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Kurzbeitrag : Aus den aktuellen Berichten der Aufsichtsbehörden (11) : aus der RDV 1/2014, Seite 30 bis 32

Ausgewertet und kommentiert von Prof. Peter Gola, Königswinter*

Lesezeit 6 Min.

Sozialdatenschutz

Die Vorschriften des BDSG treten zurück, wenn andere Vorschriften des Bundes auf den Umgang mit personenbezogenen Daten anzuwenden sind (§ 1 Abs. 3 BDSG). Gleiches gilt für die Datenschutzgesetze der Länder (z.B. § 2 Abs. 3 LDSG NW). Weitreichender durch Bundesrecht mit abschließenden Datenverarbeitungsbefugnissen ausgestatteter Datenschutz besteht für die Verarbeitung von Sozialdaten durch Sozialleitungsträger in den einschlägigen Normen der Sozialgesetzbücher I bis XI. Ausgangspunkt ist die Regelung des Sozialgeheimnisses in § 35 SGB I mit seiner Präzisierung im SGB X. Nach § 35 Abs. 1 S. 1 SGB I hat jedermann Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Unbefugt ist jede Verwendung der Daten, die keine Grundlage im SGB findet.

Auch im Sozialdatenschutz gilt der Grundsatz der Direkterhebung (§ 67a Abs. 2 S. 1 SGB X). Dabei hat der, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind und auf Verlangen der Erteilung von erforderlichen Auskünften Dritter zuzustimmen (§ 60 Abs. 1 SGB I), d.h. nur in den gesetzlich normierten Ausnahmefällen bzw. bei erteilter Zustimmung des Betroffenen darf sich die Behörde Informationen bei Dritten einholen. Daran ändert nichts, dass die Erhebung der benötigten Daten bei Dritten im konkreten Fall durchaus der beschleunigten Bearbeitung des Falles dienen kann (Vgl. LfD Thüringen, 9. TB, 2010-2011; Ziff. 11.3). Die Aufsichtsbehörden hatten auch aktuell wieder Fälle von Datenerhebungen zu beanstanden, bei denen sich die Behörde auf keine Rechtsgrundlage für eine Datenerhebung bei Dritten berufen konnte bzw. den Begriff der Erforderlichkeit einer Erhebung oder Datenübermittlung verkannt hatte.

Danach müssen Jobcenter bei Bearbeitung eines Antrags auf Gewährung von Leistungen zu Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) die hierfür benötigten Daten über die Wohnverhältnisse beim Antragsteller, z.B. durch Vorlage des Mietvertrages, erheben. Die unmittelbare Einschaltung des Vermieters ist ohne Einwilligung des Antragstellers nicht zulässig. Gleichermaßen kann der Antragsteller nicht angehalten werden, unter Offenlegung seiner Eigenschaft als Sozialleistungsempfänger selbst eine Vermieterbescheinigung einzuholen (BfDI, 24. TB, 2011/2012, Ziff. 12.1.3.6); dies gilt jedenfalls immer dann, wenn andere Belege genügen. Dem gemäß sah es der Landesdatenschutzbeauftragte Baden-Württemberg als nicht erforderlich an, dass ein Sozialamt beim Vermieter einer Garage nachfragte, ob der Antragsteller gemäß Mietvertrag befugt sei, diese zu vermieten.

Anlass war, dass Zweifel bestanden, ob der Antragsteller auf Grund gesundheitlicher Fahruntauglichkeit die Garage überhaupt benötige und daher die Garagenmiete nicht zum sozialhilferechtlichen Bedarf gehöre (30. TB, 2010/2011; Ziff. 3.2.).

Leistungen des Jobcenters werden ggf. gekürzt, wenn ein arbeitsloser Antragsteller eine zumutbare Arbeit beendet (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB ). Ein Abweichen vom Grundsatz der Direkterhebung ist hier zulässig, wenn die Anfrage nach den Gründen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei dem ehemaligen Arbeitgeber zur Aufklärung der Anspruchsberechtigung erforderlich ist. Dies setzt jedoch eine durch den konkreten Sachverhalt ausgelöste Einzelfallabwägung voraus. Auch bei berechtigter Nachfrage sind dem Arbeitgeber die vom Antragsteller vorgetragenen Beendigungsgründe nicht im Einzelnen mitzuteilen (BfDI 24. TB, 2011/2012. Ziff. 12.1.3.4 ).

Übernimmt die ARGE die Miete, so ist deren Überweisung direkt an den Vermieter, worauf der Bayerische Landesbeauftragte für Datenschutz erneut hinweist (23. TB, 2010, Ziff. 17.6.1; 25. TB, 2012, Ziff. 8.18), nur zulässig, wenn diese unmittelbare Zahlung ausnahmsweise zur Aufgabe der ARGE erforderlich ist oder der Betroffene eingewilligt hat. Erforderlich ist die direkte Überweisung der Miete nach § 22 Abs. 4 SGB II, wenn die zweckentsprechende Verwendung der Miete durch den Hilfsbedürftigen nicht sichergestellt ist. Dies bedarf einer Entscheidung im Einzelfall.

Ein Abweichen von dem Grundsatz der Direkterhebung liegt auch vor, wenn Jobcenter im Rahmen einer infolge Missbrauchsverdachts sich als erforderlich erwiesenen Sachverhaltsermittlung (§ 20 SGB X) im Internet recherchieren bzw. Daten aus sozialen Netzwerken verwenden. Nach der Auffassung des BfDI (24. TB, 2011/2012, Ziff. 12.1.3.3) handelt es sich bei diesen Recherchen um Datenerhebungen bei Dritten, die nur zulässig sind, wenn sie ohne Beeinträchtigung seiner überwiegenden schutzwürdigen Interessen nicht beim Betroffenen selbst erfolgen können oder einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern. Derartige Voraussetzungen werden im Regelfall jedoch nicht vorliegen. Dazu ist anzumerken, dass § 67a SGB X keine der Regelung des § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BDSG entsprechende erleichterte Datenerhebung aus öffentlich zugänglichen Quellen gestattet.

Regelmäßig ist den von dem Antragsteller einer Sozialleistung wahrheitsgemäß zu machenden Angaben Glauben zu schenken. Demgemäß ist eine standardgemäß angeforderte Zustimmung zur Einholung von Bankauskünften ohne das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für unvollständige oder falsche Vermögensangaben nicht erforderlich im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I und somit unzulässig. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestattet auch insoweit nur das insoweit unerlässlich Notwendige. Erst wenn „negative“ Anhaltspunkte vorliegen, steht es im Ermessen der Behörde zu entscheiden, wie zur Nachprüfung vorzugehen ist (§ 20 SGB X) (LDSB Hessen, 41. TB, 2013, Ziff. 3.3.5.1.2). Anders liegt der Sachverhalt bei der Anforderung zur Vorlage von aktuellen Kontoauszügen, da diese regelmäßig als Beweismittel bei der für die Antragstellung zu machenden Angaben zählen (vgl. BSozG, NJW 2009, 3743). Sie dokumentieren den Vermögensstand und die Einnahme- und Ausgabeverhältnisse. Jedoch sind bloße Informationen zum Ausgabeverhalten, beispielsweise im Medienbereich oder zu Beiträgen an eine Partei unerheblich. Der Antragsteller ist darauf hinzuweisen, dass diese geschwärzt werden können. Zudem berechtigt die Befugnis, die Vorlage der Kontoauszüge zu verlangen, nicht auch in jedem Falle zu deren Speicherung im Original oder als Kopie in den Akten, d.h. als Zweck der Speicherung reicht der bloße Nachweis, dass die Kontoauszüge vorgelegen haben, nicht aus (LDSG Sachsen-Anhalt, IX. TB, 2007/2009, Ziff. 21.3.; XI. TB, 2011/2013, Ziff. 10.2.1).

Ähnlich zu beurteilen ist die Aufnahme einer Kopie des Personalausweises in die Akte des Antragstellers. Die Prüfung der Identität ist zwar nötig, die Speicherung der vollständigen Kopie ist jedoch nicht erforderlich. Sie kann jedoch zur Arbeitsvereinfachung, d.h. zur erleichterten nachfolgend erforderlicher Identitätsfeststellung auf Grund informierter und zweckgebundener Einwilligung erfolgen (§ 67b Abs. 2 SGB X) (LDSG Sachsen-Anhalt, XI. TB, 2011/2013, Ziff. 10.2.2). Auf die Schwärzung von nicht zur Identitätsprüfung erforderlichen Angaben ist hinzuweisen (vgl. Gola, Bericht Nr. 2; RDV 2012, 184)

Fraglich war es, ob für die Aufgabenerfüllung im Rahmen der Antragstellung für das ALG II Zeugniskopien des 14-jährigen Kindes angefordert werden dürfen. Begründet wurde dies damit, dass das Kind mit Abschluss des Schuljahres 15 Jahre alt wird und damit in eine Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit zu vermitteln ist (§ 3 Abs. 2 S. 1 SGB II). Nach Auffassung des LfD Thüringen, 9.TB, 2010/2011, Ziff. 11.8 genügt die Vorlage einer Schulbescheinigung, um den zurzeit nicht anstehenden Bedarf der Arbeitsvermittlung zu belegen. Die zur damaligen Zeit zuständige ARGE sah dagegen im Schulentlassungsjahr – wohl nicht zu Unrecht – die frühzeitige Information über die schulischen Kenntnisse als notwendige Information an, um ihrer demnächst anstehenden Pflicht zur Arbeitsvermittlung rechtzeitig und mit der gebotenen Qualität nachkommen zu können.

Zur Nachprüfung der Angaben von Antragstellern sind auch ggf. Mitarbeiter des Jobcenters im Außendienst (§ 6 Abs. 1, 2. Halbs. SGB II) berechtigt. Unverhältnismäßig ist es jedoch, direkt nach einer anonymen Anzeige ohne Prüfung weiterer Indizien einen unangekündigten Hausbesuch durchzuführen und bei der Gelegenheit – obwohl dies nicht Anlass für den Hausbesuch war – eine Inventarliste der Wohnungseinrichtung anzulegen (BfDI, 24. TB, 2010/2011; Ziff. 12.1.3.1).

Sichergestellt werden muss die Wahrung des Sozialgeheimnisses auch durch die Organisation der Arbeit im Jobcenter (§ 78a SGB X), wodurch sich gleichzeitige Gespräche mit Antragstellern in sog Doppelbüros verbieten (BfDI, 24.TB, 2011/2012, Ziff. 12.1.3.2; ferner LDSB Sachsen-Anhalt, XI. TB, 2011/2013 Ziff. 10.2.4).

Auch wenn Betrugsfälle innerhalb der Behörde eine Überwachung als notwendig erwiesen haben, so ist eine dauerhafte Zugriffsberechtigung z.B. der Kreisparkasse oder der Revision auf die in den EDV-Programmen des Jobcenters gespeicherten Datensätze von Leistungsempfängern aus sozialdatenschutzrechtlicher Sicht nicht gestattet (LDSB Hessen, 41. TB, 2012, Ziff. 3.,.5.3), mögen hierdurch auch Unstimmigkeiten bei Geldrückläufen oder Geldeingängen bei Leistungsempfängern leichter ermittelt werden können.

Zur Publikation ihrer Eigenschaft als Sozialleistungsempfänger können Inhaber eines „Sozialtickets“ nicht dadurch „gezwungen“ werden, dass diese Eigenschaft der Monatskarte auf diese derart sichtbar aufgedruckt wird, dass bei Fahrtkartenkontrollen auch nebenstehende Mitfahrende diese Bezeichnung unschwer lesen können (LfDI NRW, 21. TB, 2013, Ziff. 8.1).

* Der Autor ist Ehrenvorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V., Bonn.