerben. Ob eine solche Suche gesetzeskonform ist, bedarf einer näheren Betrachtung.
Wenn der Betreiber eines sozialen Netzwerkes die erlaubte Nutzung auf private oder nicht-kommerzielle Zwecke beschränkt oder eine Ansprache zur Abwerbung oder Personalsuche ausdrücklich untersagt, würde eine Suche und Ansprache von Personen zur Anwerbung gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen. Besteht kein Verbot seitens der Nutzungsbedingungen, sind trotzdem die Datenschutzvorschriften, insbesondere der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) sowie des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) zu beachten, weil bei einer Suche personenbezogene Daten elektronisch verarbeitet werden.
II. Zulässigkeit der Recherche
Bewirbt sich ein Kandidat von sich aus auf eine ausgeschriebene Stelle, erfolgt im Falle einer späteren Einstellung die Einstellungsentscheidung auf Grundlage von § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses. Dieser Rechtsgrundlage ist immanent, dass die Initiative vom Kandidaten ausgegangen ist. Durch eine Bewerbung wird ein vertragsähnliches Verhältnis begründet.[1]
Sucht ein Unternehmen selbst nach den geeigneten Kandidaten, so entsteht kein vertragsähnliches Verhältnis und der § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG ist als Rechtsgrundlage nicht anwendbar. Die Zulässigkeit der Recherche sollte sich daher aus einer anderen Rechtsgrundlage ergeben. Art. 6 Abs. 1 DS-GVO nennt drei weitere theoretisch anwendbare Rechtsgrundlagen:
- Einwilligung der betroffenen Person,
- Gesetzliche Erlaubnis und
- Interessensabwägung.
Eine Einwilligung müsste vor der Suche erteilt werden. Damit sie hinreichend bestimmt ist, bedarf sie regelmäßig der Nennung des Unternehmens, dem die Datenverarbeitung erlaubt wird. Praktisch bedeutet dieses, dass ein Kontakt zwischen der betroffenen Person und dem Unternehmen besteht. Das ist gerade nicht die vorliegende Situation, in der unbekannte Personen ermittelt werden sollen.
Eine gesetzliche Erlaubnis jenseits des hier nicht einschlägigen § 26 Abs. 1 BDSG ist nicht ersichtlich.
So bleibt die Interessensabwägung übrig. Um zu entscheiden, ob die berechtigten Interessen des Unternehmens die Interessen der betroffen Person überwiegen, bedarf es einer näheren Analyse.
Das Interesse geeignete Mitarbeiter zu suchen, ist offensichtlich berechtigt. Es fußt in der unternehmerischen Freiheit aus Art. 16 GRCh.
Ob eine Suche zulässig ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab:
- für welchen Personenkreis das Profil sichtbar ist und
- ob die Person erkennbar eine Stelle sucht.
Eine Rechtsgrundlage für eine Suche in freizeitorientierten sozialen Netzwerken, wie z.B. Facebook, ist nicht erkennbar, weil hier die Interessen der Benutzer an Unterlassung der Suche überwiegen.
1. Profilsichtbarkeit
Ein Individuum steuert eine Datenauswertung durch ein Unternehmen bereits dann, wenn es seine Profildaten für diverse Leserkreise freischaltet.
Die DS-GVO enthält keine Norm, die eine generelle Nutzung öffentlich zugänglicher Daten erlaubt. Die Tatsache der öffentlichen Zugänglichkeit kann im Rahmen der Interessensabwägung zu Gunsten des Unternehmens berücksichtigt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn kein Grund zur Annahme besteht, dass die Daten zweckgebunden oder gegen den Willen der betroffenen Person veröffentlicht wurden.
Daten, die für alle Internetnutzer auch außerhalb des sozialen Netzwerkes sichtbar sind, gelten als veröffentlicht. Der Begriff „veröffentlicht“ bedeutet, dass die Daten einem für die betroffene Person nicht mehr überschaubaren Personenkreis zugänglich sind.[2] Gleiches gilt auch für Daten, die allen angemeldeten Benutzern eines sozialen Netzwerkes zugänglich sind.
Daten, die nur für Kontakte sichtbar sind, dürfen grundsätzlich nicht ausgewertet werden. Ein Unternehmen sollte daher bei einer Kontaktanfrage explizit angeben, dass es die Daten zur Anwerbung verwenden möchte,[3] und die betroffene Person muss die Kontaktanfrage angenommen haben.
Von einem Überwiegen des berechtigten Interesses eines Unternehmens spricht man jedenfalls dann, wenn eine Mehrzahl der folgend aufgelisteten Kriterien erfüllt ist:
- Die Veröffentlichung des Profils ist durch die betroffene Person steuerbar – das jeweilige soziale Netzwerk erlaubt, die Sichtbarkeit auf Kontakte oder noch restriktiver einzuschränken.
- Die Daten sind für alle Netzwerk-Mitglieder, oder auch außerhalb des Netzwerkes sichtbar.
- In einem beruflichen Netzwerk zählt die Ansprache zur Anwerbung zu den erwarteten Nutzungsformen öffentlich sichtbarer Daten.
2. Erkennbarer Wille
Neben der Sichtbarkeit lässt auch die Formgestaltung des Profils Rückschlüsse auf die Interessen der betroffenen Person zu. Sind die Daten des Profils aktuell gehalten, spricht Vieles dafür, dass die betroffene Person die Ansprache interessierter Unternehmen erwartet. Als argumentum e contrario weisen veraltete oder nicht vervollständigte Angaben eines Profils darauf hin, dass der Nutzer nicht an einer Anwerbung interessiert ist.
Der Wunsch der betroffene Person ist zu berücksichtigten, sowohl wenn diese sich zustimmend, beispielsweise „ich suche eine neue Stelle“, als auch wenn sie sich ablehnend, „bitte keine Jobangebote unterbreiten“, äußert. Während eine Pflicht zum Jobangebot nicht besteht, sollte der Wunsch, keine Jobangebote zu erhalten, unbedingt respektiert werden. Durch diesen Wunsch überwiegt das Interesse der betroffenen Personen bei einer Interessensabwägung zu ihren Gunsten, was eine weitere Datennutzung zu diesem Zweck unzulässig macht.
III. Rechtsgrundlage für die Ansprache
Beim Vorliegen der oben genannten Bedingungen dürfen die Profildaten dahingehend ausgewertet werden, ob die jeweilige Person ein geeigneter Kandidat wäre. Eine Ansprache ist damit noch nicht erlaubt. Diese ergibt sich zusätzlich aus der Gegebenheit der Sichtbarkeit der Kontaktdaten, oder nämlich nicht.
Ist die Sichtbarkeit eines Profils durch die betroffene Person auf ihre direkten Kontakte, oder noch restriktiver eingestellt, so ist eine Kontaktaufnahme nur zulässig, wenn bei der Anfrage als neuer Kontakt der Zweck deutlich genannt und die Kontaktanfrage auch bestätigt wurde. Ein sich Verschaffen der Kontaktdaten oder Erfragung dieser Daten bei Dritten ist im Rahmen der hier diskutierten Interessensabwägung regelmäßig unzulässig. Dazu zählt auch die Suche nach der geschäftlichen E-Mail-Adresse oder Telefonnummer, beispielsweise auf der Webseite des aktuellen Arbeitgebers.
IV. Beachtung der Informationspflicht
Die Informationspflicht lebt auf, sobald personenbezogene Daten erhoben werden. „Erheben“ wird in der DS-GVO im Unterschied zu § 3 Abs. 3 BDSG-alt nicht (mehr) definiert. Folgt man der alten Definition, bedeutet Erheben „das Beschaffen von Daten über den Betroffenen“. Für diese Interpretation spricht, dass sie dem Sinnzusammenhang entspricht, in der „Erheben“ in der DS-GVO verwendet wird.
Eine visuelle Betrachtung eines Profils stellt folglich eine Erhebung von Daten über den Betroffen dar. Darüber hinaus spricht man von einer Erhebung auch bei einer Übertragung der Kontaktdaten und Eckdaten eines Profils in Listen zur späteren Entscheidung oder Kontaktaufnahme. Nach der visuellen Betrachtung eines Profils bzw. der Übertragung dessen in Listen, sind die Personen, deren Profile angesehen wurden, darüber in Kenntnis zu setzen. Die Informationspflicht besteht auch dann, wenn eine spätere Ansprache ausbleibt.
Es ist von einer direkten Erhebung im Sinne des Art. 13 DS-GVO auszugehen, da die betroffene Person die Daten selber bereitgestellt hat. Daraus folgt, dass die Information nach Art. 13 DS-GVO umzusetzen ist. Das gilt unabhängig von einer späteren Ansprache.
Die Information des Betreibers eines sozialen Netzwerks macht eine Informationspflicht desjenigen, der die Daten erhoben hat, nicht obsolet, da diese einen anderen Inhalt hat. Auf die Information kann daher lediglich dann verzichtet werden, wenn die betroffene Person eine explizit identische Information bereits erhalten hat.
V. Umsetzung des Widerspruchsrechts
Die betroffene Person kann durch den Umstand der Informierung über ihre Widerspruchsmöglichkeit eine künftige Nutzung ihrer Daten verbieten. Wird durch eine Person ein Widerspruch erhoben, so wirkt dieser ex nunc für eine künftige Verwendung der Profildaten. Zur operativen Umsetzung wäre es ratsam, eine Widerspruchsliste zu führen und jedes Profil mit dieser Liste abzugleichen.
VI. Fazit
Die Zulässigkeit der Ansprache von geeigneten Personen in berufsorientierten sozialen Netzwerken ergibt sich aus einer Interessensabwägung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO. Die Zulässigkeit des Vorgehens bemisst sich an dem Vorliegen der Erfüllung der folgenden Kriterien:
- Die Veröffentlichung des Profils ist durch die betroffene Person steuerbar, d.h. das soziale Netzwerk bietet die Möglichkeit, die Sichtbarkeit auf Kontakte oder noch restriktiver einzuschränken.
- Die Daten sind für alle Mitglieder des Netzwerkes oder auch außerhalb des Netzwerkes sichtbar.
- In einem beruflichen Netzwerk zählt die Ansprache zur Anwerbung zu den erwarteten Nutzungsformen öffentlich sichtbarer Daten.
- Positive Willensäußerung im Profil wie z.B. „Bin offen für neue Positionen“.
- Die Kontaktdaten sind sichtbar und bedürfen keiner Ermittlung oder eines „Erschleichens“.
- Äußert sich die betroffene Person ablehnend, „bitte keine Jobangebote unterbreiten“, ist eine weitere Datenverarbeitung zur Abwerbung unzulässig.
Unabhängig von einer tatsächlichen Ansprache sind die betroffenen Personen über die Verarbeitung zu informieren. Das Widerspruchsrecht der betroffenen Person ist zu beachten.
*1 Der Autor ist Geschäftsführer der Xamit Bewertungsgesellschaft mbH und der DSZ Datenschutz Zertifizierungsgesellschaft mbH (einem Gemeinschaftsunternehmen des BvD e.V. und der GDD e.V.).
*2 Die Autorin ist Datenschutzberaterin der Xamit Bewertungsgesellschaft mbH.
[1] Göpfert/Koops, E-Recruiting über soziale Netzwerke – Herausforderungen für die arbeitsrechtliche Praxis, in: ArbRAktuell 2017, 186.
[2] Schwartmann/Jaspers/Thüsing/Kugelmann, DS-GVO/BDSG, Art. 9, Rn. 148.
[3] Göpfert/Koops, E-Recruiting über soziale Netzwerke – Herausforderungen für die arbeitsrechtliche Praxis, in: ArbRAktuell 2017, 186.