Urteil : Die fehlende Belehrung über das Widerrufsrecht einer Einwilligung macht die Einwilligung nicht unwirksam : aus der RDV 6/2024, Seite 364 bis 366
(LG Frankfurt, Urteil vom 4. Juni 2024 – 3 O 300/23 –)
Bei der Belehrungspflicht über das Widerrufsrecht handelt es sich trotz der Überschrift der Norm mit „Bedingungen für die Einwilligung“ nicht um eine echte Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung.
(Nicht amtlicher Leitsatz)
Aus den Gründen:
Die Beklagte hat vorliegend ausschließlich gegen Art. 7 Abs. 3 S. 3 DS-GVO verstoßen; weitere Verstöße liegen nicht vor.
(1) Die Beklagte hat zunächst nicht gegen Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a) DS-GVO i.V.m. Art. 7 Abs. 1 DS-GVO verstoßen, da die Kläger wirksam in die Verarbeitung von personenbezogenen Daten, namentlich die Fertigung von Lichtbildaufnahmen vom Inneren der von den Klägern bewohnten Immobilie eingewilligt haben und der Verstoß gegen Art. 7 Abs. 3 S. 3 DS-GVO rückwirkend nicht zur Unwirksamkeit der von den Klägern erteilten Einwilligung führt.
Die Einwilligung in die Fertigung der Lichtbildaufnahmen vom Innenbereich der streitgegenständlichen Immobilie haben die Kläger zunächst entsprechend den Vorgaben von Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a) DS-GVO erteilt.
Unter einer Einwilligung im Sinne der DS-GVO ist nach Art. 4 Nr. 11 DS-GVO jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutig bestätigenden Handlung zu verstehen, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist. Die Erteilung einer Einwilligung muss dabei weder schriftlich noch ausdrücklich erfolgen; vielmehr kann diese bereits nach dem Wortlaut von Art. 4 Nr. 11 DS-GVO auch durch eine sonstige eindeutig bestätigende Handlung, also konkludent, erfolgen (s. Steinrötter, in: BeckOK IT-Recht, 13. Edition, Stand: 01.07.2023, Art. 7 DS-GVO Rn. 10 f.). Sie muss allerdings für einen bestimmten Fall, zeitlich vor der Datenverarbeitung erfolgen und muss durch den Einwilligenden in informierter Weise abgegeben werden, wobei auf einen durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Nutzer abzustellen ist (Steinrötter, a.a.O., Rn. 12).
Eine dementsprechende Einwilligung haben die Kläger vorliegend erteilt. Sie haben die Mitarbeiter der Beklagten in die von ihnen bewohnte Immobilie eingelassen, damit diese Lichtbildaufnahmen von den Innenräumlichkeiten fertigen können. Damit haben sie konkludent und unmissverständlich ihren Willen bekundet, dass das Fertigen von Lichtbildaufnahmen von ihrem Einverständnis gedeckt ist. Das haben die Kläger bei ihrer informatorischen Anhörung durch das Gericht auch so bestätigt. Gleichfalls haben die Kläger angegeben, dass es klar gewesen sei, dass die Fotos für den Hausverkauf gedacht waren. Insofern haben die Kläger ihre Einwilligung auch in dem Wissen abgegeben, dass die Lichtbildaufnahmen Dritten im Rahmen des Verkaufs der streitgegenständlichen Immobilie, mithin für einen bestimmten Fall, zugänglich gemacht werden, was insoweit auch der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht. Sie haben daher auch in informierter Art und Weise in die Erstellung von Lichtbildaufnahmen eingewilligt. Die Kläger haben mithin in die Erhebung und Nutzung von Lichtbildaufnahmen als personenbezogenen Daten eingewilligt.
Trotz der Einwilligung der Kläger hat die Beklagte – unabhängig von der im Streit stehenden Belehrung der Kläger über eine entsprechende Datenverarbeitung – jedenfalls nicht über die jederzeitige Widerrufsmöglichkeit der Kläger in die Datenverarbeitung nach Art. 7 Abs. 3 S. 3 DS-GVO belehrt. Zwar hat der Zeuge XXX angegeben, er habe darüber belehrt, dass die Kläger die Fertigung von Lichtbildaufnahmen des Inneren der Immobilie auch verweigern könnten. Hierin ist jedoch, ohne dass es auf die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen XXX oder dessen Glaubwürdigkeit ankäme, keine ausreichende Belehrung zu erblicken, da die Belehrung lediglich dahin ging, dass die Kläger die Anfertigung der Lichtbildaufnahmen vor deren Erstellung verweigern können, jedoch nicht, dass auch eine nachträgliche Abstandsmöglichkeit zu jedem Zeitpunkt gegeben ist.
Aus diesem Verstoß folgt jedoch nicht, wie dies in der Literatur teilweise vertreten wird, dass die Einwilligung der Kläger als von Anfang an unwirksam anzusehen wäre bzw. die Einwilligung infolge einer teleologischen Reduktion ex tunc als unwirksam zu sehen sei (Steinrötter, a.a.O., Rn. 29; jedenfalls für den Fall, dass vor Beginn der Datenverarbeitung keine Belehrung erfolgt Klement, in: Simitis/Hornung/ Spiecker, Datenschutzrecht, 1. Aufl. 2019, Rn. 95). Insofern ist das Gericht der Ansicht, dass es sich bei der Belehrungspflicht über das Widerrufsrecht trotz der Überschrift der Norm mit „Bedingungen für die Einwilligung“ nicht um eine echte Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung handelt (Ernst, ZD 2020, 383; Buchner/Kühling, Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG 4. Aufl. 2024, Art. 7 Rn. 40b). Denn gerade im Hinblick auf Art. 7 Abs. 2 DS-GVO, der eine ausdrückliche Rechtsfolge bei Verstoß gegen das Trennungs- und Transparenzgebot vorsieht, ist eine solche Rechtsfolge im Rahmen des Art. 7 Abs. 3 DS-GVO gerade nicht benannt (Heckmann/Paschke, in: Ehmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung, 3. Aufl. 2024, Art. 7 Rn. 94; Ernst, a.a.O.). Zudem würde bei anderweitiger Annahme die explizit in Art. 4 Nr. 11 DS-GVO vorgesehene Möglichkeit der konkludenten Einwilligung auf diesem Wege jeder praktischen Möglichkeit beraubt (so auch Ernst, a.a.O.), was von Seiten des Gesetzgebers nicht gewollt sein kann. Daneben bestünde außerdem die Gefahr, die Einwilligungserklärung derart zu überfrachten, dass die Gefahr eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot des Art. 5 Abs. 1 lit. a) DS-GVO bestünde, was wiederum die Unwirksamkeit der Einwilligung nach sich ziehen würde. Unter weiterer Berücksichtigung der Folgen in Bezug auf die in der Vergangenheit abgegebenen Einwilligungserklärungen, die so gut wie nie entsprechende Belehrungen über das Widerrufsrecht enthielten und mithin insgesamt unwirksam wären (Ernst, a.a.O.), ist das Gericht mithin zu der Auffassung gelangt, dass die von den Klägern erteilte Einwilligung auch weiterhin wirksam ist. […]
Es fehlt darüber hinaus an einem materiellen Schaden der Kläger.
Hinsichtlich des Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 3 S. 3 DS-GVO scheitert der von Klägerseite geltend gemachte Anspruch auf Schmerzensgeld bereits daran, dass der Verstoß nicht kausal für den behaupteten Schaden der Kläger war. Denn für das Vorliegen von Kausalität hätte es der Darlegung bedurft, dass die Kläger bereits zu einem früheren Zeitpunkt von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch gemacht hätten, wären sie von der Beklagten über das Bestehen eines solchen ordnungsgemäß belehrt worden. An entsprechendem Vortrag hierzu fehlt es gänzlich. Eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises bedurfte es zudem nicht, da unter Berücksichtigung der eigenen Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2024 gerade nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein Widerruf tatsächlich früher erklärt worden wäre. Denn die Kläger gaben insofern an, dass sie bei Fertigung der Lichtbildaufnahmen sowohl mit deren Erstellung als auch mit deren nachträglicher Nutzung zu Zwecken des Hausverkaufs einverstanden gewesen seien und dass sie erst nach Ansprache von mehreren, sowohl bekannten als auch ihnen unbekannten Personen über die Einsichtnahme Fremder in ihre Wohnräumlichkeiten erschrocken gewesen seien. Insofern ist der maßgebliche Anlass für den Entschluss der Kläger, von der Veröffentlichung der Lichtbildaufnahmen ihrer Räumlichkeiten Abstand zu nehmen, die Ansprache durch Dritte auf ihre Wohnsituation, weshalb bis zu diesem Zeitpunkt ein Widerruf ohnehin nicht erfolgt wäre. Darüber hinaus ist jedoch auch nicht ersichtlich, welcher spezifische Schaden den Klägern gerade aus der verspäteten – tatsächlich nicht erfolgten – Erklärung des Widerrufs entstanden sein soll.
Unabhängig davon haben die Kläger jedoch letztlich auch nicht dargelegt, dass ihnen überhaupt ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist. Nach jüngster Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs reicht es insofern nicht aus, dass ein bloßer Verstoß des Verantwortlichen gegen die Vorschriften der DS-GVO vorliegt, da das Vorliegen eines materiellen oder immateriellen Schadens nach dem Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 DS-GVO ebenso Voraussetzung für das Vorliegen des Schadensersatzanspruches ist (EuGH, Urt. v. 11.04.2024, Az. C-741/21; vorangehend auch schon EuGH, Urt. v. 04.05.2023, Az. C-300/21).
Mithin bedarf es der schlüssigen Darlegung eines über den Datenschutzverstoß hinausgehenden immateriellen Schadens in Form einer persönlichen und/oder psychologischen Beeinträchtigung aufgrund des entsprechenden Datenschutzverstoßes. Bei persönlichen und psychologischen Beeinträchtigungen handelt es sich, soweit – wie hier – keine krankhaften Störungen behauptet werden, um innere Vorgänge. Auf das Vorliegen innerer, dem Beweis nur eingeschränkt zugänglicher Tatsachen kann dabei nur mittelbar aus in der Regel auf äußeren Tatsachen basierenden Indizien geschlossen werden. Mit Blick auf die subjektiven Folgen eines Datenschutzverstoßes im Einzelfall ist es deshalb ausreichend, aber auch erforderlich, dass der Betroffene Umstände darlegt, in denen sich seine erlebten Empfindungen widerspiegeln, und dass nach der Lebenserfahrung der Datenschutzverstoß mit seinen Folgen Einfluss auf das subjektive Empfinden hat (OLG Hamm, Urt. v. 15.08.2023, Az. 7 U 19/23 m.w.N.).
Im Hinblick hierauf fehlt es an einer hinreichenden Schadensdarlegung durch die Kläger. Die Angaben der Klägerseite, sie seien durch die Veröffentlichung der Fotos sozusagen „demaskiert“ worden, weshalb ein diffuses Gefühl des Beobachtetseins entstanden sei, reicht in dieser pauschalen Form zur Darlegung persönlich belastender Folgen der Datenschutzverletzung nicht aus, weil hiermit nicht genug Beweisanzeichen objektiver Art vorgetragen sind, in denen sich entsprechende Gefühle der Kläger, die zudem nicht einmal ansatzweise beschrieben sind, widerspiegeln (vgl. zum Erfordernis eines konkreten Vortrags zum immateriellen Schaden bei behaupteten Verstößen gegen die DS-GVO (hier in Bezug auf Scraping-Fälle) etwa OLG Bremen, Beschl. v. 16.07.2021, Az. 1 W 18/21; OLG Hamm, a.a.O.; OLG Stuttgart, Urt. v. 22.11.2023, Az. 4 U 20/23; OLG Köln, Urt. v. 07.12.2023, Az. 15 U 108/23; OLG Dresden, Urt. v. 05.12.2023, Az. 4 U 1094/23). Diesbezügliche Bedenken hatte das Gericht unter in Bezug genommener Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2024 auch im Rahmen der Erörterung mit den Parteien geäußert. Dass dies keinen Eingang ins Protokoll gefunden hat, beruht lediglich auf einem Versehen.