Urteil : Der Petitionsausschuss eines Parlaments ist auskunftspflichtiger „Verantwortlicher“ : aus der RDV 5/2020, Seite 263 bis 267
(Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 9. Juli 2020 – C-272/19 –)
Art. 4 Nr. 7 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DS-GVO) ist dahin auszulegen, dass der Petitionsauschuss eines Parlaments eines Gliedstaats eines Mitgliedstaats insoweit, als dieser Ausschuss allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung entscheidet, als „Verantwortlicher“ im Sinne dieser Bestimmung einzustufen ist, so dass die von einem solchen Ausschuss vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten in den Anwendungsbereich dieser Verordnung, u.a. unter deren Art. 15, fällt.
Sachverhalt:
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von zum einen Art. 4 Nr. 7 und Art. 15 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DS-GVO) (ABl. 2016, L 119, S. 1) und zum anderen Art. 267 AEUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen VQ und dem Land Hessen (Deutschland) wegen der Ablehnung des Antrags des Betroffenen, ihm Auskunft über die ihn betreffenden, vom Petitionsausschuss des Hessischen Landtags gespeicherten personenbezogenen Daten zu erteilen, durch den Präsidenten dieses Landtags.
Nachdem er eine Petition beim Petitionsausschuss des Hessischen Landtags eingereicht hatte, begehrte VQ auf der Grundlage von Art. 15 der Verordnung 2016/679 Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten, die dieser Ausschuss im Rahmen der Behandlung seiner Petition verarbeitet hatte.
Der Präsident des Hessischen Landtags beschloss, diesen Antrag abzulehnen, und begründete dies damit, dass das Petitionsverfahren eine parlamentarische Aufgabe sei und das betreffende Parlament nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung 2016/679 falle.
VQ erhob am 22. März 2013 Klage beim Verwaltungsgericht Wiesbaden (Deutschland) gegen den Beschluss des Präsidenten des Hessischen Landtags, mit dem sein Antrag abgelehnt worden war.
Dieses Gericht weist darauf hin, dass unter Berücksichtigung insbesondere des § 13 der Richtlinien über den Umgang mit Verschlusssachen im Bereich des Hessischen Landtags von 1986 das deutsche Recht im Rahmen einer Petition wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden kein Auskunftsrecht über personenbezogene Daten vorsehe.
Das Gericht fragt sich jedoch erstens, ob der Petitionsausschuss des Hessischen Landtags als „Behörde“ im Sinne von Art. 4 Nr. 7 der Verordnung 2016/679 einzustufen sei und im vorliegenden Fall als „Verantwortlicher“ für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten von VQ angesehen werden könne. In diesem Fall könnte VQ ein Auskunftsrecht nach Art. 15 der Verordnung geltend machen.
Die Verordnung 2016/679 enthalte indes keine Definition des Begriffs „Behörde“. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden kann dieser Begriff funktionell oder institutionell verstanden werden. Nach dem ersten Begriffsverständnis seien Behörden alle öffentlichen Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnähmen, somit auch der Hessische Landtag, wenn er solche Aufgaben wahrnehme. Nach dem zweiten Begriffsverständnis sei der Petitionsausschuss dieses Landtags eine eigenständige Stelle, und mithin eine Behörde, im institutionellen Sinne. Er sei nicht an der Gesetzgebungstätigkeit des Landtags beteiligt, da seine Tätigkeit zum einen keinen verbindlichen Charakter aufweise und der Ausschuss zum anderen kein Initiativ- oder Gestaltungsrecht habe, da sein Tätigwerden stets von der Eingabe des Bürgers und dem Inhalt des Begehrens abhängig sei.
Da Art. 2 Abs. 2 der Verordnung 2016/679 Organe oder Einrichtungen, die in Ausübung gerichtlicher oder gesetzgeberischer Befugnisse handelten, nicht ausschließe, impliziere diese Vorschrift, dass ein weites Verständnis des Begriffs der Verwaltung und mithin der Behörde zugrunde zu legen sei. Mit Blick auf das Petitionsrecht unterscheide sich daher dieser Ausschuss durch nichts von jeder anderen Verwaltungsbehörde des Landes Hessen.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden ist daher der Ansicht, dass der Petitionsausschuss des Hessischen Landtags eine „Behörde“ im Sinne von Art. 4 Nr. 7 dieser Verordnung sei und dass es im vorliegenden Fall keinen Grund gebe, der einer Geltendmachung eines Auskunftsrechts nach Art. 15 der Verordnung entgegenstehe.
Allerdings fragt sich das Gericht zweitens, ob es selbst als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta in Anbetracht der vom Gerichtshof hierfür herausgearbeiteten Kriterien, insbesondere des Kriteriums der Unabhängigkeit der betreffenden Einrichtung, angesehen werden könne.
In diesem Zusammenhang weist es darauf hin, dass das Erfordernis der Unabhängigkeit zwei Aspekte umfasse. Der erste, externe, Aspekt setze voraus, dass die Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübe, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, wodurch sie vor Interventionen oder Druck von außen geschützt sei, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreitigkeiten gefährden könnten. Der zweite, interne, Aspekt stehe mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und beziehe sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt werde. Dieser Aspekt verlange, dass Sachlichkeit obwalte und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits bestehe.
Was den externen Aspekt der Unabhängigkeit angehe, habe die Anknüpfung der Gerichte an das Justizministerium zur Folge, dass das Gericht seine Funktionen nicht in völliger Autonomie ausüben könne. Im vorliegenden Fall werde die Organisation der Gerichte des Landes Hessen vom Ministerium der Justiz dieses Landes vorgegeben. Insbesondere bestimme dieses Ministerium die Kommunikationsmittel (Telefon, Fax, Internet u.a.) und die EDV-Ausstattung namentlich mit dem „HessenPC“, der mit einem zentralen Dienstleister, der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD), die dem Hessischen Ministerium für Finanzen zugeordnet sei, für die Verwaltung konzipiert sei. Die HZD gewährleiste auch die Wartung der gesamten Ausstattung, so dass es der Verwaltung möglich sei, auf alle Daten der Gerichte zuzugreifen.
Die bloße Gefahr einer politischen Einflussnahme auf die Gerichte im Wege über u.a. die Ausstattung oder die Personalzuweisung durch das Justizministerium reiche aus, um die Gefahr eines Einflusses auf die Entscheidungen der Gerichte zu bewirken und die Unabhängigkeit der Gerichte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinträchtigen. Hierfür sei sogar ein vermeintlicher Erledigungsdruck in Bezug auf die zügige Abarbeitung der Rechtssachen durch eine von diesem Ministerium geführte Statistik über die Arbeitsbelastung ausreichend.
Außerdem verfügten die Gerichte des Landes Hessen nicht über eine eigenständige Datenschutzkontrolle, da der wesentliche Teil der Datenverarbeitung durch das Ministerium der Justiz des Landes Hessen vorgegeben werde, ohne dass die im 20. Erwägungsgrund der Verordnung 2016/679 erwähnte gerichtliche Kontrolle ausgeübt werde.
Was den internen Aspekt der Unabhängigkeit betrifft, stellt das Verwaltungsgericht Wiesbaden klar, dass das deutsche Verfassungsrecht die institutionelle Unabhängigkeit der Gerichte nicht gewährleiste.
Wie sich nämlich aus den §§ 2b und 3 HRiG ergebe, unterfielen zunächst die Ernennung, die Beurteilung und die Beförderung der Richter, einschließlich derjenigen, die das vorlegende Gericht bildeten, dem Ministerium der Justiz des Landes Hessen. Daraus folge, dass die Bestimmungen des Beamtenrechts auf sie anwendbar seien, so dass u.a. Auslandsdienstreisen der Richter wie solcher, die im Rahmen des Europäischen Netzwerks für richterliche Ausbildung stattfänden, vom Ministerium angeordnet werden müssten.
Sodann könnten nach § 18 VwGO zur Deckung eines vorübergehenden Personalbedarfs Beamte zu Richtern auf Zeit ernannt werden. Ein solcher Richter könne jedoch aus einer Behörde kommen, die bei Gericht auf der Beklagtenseite vertreten sei.
Außerdem stelle das Ministerium der Justiz des Landes Hessen die dienstlichen Kontaktdaten aller Richter in ein Personalinformationssystem der Hessischen Landesregierung ein, so dass alle Verwaltungsbehörden dieses Landes auf diese Daten zugreifen könnten, auch wenn sie als Partei in einem Verfahren vor eben diesen Richtern auftreten könnten.
Schließlich entscheide das Justizministerium auch über die Anzahl der Richter und die Planstellen jedes Gerichts, das nicht richterliche Personal, das faktisch der Exekutive zuzurechnen sei, sowie die EDV-Ausstattung jedes Gerichts.
Daher seien die Gerichte nur funktionell unabhängig, da nach Art. 126 der Verfassung des Landes Hessen nur die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen seien. Doch reiche eine solche funktionelle Unabhängigkeit für sich allein nicht aus, um die Gerichte vor jeder äußeren Einflussnahme zu bewahren.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden zieht daraus den Schluss, dass es die Vorgaben nach Art. 47 Abs. 2 der Charta für ein unabhängiges und unparteiisches Gericht wohl nicht erfülle.
Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Findet die Verordnung 2016/679 – hier Art. 15 („Auskunftsrecht der betroffenen Person“) – auf den für die Bearbeitung von Eingaben von Bürgern zuständigen Ausschuss eines Parlaments eines Gliedstaats eines Mitgliedstaats – hier den Petitionsausschuss des Hessischen Landtags – Anwendung, und ist dieser insoweit wie eine Behörde im Sinne von Art. 4 Nr. 7 der Verordnung 2016/679 zu behandeln?
Handelt es sich bei dem vorlegenden Gericht um ein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta?
Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens
Mit seiner zweiten Frage äußert das Verwaltungsgericht Wiesbaden Zweifel an seiner Eigenschaft als „Gericht“ im Sinne des Art. 267 AEUV, gelesen im Licht des Art. 47 der Charta. Damit fordert es den Gerichtshof in Wirklichkeit auf, die Zulässigkeit seines Vorabentscheidungsersuchens zu prüfen, da die Eigenschaft als „Gericht“ im Sinne des genannten Art. 267 AEUV eine Voraussetzung für diese Zulässigkeit und mithin eine Vorfrage für die Auslegung der von der ersten Frage erfassten Bestimmung des Unionsrechts darstellt.
Nach ständiger Rechtsprechung stellt der Gerichtshof für die Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der jeweils vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, und somit, ob das Vorabentscheidungsersuchen zulässig ist, auf eine Reihe von Merkmalen ab, wie z.B. die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihr ständiger Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, das streitige Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie ihre Unabhängigkeit (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C 274/14, EU:C:2020:17, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die vom Verwaltungsgericht Wiesbaden geäußerten Zweifel betreffen seine eigene Unabhängigkeit gegenüber Legislative und Exekutive. Diese Zweifel beruhen darauf, dass erstens die Richter vom Justizministerium ernannt und befördert würden, sich zweitens die Beurteilung der Richter durch das Justizministerium nach denselben Bestimmungen richte, die für Beamte gälten, drittens die personenbezogenen Daten und die dienstlichen Kontaktdaten der Richter vom Justizministerium verwaltet würden, das damit Zugriff auf diese Daten habe, viertens Beamte zur Deckung eines vorübergehenden Personalbedarfs als Richter auf Zeit ernannt werden dürften und fünftens das Justizministerium die externe und die interne Organisation der Gerichte vorgebe, die Personalzuweisung, die Kommunikationsmittel und die EDV-Ausstattung der Gerichte bestimme und auch über Auslandsdienstreisen der Richter entscheide.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Unabhängigkeit der Richter der Mitgliedstaaten aus verschiedenen Gründen für die Rechtsordnung der Union von fundamentaler Bedeutung ist. Zunächst fällt sie unter die Rechtsstaatlichkeit, die zu den Werten gehört, auf die sich die Union gemäß Art. 2 EUV gründet und die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind, sowie Art. 19 EUV, der diesen Wert konkretisiert und die Aufgabe, in dieser Rechtsordnung die gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten, auch den nationalen Gerichten überträgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C 64/16, EU:C:2018:117, Rn. 32). Sodann ist diese Unabhängigkeit eine notwendige Voraussetzung, um den Rechtsunterworfenen im Geltungsbereich des Unionsrechts das in Art. 47 der Charta vorgesehene Grundrecht auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter zu gewährleisten, dem als Garant für den Schutz sämtlicher den Rechtsunterworfenen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte grundlegende Bedeutung zukommt (vgl. in diesem Sinne u.a. Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C 542/18 RX II und C 543/18 RX II, EU:C:2020:232, Rn. 70 und 71 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Schließlich ist diese Unabhängigkeit für das reibungslose Funktionieren des Systems der justiziellen Zusammenarbeit essenziell, das durch den Mechanismus des Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV verkörpert wird, da die Vorlageberechtigung von Einrichtungen, die mit der Anwendung des Unionsrechts betraut sind, u.a. daran geknüpft ist, dass sie unabhängig sind (vgl. u.a. Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C 274/14, EU:C:2020:17, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Für die Zwecke der Prüfung der Zulässigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens kann das Kriterium der Unabhängigkeit, das die vorlegende Einrichtung aufweisen muss, um als Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV angesehen werden zu können, daher allein anhand dieser Vorschrift beurteilt werden.
Daraus folgt, wie die Europäische Kommission hervorhebt, dass sich im vorliegenden Fall diese Beurteilung auf die Unabhängigkeit allein des Verwaltungsgerichts Wiesbaden im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits beziehen muss, der, wie aus den Rn. 22 bis 25 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die Auslegung des Unionsrechts, nämlich der Verordnung 2016/679, betrifft.
In diesem Zusammenhang sind bestimmte von diesem Gericht vorgetragene Gesichtspunkte für die Zwecke dieser Beurteilung offensichtlich unerheblich.
Dies gilt erstens für die Vorschriften über die Verfahren der Ernennung von Richtern auf Zeit, da solche Richter nicht Teil des Spruchkörpers sind, der im vorliegenden Fall nur aus dem Präsidenten des Verwaltungsgerichts Wiesbaden besteht.
Was zweitens die Rolle des Ministeriums der Justiz des Landes Hessen in Bezug auf die Verwaltung von Dienstreisen der Richter oder die Organisation der Gerichte, die Bestimmung der Anzahl des Personals, die Verwaltung der Kommunikationsmittel und der EDVAusstattung sowie die Verwaltung der personenbezogenen Daten angeht, genügt der Hinweis, dass das Vorabentscheidungsersuchen keine Informationen enthält, die es ermöglichen, zu verstehen, inwiefern diese Gesichtspunkte die Unabhängigkeit des Verwaltungsgerichts Wiesbaden in der Rechtssache des Ausgangsverfahrens in Frage stellen könnten.
Zu prüfen bleibt somit im Wesentlichen der angebliche Einfluss, den die Legislative oder die Exekutive auf die dieses Verwaltungsgericht bildenden Richter aufgrund ihrer Beteiligung an Ernennung, Beförderung und Beurteilung dieser Richter ausüben könnten.
Nach ständiger Rechtsprechung setzen die Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, über die die mitgliedstaatlichen Gerichte verfügen müssen, voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der genannten Stelle für Einflussnahmen von außen und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuschließen (Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander, C 274/14, EU:C:2020:17, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Hierzu stellt die deutsche Regierung klar, dass Richter einen eigenständigen Status innerhalb des öffentlichen Dienstes innehätten; dieser werde insbesondere durch die in Art. 97 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vorgesehene Garantie der Inamovibilität, die Zuständigkeit von Richterdienstgerichten für den gerichtlichen Rechtsschutz der Richter sowie durch das Ernennungsverfahren, bei dem der Richterwahlausschuss eine maßgebliche Rolle spiele, sichergestellt. Dieser in Art. 127 der Verfassung des Landes Hessen vorgesehene Ausschuss bestehe aus sieben im Landtag berufenen Mitgliedern, fünf richterlichen Mitgliedern und, im jährlichen Wechsel, dem Präsidenten einer der beiden Rechtsanwaltskammern des Landes. Die vom Landtag im Verhältnis zu seiner Zusammensetzung zu berufenden Mitglieder sollten die demokratische Legitimation dieses Ausschusses gewährleisten.
Was die Bedingungen der Ernennung des im vorlegenden Gericht sitzenden Richters betrifft, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der bloße Umstand, dass die Legislative oder die Exekutive im Verfahren der Ernennung eines Richters tätig werden, nicht geeignet ist, eine Abhängigkeit dieses Richters ihnen gegenüber zu schaffen oder Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen zu lassen, wenn der Betroffene nach seiner Ernennung keinerlei Druck ausgesetzt ist und bei der Ausübung seines Amtes keinen Weisungen unterliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2019, A. K. u.a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C 585/18, C 624/18 und C 625/18, EU:C:2019:982, Rn. 133 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden scheint sich jedoch auch zu fragen, ob die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses unter Berücksichtigung des Überwiegens der von der Legislative berufenen Mitglieder mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit vereinbar sei.
Dieser Umstand kann jedoch für sich genommen nicht dazu führen, an der Unabhängigkeit des vorlegenden Gerichts zu zweifeln. Denn die Unabhängigkeit eines einzelstaatlichen Gerichts muss – auch unter dem Blickwinkel der Bedingungen, unter denen seine Mitglieder ernannt werden – anhand aller relevanten Faktoren beurteilt werden.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, als ein einzelstaatliches Gericht ihm eine Reihe von Gesichtspunkten unterbreitete, die nach Ansicht des Gerichts geeignet waren, an der Unabhängigkeit eines an der Ernennung von Richtern beteiligten Ausschusses zu zweifeln, festgestellt hat, dass zwar denkbar ist, dass der eine oder andere von diesem Gericht angeführte Gesichtspunkt an und für sich nicht zu beanstanden ist und in diesem Fall in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt und deren Entscheidungen unterliegt, dass jedoch ihr Zusammenspiel neben den Umständen, unter denen diese Entscheidungen getroffen wurden, Zweifel an der Unabhängigkeit eines am Verfahren zur Ernennung von Richtern beteiligten Gremiums aufkommen lassen können, auch wenn sich ein solcher Schluss bei getrennter Betrachtung dieser Gesichtspunkte nicht aufdrängen würde (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u.a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C 585/18, C 624/18 und C 625/18, EU:C:2019:982, Rn. 142).
Im vorliegenden Fall kann nicht der Schluss gezogen werden, dass einem Ausschuss wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden aufgrund des Vorliegens allein des in Rn. 55 des vorliegenden Urteils genannten Gesichtspunkts die Unabhängigkeit fehle.
Was die Voraussetzungen der Beurteilung und Beförderung der Richter, die vom Verwaltungsgericht Wiesbaden ebenfalls in Frage gestellt werden, betrifft, genügt die Feststellung, dass die dem Gerichtshof vorgelegten Akten keine Anhaltspunkte enthalten, denen zufolge die Art und Weise, in der die Exekutive ihre diesbezüglichen Befugnisse ausübt, geeignet wäre, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel insbesondere an der Unempfänglichkeit des betreffenden Richters für Einflussnahmen von außen und an seiner Neutralität in Bezug auf die Interessen, die vor ihm in Widerstreit stehen können, zu erzeugen.
In Anbetracht des Vorstehenden können die Gesichtspunkte, die das Verwaltungsgericht Wiesbaden zur Stützung der von ihm in Bezug auf seine eigene Unabhängigkeit geäußerten Zweifel vorträgt, für sich genommen nicht ausreichen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass derartige Zweifel begründet seien und dieses Gericht – trotz aller sonstigen in der Rechtsordnung, der dieses Verwaltungsgericht unterliegt, vorgesehenen Vorschriften, die seine Unabhängigkeit gewährleisten sollen und zu denen namentlich die in Rn. 53 des vorliegenden Urteils genannten gehören – nicht unabhängig sei.
Unter diesen Umständen ist das Verwaltungsgericht Wiesbaden im vorliegenden Fall als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen. Daraus folgt, dass das Vorabentscheidungsersuchen zulässig ist.
Es ist klarzustellen, dass dieses Ergebnis keine Auswirkung auf die Zulässigkeit der zweiten Frage hat, die als solche unzulässig ist. Da diese Frage nämlich die Auslegung von Art. 267 AEUV selbst betrifft, der für die Entscheidung des Rechtsstreits des Ausgangsverfahrens nicht in Rede steht, entspricht die mit dieser Frage erbetene Auslegung keinem objektiven Erfordernis für die Entscheidung, die das vorlegende Gericht zu treffen hat (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 25. Mai 1998, Nour, C 361/97, EU:C:1998:250, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zum Vorabentscheidungsersuchen
Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Nr. 7 der Verordnung 2016/679 dahin auszulegen ist, dass der Petitionsausschuss eines Gliedstaats eines Mitgliedstaats als „Verantwortlicher“ im Sinne dieser Bestimmung einzustufen ist, so dass die Verarbeitung personenbezogener Daten durch diesen Ausschuss in den Anwendungsbereich der Verordnung, u.a. unter deren Art. 15, fällt.
Zur Beantwortung dieser Frage ist erstens daran zu erinnern, dass besagter Art. 4 Nr. 7 den „Verantwortlichen“ definiert als die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung entscheidet.
Daher ist die Definition des in der Verordnung 2016/679 enthaltenen Begriffs „Verantwortlicher“ nicht auf Behörden beschränkt, sondern, wie die tschechische Regierung hervorhebt, hinreichend weit, um jede Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung entscheidet, einzuschließen.
Zu, zweitens, den Erklärungen des Landes Hessen, wonach die Tätigkeiten eines parlamentarischen Ausschusses nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der Verordnung 2016/679 fallen, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits Gelegenheit hatte, in Bezug auf Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 95/46 klarzustellen, dass diese Richtlinie zwar auf Art. 100a EG-Vertrag (nach Änderung Art. 95 EG) gestützt ist, die Heranziehung dieser Rechtsgrundlage aber nicht voraussetzt, dass in jedem Einzelfall, der von dem auf dieser Rechtsgrundlage ergangenen Rechtsakt erfasst wird, tatsächlich ein Zusammenhang mit dem freien Verkehr zwischen Mitgliedstaaten besteht und dass es unangebracht wäre, den Ausdruck „Tätigkeiten…, die nicht in den Anwendungsbereich des [Unions]rechts fallen“ dahin auszulegen, dass in jedem Einzelfall geprüft werden müsste, ob die betreffende konkrete Tätigkeit den freien Verkehr zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar beeinträchtigt (Urteil vom 6. November 2003, Lindqvist, C 101/01, EU:C:2003:596, Rn. 40 und 42).
Dies gilt erst recht in Bezug auf die Verordnung 2016/679, die auf Art. 16 AEUV – wonach das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union Vorschriften über den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch u.a. die Mitgliedstaaten im Rahmen der Ausübung von Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, und über den freien Datenverkehr erlassen – gestützt ist und deren Art. 2 Abs. 2 im Wesentlichen Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 95/46 entspricht.
Drittens ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung, da er eine Ausnahme von der in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung enthaltenen sehr weiten Definition ihres Anwendungsbereichs darstellt, eng auszulegen.
Zwar hat der Gerichtshof grundsätzlich betont, dass die in Art. 3 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 95/46 beispielhaft aufgeführten Tätigkeiten (nämlich solche nach den Titeln V und VI des Vertrags über die Europäische Union sowie Verarbeitungen betreffend die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung, die Sicherheit des Staates und die Tätigkeiten des Staates im strafrechtlichen Bereich) jedenfalls spezifische Tätigkeiten der Staaten oder der staatlichen Stellen sind und mit den Tätigkeitsbereichen von Einzelpersonen nichts zu tun haben und dass diese Tätigkeiten dazu dienen sollen, den Anwendungsbereich der dort geregelten Ausnahme festzulegen, so dass diese nur für Tätigkeiten gilt, die entweder dort ausdrücklich genannt sind oder derselben Kategorie zugeordnet werden können (ejusdem generis) (Urteil vom 6. November 2003, Lindqvist, C 101/01, EU:C:2003:596, Rn. 43 und 44).
Jedoch reicht der Umstand, dass eine Tätigkeit eine spezifische des Staates oder einer Behörde ist, nicht aus, damit diese Ausnahme automatisch für diese Tätigkeit gilt. Es ist nämlich erforderlich, dass die Tätigkeit zu denjenigen gehört, die ausdrücklich in dieser Vorschrift genannt sind, oder dass sie derselben Kategorie wie diese zugeordnet werden kann.
Zwar sind die Tätigkeiten des Petitionsausschusses des Hessischen Landtags zweifellos behördlicher Art und spezifische dieses Landes, da dieser Ausschuss mittelbar zur parlamentarischen Tätigkeit beiträgt, dennoch sind diese Tätigkeiten nicht nur politischer und administrativer Natur, sondern aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht auch in keiner Weise hervor, dass diese Tätigkeiten im vorliegenden Fall den in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b und d der Verordnung 2016/679 genannten Tätigkeiten entsprechen oder derselben Kategorie wie diese zugeordnet werden können.
Viertens und letztens ist in der Verordnung 2016/679, insbesondere in deren 20. Erwägungsgrund und deren Art. 23, keine Ausnahme in Bezug auf parlamentarische Tätigkeiten vorgesehen.
Folglich ist der Petitionsausschuss des Hessischen Landtags insoweit, als dieser Ausschuss allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung entscheidet, als „Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 4 Nr. 7 der Verordnung 2016/679 einzustufen, so dass im vorliegenden Fall Art. 15 der Verordnung anwendbar ist.
Nach alledem ist Art. 4 Nr. 7 der Verordnung 2016/679 dahin auszulegen, dass der Petitionsausschuss eines Gliedstaats eines Mitgliedstaats insoweit, als dieser Ausschuss allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung entscheidet, als „Verantwortlicher“ im Sinne dieser Bestimmung einzustufen ist, so dass die von einem solchen Ausschuss vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten in den Anwendungsbereich dieser Verordnung, u.a. unter deren Art. 15, fällt.