Aufsatz : Verbandsklagen – ein neues Schwert des Datenschutzes? : aus der RDV 1/2016, Seite 17 bis 22
Der Bundestag hat am 17.12.2015 das Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts beschlossen. Mittels Ergänzung des § 2 Abs. 2 UKlaG ist nunmehr ausdrücklich geregelt, dass solche datenschutzrechtliche Vorschriften, welche die Zulässigkeit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten eines Verbrauchers durch einen Unternehmer zu Zwecken der Werbung, der Markt- und Meinungsforschung, des Betreibens von Auskunfteien, des Erstellens von Persönlichkeits- und Nutzungsprofilen, des Adresshandels, des sonstigen Datenhandels oder zu vergleichbaren kommerziellen Zwecken regeln, Verbraucherschutzgesetze im Sinne des § 2 Abs. 1 UKlaG sind. Der vorliegende Aufsatz vergleicht die Rechtslage vor und nach der Gesetzesänderung, bewertet die Neuregelung und gewährt einen Ausblick auf die künftige Rechtslage nach Inkrafttreten der DS-GVO.
1 Die derzeitige Rechtslage
1.1 Allgemeines
Bereits derzeit können nicht nur Betroffene, sondern auch Verbände und Organisationen, die den Verbraucher- und Wettbewerbsschutz als Aufgabe haben, ggf. klageweise gegen verantwortliche Stellen vorgehen, wenn sie datenschutzrechtliche Bestimmungen gegenüber Verbrauchern verletzen. Die Rechtsgrundlagen hierfür finden sich im BDSG und BGB (für betroffene Verbraucher) sowie (für Wettbewerber und Verbände) im „Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb“ (UWG)[1] und dem Gesetz über „Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen“ (Unterlassungsklagengesetz – UKlaG)[2].
Der verbandsspezifische Anspruch ist darauf gerichtet, bestimmte wettbewerbswidrige bzw. Verbraucherrechte verletzende Handlungen zu unterlassen und ggf. auch in ihren Folgen zu beseitigen (§§ 1, 2 Abs. 1 UKlaG; § 8 Abs. 1 UWG). Die zu unterlassenden Handlungen können mittelbar und unmittelbar Datenschutzbezug haben. Der Datenschutz ist von dem Unterlassungsanspruch jedenfalls dann berührt, wenn die beanstandete wettbewerbsrechtliche bzw. gegen Verbraucherrechte gerichtete geschäftliche Handlung gleichzeitig mit dem BDSG unvereinbar ist. Das gilt etwa, wenn BDSG-Einwilligungen (§ 4a BDSG) als allgemeine Geschäftsbedingen verfasst sind und der insoweit bestehenden Überprüfungsbefugnis eines Verbands vor Gericht nicht standhalten[3].
Eindeutig gegen das UWG (§ 7 Abs. 2) und gleichzeitig gegen das BDSG wird beispielsweise verstoßen, wenn Verbraucher ohne vorherige Einwilligung telefonisch werblich angesprochen werden[4]. Hier kann die Unterlassung der Cold Calls einerseits von der Datenschutzaufsichtsbehörde[5] durch Festsetzung eines Zwangsgelds und andererseits von Verbraucherschutzverbänden zivilrechtlich[6] durchgesetzt werden, ohne dass diese in Prozeßstandschaft für den betroffenen Verbraucher handeln müssen[7 .
Besonderheit des Verbandsklagerechts ist nämlich, dass es keinen Auftrag des betroffenen Verbrauchers voraussetzt. Der Verband macht vielmehr eigene Ansprüche geltend und kann daher auch ohne oder gegen den Wunsch von Betroffenen tätig werden[8]. Die gerügte Handlung muss jedoch Kollektivinteressen von Verbrauchern berühren. Das ist nur der Fall, wenn der Verstoß in seinem Gewicht und seiner Bedeutung über den Einzelfall hinausreicht und eine generelle Klärung geboten erscheint.
Unzulässig ist daher in jedem Falle, wenn das Vorgehen nur dazu dient, einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten zu erzielen (§ 8 Abs. 4 UWG).
1.2. Regelungsbereich: Umgang mit Verbraucherdaten
§ 2 UKlaG und auch das UWG definieren nicht, wann der Betroffene sich in der Funktion des Verbrauchers befindet. Zurückzugreifen ist – wie es auch für das UWG in § 2 Abs. 2 ausdrücklich geschieht – auf die Definition des BGB (§ 13).
Verbraucher ist danach jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Derartiges rechtsgeschäftliches Handeln beginnt bereits im Vorfeld eines Rechtsgeschäfts, d.h. bei der Suche des Betroffenen nach Produkten auf der Homepage des Onlinehändlers oder auch schon bei der diesbezüglichen Nutzung einer Suchmaschine. Gleiches gilt wenn der Kontakt zum Abschluss des Rechtsgeschäfts von einem Unternehmen ausgeht und es zu diesem Zweck Daten über den Betroffenen erhoben und gespeichert hat.
Die Einordnung als Verbraucher kann nicht erst dann beginnen, wenn mit dem Betroffenen ein Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB durch Anbahnung eines Vertrages oder durch ähnliche geschäftliche Kontakte entsteht[9]. Anderenfalls müsste man zum Ergebnis kommen, dass vom Adresshandel vermarktete Daten noch keine Verbraucher betreffen.
1.3 Die Klagebefugnis
1.3.1 Der betroffene Verbraucher
Während Mitbewerber, Verbände und IHKs Wettbewerbsverstöße gem. §§ 8, 9 UWG verfolgen können, ist dies dem einzelnen Verbraucher nach Wettbewerbsrecht nicht möglich.
Verbrauchern und „sonstigen Marktteilnehmern“, die von unlauteren Wettbewerbshandlungen betroffen sind, räumen das UWG oder das UKlaG nämlich keine Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche ein. Ihren Rechtsschutz müssen sie aus anderen Rechtsquellen ableiten. Dies können die die datenschutzrechtlichen Korrekturrechte (u.a. § 35 BDSG) sein oder auf §§ 1004 Abs. 1 S. 2; 823 Abs. 1 und/oder Abs. 2 BGB gestützte Unterlassungsansprüche sein.
Um diese Schutzlücke zu schließen, aber auch um etwa Klagen bei massenweisen Rechtsverletzungen zu bündeln oder zu moderieren, sehen das UWG (§ 8 Abs. 3 Nr. 2–4) und das UKlaG (§ 3) eine Klagebefugnis bzw. Anspruchsdurchsetzungsbefugnis für rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen oder sogenannte qualifizierte Einrichtungen (i.S. von §§ 3, 4 UKlaG), d.h. Wirtschafts- und Verbraucherorganisationen, vor, wobei das UKlaG speziell den Zweck verfolgt, bei rechtsunkundigen oder klageunwilligen Verbrauchern für die Durchsetzung ihrer Rechte zu sorgen. Dass eine derartige Situation auf dem Gebiet des Datenschutzes besteht, macht die nicht bemerkenswerte Zahl von Verbrauchern gegenüber Unternehmen angestrengter datenschutzrechtlicher Auseinandersetzungen deutlich. Die Bundesrechtsanwaltskammer[10] hält fest, dass auch „informierte, angemessen aufmerksame und verständige Verbraucher von der Wahrnehmung der Durchsetzung ihrer Rechte häufig absehen“, wobei angemerkt wird, dass dieses Verhalten angesichts der prominenten Berichterstattung über tatsächliche und vermeintliche Datenschutzskandale weniger auf Unkenntnis als auf den Aufwand zurückzuführen ist, den die Rechtsverfolgung erfordert, aber auch auf schlichte Gleichgültigkeit.
1.3.2 Organisationen der Wirtschaft
Im Bereich der Wirtschaft existieren Organisationen, die keine spezifischen (Fach-)Verbandsinteressen verfolgen, sondern allgemein die Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken zur Aufgabe haben. Die größte Institution dieser Art ist die „Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs“, kurz: „Wettbewerbszentrale“, ein gemeinnütziger Verein mit über 2000 Verbänden und Unternehmen als Mitgliedern.
Die Klagebefugnis von Verbänden zur Förderung gewerblicher Interessen ist daran gebunden, dass ihnen eine ausreichende Anzahl selbst klagebefugter Mitbewerber angehört. Mittelbare Verbandszugehörigkeit genügt und liegt vor, wenn dem klagenden Verband solche Verbände als Mitglieder angehören, die ihrerseits eine hinreichende Anzahl selbst klageberechtigter Mitbewerber als Mitglied haben. Die Verbandsklagebefugnis ist wie die der Mitbewerber auf wesentliche Wettbewerbsverstöße beschränkt.
1.3.3 Verbraucherschutzorganisationen
Verbraucherorganisationen sind zur Wahrung von Verbraucherinteressen klagebefugt, wenn sie als sog. „qualifizierte Einrichtungen“ die Voraussetzungen für die Eintragung in die beim Bundesamt für Justiz bzw. der Kommission der Europäischen Union geführte Liste erfüllen. Hierfür erforderlich ist, dass sie bestimmten Anforderungen an Satzung, Größe und Organisation gerecht werden. Bei Verbraucherverbänden, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, wird die Erfüllung dieser Voraussetzungen unterstellt. Klagebefugt sind insoweit beispielsweise die Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), die Verbraucherzentralen der Länder und ca. 50 weitere Verbraucherschutzorganisationen.
1.3.4 Industrie- und Handelskammern etc.
Kammern, insbesondere Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Rechtsanwalts- und Ärztekammern etc. sind ebenfalls befugt, Abmahnungen auszusprechen und Unterlassungsklagen geltend zu machen (§ 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG, § 3 Abs. 1 S. 1 Nr.3 UKlaG).
1.4. Umfang der Aktivitäten der Verbände
1.4.1 Wettbewerbsorganisationen
Die von der Wirtschaft getragene Wettbewerbszentrale hat die ihr umfassend für das gesamte Bundesgebiet zustehenden Klagebefugnisse[11] umfangreich genutzt. Im Jahr 2013 wurden mehr als 700 Gerichtsverfahren durchgeführt[12]. Datenschutzverstöße wurden jedoch lediglich zweimal aufgegriffen. In einem der Fälle ging es um eine intransparente Datenschutzklausel im Hinblick auf die Erhebung und Nutzung personenbezogener Daten (§ 307 BGB). Bei dem anderen Fall handelte es um eine fehlende Belehrung, der weiteren Verarbeitung und Nutzung der erhobenen personenbezogenen Daten widersprechen zu können.
Über die Abmahn- und Klagetätigkeit der „qualifizierten Einrichtungen“ sind detaillierte Informationen nur schwer zu erlangen.
1.4.2 Verbraucherschutzorganisationen
Die Verbraucherzentralen und ihre Dachorganisation, der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV), führen jährlich rund 1.000 Verfahren durch. Der VZBV selbst verzeichnet in dieser Zeit rund 300 Abmahnungen und 100 Klagen, wobei allerdings die verfolgten Rechtsverstöße nicht näher beschrieben werden. Zurückblickend haben die Verbraucherschutzorganisationen jedenfalls bisher nur in sehr geringem Umfang Datenschutzverstöße durch Unternehmen verfolgt, wenngleich sie vor großen Namen nicht zurückschreckten[13]. Durchweg bildeten AGB, die vorformulierte standardisierte Einwilligungsklauseln zum Gegenstand hatten, Anlass für Abmahnungen und Unterlassungsklagen[14].
1.5 Der Gang des Verfahrens
Regelmäßig wird der Konkurrent auf sein wettbewerbswidriges Verhalten zunächst durch Abmahnung hingewiesen und aufgefordert, das beanstandete Verhalten nicht mehr zu wiederholen und diesbezüglich eine Unterlassungserklärung abzugeben. Diese Unterlassungserklärung wird nach der Rechtsprechung des BGH nur als ernsthaft anerkannt, wenn sie durch ein Versprechen einer Vertragsstrafe in empfindlicher Höhe für jeden Fall der Zuwiderhandlung versehen ist. Dieses Strafversprechen ist eine vertragliche Vereinbarung, deren Wirksamkeit von der Berechtigung der ursprünglichen Abmahnung nicht abhängt.
Der Unterlassungsanspruch kann zwar auch ohne Abmahnung gerichtlich geltend gemacht werden, dies dann jedoch mit dem Risiko, dass wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt, der Kläger die Prozesskosten zu tragen hätte (§ 93 ZPO). Wird die Abmahnung nicht akzeptiert, so kann im Regelfall im Wege der einstweiligen Verfügung der Anspruch – das Obsiegen vorausgesetzt – unter Kostentragung des Abgemahnten eingeklagt werden. Wird die Abmahnung akzeptiert, hat der Abgemahnte auch die Kosten der Abmahnung zu erstatten[15].
2. Das Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts
2.1 Bedarf erweiterter Klagemöglichkeit
Durch den das UKlaG ändernden Art. 3 des am 17.12.2015 vom Bundestag verabschiedeten Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützen den Vorschriften des Datenschutzrechts“[16] wurden u.a. die Befugnisse von Verbraucherschutzverbänden im Bereich der Bekämpfung von Datenschutzverstößen geklärt bzw. erweitert[17].
Zwar sollen grundsätzlich alle bislang schon klagebefugten Stellen in die Lage versetzt werden, Datenschutzverstöße zu verfolgen, nicht also nur Verbraucherschutzinstitutionen. Im Allgemeinen Teil der Begründung bei der Gesetzesfolgeneinschätzung (Abschnitt V 6) wird aber verdeutlicht, dass mit der Novelle „insbesondere Verbraucherverbände“ die Möglichkeit erhalten sollen, durch Abmahnungen oder Unterlassungsklagen gegen Verletzungen von Verbraucher betreffenden datenschutzrechtlichen Vorschriften vorzugehen[18]. Die so betonte Stoßrichtung des Entwurfs ist kaum anders zu verstehen, als dass die Verbraucherorganisationen durch die Gesetzesinitiative ermuntert werden sollen, von den ihnen durch sie eingeräumten Abmahnund Klagemöglichkeiten auch Gebrauch zu machen. Um jedoch die Gefahr einer Abmahnwelle im Griff zu haben[19], wurde in § 2 Abs. 2a UKlaG eine Berichtspflicht gegenüber dem Bundesamt für Justiz verfügt. Verbraucherverbände haben jährlich die Anzahl ihrer datenschutzrechtlichen Abmahnungen und Klagen nebst Ergebnissen mitzuteilen. Das Bundesamt hat auf der Basis der Berichte zu beurteilen, ob der Verband seine Aufgabe sachgerecht im Sinne des § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 erfüllt (§ 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 UKlaG). Ggf. droht die Aberkennung der „Qualifizierung“. Den Verbänden wird in der Gesetzesbegründung der Hinweis mit auf den Weg gegeben, dass das neue Recht der Beseitigung erheblicher Rechtsverstöße zu Lasten einer Vielzahl von Verbrauchern dient und nicht der Gewinnerzielung von abmahnberechtigten Stellen. Diese sollten daher insbesondere bei Verstößen kleinerer Unternehmen (z.B. Start ups) die außergesetzliche Möglichkeit eines einfachen kostenlosen Hinweises mit einer Stellungsnahmefrist vor der Abmahnung praktizieren.
Die zu der Erweiterung der Verbandsklagebefugnisses ergangenen, jeweils auch im Internet abrufbaren Stellungnahmen der Verbände waren generell ablehnend (z.B. BITKOM, DGRI, ecVH, Bankenverband, AG Mittelstand) bis bedingt zustimmend (RA-Kammer, Richterbund) ausgefallen. Die negativen Stimmen rügen u.a., dass unterschiedliche Schutzziele des Daten- und Verbraucherschutzes vermischt werden bzw. höchstpersönliche Ansprüche ggf. gegen den Willen des Betroffenen durchgesetzt werden könnten und dass zudem gegen geltendes und zukünftiges Europarecht verstoßen würde[20]. Weitere Argumente waren die befürchtete Rechtsunsicherheit bei einer zweiten Kontrollinstanz neben den Aufsichtsbehörden und die Benachteiligung deutscher Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Bei den Aufsichtsbehörden selbst gab es unterschiedliche Meinungen. Während das ULD Schleswig-Holstein[21] den Vorschlag begrüßte, wobei jedoch die Pflicht zur Anhörung der Datenschutzaufsichtsbehörden im Unterlassungsklageverfahren zur Pflicht gemacht werden sollte, reagierte neben anderen ablehnend der LfDI NW[22]. Er befürchtet eine rechtstaatlich bedenkliche Zersplitterung von Zuständigkeiten und damit eine Schwächung der behördlichen Datenschutzaufsicht und einen Konflikt mit dem EURecht.
Den Bedenken wurde in dem am 4. Februar 2015 vom Bundeskabinett unter Zurückweisung weitergehender Vorschläge des Bundesrats[23] verabschiedeten und am 3. März in den Bundestag eingebrachten Gesetzestext zum Teil Rechnung getragen[24].
Das Klagerecht wird auf typische, den Verbraucher betreffende „Risikobereiche“ beschränkt. Es betrifft solche unzulässigen Datenerhebungen, -verarbeitungen oder -nutzungen, die typischerweise eine Vielzahl von Verbrauchern betreffen und dadurch das Recht der Verbraucher auf informationelle Selbstbestimmung im Regelfall erheblich verletzen dürften[25]. Dies entspricht der Zielrichtung des UKlaG, das im Kollektivinteresse der Verbraucher liegende Klagen ermöglichen soll. Das ist der Fall bei in ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichenden und eine generelle Klärung erfordernden Zuwiderhandlungen. Mit einigen in der Sitzung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 02.12. 2015 beschlossenen Ergänzungen wurde das Gesetz sodann vom Bundestag am 17.12.2015 verabschiedet.[26]
2.2 Die Kernpunkte der Neuregelung
2.2.1 Die Erweiterung der Unterlassungstatbestände
Kerngehalt der Gesetzesnovelle ist es, die bislang in der Rechtsprechung strittig behandelte Frage, ob Bestimmungen des BDSG insgesamt oder teilweise auch verbraucherschützende Funktion haben und damit zu den Verbraucherschutzgesetzen i.S. d. § 4 Nr. 11 UWG[27] bzw. § 2 Abs. 2 UKlaG zählen, zumindest für das UKlaG im letzteren Sinne zu entscheiden[28].
Die geplante Ergänzung von § 2 Abs. 2 UKlaG um eine zusätzliche Ziffer 11 erweitert den Katalog der Rechtsvorschriften, die als Verbraucherschutzgesetze anzusehen sind und deren Verletzung den anspruchsberechtigten Organisationen Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung gewährt (§ 3 UKlaG), um bestimmte dem Verbraucherdaten-schutz dienende Normen. Den Verbraucherschutzorganisationen (aber auch den Wirtschaftsverbänden und Kammern) soll die Möglichkeit eröffnet werden, in weiterem Umfang als bisher gegen die Verletzung von die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten von Verbrauchern regelnden datenschutzrechtlichen Vorschriften vorgehen zu können. Der Kontrolle unterliegt damit der Umgang mit Daten, die den Betroffenen im konkreten Fall in seiner speziellen Rolle als Verbraucher betreffen. Eine Änderung des materiellen Datenschutzrechts zu Gunsten von Verbrauchern erfolgt dadurch nicht[29].
Vorgegangen werden kann gegen die Verletzung von Vorschriften, welche die Zulässigkeit regeln
„a) der Erhebung personenbezogener Daten eines Verbrauchers durch einen Unternehmer oder
b) der Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten, die über einen Verbraucher erhoben wurden, durch einen Unternehmer zu Zwecken
- der Werbung, der Markt- und Meinungsforschung
- der Betreibens einer Auskunftei
- des Erstellens von Persönlichkeits- und Nutzungsprofilen
- des Adresshandels
- des sonstigen Datenhandels oder zu vergleichbaren kommerziellen Zwecken.“
Sodann wird in einem nachfolgenden Satz deutlich gemacht, dass eine Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung im zuvor genannten Sinne nicht vorliegt, wenn personenbezogene Daten eines Verbrauchers von einem Unternehmer ausschließlich für die Begründung, Durchführung oder Beendigung eines rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnis mit dem Verbraucher erhoben, verarbeitet oder genutzt werden.
Datenverarbeitungen zur Kundenpflege sowie zur Analyse und Optimierung des eigenen Angebots an Kunden bleiben grundsätzlich zulässig[30]
. Da sie der zielgerichteten Kundenansprache dienen, unterliegen sie jedoch bei Überschreiten des Zulässigkeitsrahmens dem Klagerecht.
Speziell sollen alle digitalen Dienstleistungen und Produkte erfasst werden, die Verbraucherdaten z.B. mittels Cookies oder sonstigen Identifizierungstechniken zu Zwecken der Profilbildung, der Werbung oder des Datenverkaufs erheben. Gleiches gilt für die Erstellung von Persönlichkeits- und Nutzerprofilen (vgl. § 15 Abs. 3 S. 1 TMG), wobei die Differenzierung beider Begriffe unklar ist. Den Begriff des Persönlichkeitsprofils sieht der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz dann als erfüllt an, wenn personenbezogene Daten einer Person zusammengeführt und systematisch verknüpft werden, um durch analytische Auswertungen zusätzliche Erkenntnisse über den Betroffenen zu gewinnen. Als typische Beispiele werden genannt Bonitätsbeurteilungen von Auskunfteien oder die Auswertung von individuellen Bewegungsprofilen.[31]
Nicht erfasst werden datenschutzrechtliche Vorschriften, deren Einhaltung nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit der Datenverarbeitung ist. Dies gilt eindeutig z.B. für die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten oder angemessene Datensicherungsmaßnahmen nach § 9 BDSG. Aber auch der Verstoß gegen Informations- oder Benachrichtigungspflichten fällt nicht unter das Klagerecht, es sei denn die Erfüllung der Informationspflicht ist ausnahmsweise Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die nachfolgende Verarbeitung[32].
Ausgelöst durch das Safe-harbour-Urteil des EuGH[33] und die damit verbundene Unsicherheit zukünftiger Regelungen grenzüberscheitender Datenübermittlung in die USA wurde kurzfristig die Anwendung der Klagemöglichkeit gegen auf der Basis von Safe-Harbour stattfindende Übermittlungen bis zum Ablauf des 30. September 2016 ausgesetzt.
2.2.2 Der neue Beseitigungsanspruch
Während bei Rechtsverletzungen nach § 8 Abs. 1 UWG neben dem Unterlassungsanspruch auch ein Anspruch auf Beseitigung von auf Grund des Rechtsverstoßes andauernder Störungen besteht, war das im Rahmen des § 2 UKlaG bislang nicht der Fall. Wenn jedoch ein Unternehmer Verbraucherdaten unzulässig erhebt, genügt es nicht, dass er das zukünftig unterlässt. Vielmehr soll er identisch der Regelung in § 8 Abs. 1 UWG auch verpflichtet werden können, die unzulässig gespeicherten Daten zu löschen bzw. zu sperren, d.h. der klagende Verband hat die Befugnis die Umsetzung der Verpflichtung der datenschutzrechtlichen Vorschriften über die Berichtigung, Löschung und Sperrung (also i.d.R. § 35 BDSG oder § 13 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und S. 2 TMG) durchzusetzen.
2.2.3 Die gerichtliche Hinzuziehung der Datenschutzaufsichtsbehörde
Der Kritik, dass Unternehmen ggf. mit unterschiedlichen Rechtsauffassungen von Aufsichtsbehörden und Verbraucherschutzorganisationen konfrontiert werden und sich gegen Maßnahmen parallel einmal vor den Verwaltungsund zum anderen vor den Zivilgerichten wehren müssen[34], soll die in §12a vorgesehene Regelung Rechnung tragen. Diese schreibt in gerichtlichen Verfahren, die einen Verstoß gegen die bei den genannten Verarbeitungszwecken geltende Datenschutzregelungen zum Inhalt haben, die Anhörung der zuständigen inländischen Datenschutzaufsichtsbehörde vor[35]. Das Gericht kann den Sachverstand der Aufsichtsbehörde nutzen und ggf. abweichende Auffassungen zwischen Aufsichtsbehörde und klagendem Verband abwägen. Die anhängige Klage hindert die Aufsichtsbehörde nicht, im Rahmen ihrer Befugnisse selbst tätig zu werden.
Eine Ausnahme gilt, wenn über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, was durchweg der Fall ist. Nicht erfüllt wurden die seitens des Bundesrats[36] sowie einiger Aufsichtsbehörden erhobenen Forderungen nach Anhörung vor Erhebung einer Klage und einem „Selbsteintrittsrecht“ der Datenschutzaufsichtsbehörde, auf Anhörung vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung und Mitteilung der Entscheidung.
3. Die Verbandsklage nach der EU-DS-GVO
Der zunächst erhobene Vorwurf der Europarechtswidrigkeit der Datenschutzverbandsklage[37] ist nun dadurch entkräftet, dass der im Trilog verabschiedete Text der DS-GVO den Nationalstaaten ausdrücklich die Möglichkeit gesetzlicher Regelungen zur Durchführung von Verbandsklagen einräumt (Art 76 Abs. 2). Danach können sie Organisationen und Verbände, die im öffentlichen Interesse handeln und die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet sind (Art. 73 Abs. 2), „independently of data subjects’s mandat“ sowohl ein Recht auf Beschwerden bei einer Aufsichtsbehörde als die eines gerichtlichen Rechtsbehelfs gewähren, “if it considers that the rights of a data subject have been infringed as a result of the processing of personal data that is not in compliance with this Regulation.“
4. Fazit
Die erweiterte Klagebefugnis für Verbraucherorganisationen wird ohne Zweifel entsprechende zusätzliche Abmahn- und Klageaktivitäten der Verbraucherorganisationen auslösen. Zwar betont der VZBV als Spitzenorganisation der Verbraucherinstitutionen in seiner Stellungnahme, dass kein Anlass für die Befürchtung einer massenhaften Zunahme von Abmahnungen und Klagen bestehe und verweist zur Begründung auf die begrenzten personellen Ressourcen. Dieser beschwich tigende Hinweis steht allerdings in Widerspruch zur Einschätzung des Deutschen Richterbundes. In seiner Stellungnahme vom August 2014 (Nr. 14/14) heißt es einleitend:
„Allerdings ist abzusehen, dass die Neuregelung zu einer nicht unerheblichen Mehrbelastung für die Gerichte führen wird, was einen entsprechenden Mehrbedarf an Personal und Ausstattung nach sich zieht.“
Die Annahme, dass die Verbraucherverbände angesichts der angekündigten Aufgabenzuweisung mit Hilfe öffentlicher Mittel auch personell aufrüsten werden, ist wohl nicht von der Hand zu weisen.
Prof. Peter Gola Mitherausgeber und federführender Schriftleiter der Fachzeitschrift RDV sowie Ehrenvorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V., Bonn.
[1] Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 03.03.2010, wurde zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.11.2015 (BGBl. 2015, Nr. 49, S. 2158); und ist in dieser Fassung in Kraft seit dem 10.12.2015; europarechtliche Grundlage ist die EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL).
[2] Unterlassungsklagegesetz vom 27.8.2002, zuletzt geändert durch das am 17.12.2015 beschlossene Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts. Europarechtliche Grundlage ist u.a. die Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen. Mit der rechtlichen Aufwertung der Grundrechtecharta (Art. 6 Abs. 2 EUV) werden durch Art. 38 EuGRCh die Forderungen nach einem hohen Verbraucherschutzniveau und insbesondere einem effektiven Rechtsschutz verstärkt (Art. 47 EuGRCh; Art. 19 EUV)
[3] Die zur Rechtmäßigkeit von Einwilligungserklärungen ergangen Gerichtsentscheidungen sind fast insgesamt im Wege der Verbandsklage erstritten worden; vgl. Manzel, Datenschutzerklärungen – mißlungene Erlaubnisregelungen zur Datennutzung, NJW 2010, 3756.
[4] Vgl. Anwendungshinweise der Datenschutzaufsichtsbehörden Ziff. 11; RDV 2014, 43.
[5] OVG Berlin, RDV 2015, 332 = ZD 2016, 37 mit Anm. Heermann.
[6] BGH, RDV 2013, 251 (Kläger war die Verbraucherzentrale).
[7] Zur diesbezüglichen aus der EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation gezogenen Folgerung vgl. Köhler, Verbandsklagen gegen unerbetene Telefon-, Fax- und E-Mail-Werbung. Was sagt das Unionsrecht?, wrp 2012, 1319.
[8] Vgl. Schulz, Datenschutz als überindividuelles Interesse?, ZD 2014, 176; Nietsch: Zur Überprüfung der Einhaltung des Datenschutzrechts durch Verbraucherverbände, CR 2014, 272.
[9] So die Gesetzesbegründung in cc zu § 2 (BT-Drs. 18/6916) zum Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts.
[10] Stellungnahme der BRAK: Gesetzentwurf zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrecht.
[11] BGH, GRUR 1995, 122
[12] S. 95 des im Mai 2014 vorgestellten Geschäftsberichts für das Jahr 2013.
[13] Vgl. die vom Bundesverbraucherverband geführten Klagen gegen Apple (LG Berlin, ZD 2013, S. 451), Google (LG Berlin, MMR 2014, 563) oder Facebook (KG ZD 2014, 412).
[14] Nord/Manzel, Datenschutzerklärungen – misslungene Erlaubnisregelungen zur Datennutzung, NJW 2010, 3756.
[15] Vgl. LG Darmstadt, RDV 2015, 100.
[16] BGBl NN.
[17] Elbrecht/Schröder, Verbandsklagebefugnisse bei Datenschutzverstößen durch Verbraucherverbände, K&R 2015, 361.
[18] Siehe auch die kritische Bewertung der bisherigen Tätigkeiten von Verbraucherbänden von Nietsch, Zur Überprüfung der Einhaltung des Datenschutzrechts durch Verbraucherverbände, CR 2014, S. 272.
[19] Vgl. Beschlussprotokoll BT-Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz vom 02.12.2015; BT-Drs. 18/6916, 8.
[20] Vgl. hierzu Schulz, Datenschutz als überindividuelles Interesse? ZD 2014, 510.
[21] TB 2015, 75,
[22] 22. TB (2013/2014), 27.
[23] Reif, Bundesrat für Stärkung der Verbraucherrechte im Datenschutz – Weitgehende Ablehnung der Vorschläge durch die Bundesregierung, RDV 2015, 135.
[24] BT-Drs.18/463.; 1. Lesung am 25.04.2015.
[25] Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/463, Ziff. 6.
[27] In der bis zum 8.12.2015 geltenden UWG-Fassung war der Verstoß gegen verbraucherschützende Normen in § 4 Nr. 11 UWG als unlauter normiert.
[28] Pro u.a.: OLG Köln, NJW 2014, 1820 ; OLG Hamburg, RDV 2013, 260; OLG Stuttgart, MMR 2007, 437; KG Berlin, ZD 2014, 412 OLG Karlsruhe, RDV 2012, 305. Contra: OLG München, RDV 2012, 149; OLG Frankfurt, MMR 2005, 669; OLG Dresden v. 26.3.13.
[29] So ausdrücklich BT-Ausschuß Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 18/6916.
[30] So ausdrücklich BT-Ausschuß Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 18/6916, 7.
[31] BT-Ausschuß Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 18/6916, S. 7.
[32] Vgl. Gola/Schomerus, BDSG § 4 Rn. 46 ff.
[33] RDV 2015, 313.
[34] Vgl. paralleles Vorgehen gegen unzulässige Cold Calls LG Berlin, ZD (Klage gegen Anordnung der Aufsichtsbehörde); BGH, ZD (Unterlassungsklage eines Verbraucherverbands).
[35] Vgl. die entsprechende Stellungnahme der GDD,und des Bvd ,BvDNews 3/2014, 11 (17).
[36] Stellungnahme Bundesrat vom 27.3.2015, BR-Drs: 55/15.
[37] Erhard, Vereinbarkeit einer Verbandsklage im Datenschutzrecht mit Unionsrecht, CR 2015, 338.