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Behördlicher Zugang zu Kommunikationsdaten bei weniger schweren Straftaten

(Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 2. Oktober 2018 – C-207/16 –)

Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass der Zugang öffentlicher Stellen zu Daten, anhand deren die Identität der Inhaber von SIM-Karten, die mit einem gestohlenen Mobiltelefon aktiviert wurden, festgestellt werden soll, wie Name, Vorname und gegebenenfalls Adresse dieser Karteninhaber, einen Eingriff in deren in diesen Artikeln der Charta der Grundrechte verankerte Grundrechte darstellt, der nicht so schwer ist, dass dieser Zugang im Bereich der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten auf die Bekämpfung der schweren Kriminalität beschränkt werden müsste.

Sachverhalt:

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. 2009, L 337, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2002/58) im Licht der Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta). Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsmittels des Ministerio Fiscal (Staatsanwaltschaft, Spanien) gegen die Entscheidung des Juzgado de Instrucción n° 3 de Tarragona (Ermittlungsrichter Nr. 3 von Tarragona, im Folgenden: Ermittlungsrichter), mit der es abgelehnt wurde, der Kriminalpolizei den Zugang zu von Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste gespeicherten personenbezogenen Daten zu erlauben.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Herr Hernándes Sierra erstattete bei der Polizei Anzeige wegen des Raubs seiner Brieftasche und seines Mobiltelefons, der sich am 16. Februar 2015 zugetragen habe und bei dem er verletzt worden sei. Mit Schreiben vom 27. Februar 2015 beantragte die Kriminalpolizei beim Ermittlungsrichter, verschiedenen Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufzugeben, die vom 16. bis zum 27. Februar 2015 mit der internationalen Mobilfunkgerätekennung (im Folgenden: IMEI [International Mobile Equipment Identity]) des gestohlenen Mobiltelefons aktivierten Telefonnummern sowie die personenbezogenen Daten über die Identität der Inhaber oder Nutzer der den mit diesem Code aktivierten Telefonnummern entsprechenden SIM-Karten, wie ihren Namen, ihren Vornamen und gegebenenfalls ihre Adresse, zu übermitteln. Mit Beschluss vom 5. Mai 2015 wies der Ermittlungsrichter diesen Antrag zurück. Er stellte zum einen fest, dass die beantragte Maßnahme zur Identifizierung der Straftäter nicht geeignet sei. Zum anderen lehnte er es ab, dem Antrag stattzugeben, weil das Gesetz 25/2007 die Übermittlung der von den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste gespeicherten Daten auf schwere Straftaten beschränke. Nach dem Strafgesetzbuch seien schwere Straftaten mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bedroht, während der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens keine solche Straftat darzustellen scheine.

Die Staatsanwaltschaft legte gegen diesen Beschluss bei der Audiencia Provincial de Tarragona (Regionalgericht Tarragona, Spanien) Berufung ein und machte geltend, dass die Übermittlung der in Rede stehenden Daten aufgrund der Art des Sachverhalts und eines in einem ähnlichen Fall ergangenen Urteils des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) vom 26. Juli 2010 hätte gewährt werden müssen. Das vorlegende Gericht führt aus, dass der spanische Gesetzgeber nach jenem Beschluss die Strafprozessordnung durch Erlass des Organgesetzes 13/2015 geändert habe. Mit diesem Gesetz, das für den Ausgang des Verfahrens im Ausgangsrechtsstreit relevant sei, seien zwei neue alternative Kriterien für die Bestimmung der Schwere einer Straftat eingeführt worden. Zum einen handele es sich um ein materielles Kriterium, das an Verhaltensweisen von besonderer und erheblicher kriminogener Relevanz anknüpfe, die Individual- und Kollektivrechtsgüter besonders schädigten. Zum anderen habe der nationale Gesetzgeber ein normativ-formales Kriterium herangezogen, dem die für die betreffende Straftat vorgesehene Strafe zugrunde liege. Die Mindeststrafe von drei Jahren Freiheitsentzug, den die Strafprozessordnung nunmehr vorsehe, erfasse allerdings die große Mehrheit der Straftaten. Zudem könne das staatliche Interesse an der Bekämpfung strafbaren Verhaltens keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die in der Charta verankerten Grundrechte rechtfertigen.

Insoweit stellen nach Ansicht dieses Gerichts die Richtlinien 95/46 und 2002/58 im Ausgangsverfahren den Bezug zur Charta her. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung falle daher nach Art. 51 Abs. 1 der Charta ungeachtet der Ungültigerklärung der Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl. 2006, L 105, S. 54) durch das Urteil vom 8. April 2014, Digital Rights Ireland u.a. (C-293/12 und C-594/12, EU:C:2014:238), in den Anwendungsbereich der Charta.

Der Gerichtshof habe in diesem Urteil anerkannt, dass die Vorratsspeicherung und Übermittlung von Verkehrsdaten besonders schwere Eingriffe in die durch die Art. 7 und 8 der Charta gewährleisteten Rechte darstellten, und die Kriterien für die Beurteilung der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festgestellt, zu denen die Schwere der Straftaten gehöre, die die Vorratsspeicherung dieser Daten und den Zugang dazu zu Ermittlungszwecken rechtfertigten.

Unter diesen Umständen hat die Audiencia Provincial de Tarragona (Regionalgericht Tarragona) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Kann die hinreichende Schwere der Straftaten als Kriterium, das einen Eingriff in die Grundrechte rechtfertigt, die in den Art. 7 und 8 der Charta anerkannt werden, allein anhand der Strafe ermittelt werden, die wegen der untersuchten Straftat verhängt werden kann, oder müssen daneben bei dem deliktischen Verhalten bestimmte Grade der Schädlichkeit für Individual- und/oder Kollektivrechtsgüter festgestellt werden? Falls die Ermittlung der Schwere der Straftat allein anhand der in Betracht kommenden Strafe mit den Verfassungsgrundsätzen der Union, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 8. April 2014, Digital Rights Ireland u.a. (C-293/12 und C-594/12, EU:C:2014:238), als Standards für die strikte Kontrolle der Richtlinie 2002/58 herangezogen hat, vereinbar ist, wie hoch muss dann die Mindeststrafe sein? Wäre eine allgemeine Grenze von drei Jahren Freiheitsentzug zulässig?

Zur Beantwortung der Fragen

Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 im Licht der Art. 7 und 8 der Charta dahin auszulegen ist, dass der Zugang öffentlicher Stellen zu Daten, anhand deren die Identität der Inhaber von SIM-Karten, die mit einem gestohlenen Mobiltelefon aktiviert wurden, festgestellt werden soll, wie Name, Vorname und gegebenenfalls Adresse dieser Karteninhaber, einen Eingriff in deren in diesen Artikeln der Charta verankerte Grundrechte darstellt, der so schwer ist, dass dieser Zugang im Bereich der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten auf die Bekämpfung der schweren Kriminalität beschränkt werden müsste, und nach welchen Kriterien bejahendenfalls die Schwere der in Rede stehenden Straftat zu beurteilen ist.

Insoweit geht, wie der Generalanwalt in Nr. 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass mit diesem nicht geklärt werden soll, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden personenbezogenen Daten von den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste unter Beachtung der in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 im Licht der Art. 7 und 8 der Charta vorgesehenen Voraussetzungen gespeichert wurden. Das Ersuchen bezieht sich, wie sich aus Rn. 46 des vorliegenden Urteils ergibt, nur auf die Frage, ob und inwieweit der Zweck der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung geeignet ist, den Zugang öffentlicher Stellen wie der Kriminalpolizei zu solchen Daten zu rechtfertigen, ohne dass die übrigen Zugangsvoraussetzungen nach diesem Art. 15 Abs. 1 Gegenstand dieses Ersuchens wären.

Das vorlegende Gericht möchte insbesondere wissen, nach welchen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, ob die Straftaten, bezüglich deren den Polizeibehörden zu Ermittlungszwecken der Zugang zu personenbezogenen Daten erlaubt wird, die die Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste gespeichert haben, hinreichend schwer sind, um den mit einem solchen Zugang verbundenen Eingriff in die in den Art. 7 und 8 der Charta gewährleisteten Grundrechte, wie sie vom Gerichtshof in seinen Urteilen vom 8. April 2014, Digital Rights Ireland u.a. (C-293/12 und C-594/12, EU:C:2014:238), und Tele2 Sverige und Watson u.a., ausgelegt worden sind, zu rechtfertigen.

Was das Vorliegen eines Eingriffs in diese Grundrechte betrifft, stellt, wie der Generalanwalt in den Nrn. 76 und 77 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, der Zugang der öffentlichen Stellen zu solchen Daten einen Eingriff in das in Art. 7 der Charta verankerte Grundrecht auf Achtung des Privatlebens dar, auch wenn keine Umstände vorliegen, aufgrund deren dieser Eingriff als „schwer“ eingestuft werden kann, und ohne dass es darauf ankommt, ob die betroffenen Informationen über das Privatleben als sensibel anzusehen sind oder die Betroffenen durch diesen Eingriff irgendwelche Nachteile erlitten haben. Zudem stellt ein solcher Zugang einen Eingriff in das in Art. 8 der Charta garantierte Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten dar, da es sich dabei um eine Verarbeitung personenbezogener Daten handelt (vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/15 [PNR-Abkommen EU–Kanada] vom 26. Juli 2017, EU:C:2017:592, Rn. 124 und 126 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Hinsichtlich der Zwecke, die eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende – die den Zugang öffentlicher Stellen zu von Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste gespeicherten Daten betrifft und damit vom Grundsatz der Vertraulichkeit elektronischer Kommunikationen abweicht – rechtfertigen können, ist darauf hinzuweisen, dass die Aufzählung der in Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/58 genannten Zwecke abschließend ist, so dass dieser Zugang tatsächlich strikt einem dieser Zwecke dienen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil Tele2 Sverige und Watson u.a., Rn. 90 und 115).

Was den Zweck der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten anbelangt, ist aber festzustellen, dass dieser nach dem Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/58 nicht auf die Bekämpfung schwerer Straftaten beschränkt ist, sondern „Straftaten“ im Allgemeinen betrifft. Insoweit hat der Gerichtshof zwar entschieden, dass im Bereich der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten nur die Bekämpfung der schweren Kriminalität einen Zugang öffentlicher Stellen zu von den Betreibern von Kommunikationsdiensten gespeicherten personenbezogenen Daten rechtfertigen kann, aus deren Gesamtheit genaue Schlüsse auf das Privatleben der von diesen Daten betroffenen Personen gezogen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil Tele2 Sverige und Watson u.a., Rn. 99).

Der Gerichtshof hat diese Auslegung jedoch damit begründet, dass der mit einer solchen Zugangsregelung verfolgte Zweck im Verhältnis zur Schwere des damit einhergehenden Eingriffs in die betreffenden Grundrechte stehen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil Tele2 Sverige und Watson u.a., Rn. 115). Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann ein schwerer Eingriff im Bereich der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten nämlich nur durch einen Zweck der Bekämpfung einer ebenfalls als „schwer“ einzustufenden Kriminalität gerechtfertigt sein. Ist dagegen der mit einem solchen Zugang verbundene Eingriff nicht schwer, kann dieser Zugang durch einen Zweck der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von „Straftaten“ im Allgemeinen gerechtfertigt sein.

Es ist daher zunächst zu prüfen, ob nach den Umständen des vorliegenden Falles der Eingriff in die in den Art. 7 und 8 der Charta verankerten Grundrechte, der mit einem Zugang der Kriminalpolizei zu den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Daten einhergeht, als „schwer“ anzusehen ist. Insoweit ist festzustellen, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Antrag, mit dem die Kriminalpolizei für die Zwecke strafrechtlicher Ermittlungen um gerichtliche Erlaubnis zum Zugang zu von den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste gespeicherten personenbezogenen Daten ersucht, ausschließlich darauf abzielt, die Identität der Inhaber von SIM-Karten festzustellen, die in einem Zeitraum von zwölf Tagen mit der IMEI des gestohlenen Mobiltelefons aktiviert wurden.

Wie in Rn. 40 des vorliegenden Urteils ausgeführt, bezieht sich dieser Antrag nur auf den Zugang zu den diesen SIM-Karten entsprechenden Telefonnummern sowie zu den Daten bezüglich der Identität der Karteninhaber wie deren Name, Vorname und gegebenenfalls Adresse. Dagegen beziehen sich diese Daten, wie sowohl die spanische Regierung als auch die Staatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, weder auf die mittels des gestohlenen Mobiltelefons erfolgte Kommunikation noch auf dessen Ortung.

Daher kann mit den Daten, auf die sich der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zugangsantrag bezieht, offenbar nur eine Verbindung zwischen der SIM-Karte oder den SIM-Karten, die mit dem gestohlenen Mobiltelefon aktiviert wurden, und der Identität der Inhaber dieser SIM-Karten während eines bestimmten Zeitraums hergestellt werden. Ohne einen Abgleich mit den Daten bezüglich der mittels dieser SIM-Karten erfolgten Kommunikation und den Standortdaten lassen sich diesen Daten weder das Datum, die Uhrzeit, die Dauer und die Adressaten der mittels der betreffenden SIM-Karte bzw. der betreffenden SIM-Karten erfolgten Kommunikation entnehmen noch die Orte, an denen diese Kommunikation erfolgte, oder die Häufigkeit dieser Kommunikation mit bestimmten Personen während eines bestimmten Zeitraums. Aus diesen Daten lassen sich daher keine genauen Schlüsse auf das Privatleben der Personen ziehen, deren Daten betroffen sind.

Unter diesen Umständen kann der Zugang nur zu den Daten, auf die sich der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Antrag bezieht, nicht als „schwerer“ Eingriff in die Grundrechte der Personen eingestuft werden, deren Daten betroffen sind. Wie sich aus den Rn. 53 bis 57 des vorliegenden Urteils ergibt, kann der Eingriff, den ein Zugang zu solchen Daten mit sich bringen würde, somit durch den in Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/58 genannten Zweck der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von „Straftaten“ im Allgemeinen gerechtfertigt sein, ohne dass es erforderlich wäre, dass diese Straftaten als „schwer“ einzustufen sind.

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 im Licht der Art. 7 und 8 der Charta dahin auszulegen ist, dass der Zugang öffentlicher Stellen zu Daten, anhand deren die Identität der Inhaber von SIM-Karten, die mit einem gestohlenen Mobiltelefon aktiviert wurden, festgestellt werden soll, wie Name, Vorname und gegebenenfalls Adresse dieser Karteninhaber, einen Eingriff in deren in diesen Artikeln der Charta verankerte Grundrechte darstellt, der nicht so schwer ist, dass dieser Zugang im Bereich der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten auf die Bekämpfung der schweren Kriminalität beschränkt werden müsste.

Haftungsfragen bei Filesharing im Familienbund

(Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 18. Oktober 2018 – C-149/17 –)

Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft in Verbindung mit ihrem Art. 3 Abs. 1 einerseits und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums andererseits sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren streitigen in der Auslegung durch das zuständige nationale Gericht entgegenstehen, wonach der Inhaber eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, nicht haftbar gemacht werden kann, wenn er mindestens ein Familienmitglied benennt, dem der Zugriff auf diesen Anschluss möglich war, ohne nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Nutzung des Anschlusses durch dieses Familienmitglied mitzuteilen.

Sachverhalt:

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10) sowie von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, berichtigt im ABl. 2004, L 195, S. 16). Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, einem Verlagshaus, und Herrn Michael Strotzer über einen Antrag auf Schadensersatz wegen einer Urheberrechtsverletzung durch Filesharing.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

Bastei Lübbe verfügt über die Urheberrechte und verwandten Schutzrechte des Tonträgerherstellers an der Hörbuchfassung eines Buches. Herr Strotzer ist Inhaber eines Internetanschlusses, über den dieses Hörbuch am 8. Mai 2010 einer unbegrenzten Anzahl von Nutzern einer Internet-Tauschbörse („peer-to-peer“) zum Herunterladen angeboten wurde. Ein Sachverständiger hat die IP-Adresse zutreffend Herrn Strotzer zugeordnet.

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2010 mahnte Bastei Lübbe Herrn Strotzer wegen der festgestellten Urheberrechtsverletzung ab. Da diese Abmahnung erfolglos blieb, verklagte Bastei Lübbe Herrn Strotzer als Inhaber der IP-Adresse beim Amtsgericht München (Deutschland) auf Zahlung von Schadensersatz.

Herr Strotzer bestreitet jedoch, die Urheberrechtsverletzung selbst begangen zu haben, und trägt vor, sein Internetanschluss sei hinreichend gesichert gewesen. Neben ihm hätten auch seine im selben Haus wohnenden Eltern Zugriff auf den Anschluss gehabt, sie hätten aber nach seiner Kenntnis weder das Werk auf ihrem Computer noch Kenntnis von seiner Existenz gehabt noch das Tauschbörsenprogramm genutzt. Zudem sei zum Zeitpunkt der Urheberrechtsverletzung der Rechner ausgeschaltet gewesen.

Das Amtsgericht München wies die Schadensersatzklage von Bastei Lübbe mit der Begründung ab, dass Herr Strotzer nicht für die behauptete Urheberrechtsverletzung haftbar gemacht werden könne, da er vorgetragen habe, dass sie auch von seinen Eltern habe begangen werden können.

Bastei Lübbe hat gegen die Entscheidung des Amtsgerichts München beim Landgericht München I (Deutschland) Berufung eingelegt. Das Landgericht München I neigt dazu, eine Haftung von Herrn Strotzer anzunehmen, weil sich aus seinem Vortrag nicht ergebe, dass im Verletzungszeitpunkt eine dritte Person den Internetanschluss benutzt habe. Deshalb komme Herr Strotzer ernsthaft als Täter der Urheberrechtsverletzung in Betracht.

Das Landgericht München I hat jedoch § 97 des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Fassung des Gesetzes vom 1. Oktober 2013 und in der Auslegung durch den Bundesgerichtshof (Deutschland) anzuwenden, der seiner Ansicht nach einer Verurteilung des Beklagten entgegenstehen könnte.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Auslegung durch das vorlegende Gericht trage nämlich der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für die Urheberrechtsverletzung. Der Bundesgerichtshof gehe weiter davon aus, dass eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Inhabers eines Internetanschlusses spreche, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen diesen Internetanschluss hätten benutzen können. Sei der Internetanschluss allerdings nicht hinreichend gesichert gewesen oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen worden, bestehe keine Vermutung für die Täterschaft des Anschlussinhabers.

In diesem Fall treffe den Inhaber des Internetanschlusses nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Dieser sekundären Darlegungslast genüge der Anschlussinhaber dadurch, dass er dazu vortrage, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss gehabt hätten und als Täter der behaupteten Urheberrechtsverletzung in Betracht kämen. Habe ein Familienangehöriger des Anschlussinhabers Zugang zu dem Anschluss gehabt, müsse der Anschlussinhaber wegen des Schutzes von Ehe und Familie durch Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und durch die entsprechenden Bestimmungen des deutschen Verfassungsrechts allerdings keinerlei nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Nutzung dieses Anschlusses mitteilen.

Unter diesen Umständen hat das Landgericht München I beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 8 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG so auszulegen, dass „wirksame und abschreckende“ Sanktionen bei Verletzungen des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung eines Werkes auch dann noch gegeben sind, wenn eine Schadensersatzhaftung des Inhabers eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, ausscheidet, wenn der Anschlussinhaber mindestens ein Familienmitglied benennt, dem neben ihm der Zugriff auf diesen Internetanschluss möglich war, ohne durch entsprechende Nachforschungen ermittelte nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch dieses Familienmitglied mitzuteilen?

Ist Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48/EG so auszulegen, dass „wirksame“ Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums auch dann noch gegeben sind, wenn eine Schadensersatzhaftung des Inhabers eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, ausscheidet, wenn der Anschlussinhaber mindestens ein Familienmitglied benennt, dem neben ihm der Zugriff auf diesen Internetanschluss möglich war, ohne durch entsprechende Nachforschungen ermittelte nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch dieses Familienmitglied mitzuteilen?

Zur Beantwortung der Vorlagefragen

Zunächst ist festzustellen, dass die beiden Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts dasselbe rechtliche Problem der bei Urheberrechtsverletzungen zu ergreifenden Sanktionen und Maßnahmen betreffen und weitgehend gleichlautend formuliert sind, da der einzige offensichtliche Unterschied darin besteht, dass sich die eine Frage auf die Richtlinie 2001/29 bezieht, während die andere Frage die Richtlinie 2004/48 betrifft.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass sämtliche Richtlinien im Bereich des geistigen Eigentums in Anbetracht der Erfordernisse der Einheit und des Zusammenhangs der Rechtsordnung der Union im Licht der Bestimmungen und Grundsätze auszulegen sind, die dieser Rechtsordnung gemeinsam sind (vgl. in diesem Sinne u.a. Urteil vom 30. Juni 2011, VEWA, C-271/10, EU:C:2011:442, Rn. 27). Angesichts dieser Rechtsprechung und zur Gewährleistung einer sich gegenseitig ergänzenden Durchführung der Richtlinien 2001/29 und 2004/48 sind die beiden Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts zusammen zu beantworten.

Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29 in Verbindung mit ihrem Art. 3 Abs. 1 einerseits und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 andererseits dahin auszulegen sind, dass sie nationalem Recht wie dem im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, wonach der Inhaber eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, nicht haftbar gemacht werden kann, wenn er mindestens ein Familienmitglied benennt, dem der Zugriff auf diesen Anschluss möglich war, ohne nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Nutzung des Anschlusses durch dieses Familienmitglied mitzuteilen.

Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass das Hauptziel der Richtlinie 2001/29 nach ihrem neunten Erwägungsgrund darin besteht, ein hohes Schutzniveau für das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte zu erreichen, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind.

Um dieses Ziel zu gewährleisten, stellt Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 in Verbindung mit ihrem 58. Erwägungsgrund klar, dass die Mitgliedstaaten bei Verletzungen der in dieser Richtlinie festgelegten Rechte und Pflichten angemessene Sanktionen und Rechtsbehelfe vorsehen und alle notwendigen Maßnahmen treffen, um deren Anwendung sicherzustellen. In dem Artikel heißt es weiter, dass die betreffenden Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen.

Des Weiteren trifft nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29 jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Rechtsinhaber, deren Interessen durch eine in seinem Hoheitsgebiet begangene Rechtsverletzung beeinträchtigt werden, Klage auf Schadensersatz erheben können.

Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass mit der Richtlinie 2004/48 nach ihrem zehnten Erwägungsgrund die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums einander angenähert werden sollen, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.

Hierzu sieht Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 vor, dass die von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen.

Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass nach dem im Ausgangsverfahren streitigen nationalen Recht eine Vermutung für eine Täterschaft des Inhabers eines Internetanschlusses, über den eine Urheberrechtsverletzung begangen wurde, spricht, da er durch seine IP-Adresse zutreffend identifiziert wurde und zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keinen anderen Personen der Zugriff auf diesen Anschluss möglich war.

Dem Vorabentscheidungsersuchen ist jedoch auch zu entnehmen, dass das im Ausgangsverfahren streitige nationale Recht vorsieht, dass diese Vermutung widerlegt werden kann, wenn anderen Personen als dem Inhaber des Internetanschlusses der Zugriff auf diesen Anschluss möglich war. Außerdem kann sich dieser Inhaber, wenn ein Familienmitglied eine Zugriffsmöglichkeit hatte, wegen des Grundrechts auf Schutz des Familienlebens durch die bloße Angabe dieses Familienmitglieds seiner Haftung entziehen, ohne dass er verpflichtet wäre, nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Nutzung des Internetanschlusses durch das Familienmitglied mitzuteilen.

Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob sich ein nationales Recht wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende mit dem in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 in Verbindung mit ihrem 58. Erwägungsgrund vorgesehenen Erfordernis, dass der betreffende Mitgliedstaat bei Verletzungen des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte angemessene Rechtsbehelfe vorsieht, die zu wirksamen und abschreckenden Sanktionen gegen die Zuwiderhandelnden führen können, sowie mit der Pflicht nach Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/48 vereinbaren lässt, wirksame und abschreckende Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vorzusehen.

Das im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Recht sieht insoweit vor, dass der Inhaber eines Internetanschlusses, der eindeutig als Ausgangspunkt einer Urheberrechtsverletzung identifiziert worden ist, in dem Fall, dass der Geschädigte einen Rechtsbehelf einlegt, unter den in Rn. 36 des vorliegenden Urteils angeführten Voraussetzungen nicht verpflichtet ist, die in seiner Verfügungsgewalt befindlichen und mit der Rechtsverletzung zusammenhängenden Beweismittel vorzulegen.

Was im Besonderen die Richtlinie 2004/48 anbelangt, haben die Mitgliedstaaten nach ihrem Art. 6 Abs. 1 jedoch sicherzustellen, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag einer Partei, die alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung ihrer Ansprüche vorgelegt und die in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befindlichen Beweismittel zur Begründung ihrer Ansprüche bezeichnet hat, die Vorlage dieser Beweismittel durch die gegnerische Partei anordnen können, sofern der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird.

Ferner geht aus dem 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/48 u.a. hervor, dass Beweismittel für die Feststellung einer Verletzung der Rechte des geistigen Eigentums von zentraler Bedeutung sind und sichergestellt werden muss, dass wirksame Mittel zur Vorlage, zur Erlangung und zur Sicherung von Beweismitteln zur Verfügung stehen.

Daher ist Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 in Verbindung mit ihrem 20. Erwägungsgrund dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten es dem Geschädigten tatsächlich ermöglichen müssen, die zur Begründung seiner Ansprüche erforderlichen Beweismittel zu erlangen, die sich in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befinden, sofern bei der Vorlage dieser Beweismittel der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird.

Zudem stellt die Achtung des Grundrechts auf Schutz des Familienlebens – wie in Rn. 36 des vorliegenden Urteils ausgeführt – in Anbetracht des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechts ein Hindernis dar, das es dem Geschädigten verwehrt, die zur Stützung seiner Ansprüche erforderlichen Beweismittel von der gegnerischen Partei zu erhalten.

Aus dem 32. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 ergibt sich jedoch, dass diese Richtlinie im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen steht, die mit der Charta anerkannt wurden. In besonderer Weise soll diese Richtlinie im Einklang mit Art. 17 Abs. 2 der Charta die uneingeschränkte Achtung geistigen Eigentums sicherstellen.

Somit wirft das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen die Frage auf, wie die Erfordernisse des Schutzes verschiedener Grundrechte, nämlich zum einen des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und des Rechts des geistigen Eigentums und zum anderen des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens, miteinander in Einklang gebracht werden können (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2015, Coty Germany, C-580/13, EU:C:2015:485, Rn. 33).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Mitgliedstaaten gemäß dem Unionsrecht dazu verpflichtet, sich bei der Umsetzung der Richtlinien auf eine Auslegung derselben zu stützen, die es erlaubt, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen durch die Rechtsordnung der Union geschützten Grundrechten sicherzustellen. Sodann haben die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinien nicht nur ihr nationales Recht im Einklang mit diesen Richtlinien auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung der Richtlinien stützen, die mit den genannten Grundrechten oder anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (Urteil vom 16. Juli 2015, Coty Germany, C-580/13, EU:C:2015:485, Rn. 34).

Ferner heißt es in Art. 52 Abs. 1 der Charta u.a., dass jede Einschränkung der Ausübung der darin anerkannten Rechte und Freiheiten den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten muss, und ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Maßnahme, die zu einer qualifizierten Beeinträchtigung eines durch die Charta geschützten Rechts führt, als Missachtung des Erfordernisses einzustufen, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den miteinander in Einklang zu bringenden Grundrechten zu gewährleisten (Urteil vom 16. Juli 2015, Coty Germany, C-580/13, EU:C:2015:485, Rn. 35).

Der Gerichtshof hat die verschiedenen Elemente des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechts anhand dieses Erfordernisses eines angemessenen Gleichgewichts zu würdigen.

Was das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens im eigentlichen Sinne betrifft, ist dem Wortlaut von Art. 7 der Charta zu entnehmen, dass sich der durch ihn gewährte Schutz auf „jede Person“ erstrecken muss und nicht nur auf die Familienmitglieder der Person beschränkt ist, der gegenüber die Gerichte die Vorlage dieser Beweismittel angeordnet haben, da er für diese Familienmitglieder keine Anspruchsgrundlage für einen besonderen Schutz ist.

Gleichwohl lässt sich nicht bestreiten, dass nach Art. 7 der Charta den Mitgliedern derselben Familie ein besonderer Schutz zukommen kann, aufgrund dessen sie nicht verpflichtet werden können, sich gegenseitig zu belasten, wenn eines von ihnen einer rechtswidrigen Handlung verdächtigt wird.

Dieses Anliegen kommt im Übrigen in Art. 8 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2004/48 in Verbindung mit ihrem Art. 8 Abs. 1 und 2 zum Ausdruck, da er die Anwendung nationaler gesetzlicher Bestimmungen nicht ausschließt, die es zulassen, dass der Zuwiderhandelnde Auskünfte verweigert, mit denen er gezwungen würde, seine Beteiligung oder die Beteiligung enger Verwandter an einer Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums zuzugeben.

Bewirkt die nationale Regelung in der Auslegung durch die zuständigen nationalen Gerichte in Sachverhalten wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, dass das mit einer Haftungsklage befasste nationale Gericht daran gehindert wird, auf Antrag des Klägers die Vorlage und Erlangung von Beweismitteln, die Familienmitglieder der gegnerischen Partei betreffen, zu verlangen, werden jedoch die Feststellung der behaupteten Urheberrechtsverletzung und die Identifizierung ihres Täters unmöglich gemacht, was zur Folge hat, dass es zu einer qualifizierten Beeinträchtigung der dem Inhaber des Urheberrechts zustehenden Grundrechte auf einen wirksamen Rechtsbehelf und des geistigen Eigentums kommt und infolgedessen dem Erfordernis, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Grundrechten zu gewährleisten, nicht genügt wird (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2015, Coty Germany, C-580/13, EU:C:2015:485, Rn. 41).

Folglich kann bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Recht aufgrund der Tatsache, dass es den Familienmitgliedern des Inhabers eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, einen quasi absoluten Schutz gewährt, entgegen den Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 nicht davon ausgegangen werden, dass es hinreichend wirksam ist und letzten Endes die Verhängung einer wirksamen und abschreckenden Sanktion gegen den Zuwiderhandelnden ermöglicht. Zudem ist das durch die Einlegung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsbehelfs eingeleitete Verfahren nicht geeignet, die in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 verlangte Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zu gewährleisten.

Anders verhielte es sich jedoch, wenn die Rechtsinhaber zur Vermeidung eines für unzulässig gehaltenen Eingriffs in das Familienleben über einen anderen wirksamen Rechtsbehelf verfügen könnten, der es ihnen in diesem Fall insbesondere ermöglichte, die zivilrechtliche Haftung des Inhabers des betreffenden Internetanschlusses feststellen zu lassen.

Zudem ist es letztlich Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob das betreffende nationale Recht gegebenenfalls andere Mittel, Verfahren oder Rechtsbehelfe enthält, die es den zuständigen Gerichten ermöglichen, die Erteilung der erforderlichen Auskünfte anzuordnen, mit denen sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Urheberrechtsverletzung und die Identität des Zuwiderhandelnden feststellen lässt (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2015, Coty Germany, C-580/13, EU:C:2015:485, Rn. 42).

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29 in Verbindung mit ihrem Art. 3 Abs. 1 einerseits und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48 andererseits dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren streitigen in der Auslegung durch das zuständige nationale Gericht entgegenstehen, wonach der Inhaber eines Internetanschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing begangen wurden, nicht haftbar gemacht werden kann, wenn er mindestens ein Familienmitglied benennt, dem der Zugriff auf diesen Anschluss möglich war, ohne nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Nutzung des Anschlusses durch dieses Familienmitglied mitzuteilen.

Vorschriften über den Zensus 2011 sind verfassungsgemäß

(Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 19. September 2018 – 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15)

  1. Eine staatliche Volkszählung durch Auswertung vorhandener Register und ergänzende Individualbefragungen fällt unter Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG.
  2. Soweit das Grundgesetz unmittelbar an die Zahl der Einwohner anknüpft, muss der Gesetzgeber ihre realitätsgerechte Ermittlung sicherstellen.
  3. Bei der Regelung des Erhebungsverfahrens verfügt der Gesetzgeber über einen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum. Er muss den an eine „gültige“ Prognose zu stellenden Anforderungen genügen. Weitergehende prozedurale Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren bestehen hingegen nicht.
  4. Soweit Rechtsstellung, Finanzkraft und Finanzbedarf der Kommunen von ihrer Einwohnerzahl beeinflusst werden, beruht dies typischerweise auf landesrechtlichen Regelungen des Kommunal- oder Kommunalfinanzverfassungsrechts. Ein dem Bund zurechenbarer Eingriff in ihre Rechtsstellung liegt darin nicht.
  5. Das Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) verpflichten den Gesetzgeber grundsätzlich zu einer Gleichbehandlung nachgeordneter Hoheitsträger. Für den Bund gilt in Bezug auf die Länder insoweit ein föderatives, für Bund und Länder hinsichtlich der Kommunen ein interkommunales Gleichbehandlungsgebot. Gegen Beeinträchtigungen ihrer Rechtspositionen durch den Bund sind Ländern und Kommunen grundsätzlich Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet.
  6. Da es zum Wesen der Statistik gehört, dass die Daten nach einer statistischen Aufbereitung für die verschiedensten, nicht von vornherein bestimmbaren Aufgaben verwendet werden, gelten für Volkszählungen Ausnahmen von den Erfordernissen einer konkreten Zweckumschreibung, vom Verbot, personenbezogene Daten auf Vorrat zu sammeln, sowie von den Anforderungen für Weitergabe und Verwertung (vgl. BVerfGE 65, 1 [47]).
  7. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert die Prüfung, ob aufgrund der Fortentwicklung der statistischen Wissenschaft Möglichkeiten einer grundrechtsschonenderen Datenerhebung bestehen.
  8. Nach diesen Maßstäben sind die angegriffenen Vorschriften des Zensusgesetzes 2011 und des Zensusvorbereitungsgesetzes 2011 mit dem Grundgesetz vereinbar. § 7 Abs. 1 bis 3 ZensG 2011 verstößt weder gegen die sich aus Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG ergebenden Anforderungen der Wesentlichkeitsdoktrin noch gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Die dort sowie in § 15 Abs. 2 und 3, § 16 ZensG 2011 angeordneten Verfahren zur Korrektur von Unrichtigkeiten der Melderegisterdaten genügen den Anforderungen, die sich aus der verfassungsrechtlichen Radizierung der Einwohnerzahlen an eine gültige Prognose ergeben. Eine mit den Vorschriften des Zensusgesetzes 2011 über die Korrektur von Registerfehlern entlang der 10.000-Einwohner-Schwelle möglicherweise verbundene Ungleichbehandlung von Ländern verstößt nicht gegen das Gebot föderativer Gleichbehandlung. Die angegriffenen Vorschriften verstoßen auch nicht gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und verletzen weder verfassungsrechtlich geschützte Interessen der Länder noch der Kommunen an einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle sie belastender Maßnahmen.

Abwerbung von Mitbewerbern wettbewerbswidrig bei gezielter Behinderung eines Konkurrenten

(Oberlandesgericht Frankfurt a. M., Beschluss vom 15. Mai 2018 – 6 W 39/18)

Es besteht das Prinzip der Abwerbungsfreiheit. Eine Abwerbung von Mitarbeitern ist alleine dann wettbewerbswidrig, wenn sie eine gezielte Behinderung eines Konkurrenten bewirken soll.

Sachverhalt

Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet von Prüfdienstleistungen im Bereich der Sicherheitsprüfung. Während eines Zeitraums von Juli 2017 bis März 2018 kam es zu insgesamt zwölf Kontaktaufnahmen zwischen Mitarbeitern der Antragsgegnerin und Mitarbeitern der Antragstellerin mit dem Ziel der Abwerbung. In deren Folge wechselten acht der insgesamt ca. 200 Mitarbeiter der Antragstellerin zur Antragsgegnerin. Die Antragstellerin begehrt, der Antragsgegnerin den Kontakt mit Mitarbeitern der Antragstellerin zum Zwecke der Abwerbung zu untersagen.

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit der Begründung zurückgewiesen, dass angesichts des langen Zeitraumes der Kenntnis von Mitarbeiterabwerbungen die notwendige Dringlichkeit fehle. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Aus den Gründen

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, insbesondere fristgemäß eingelegt. In der Sache ist sie jedoch unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Dabei kann dahinstehen, ob die Antragstellerin durch zu langes Zuwarten die Dringlichkeitsvermutung des § 12 II UWG widerlegt hat, da es jedenfalls an einem Verfügungsanspruch fehlt. Der Antragstellerin steht kein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 I, III Nr. 1 i.V.m. § 4 Nr. 4 UWG zu.

  1. Grundsatz der Abwerbungsfreiheit:
    Bei der Beurteilung der Unlauterkeit der Abwerbung von Mitarbeitern ist von dem Grundsatz der Abwerbungsfreiheit auszugehen. Die Freiheit des Wettbewerbs erstreckt sich auch auf die Nachfrage nach Arbeitnehmern. Unternehmer haben keinen Anspruch auf den Bestand ihrer Mitarbeiter. Die für ein Unternehmen Tätigen sind zudem in der Wahl ihres Arbeitsplatzes frei (Art. 12 GG). Das Abwerben von Mitarbeitern (= Ausspannen) eines Unternehmers, gleichgültig, ob er auf dem Absatzmarkt Mitbewerber ist oder nicht, ist daher lauterkeitsrechtlich grundsätzlich erlaubt (BGH GRUR 1961, 482 – Spritzgussmaschine; BGH GRUR 1966, 263 – Bau-Chemie; BGH GRUR 1984, 129 [130] – shop-in-the-shop I; BGH GRUR 2006, 426 Rnr. 18 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; Senat, Urteil vom 01.03.2018, 6 U 165/17). Dies gilt auch dann, wenn die Abwerbung bewusst und planmäßig erfolgt (BGH GRUR 1966, 263 – Bau-Chemie). Grundsätzlich spielt es auch keine Rolle, welche (Schlüsselkräfte) oder wie viele Mitarbeiter abgeworben werden. Will sich ein Unternehmen vor einer Abwerbung seiner Mitarbeiter schützen, so kann es dies durch entsprechende Zugeständnisse oder durch Auferlegung vertraglicher Wettbewerbsverbote (§§ 74 ff., 90a HGB) erreichen (ebenso OLG Brandenburg WRP 2007, 1368 [1370]).Eine Unlauterkeit in Form der gezielten Behinderung nach § 4 Nr. 4 UWG kann sich daher erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände ergeben, nämlich insbesondere durch die Unlauterkeit des Zwecks oder der Methoden der Abwerbung.
  2. Fehlende unlauterkeitsbegründende Umstände:
    a) Soweit die Antragstellerin der Auffassung ist, der Zweck der Abwerbung sei hier als unlauter anzusehen, weil die Abwerbung gezielt erfolge, um eine existenzvernichtende Beeinträchtigung des Wettbewerbers zu erreichen oder diese zumindest in Kauf genommen werde, kann dahinstehen, ob die diese Ansicht begründende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1966 noch unverändert Anwendung findet. Diese hat nämlich in der Folgezeit zunehmend Kritik erfahren, da es eine Ausprägung der Wettbewerbsfreiheit ist, dass der eigene Vorteil auch um den Preis der wirtschaftlichen Gefährdung des Konkurrenten gesucht werden darf. Auch die Gefährdung der Existenz eines Mitbewerbers steht im Einklang mit der dem Wettbewerb innewohnenden Auslesefunktion. Es spricht daher viel dafür, die hiermit verbundene Behinderung (inzwischen) als wettbewerbskonform anzusehen.Dies kann jedoch im Ergebnis dahinstehen, da nicht erkennbar ist, dass eine Existenzgefährdung der Antragstellerin vorliegt oder gar von der Antragsgegnerin beabsichtigt war. Die Antragstellerin hat schon nicht vorgetragen, wie sich konkret die Auswirkungen der Abwerbungen für sie darstellen. Weiterhin ist aufgrund des Umfangs der Mitarbeiterwechsel nicht annähernd erkennbar, inwieweit dies zu einer Existenzgefährdung der Antragstellerin führt. Die Antragstellerin spricht hier von 10 % abgeworbener Mitarbeiter, was aber durch ihren Vortrag nicht gestützt wird. Sie spricht selbst von acht Servicetechnikern, was nach den in Anlage AS 2 eidesstattlich versicherten Mitarbeiterzahlen (202 Mitarbeiter, davon 135 Servicetechniker) sechs Prozent der Servicetechniker ausmacht.b) Allerdings wird es teilweise bereits als unlauter angesehen, wenn ohne Rücksicht auf andere Möglichkeiten des Arbeitsmarktes gerade Beschäftigte eines bestimmten Mitbewerbers abgeworben werden (Köhler/Bornkamm/Feddersen-Köhler, UWG, 36. Aufl., § 4, Rnr. 4.105; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Omsels UWG § 4 Rn. 29-32; Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht, § 4 Nr. 4, Rnr. 56). Der Unlauterkeitsgrund wird hier darin gesehen, dass ein Unternehmer die Abwerbung von Mitarbeitern einsetzt, um ohne nennenswerte finanzielle oder wirtschaftliche Anstrengungen ganze Geschäftsbereiche, Abteilungen oder Niederlassungen eines konkurrierenden Unternehmens einschließlich der damit verbundenen Kunden zu übernehmen. Der Abwerbende wendet in diesen Fällen nur die Kosten für die zukünftige Tätigkeit der Mitarbeiter in seinem Unternehmen und ein etwaiges Handgeld auf, um eine vom Mitbewerber mit zusätzlichem Zeit- und Kostenaufwand aufgebaute Unternehmenseinheit zu übernehmen und den Mitbewerber selber vom Markt zu verdrängen. Der Mitbewerber ist durch die Übernahme ganzer Unternehmensbereiche außerdem nicht mehr in der Lage, seine Leistungen durch eigene Anstrengungen am Markt in angemessener Weise zur Geltung zu bringen. Allerdings genügt es für die Annahme einer Unlauterkeit noch nicht, dass die Wettbewerbsposition lediglich beeinträchtigt wird. Erschwerend kann andererseits berücksichtigt werden, dass die Übernahme der Mitarbeiter putsch- oder handstreichartig erfolgt und neben Mitarbeitern auch Kunden, Kundendaten, Lieferanten und Produktionsmittel in einer Art und Weise übernommen werden, dass dem Mitbewerber keine ernsthafte Möglichkeit verbleibt, der Übernahme entgegenzusteuern.Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Es ist schon nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin tatsächlich nur Mitarbeiter der Antragstellerin abgeworben hat, was im Übrigen dann unschädlich wäre, wenn der Markt so eng wäre, dass nur zwei Wettbewerber existieren, da die Antragsgegnerin dann zur Abwerbung von Mitarbeitern der Antragstellerin gezwungen wäre. Hierzu ist nichts vorgetragen. Weiterhin erfolgte die Abwerbung nicht „handstreichartig“ zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern über einen Zeitraum von einem halben Jahr gestaffelt. Dies lässt den Eingriff in den Betrieb der Antragstellerin als besser kompensierbar erscheinen, da die Möglichkeit für die Antragstellerin besteht, den Personalverlust ihrerseits durch die Anwerbung neuer Mitarbeiter auszugleichen. Bei der Gesamtbetrachtung ist weiterhin zu würdigen, dass nicht komplette Abteilungen zum Wechsel angeleitet worden sind, sondern insbesondere von den insgesamt 135 Servicetechnikern lediglich eine Handvoll zum Wechsel bewegt worden sind. Auch sind weitere unlauterkeitsbegründende Umstände (übertriebene Anreize durch exorbitante Bezahlung o.ä.) nicht ersichtlich.

    c) In der Gesamtschau verbleibt daher lediglich die Tatsache, dass die Antragsgegnerin an die Antragstellerin als eine unmittelbare Wettbewerberin herantritt und von ihr Mitarbeiter abwirbt. Dies verlässt den Boden lauteren Wettbewerbsverhaltens nicht, sondern stellt sich als zulässiger Wettbewerb um Arbeitskräfte dar.

Akteneinsicht in Gefangenenpersonalakte

(Oberlandesgericht Frankfurt a. M., Beschluss vom 27. September 2018 – 3 Ws 239/18 (StVollz))

Im Verfahren nach § 119a StVollzG hat der beigeordnete Rechtsanwalt ein umfassendes Akteneinsichtsrecht, das sich regelmäßig auch auf die Gefangenenpersonalakte erstreckt.

Sachverhalt

Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens verbüßt – derzeit in der Justizvollzugsanstalt Stadt1 – eine lebenslange Freiheitsstrafe, wobei die besondere Schwere der Schuld festgestellt ist. Daneben ist die Sicherungsverwahrung angeordnet. Bei der zuständigen Strafvollstreckungskammer ist seit längerer Zeit das Verfahren nach § 119a StVollzG anhängig, ein Sachverständiger ist mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Der dort gemäß § 119a Abs. 6 StVollzG beigeordnete Rechtsanwalt, der zugleich der hiesige Prozessbevollmächtigte des Antragstellers ist, hat bei der Justizvollzugsanstalt unter Bezugnahme auf das Verfahren nach § 119a StVollzG Einsicht in die Gefangenenpersonalakte beantragt. Gegen die Ablehnung dieses Antrags durch die Justizvollzugsanstalt hat der Strafgefangene Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, dem die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss überwiegend stattgegeben hat. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Leiters der Vollzugsbehörde.

Aus den Gründen

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig; insbesondere ist eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts geboten (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Sie ist jedoch unbegründet, weil die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer richtig ist.

Die Verfahrensrüge hinsichtlich der vermeintlichen Verletzung des rechtlichen Gehörs bezüglich der abweichenden Rechtsansicht des neuen Dezernenten gegenüber einem früher erteilten Hinweis der Kammer (der jedoch ausdrücklich „nach vorläufiger rechtlicher Würdigung“ erging) ist schon deshalb unzulässig, weil jeglicher Vortrag dazu fehlt, was die Antragsgegnerin vorgetragen hätte, wenn ein Hinweis auf die abweichende Rechtsansicht des nunmehr zuständigen Dezernenten erteilt worden wäre.

Auch mit der Sachrüge hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Die umfassend, ausgewogen und zutreffend begründete Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist inhaltlich richtig und enthält gerade keine Abweichung von den in der Rechtsbeschwerde zitierten obergerichtlichen Entscheidungen. Vielmehr geht auch die Strafvollstreckungskammer von dem in § 64 HStVollzG (ebenso wie in § 185 StVollzG) vorgesehenen Stufenverhältnis aus, wonach zunächst ein Auskunftsanspruch und nur subsidiär ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht. Sie führt aber zutreffend aus, warum in dem vorliegenden Fall angesichts der Bedeutung des in der Gefangenenpersonalakte dokumentierten Vollzugsverlaufs für strafvollstreckungsrechtliche Verfahren – insbesondere die Überprüfung der ausreichenden Betreuung bei angeordneter Sicherungsverwahrung gemäß § 119a StVollzG – und vor dem Hintergrund der von dem Strafgefangenen geltend gemachten Lücken in der Dokumentation die Erteilung einzelner Auskünfte nicht ausreicht, sondern eine (vollständige, soweit nicht Ausnahmetatbestände eingreifen) Akteneinsicht erforderlich ist.

Es kommt hinzu, dass Hintergrund des vorliegenden Akteneinsichtsgesuchs nicht nur ein Verwaltungsverfahren (wie bei Anträgen in Bezug auf Maßnahmen der Vollzugsbehörde zur Regelung einzelner Angelegenheiten), sondern ein gerichtliches Verfahren ist, nämlich ein solches nach § 119a StVollzG, das ein Verfahren sui generis ist und angesichts seiner maßgeblichen Auswirkungen auf die weitere Vollstreckung einem strafvollstreckungsrechtlichen Überprüfungsverfahren näher kommt als einem rein vollzugsrechtlichen Verfahren nach §§ 109 ff StVollzG. Im gerichtlichen Verfahren hat jedoch der Verteidiger ein (eigenes) Akteneinsichtsrecht nach § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i.V.m. § 147 StPO (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 27. Oktober 2011 – 2 Ws 456/11; Arloth/Krä, StVollzG, 4. Auflage 2017, § 185 Rdnr. 5a), und zwar in jedem Stadium des Verfahrens (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 147 Rdnr. 10).

Zwar betrifft dieses Akteneinsichtsrecht unmittelbar zunächst nur die Gerichtsakte, die Gefangenenpersonalakte hingegen nur, wenn sie von dem Gericht beigezogen ist. Angesichts der maßgeblichen Bedeutung des gesamten Vollstreckungsverlaufs, der Entwicklung des Strafgefangenen während des bisherigen Vollzugs der Strafe und der ihm angebotenen Behandlungsmaßnahmen für die Entscheidung nach § 119a StVollzG werden die Gefangenenpersonalakten jedoch zumindest bei Uneinigkeit über diese tatsächlichen Grundlagen bzw. auf entsprechenden Antrag des Verurteilten aufgrund der dem Gericht obliegenden umfassenden Aufklärungspflicht regelmäßig beizuziehen sein. Wenn, wie hier, ein Sachverständiger mit der Erstellung eines Prognosegutachtens beauftragt worden ist, muss dieser die Gefangenenpersonalakten ebenfalls auswerten (vgl. Mindestanforderungen für Prognosegutachten, NStZ 2006, 537, 541). Deshalb muss auch der Verteidiger zur Vorbereitung des Verfahrens und Ermöglichung einer sachgerechten Mitwirkung daran in diese Akten Einsicht nehmen können (vgl. OLG Nürnberg a.a.O.). Das gilt nicht erst, wenn das Sachverständigengutachten bereits vorliegt, denn zum einen besteht das Einsichtsrecht des Verteidigers grundsätzlich während des gesamten gerichtlichen Verfahrens, und zum anderen können Verzögerungen und Mehrkosten durch eventuelle Ergänzungsfragen an den Sachverständigen umso eher vermieden werden, je früher entsprechende Einwände geltend gemacht werden.

Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu dem Recht auf Einsicht in die Krankenunterlagen bei einer Unterbringung im Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB (BVerfG NJW 2006, 1116 [BVerfG 09.01.2006 – 2 BvR 443/02]). Das BVerfG hat festgestellt, dass ein im Maßregelvollzug Untergebrachter ein besonders starkes verfassungsrechtlich geschütztes Interesse an einer Einsicht in die vollständigen Kranken- bzw. Behandlungsunterlagen hat, weil von deren Inhalt und ordnungsgemäßer Führung Entscheidungen über seine Freiheit und über das Ausmaß der Freiheitsbeschränkungen im Vollzug der Maßregel abhängen können, und er sich anders nicht vergewissern kann, ob die Akten so geführt sind, dass seine grundrechtlichen Ansprüche in Bezug auf seine Behandlung und eine eventuelle Beendigung der Unterbringung nicht beeinträchtigt werden. Diese Erwägungen gelten erst recht für einen in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten bzw. einen Strafgefangenen, dem die anschließende Sicherungsverwahrung ggf. noch bevorsteht, wobei in diesem Fall die Gefangenenpersonalakte mit der Dokumentation des Behandlungs- und Betreuungsverlaufs im Strafvollzug der Krankenakte im Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus entspricht.

Der Einwand der Rechtsbeschwerde, „genaue Formulierungen“ (etwa in ärztlichen oder psychologischen Befunden) ließen sich auch in Fotokopien erkennen, liegt neben der Sache, weil damit nur eines von mehreren Argumenten der Kammer für die Erforderlichkeit der Akteneinsicht herausgegriffen wird. E rsichtlich kommt es dem Antragsteller auf die Überprüfung der Vollständigkeit der Akten an, weshalb die Überlassung einzelner Kopien nicht ausreicht, zumal angesichts der Dauer des Vollzugs auch nicht erwartet werden kann, dass der Antragsteller jedes einzelne aus seiner Sicht relevante Dokument konkret bezeichnen kann. Die Überlassung einer vollständigen Kopie der Gefangenenpersonalakte mag hingegen ausreichen, wie dies auch im Strafverfahren mit sogenannten Duploakten regelmäßig geschieht, wenn – etwa über das Gericht – sicher sichergestellt werden kann, dass es sich um eine vollständige Kopie handelt.

Anspruch des Versicherten auf Kopie eines medizinischen Gutachtens

(Kammergericht Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 2018 – 6 U 45/18 –)

Ein Anspruch des Versicherungsnehmers (VN) oder des Versicherten auf Übermittlung einer Kopie des im Auftrag des Berufsunfähigkeitsversicherers über seinen Gesundheitszustand eingeholten medizinischen Gutachtens folgt als Nebenpflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis und dem in Art. 1 und 2 GG garantierten Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung; der Anspruch war auch schon vor dem Inkrafttreten des Art. 15 Datenschutz-Grundverordnung (Auskunftsrecht der betroffenen Person über personenbezogene Daten) am 25. Mai 2018 begründet und besteht grundsätzlich auch dann, wenn der Versicherungsnehmer das Gutachten nicht zur gerichtlichen Wahrnehmung seiner Interessen gegenüber dem Versicherer benötigt.

Aus den Gründen

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war gemäß § 91a ZPO über die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Dies führt zur Kostentragungspflicht der Beklagten, wobei diese gemäß § 100 Abs. 1 ZPO die Kosten nach Kopfteilen je zur Hälfte zu tragen haben.

Die Berufung der Klägerin war zulässig. Die Beklagten haben die Klägerin im zweiten Rechtszug klaglos gestellt und den geltend gemachten Anspruch vorbehaltlos erfüllt. Sie haben sich damit freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben.

Eine entsprechende Anwendung des § 93 ZPO kommt nicht in Betracht, denn die Beklagten haben Anlass zur Klageerhebung gegeben und den Anspruch auch nicht sofort anerkannt. Die Klage ist nicht erst im zweiten Rechtszug durch das Inkrafttreten des Art. 15 Datenschutzgrundverordnung begründet geworden, vielmehr bestand der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch bereits vor Rechtshängigkeit der Klage. Der Anspruch der Klägerin auf Übermittlung einer Kopie des im Auftrag der Beklagten eingeholten Gutachtens folgt als Nebenpflicht der Beklagten aus dem Versicherungsverhältnis und ist durch das in Art. 1 und 2 GG garantierte Grundrecht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung begründet.

Die Klägerin musste sich, wollte sie erfolgreich ihren vertraglichen Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente gegen die Beklagten geltend machen, einer erneuten medizinischen Begutachtung im von den Beklagten beauftragten Centrum für … unterziehen. Zwar haben die Beklagten in Auswertung der Begutachtung ihre Leistungspflicht weiterhin anerkannt, sodass die Klägerin auf die Kenntnis des Gutachtens nicht zur gerichtlichen Wahrnehmung ihrer Interessen angewiesen war. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Klägerin schützt jedoch unabhängig von dem vorstehenden Gesichtspunkt deren Interesse an der Kenntnis ihres Gesundheitszustandes und von dem Ergebnis einer diesbezüglich eingeholten sachverständigen Einschätzung. Hinzu kommt, dass die Klägerin sich im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses auf Wunsch der Beklagten als Person dieser Begutachtung unterziehen musste. Als natürliche Person hat sie jedoch einen Anspruch darauf, als Mensch in die Begutachtung einbezogen zu werden und nicht nur wie eine Sache – etwa wie in der Gebäude- oder Kaskoversicherung – begutachtet zu werden. Diese Einbeziehung bedingt, dass sie grundsätzlich auf eigenen Wunsch davon informiert werden muss, welche Ergebnisse die Begutachtung ihres Gesundheitszustandes erbracht hat. Da die Beklagten das Gutachten zwischenzeitlich der Klägerin zur Verfügung gestellt haben, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob und welche Gründe im Einzelfall einer solchen Bekanntgabe entgegenstehen können.

Der Streitwert ist in Abänderung der Wertfestsetzung durch das Landgericht auf 1.000 EUR festzusetzen, weil ein höher zu bewertendes Interesse der Klägerin nicht dargetan ist. Da die Beklagten die vertraglich vereinbarten Leistungen erbringen und kein Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel der Leistungseinstellung anstreben, scheidet eine Bestimmung des Wertes des Klageanspruchs anhand von Leistungsansprüchen aus. Eine höhere Bewertung des Interesses der Klägerin an der Kenntnisnahme vom Gutachten als 1.000 EUR ist nicht zu begründen.

Zur uneingewilligten Darstellung einer Kundin im Firmenvideo ihres Friseurs (Ls)
(Landgericht Frankfurt a. M., Urteil vom 13. September 2018 – 2-03 O 283/18 –)

  1. Die Veröffentlichung von Videobildern einer Kundin eines Friseurs zum Zwecke der Werbung bedarf auch nach dem 25.05.2018 ihrer Einwilligung.
  2. Dabei spielt es keine Rolle, ob die §§ 22, 23 KUG als Normen im Sinne von Art. 85 Abs. 1 DS-GVO auch einen nicht journalistischen, künstlerischen oder literarischen Zwecken dienende Veröffentlichung erfassen (Art. 85 Abs. 2 DS-GVO) oder ob Art. 6 Abs. 1 lit. a bzw. f DS-GVO nunmehr die in Betracht kommende Erlaubnisnorm darstellt.
  3. Auch ohne die Anwendung der Grundsätze der §§ 22, 23 KUG ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO, dass das Interesse des Friseurs an Werbemaßnahmen hinter dem Anspruch der Kundin zur Wahrung ihres Rechts am eigenen Bild zurückzustehen hat.

Einwilligung des Betreuten nach der Datenschutz-Grundverordnung (Ls)

(Amtsgericht Gießen, Beschluss vom 16. Juni 2018 – 230 XVII 381/17 G –)

Die Einwilligung des Betreuten nach der Datenschutz-Grundverordnung in die Speicherung seiner Daten bei dem Betreuer kann bei erklärungsunfähigen Betreuten durch den Betreuer selbst als gesetzlicher Vertreter des Betreuten erteilt werden.

Zugang zu Verhinderungszeiten von Richtern nach IFG (Ls)

(Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 23. Oktober 2018 – 20 K 4635/18 –)

Es bleibt dahingestellt, ob auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen der Zugang zu Verhinderungszeiten einzelner Richter und deren Dienst- und Lebensalter überhaupt beansprucht werden kann. Ein rechtliches Interesse im Sinne des § 9 Abs. 1 lit. e) IFG NRW ist jedenfalls dann nicht begründet, wenn lediglich allgemein vorgebracht wird, anhand dieser personenbezogenen Daten die Wahrung des Rechts auf den gesetzlichen Richter für die Vergangenheit überprüfen zu wollen.

Öffentlichkeitsarbeit der Polizei rechtfertigt keine Fotoaufnahmen von Demonstranten (Ls)

(Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Oktober 2018 – 14 K 3543/18 –)

  1. Die Polizei darf im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf Versammlungen keine Fotoaufnahmen zwecks Veröffentlichung in sozialen Netzwerken herstellen, wenn Teilnehmer an der Versammlung abgebildet werden.
  2. Die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG wäre beeinträchtigt, wenn es der Polizei erlaubt wäre, Versammlungen anlasslos zu fotografieren. Wer sein Demonstrationsgrundrecht wahrnehmen will, könnte hierdurch davon abgehalten werden, seine Meinung mit anderen kundzutun.