Aufsatz : Missbräuchliche Ausübung von DS-GVO-Betroffenenrechten – zulässiger Verteidigungseinwand für Verantwortliche?
Im Rahmen der Geltendmachung von Auskunftsansprüchen nach Art. 15 DS-GVO wird immer wieder die Frage diskutiert, ob der Einwand des Rechtsmissbrauchs bzw. der missbräuchlichen Ausübung des Betroffenenrechts durch den Verantwortlichen erhoben werden kann. Nachfolgend wird untersucht, inwieweit sich Verantwortliche auf eine missbräuchliche Ausübung insbesondere von Art. 15 DS-GVO berufen können.
I. Kennt die DS-GVO den Einwand des Missbrauchs?
In Bezug auf die Betroffenenrechte findet sich der Einwand des Missbrauchs in der DS-GVO nicht wortwörtlich. Gleichwohl hat der europäische Normgeber in den Art. 12 ff. DS GVO Regelungen zu verschiedenen Missbrauchskonstellationen vorgesehen.
Hier ist zunächst Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b) DS-GVO zu erwähnen. Nach der Norm kann sich der Verantwortliche bei offenkundig unbegründeten oder – insbesondere im Fall von häufiger Wiederholung – exzessiven Anträgen einer betroffenen Person weigern, aufgrund des Antrags tätig zu werden. Die Regelung wird in der Literatur u.a. auch als Missbrauchsabwehr bezeichnet. (1)
Eine weitere Regelung zum Missbrauch in Bezug auf Betroffenenrechte findet sich in Art. 15 Abs. 4 DS-GVO. Nach der Norm darf das Recht auf Erhalt einer Kopie gemäß Art. 15 Abs. 3 DS-GVO die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen. Eine Beauskunftung darf demnach also nicht dazu dienen, um beim Verantwortlichen Informationen über andere Personen oder zu Geschäftsgeheimnissen zu erlangen.
II. Ansichten deutscher Gerichte und Behörden zum Missbrauch des Auskunftsrechts nach Art. 15 DS-GVO
Über die vorstehend genannten Regelungen hinaus, finden sich in Bezug auf die Betroffenenrechte in den Art. 12 ff. DS-GVO ersichtlich keine den Missbrauch betreffenden Tatbestände. Umso bemerkenswerter sind die Entwicklungen zu dieser Frage in der Rechtsprechung und bei den Aufsichtsbehörden.
1. Rechtsprechung
a) LG Detmold
Nach einer Entscheidung des LG Detmold kann sich im Rahmen des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DS-GVO der Einwand des Rechtsmissbrauchs aus § 242 BGB ergeben. (2) Gemäß § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Es handele sich dabei um einen Grundsatz, der als nationale Ausformung auch im Rahmen des Art. 15 DS-GVO Geltung beansprucht. (3) Das Gericht beruft sich dabei auf die in Bezug auf § 242 BGB herausgebildete Fallgruppe, nach der die Ausübung eines Rechts u.a. nicht erlaubt ist, wenn der Anspruchsinhaber eine formale Rechtsstellung ausnutzt oder etwas geltend macht, an dem er kein schützenswertes Eigeninteresse hat. (4)
Das LG Detmold begründet den Ausschluss des Auskunftsanspruchs damit, dass die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs hier ausschließlich der Verfolgung von Leistungsansprüchen diene, wobei es sich um einen der DS-GVO vollkommen fremden Zweck handele. (5) Zur Begründung verweist das Gericht auf ErwG 63 S. 1 DS-GVO, nach dem Art. 15 DS-GVO vielmehr dazu diene, dass sich der Betroffene der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten bewusst werden und deren Rechtmäßigkeit überprüfen könne. (6) Weiterhin diene die Auskunft dazu, der betroffenen Person die Wahrnehmung der weiteren Betroffenenrechte nach den Art. 16 ff. DS-GVO zu ermöglichen. (7) Schließlich weist das LG darauf hin, dass sich das Auskunftsbegehren in dem vorliegenden Fall nach dem klar geäußerten Willen des Klägers und Auskunftstellers allein darin erschöpfen soll, etwaige geldwerte Ansprüche gegen die Beklagte zu prüfen. (8) Ein Begehren, das sich derart weit vom Regelungsinhalt einer Rechtsgrundlage entfernt habe, sei nach Ansicht des Gerichts nicht schützenswert. (9)
Der Verweis auf ErwG 63 DS-GVO ist nach Ansicht der Verfasser unter dem Aspekt der Missbrauchsabwehr richtig und begrüßenswert. Denn im hiesigen Verfahren hat der Kläger und Auskunftsteller hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass es ihm in keinster Weise um seine Rechte als datenschutzrechtlich Betroffener geht. Gleichwohl ist das Argument des LG Detmold, dass es sich „nur“ um geldwerte Ansprüche und damit nicht um datenschutzbezogene Betroffenenrechte handele, mit Vorsicht zu betrachten. Denn auch die DS-GVO kennt geldwerte Ansprüche. So hat nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DS-GVO ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. Möchte der Betroffene im Rahmen eines Auskunftsanspruchs nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO gegenüber dem Verantwortlichen die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung prüfen, um diesen anschließend nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO in Anspruch zu nehmen, wäre das Argument des LG Detmold nach hier vertretener Ansicht mithin eher abzulehnen.
b) LAG Niedersachsen
Dagegen lehnte das LAG Niedersachsen in einem zu beurteilenden Fall ein Verweigerungsrecht nach Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b) DS-GVO hinsichtlich der von der Beklagten zu erteilenden Auskunft ab. (10) Demnach können Anträge rechtsmissbräuchlich sein, „die ua vornehmlich auf die Schikanierung des Verantwortlichen abzielen“. (11) Das Gericht deutet in diesem Zusammenhang an, dass ein Antrag nach Art. 15 DS GVO rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn er darauf gerichtet ist, den Verantwortlichen auszuforschen. (12) Denkbar wäre es demnach, die Ausforschung als eine Fallgruppe des Rechtsmissbrauchs im Zusammenhang mit den Art. 15 ff. DS-GVO einzuordnen. Gleichwohl wird man nach Ansicht der Verfasser hohe Anforderungen an die Erbringung des Nachweises einer Ausforschung stellen müssen. Andernfalls scheint es wahrscheinlich, dass sich zur Auskunfterteilung verpflichtete Verantwortliche regelmäßig auf den Rechtsmissbrauch in Form der Ausforschung berufen. Hierfür könnten z.B. die im deutschen Zivilprozess für den Ausforschungsbeweis aufgestellten Grundsätze herangezogen werden. (13)
Nicht nachvollziehbar ist, weshalb das Gericht dabei problematisierte, ob Art. 12 Abs. 5 DS-GVO überhaupt hinsichtlich Art. 15 DS-GVO anwendbar sei. (14) Denn sowohl Art. 12 DS-GVO als auch Art. 15 DS-GVO befinden sich im Kapitel III („Rechte der betroffenen Person“) und die Vorgaben des Art. 12 DS-GVO sind bei der Beantwortung von Betroffenenanfragen zu beachten. Unabhängig davon ist es aus Sicht der Verfasser zu begrüßen, dass sich das LAG Niedersachsen für die Beantwortung der Frage des Vorliegens eines Rechtsmissbrauchs an Art. 12 Abs. 5 S. 2 DS-GVO und nicht an § 242 BGB orientiert hat. Ob § 242 BGB nämlich dogmatisch tatsächlich als gesetzliche Grundlage für einen Rechtsmissbrauch im Rahmen von den Art. 15 ff. DS-GVO in Betracht kommt, ist derzeit zumindest unklar. Da Art. 15 DS-GVO unmittelbar anwendbares Unionsrecht darstellt, erscheint es dogmatisch schlüssiger und damit auch sicherer, diese Frage anhand einer Norm aus der DS-GVO oder dem übrigen Unionsrecht zu beantworten.
c) LG Krefeld
Auch das LG Krefeld hat in einer Entscheidung einen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DS-GVO wegen Rechtsmissbräuchlichkeit abgelehnt. (15) Ebenso wie das LG Detmold (16) stützte sich das LG Krefeld auf ErwG 63 DS-GVO und verwies darauf, dass der Kläger und Auskunftsteller im Rahmen seines Begehrens gänzlich DS-GVO-fremde Erwägungen verfolge. (17) Jedoch verfolgte der Kläger auch hier nach Überprüfung der Rechtmäßigkeit einen etwaig bestehenden Bereicherungsanspruch gegen die Beklagte, was wiederum die Frage aufwirft, ob die Verfolgung geldwerter Ansprüche im Rahmen von Art. 15 DS-GVO per se rechtsmissbräuchlich ist. (18)
d) LG Wuppertal
Ebenso wie das LG Detmold (19) lehnte auch das LG Wuppertal in einem Rechtstreit den Auskunftsanspruch des Klägers wegen Rechtsmissbrauchs auf Grundlage des § 242 BGB ab. (20) Das LG Wuppertal begründete sein Vorgehen ähnlich wie das LG Detmold damit, dass es sich bei § 242 BGB um einen das gesamte Rechtsleben durchziehenden Grundsatz handele, der als nationale Ausformung auch im Rahmen des Art. 15 DS-GVO Geltung beanspruche; (21) Art. 12 Abs. 5 DS-GVO zieht das Gericht dagegen nicht heran. Das LG Wuppertal weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass ein Rechtsmissbrauch nach § 242 BGB es voraussetzt, dass der Anspruchsinhaber eine formale Rechtsstellung ausnutzt oder etwas geltend macht, an dem er kein schützenswertes Eigeninteresse hat. (22) Für Verantwortliche, die sich auf § 242 BGB berufen wollen, wird es daher empfehlenswert sein, vor Geltendmachung des Einwands eines Rechtsmissbrauchs (zumindest) das Vorliegen dieser beiden Voraussetzungen zu überprüfen.
Darüber hinaus stützt sich auch das LG Wuppertal unter Berufung auf ErwG 63 DS-GVO darauf, dass der Kläger im Rahmen seines Auskunftsbegehrens ausschließlich Leistungsansprüche und damit vollkommen DS-GVO-fremde Zwecke verfolge. (23) In den vorstehenden Entscheidungen war es stets so, dass der Auskunftsteller im Rahmen des Rechtsstreits ausdrücklich Zwecke verfolgte, die mit Blick auf ErwG 63 S. 1 DS-GVO nicht einer Überprüfung der Datenverarbeitung durch den Verantwortlichen und auch nicht deren Rechtmäßigkeitskontrolle dienten. Allerdings wird auch
ErwG 63 S. 1 DS-GVO nach Ansicht der Verfasser keine hinreichende Grundlage für die Feststellung eines Rechtsmissbrauchs sein, wenn der Auskunftsteller den Zweck der Auskunft nicht offenlegt. Zumindest in diesem Fall sollte der Einwand des Rechtsmissbrauchs durch den Verantwortlichen mit Bedacht eingesetzt werden.
e) ArbG Neumünster
Das ArbG Neumünster hielt bei der Frage des Rechtsmissbrauchs in Zusammenhang mit einem Auskunftsanspruch nach Art. 15 DS-GVO ebenfalls § 242 BGB für anwendbar. (24) Bemerkenswert ist, dass das Gericht zur Begründung darauf verwies, dass es sich bei § 242 BGB um einen allgemeinen rechtsstaatlichen Rechtsgrundsatz handelt, „der auch auf EU-Ebene gilt (vgl. Art. 8 Abs. 2 S. 1 EU Grundrechts-Charta, Art. 5 Abs. 1 Buchst a DS-GVO)“. (25) Diese Verknüpfung des Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 BGB (insbesondere) mit dem Verarbeitungsgrundsatz Treu und Glauben gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a) DS-GVO ist nach Ansicht der Verfasser positiv hervorzuheben und ein alternativer Begründungsansatz, da er eine dogmatische Verbindung zwischen der rein nationalen Norm des § 242 BGB und Art. 15 DS-GVO herstellt. Der Grundsatz der Verarbeitung nach Treu und Glauben aus Art. 5 Abs. 1 lit. a) DS-GVO adressiert nach Ansicht der Literatur (ausschließlich) den Verantwortlichen und den Auftragsverarbeiter, (26) nicht aber den Betroffenen. Da sich der Einwand des Rechtsmissbrauchs auf eine Handlung des Betroffenen (= rechtsmissbräuchliche Geltendmachung von Betroffenenrechten) bezieht, wird der den Verantwortlichen adressierende Art. 5 Abs. 1 lit. a) DS-GVO die (dogmatische) Frage, ob § 242 BGB als Rechtsmissbrauchseinwand im Rahmen der Art. 15 ff. BGB herangezogen werden kann, nach Ansicht der Verfasser daher nicht vollends beantworten können. Gleichwohl ließe sich entgegnen, dass sich der Verantwortliche als Auskunft erteilende Stelle auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs berufen will, nicht aber der Betroffene.
Neben diesem Aspekt ist besonders bemerkenswert, dass ein Rechtsmissbrauch nach Ansicht des ArbG Neumünster vorgelegen hätte, „wenn der Kläger seinen Schadensersatzanspruch allein und deshalb mit seinem Begehr, eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes zu erhalten, verknüpft hätte“. (27) Diese Formulierung lässt den Schluss zu, dass der Zweck der Geltendmachung als solcher zumindest nach Ansicht des ArbG Neumünster nicht den Einwand des Rechtsmissbrauchs ausgelöst hätte. Daraus folgt die bereits zuvor aufgeworfene Frage, ob die Verfolgung geldwerter Ansprüche im Rahmen der Art. 15 ff. DS-GVO tatsächlich als rechtsmissbräuchlich zu betrachten ist.
f) BGH
Besonders hervorzuheben ist, dass sich auch der BGH am Rande einer Entscheidung (28) zu dieser Thematik geäußert hat. So verweist der BGH darauf, dass er auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht beurteilen könne, ob vorliegend unter dem Gesichtspunkt anderer vom Kläger verfolgter Zwecke die datenschutzrechtlichen Ansprüche desselben aus Art. 15 DS-GVO – etwa nach den Vorschriften in Art. 12 Abs. 5 S. 2, 15 Abs. 4 DS-GVO oder Art. 23 Abs. 1 DS-GVO i.V.m. § 29 Abs. 1 S. 2 BDSG – beschränkt werden oder sogar entfallen könnten. (29) Bemerkenswert ist also, dass der BGH für die Beschränkung des Auskunftsrechts nach Art. 12 Abs. 5 S. 2 DS-GVO wegen Verwendung anderer nicht von Art. 15 DS-GVO verfolgter Zwecke offen zu sein scheint; das Gericht hat darüber bisher jedoch noch nicht entschieden.
2. Behördenansichten
Auch die Datenschutzaufsichtsbehörden haben sich des hier besprochenen Themas bereits mehrfach angenommen.
a) LDA Brandenburg
So äußerte die Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht Brandenburg (LDA Brandenburg), dass das Recht auf Auskunft ohne Begründungserfordernis bestehe. (30) Eine Absicht, die auf dem Wege der Auskunft erhaltenen Daten zu einem späteren Zeitpunkt in einem Zivilprozess zu verwenden, könne dem Auskunft Begehrenden somit nicht entgegengehalten werden.
b) LfD Bremen
In gleicher Weise vertritt etwa die Landesbeauftragte für Datenschutz Bremen (LfD Bremen), dass das Motiv der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs rechtlich irrelevant sei.31 Nur im rechtlichen Ausnahmefall eines offenkundigen Missbrauchs der Auskunftsrechtsposition soll hiervon eine Ausnahme zu machen sein. Jedoch spezifiziert die LfD nicht weiter, wann ein solcher Ausnahmefall angenommen werden kann.
III. Ansicht des EuGH zum Missbrauch von Rechtspositionen
Zur Beantwortung der Frage, ob ein Rechtsmissbrauch im vorstehend beschriebenen deutschen Verständnis denkbar ist, wird die Rechtsprechung des EuGH auf entsprechende Anhaltspunkte untersucht.
1. Rechtssache C-597/19 – M.I.C.M.
Im Schlussantrag der Rs. C-597/19 äußerte der Generalanwalt Szpunar, dass im Unionsrecht der allgemeine Grundsatz gelte, dass man sich nicht betrügerisch oder missbräuchlich auf das Unionsrecht berufen kann. (32) So könnten Vorgänge geschützt werden, die zu dem Zweck durchgeführt werden, betrügerisch oder missbräuchlich in den Genuss von im Unionsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen. Dies ist nach der Ansicht des Generalanwalts der Fall, wenn Vorschriften des Unionsrechts nicht geltend gemacht würden, um die Ziele der Vorschriften zu verwirklichen, sondern um in den Genuss eines im Unionsrecht vorgesehenen Vorteils zu gelangen, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen lediglich formal erfüllt sind. (33) Auch der Generalanwalt geht also davon aus, dass die rein formale Geltendmachung unionsrechtlicher Vorschriften rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn damit ein ganz anderer Zweck verfolgt wird, als durch die bemühte EU-Rechtsnorm intendiert. Da der Generalanwalt zudem betont, dass das Verbot des Rechtsmissbrauchs in vielerlei Rechtsgebieten des Unionsrechts Anwendung finde, (34) kann dieser Schlussantrag als erstes Indiz dafür herangezogen werden, dass die Verweigerung des Auskunftrechts nach Art. 15 DS-GVO aus rechtsmissbräuchlichen Gründen ebenfalls möglich ist. Denn das Argument des Rechtsmissbrauchs greift der EuGH anschließend auch in seinem Urteil zu der Rechtssache auf. (35)
2. Rechtssache C-115/16 – N Luxembourg 1
Diesen allgemeinen Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs greift der EuGH z.B. auch in einer steuerrechtlichen Entscheidung auf. (36) Der EuGH betont in diesem Zusammenhang, dass „der Grundsatz des Missbrauchsverbots einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, der unabhängig davon gilt, ob die betreffenden Rechte und Vorteile ihre Grundlage in den Verträgen, in einer Verordnung oder in einer Richtlinie haben“. (37) Letzteres spricht deutlich dafür, dass der Grundsatz des Missbrauchsverbots als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts auch Eingang in die DS-GVO findet und bei deren Auslegung und Anwendung zu berücksichtigen ist.
3. Rechtssache C-434/16 – Nowak
Dass der Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs auch im Datenschutzrecht Berücksichtigung findet, zeigt der Schlussantrag der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Nowak. Dort führt die Generalanwältin (noch zu der alten EU Datenschutz-Richtlinie (38)) aus, dass die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Unionsrecht nicht gestattet sei. (39) Die Feststellung eines solchen missbräuchlichen Verhaltens verlange das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Tatbestandsmerkmals. (40) Hinsichtlich des objektiven Tatbestands müsse eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der von der Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wird. (41) Zudem muss das subjektive Tatbestandsmerkmal aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, wonach wesentlicher Zweck der fraglichen Handlungen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist. (42) So greife das Missbrauchsverbot nicht, wenn die fraglichen Handlungen eine andere Erklärung haben können als nur die Erlangung eines (ungerechtfertigten) Vorteils. (43) Unklar bleibt insoweit, welcher vom Auskunftsteller verfolgte Vorteil das allgemeine unionsrechtliche Missbrauchsverbot konkret auslöst und welcher nicht. Das Vorhandensein anderer mitgliedstaatlicher Regelungen, die ebenfalls eine Auskunft (hier: über Prüfungsarbeiten) zum Gegenstand haben, soll nach dem Schlussantrag der Generalanwältin jedenfalls noch nicht eine Zweckverfehlung hinsichtlich des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs indizieren. (44)
Ein Missbrauch im hiesigen Sinn sei jedenfalls dann nicht gegeben, wenn man über den Auskunftsanspruch Informationen erhält, zu denen man andernfalls keinen Zugang hätte. (45)
IV. Normgebungshistorie zu Art. 12 Abs. 5 DS-GVO
Abgesehen von den vorstehenden Entscheidungen bleibt zuletzt zu untersuchen, ob sich ein allgemeiner Rechtsmissbrauchstatbestand (insbesondere) unter Art. 12 Abs. 5 DS GVO subsumieren lässt. Ebenso wie das deutsche Recht, kennt auch das Unionsrecht die historische Auslegungsmethode,(46) die nachfolgend als Grundlage der Bewertung dient.
Im Rahmen der Verhandlungen zur DS-GVO und zum damaligen Art. 12 Abs. 4 DS-GVO (nunmehr: Art. 12 Abs. 5 DS-GVO) plädierten mehrere Delegationen im Rahmen der Verhandlungen des Rats der Europäischen Union dafür, anstelle des Begriffs „offenkundig unbegründet“ vielmehr „missbräuchlich“ in den Normtext aufzunehmen. (47) Dieser Vorschlag wurde abgelehnt. Allerdings enthielt die Ratsfassung der DS-GVO auch noch bis zum 11. Juni 2015 in ErwG 47 Abs. 2 DS-GVO zum Rechtsmissbrauch einen Passus, der beispielsweise bei der Angabe von falschen oder irreführenden Angaben anwendbar sein sollte. (48) Dieser ErwG 47 Abs. 2 DS-GVO ließe sich durchaus auch so verstehen, dass der Missbrauch ein Unterfall des offenkundig unbegründeten Antrags i.S.v. Art. 12 Abs. 5 DS-GVO ist. In der Folge könnte man den Missbrauchstatbestand auch in den jetzigen Art. 12 Abs. 5 DS-GVO und die Formulierung „offenkundig unbegründet“ hineinlesen und als Ausnahme von der Pflicht zur Beantwortung von Betroffenenanfragen zulassen. Für dieses
Verständnis könnte außerdem sprechen, dass die portugiesische Delegation im Rahmen der Verhandlung die Verständnisfrage stellte, ob denn nicht „offenkundig unbegründet“ ohnehin mit „offenkundig missbräuchlich“ gleichzusetzen bzw. davon erfasst wäre. (49) Da man im Rahmen der Ratsverhandlungen diese Frage also offensichtlich sah, könnte man dies als Argument dafür anführen, dass der Rechtsmissbrauch auch von Art. 12 Abs. 5 DS-GVO erfasst ist.
Gleichwohl wurde ErwG 47 Abs. 2 DS-GVO im Rahmen der Ratsverhandlungen schließlich gestrichen. (50) Daraus ergeben sich zwei alternative Ableitungen: Mit Blick auf die vorste hende Frage der portugiesischen Delegation könnte man einerseits annehmen, dass ErwG 47 Abs. 2 DS-GVO gestrichen wurde, da die Delegationen des Rates den Missbrauchstatbestand ohnehin für von Art. 12 Abs. 5 DS-GVO umfasst hielten. Andererseits könnte die letztendliche Streichung von ErwG 47 Abs. 2 DS-GVO dafür sprechen, dass sich der Rat am Ende gegen einen solchen Missbrauchstatbestand in der DS-GVO aussprechen wollte.
V. Fazit
Unabhängig davon, welche Positionen man hinsichtlich der Verankerung des Rechtsmissbrauchstatbestands in der DS-GVO einnimmt, lässt sich nach Ansicht der Verfas ser nicht bestreiten, dass ein allgemeiner unionsrechtlcher Grundsatz zum Verbot des Rechtsmissbrauchs existiert, der auch im geltenden Datenschutzrecht Anwendung findet. Die vorstehende Streitfrage, ob ein solcher Rechtsmissbrauchstatbestand unter Art. 12 Abs. 5 DS-GVO subsumierbar oder § 242 BGB hier anwendbar ist, kann zumindest unter praktischen Gesichtspunkten dahinste hen bleiben. Denn letztlich handelt es sich dabei eher um eine dogmatische Frage. Nach Ansicht der Verfasser sprechen gute Gründe dafür, dass sich Verantwortliche im Rahmen der Auskunftserteilung nach den Art. 15 DS-GVO auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs über die in Art. 12 Abs. 5 und Art. 15 Abs. 4 DS-GVO festgeschriebenen Fälle hinaus berufen können. Dafür spricht neben der Rechtsprechung des EuGH auch, dass sich der BGH offen für diese Interpretation zeigt bzw. bisher nicht ablehnend entschieden hat. Gleichwohl sollten die Anforderungen an die Geltendmachung dieses Einwands in der Praxis nicht unterschätzt werden. Verantwortliche sollten diesen Einwand daher objektiv und subjektiv fundiert begründen, bevor sie ihn erheben. Dabei gilt es zu beachten, dass Betroffene die Geltendmachung ihres Betroffenenrechts ohnehin nicht begründen müssen. Führt der Betroffene also z.B. nicht aus, zu welchen Zwecken die Unterlagen beauskunftet werden sollen, wird der Einwand des Rechtsmissbrauchs zugunsten des Verantwortlichen aus Nachweisgründen regelmäßig eher.
Dr. Carlo Piltz
Rechtsanwalt und berät als Partner in der auf Datenschutz-, IT- und IT-Sicherheitsrecht spezialisierten Kanzlei Piltz Legal in Berlin.
Johannes Zwerschke
Rechtsanwalt und berät als Senior Associate in der auf Datenschutz-, IT- und IT-Sicherheitsrecht spezialisierten Kanzlei Piltz Legal in Berlin.
- (1) Bäcker, in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 12 vor Rn. 35.
- (2) LG Detmold, Urt. v. 26.10.2021 – 02 O 108/21, BeckRS 2021, 34230.
- (3) LG Detmold, Urt. v. 26.10.2021 – 02 O 108/21, BeckRS 2021, 34230 Rn. 44.
- (4) Siehe ebenda.
- (5) LG Detmold, Urt. v. 26.10.2021 – 02 O 108/21, BeckRS 2021, 34230 Rn. 46.
- (6) Siehe ebenda.
- (7) Siehe ebenda.
- (8) LG Detmold, Urt. v. 26.10.2021 – 02 O 108/21, BeckRS 2021, 34230 Rn. 48.
- (9) Siehe ebenda.
- (10) LAG Niedersachsen, Urt. v. 22.10.2021 – 16 Sa 761/20, BeckRS 2021, 32008 Rn. 177.
- (11) Siehe ebenda.
- (12) Siehe ebenda.
- (13) Instruktiv: z.B. Stöhr, Der Ausforschungsbeweis im Zivilprozess, JA 2020, 688.
- (14) Siehe ebenda.
- (15) LG Krefeld, Urt. v. 06.10.2021 – 2 O 448/20, BeckRS 2021, 34436.
- (16) Siehe II.a.i.
- (17) LG Krefeld, Urt. v. 06.10.2021 – 2 O 448/20, BeckRS 2021, 34436 Rn. 22.
- (18) Siehe II.a.i.
- (19) Siehe II.a.i.
- (20) LG Wuppertal, Urt. v. 29.07.2021 – 4 O 409/20, BeckRS 2021, 25249
Rn. 30 ff. - (21) LG Wuppertal, Urt. v. 29.07.2021 – 4 O 409/20, BeckRS 2021, 25249 Rn. 31.
- (22) Siehe ebenda.
- (23) LG Wuppertal, Urt. v. 29.07.2021 – 4 O 409/20, BeckRS 2021, 25249, Rn. 32 f. mwN.
- (24) ArbG Neumünster, Urt. v. 11.08.2020 – 1 Ca 247 c/20, BeckRS 2020, 29998 Rn. 36.
- (25) Siehe ebenda.
- (26) So z.B. Roßnagel, in: Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Daten schutzrecht, DS-GVO Art. 5 Rn. 1.
- (27) ArbG Neumünster, Urt. v. 11.08.2020 – 1 Ca 247 c/20, BeckRS 2020,29998 Rn. 36.
- (28) BGH, Urt. v. 15.06.2021 – VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726.
- (29) BGH, Urt. v. 15.06.2021 – VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 33
- (30) LDA Brandenburg, Tätigkeitsbericht 2020 Datenschutz, S. 51.
- (31) LfD Bremen, 3. Jahresbericht nach der Europäischen Datenschutzgrund verordnung (Berichtsjahr 2020), 12.3.
- (32) Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 17.12.2020 – C-597/19, GRUR-RS 2020, 35419 Rn. 77.
- (33) Siehe ebenda.
- (34) Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 17.12.2020 – C-597/19, GRUR-RS 2020, 35419 Rn. 78.
- (35) EuGH, Urt. v. 17.06.2021 – C-597/19, GRUR 2021, 1067 Rn. 78.
- (36) EuGH, Urt. v. 26.02.2019 – verb. Rs. C-115/16, C-118/16, C-119/16, C-299/16, IStR 2019, 308 Rn. 98.
- (37) EuGH, Urt. v. 26.02.2019 – verb. Rs. C-115/16, C-118/16, C-119/16, C-299/16, IStR 2019, 308 Rn. 101.
- (38) Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. 2003, L 284, S. 1).
- (39) Generalanwältin beim EuGH, Schlussantrag v. 20.07.2017 – C-434/16, BeckRS 2017, 118086 Rn. 43 mwN.
- (40) Generalanwältin beim EuGH, Schlussantrag v. 20.07.2017 – C-434/16, BeckRS 2017, 118086 Rn. 44.
- (41) Siehe ebenda.
- (42) Siehe ebenda.
- (43) Siehe ebenda.
- (44) Generalanwältin beim EuGH, Schlussantrag v. 20.07.2017 – C-434/16, BeckRS 2017, 118086 Rn. 49.
- (45) Generalanwältin beim EuGH, Schlussantrag v. 20.07.2017 – C-434/16, BeckRS 2017, 118086 Rn. 50.
- (46) Pieper, in: Dauses/Ludwigs EU-WirtschaftsR-HdB, 53. EL, Stand: Juli 2021, B. B.I. Rechtsquellen Rn. 8.
- (47) Rat der Europäischen Union, Ratsdokument 7978/1/15 REV 1, Fn. 59, abrufbar unter: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST 7978-2015-REV-1/de/pdf (zuletzt abgerufen am: 17.12.2021).
- (48) Rat der Europäischen Union, Ratsdokument 9565/15, S. 26, abrufbar unter: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-9565-2015-INIT/de/pdf (zuletzt abgerufen am: 17.12.2021).
- (49) Rat der Europäischen Union, Ratsdokument 7586/1/15 REV 1, S. 58, abrufbar unter: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST 7586-2015-REV-1/en/pdf (zuletzt abgerufen am: 17.12.2021) (nur in Englisch verfügbar).
- (50) Rat der Europäischen Union, Ratsdokument 10391/15, S. 75, abrufbar unter: https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-7586-2015-REV-1/en/pdf (zuletzt abgerufen am: 17.12.2021) (nur in Englisch verfügbar)