Urteil : Fotografieren zwecks des Nachweises des „Krankfeierns“ : aus der RDV 1/2014, Seite 44 bis 46
(Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Juli 2013 – 10 SaGa 3/13 –)
Beobachtet ein Vorgesetzter zufällig in seiner Freizeit einen ihm unterstellten und arbeitsunfähig geschriebenen Angestellten bei der Reinigung seines PKW in einer Autowaschanlage, so ist er zur Aufklärung des Verdachts des Krankfeierns berechtigt, mit der Handykamera Fotoaufnahmen von dem Arbeitnehmer zu fertigen.
(Nicht amtlicher Leitsatz)
Sachverhalt:
Der Verfügungskläger begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Untersagung, ihn ohne seine Einwilligung zu filmen, zu fotografieren und/oder ihm heimlich nachzustellen und/oder ihn heimlich zu kontrollieren.
Am Samstag, dem 16.03.2013, traf der Beklagte den Kläger gegen 10:00 Uhr an einer Autowaschanlage in A-Stadt an. Der Kläger reinigte gemeinsam mit seinem Vater einen Pkw. Der Beklagte war über die Reinigungstätigkeiten des krankgeschriebenen Klägers und dessen körperliche Verfassung erstaunt und fertigte mit seiner Handykamera Fotos, um seine Beobachtung zu dokumentieren. Es kam zu einer – auch körperlichen – Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und seinem Vater mit dem Beklagten. Der Hergang wird unterschiedlich dargestellt.
Mit am 21.03.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenem und den zwei Verfügungsbeklagten am 22.03.2013 zugestellten Schriftsatz beantragte der Verfügungskläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit folgenden Anträgen: den Beklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu € 500.000,–, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, einstweilen zu untersagen, selbst oder durch Dritte ohne Einwilligung des Klägers diesen zu filmen, zu fotografieren und/oder heimlich nachzustellen und/oder heimlich zu kontrollieren, den Beklagten aufzugeben, sämtliche vom Kläger widerrechtlich aufgenommenen Film- und Fotoaufnahmen vom 16.03.2013 an ihn, hilfsweise an einen vom Gericht zu benennenden Sequester, herauszugeben.
Aus den Gründen:
Die zulässige Berufung des Verfügungsklägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Anträge im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht zurückgewiesen.
Die begehrte einstweilige Verfügung ist bereits deshalb nicht zu erlassen, weil der Verfügungskläger keinen Verfügungsanspruch iSd. §§ 935, 940 ZPO glaubhaft gemacht hat. Der Beklagte zu 2) handelte in Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falls nicht rechtswidrig, als er den Kläger am 16.03.2013 an der Autowaschanlage in A-Stadt mit seiner Handykamera fotografierte. Im Hinblick auf den Untersagungsanspruch fehlt es zudem an einer Wiederholungsgefahr.
1. Dem Verfügungskläger steht der geltend gemachte Untersagungsanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog iVm. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu.
Mit der Berufung ist davon auszugehen, dass das Anfertigen der Fotos mit der Handykamera an der Autowaschanlage am 16.03.2013 das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers beeinträchtigt hat.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst ua. auch das Recht am eigenen Bild. Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen, darüber zu entscheiden, ob Fotografien oder Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen. Dabei ist das Recht am eigenen Bild nicht identisch mit dem Schutz der Privatsphäre (BAG 29.06.2004 – 1 ABR 21/03 – Rn. 15 m.w.N, NZA 2004, 1278; BVerfG 09.10.2002 – 1 BvR 1611/96 – und – 1 BvR 805/98 – NJW 2002, 3619, zu C II 1 b der Gründe). Es ist deshalb nicht auf bestimmte Örtlichkeiten, wie insbesondere die eigene Wohnung, begrenzt. Auch ist es nicht nur – wie durch § 22 KunstUrhG ausdrücklich geregelt – gegen die unzulässige Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung geschützt. Vielmehr unterfällt bereits die Herstellung von Abbildungen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (BAG 26.08.2008 – 1 ABR 16/07 – Rn. 15 mwN., NZA 2008, 1187; BGH 25.04.1995 – VI ZR 272/94 – NJW 1995, 1955, zu III 1 der Gründe).
Das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete, auch im Privatrechtsverkehr und insbesondere im Arbeitsverhältnis zu beachtende allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ist – auch in seiner Ausprägung als Recht am eigenen Bild – nicht schrankenlos gewährleistet. Eingriffe können durch Wahrnehmung überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Bei einer Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den Interessen des Arbeitgebers ist durch eine Güterabwägung im Einzelfall zu ermitteln, ob dieses den Vorrang verdient (BAG 21.06.2012 – 2 AZR 153/11 – Rn. 30 m.w.N, NZA 2012, 1025).
Im vorliegenden Fall traf der Beklagte den arbeitsunfähig krankgeschriebenen Kläger am Samstag, dem 16.03.2013, zufällig an einer Autowaschanlage an. Für eine heimliche Überwachung des Klägers bestehen keine Anhaltspunkte. Der Kläger war an der Waschanlage mit Reinigungsarbeiten beschäftigt und machte auf den Beklagten einen körperlich gesunden Eindruck. Der Beklagte fertigte mit seiner Handykamera Fotos, um seine Beobachtung zu dokumentieren. Aus seiner Sicht bestand der Verdacht, dass der Kläger seine Arbeitsunfähigkeit lediglich vorgetäuscht haben könnte. Da der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch andere Tatsachen mehr oder weniger entwertet werden kann, hatte der Beklagte das Interesse, die körperlichen Aktivitäten des Klägers an der Waschanlage zu Beweiszwecken zu fotografieren.
Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers durch die Speicherung der Fotos auf der Handykamera ist nicht schwerwiegend. Der Beklagte hat die Aktivitäten des Klägers an der öffentlich zugänglichen Autowaschanlage unmittelbar beobachtet, so dass er als Augenzeuge zur Verfügung steht. Die Speicherung der Fotos über seine punktuelle persönliche Beobachtung stellt unter den gegebenen Umständen keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar. Es bestand aus Sicht des Vorgesetzten der konkrete Verdacht, dass der Kläger seine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht und damit einen Entgeltfortzahlungsbetrug begangen haben könnte.
Die Ansicht des Klägers, der Beklagte habe aufgrund seiner guten körperlichen Verfassung nicht darauf schließen dürfen, dass er eine Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht habe, weil die ärztliche Bescheinigung ab 12.03.2013 von einem Neurologen ausgestellt worden ist, geht fehl. Die Diagnose wird dem Arbeitgeber auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht mitgeteilt. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass neurologische Erkrankungen mit keinen körperlichen Beeinträchtigungen einhergehen.
2. Das Arbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die für einen Untersagungsantrag erforderliche Wiederholungsgefahr fehlt. Die Wiederholungsgefahr ist eine materielle Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs. Wenn sie entfällt, erlischt auch der zukunftsgerichtete Unterlassungsanspruch.
Für die vom Kläger behauptete Gefahr, der Beklagte werde ihn weiterhin fotografieren und/oder ihm heimlich nachstellen und/ oder ihn heimlich kontrollieren, liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. Allein die Tatsache, dass die Fotos im laufenden Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern (Az.: 2 Ca 436/13) vorgelegt wurden, bietet keine hinreichende Grundlage für die Annahme des Klägers, die Beklagten hielten sich für berechtigt, die Fotos auch beliebigen außenstehenden Dritten zur Verfügung zu stellen oder im Internet zu veröffentlichen. Ob die Fotos im Kündigungsschutzverfahren als Beweismittel verwertet werden dürfen, hat das Prozessgericht zu entscheiden.
3. Der Kläger kann von den Beklagten nicht die Herausgabe von „widerrechtlich“ aufgenommenen Fotoaufnahmen vom 16.03.2013 verlangen. Der Beklagte hat nach eigenem Bekunden mit seiner Handykamera drei Fotos hergestellt. Soweit der Kläger die Herausgabe der Fotos an sich verlangt, würde dies nicht nur zur Sicherung, sondern zur Erfüllung des insoweit geltend gemachten Anspruchs führen. Die darin liegende Vorwegnahme der Hauptsache ist nicht gerechtfertigt. Auch die Anordnung der vorläufigen Herausgabe von Fotos an einen Sequester kommt nicht in Betracht, weil der Beklagte mit seinem Handy Fotos gefertigt hat, so dass – wenn überhaupt – die gespeicherten Fotodateien (und evtl. Kopien) zu löschen wären. Im Übrigen scheitert der Antrag letztlich auch daran, dass die Anfertigung der Fotos – wie oben ausgeführt – nicht rechtswidrig war.