Urteil : Außerordentlich Kündigung wegen unberechtigter Datenlöschung in erheblichem Umfang : aus der RDV 2/2021, Seite 105 bis 106
(Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17. September 2020 – 17 Sa 8/20 –)
Löscht ein Arbeitnehmer im Anschluss an ein Personalgespräch, in dem der Arbeitgeber den Wunsch äußerte, sich vom Arbeitnehmer trennen zu wollen, vom Server des Arbeitgebers Daten in erheblichem Umfang (hier: 7,48 GB), nachdem er sich von einer Mitarbeiterin (Einkäuferin) mit den Worten „man sieht sich immer zweimal im Leben“ verabschiedet hatte, rechtfertigt dies die außerordentlich fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisse.
Aus den Gründen:
Die Löschung von Daten auf dem Server der Beklagten stellt an sich einen wichtigen Kündigungsgrund dar.
(1) Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 247; 27. Januar 2011 – 2 AZR 825/09 – Rn. 29, BAGE 137, 54). Das unbefugte, vorsätzliche Löschen betrieblicher Daten auf EDV-Anlagen des Arbeitgebers ist ebenso wie das Vernichten von Verwaltungsvorgängen (vgl. LAG Hamm 2. Juni 2005 – 15 Sa 126/05 – juris) daher grundsätzlich als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Dabei kommt es nicht maßgeblich darauf an, ob sich der Arbeitnehmer durch das Löschen von Daten nach § 303a StGB oder § 303b StGB strafbar gemacht hat (vgl. dazu: OLG Nürnberg 23. Januar 2013 – 1 Ws 445/12 – ZD 2013, 282; aA Floeth EWiR 2013, 529; kritisch: Popp jurisPR-ITR 7/2013 Anm. 3) auch nicht darauf, ob und mit welchem Aufwand ein Teil dieser gelöschten Daten wieder hergestellt werden konnte oder darauf, ob und in welchem Umfang die Arbeitgeberin für den weiteren Geschäftsablauf diese Daten tatsächlich benötigte.
Denn es gehört zu den vertraglichen Nebenpflichten eines Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB, dass der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber den Zugriff auf betriebliche Dateien nicht verwehrt oder unmöglich macht (vgl. LAG Hessen 5. August 2013 – 7 Sa 1060/10 – Rn. 62, RDV 2014, 167; Ebert ArbRB 2014, 378, 379; zum Löschen eines Programms auf dem dienstlichen Rechner vgl. LAG Sachsen 17. Januar 2007 – 2 Sa 808/05 – Rn. 70 ff., LAGE KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 96). Die sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Rücksichtnahmepflicht verlangt von den Parteien eines Arbeitsverhältnisses, gegenseitig auf die Rechtsgüter und Interessen der jeweils anderen Vertragspartei Rücksicht zu nehmen. Danach hat der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 19, aaO). Ein unbefugtes Löschen von dem Arbeitgeber zustehenden und an diesen in entsprechender Anwendung von § 667 BGB herauszugebenden Dateien stellt sich als erhebliche Pflichtverletzung dar. Dem Arbeitgeber steht ein Anspruch in entsprechender Anwendung von § 667 BGB auf Herausgabe der im Arbeitsverhältnis vom Arbeitnehmer erstellten oder von Dritten erlangten digitalen Unterlagen zu (vgl. MüKo-BGB/Schäfer 8. Aufl. § 667 Rn. 18; vgl. auch: Röckl NZA-RR 2016, 505). Nach § 667 BGB ist der Arbeitnehmer wie eine Beauftragter verpflichtet, dem Arbeitgeber alles, was er zur Ausführung der ihm übertragenen Arbeit erhalten und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt hat, herauszugeben. Diese auftragsrechtlichen Grundsätze finden auch bei Arbeitsverhältnissen Anwendung (vgl. BAG 21. August 2014 – 8 AZR 655/13 – Rn. 36, BAGE 149, 47; 14. Dezember 2011 – 10 AZR 283/10 – Rn. 17, AP BGB § 667 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 667 Nr. 2). Zur Ausführung der übertragenen Arbeit erhalten hat der Arbeitnehmer alles, was ihm zum Zwecke der Durchführung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt worden ist. Aus dem Arbeitsverhältnis erlangt ist jeder Vorteil, den der Arbeitnehmer aufgrund eines inneren Zusammenhangs mit dem Arbeitsverhältnis erhalten hat (vgl. BAG 21. August 2014 – 8 AZR 655/13 – aaO; 14. Dezember 2011 – 10 AZR 283/10 – Rn. 19, aaO mwN). Hierzu gehören Unterlagen, die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber bzw. dessen Repräsentanten zur Verfügung gestellt worden sind (§ 667 Alt. 1 BGB), und die, die er während des Arbeitsverhältnisses, beispielsweise durch einen Schriftverkehr mit Dritten, erlangt hat (§ 667 Alt. 2 BGB). Aus der Geschäftstätigkeit iSd. § 667 BGB erlangt sind auch die vom Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den Arbeitgeber selbst angelegten Akten, sonstige Unterlagen und Dateien – mit Ausnahme von privaten Aufzeichnungen (vgl. BAG 14. Dezember 2011 – 10 AZR 283/10 – Rn. 20, aaO; vgl. auch: BAG 24. November 1960 – 5 AZR 261/60 – AP LitUrhG § 11 Nr. 1). Wenn ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber eigenmächtig den Zugriff zu solchen Daten entzieht (vgl. zur Verwendung eines Sicherungsprogramms, welches die Zugriffsmöglichkeit für den Arbeitgeber verhinderte: LAG Mecklenburg-Vorpommern 18. Juli 2006 – 3 Sa 474/05 – juris) oder diese löscht, verstößt er derart gegen die selbstverständlichen Nebenpflichten eines jeden Arbeitnehmers, die Interessen des Arbeitgebers als seines Vertragspartners zu berücksichtigen, dass ein solches Verhalten in aller Regel zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt und die Fortsetzung bis zum Ende der Kündigungsfrist unzumutbar ist (vgl. LAG Hamm 16. März 2016 – 15 Sa 451/15 – Rn. 100, juris; LAG Hamburg 24. Februar 2015 – 2 TaBV 10/14 – Rn. 44, juris; LAG Hessen 5. August 2013 – 7 Sa 1060/10 – RDV 2014, 167; LAG Köln 24. Juli 2002 – 8 Sa 266/02 – NZA-RR 2003, 303; Ebert, ArbRB 2014, 378). Einer Abmahnung bedarf es in der Regel nicht, da ein Arbeitnehmer üblicherweise nicht annehmen kann, das unbefugte Löschen von geschäftlichen Daten werde vom Arbeitgeber hingenommen werden (vgl. Ebert ArbRB 2014, 378, 381). Ob eine Verletzung arbeitsvertraglicher (Neben-)Pflichten vorliegt, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Handelt der Arbeitnehmer in der Annahme, sein Verhalten sei rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (vgl. BAG 19. Januar 2016 – 2 AZR 449/15 – Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 257; 22. Oktober 2015 – 2 AZR 569/14 – Rn. 22, BAGE 153, 111).
(c) Der Kläger hat auch keinen – generellen – Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund substantiiert vorgetragen, der ihn berechtigte, Datenlöschungen vorzunehmen. Grundsätzlich stehen sämtliche Dateien in sämtlichen Stadien, dh. auch Entwurfsfassungen oder Vorkorrespondenzen dem Arbeitgeber zu; vorbereitende Unterlagen fallen unter § 667 BGB (vgl. MüKo-BGB/Schäfer § 667 Rn. 22). Der Kläger irrt, wenn er meint, er habe „seine“ Dateien auf „seinem“ Arbeitsplatz gelöscht. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht Sache der Beklagten zu recherchieren und vorzutragen, ob und ggf. in welchem weiteren Verzeichnis auf dem Server sich frühere oder spätere Versionen der Dateien oder ggf. Kopien befinden bzw. welche konkrete Personen in der Vergangenheit welche konkrete Dateien per E-Mail bereits erhalten haben, um einen Rechtfertigungsgrund auszuschließen. Vielmehr war es – im Sinne einer sekundären Darlegungslast – Sache des Klägers, den von ihm behaupteten Rechtfertigungsgrund für den komplett von ihm gelöschten Datenbestand vorzutragen, nachdem er den Löschvorgang ausgeführt und behauptet, für eine anderweitige Sicherung bzw. Speicherung und Verfügbarkeit des Datenbestands bei der Beklagten gesorgt zu haben. Das völlig pauschale Vorbringen des Klägers, er habe nur „aufgeräumt“ und Dateien gelöscht, welche nicht relevant bzw. ohnehin an anderen Speicherorten bereits vorhanden seien, ist nicht geeignet, einen Rechtfertigungsgrund darzustellen und die Beklagte daraufhin zu veranlassen, dieses Vorbringen entkräften und einen Rechtfertigungsgrund ausschließen zu müssen.