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Strafbares unbefugtes Verschaffen personenbezogener Daten mit Schädigungsabsicht : (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 202 StRR 126/21 –)

Die Strafvorschrift des Art. 23 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 lit. c) BayDSG geht der des § 42 Abs. 2 BDSG aufgrund der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a) BDSG vor, wenn es um Verstöße bayrischer Behördenbediensteter mit Meldedaten geht. (Nicht amtlicher Leitsatz)

Archiv RDV
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Sachverhalt

I.
Das Amtsgericht Aschaffenburg hat den Angeklagten am 26.07.2021 wegen „unerlaubten Verarbeitens personenbezogener Daten“ nach § 42 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BDSG zur Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Sprungrevision und rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.
Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte war im Zeitraum vom 12.10.2016 bis zum 26.11.2020 als Verwaltungsfachangestellter bei der Stadt … beschäftigt und dort als Mitarbeiter des Bürgerservicebüros tätig, wo er auch Zugriff auf Daten der Einwohnermeldedatei hatte. Am 12.10.2016 wurde er schriftlich auf die Wahrung des Meldegeheimnisses nach § 7 BMG verpflichtet und über strafrechtliche Konsequenzen einer Verletzung des Meldegeheimnisses belehrt.
Am 12.09.2020 kam es gegen 15:30 Uhr in Aschaffenburg zu einer Auseinandersetzung zwischen dem anderweitig Verfolgten … auf der einen Seite und den Zeugen … sowie … auf der anderen Seite, in deren Verlauf … die beiden Zeugen mit Pfefferspray besprühte.
Am 14.09.2020 schrieb … um 13:54 Uhr und 13:55 Uhr per WhatsApp an den Angeklagten, dass er die Adresse der beiden genannten Zeugen herausfinden und ihm dann übermitteln solle. Der Angeklagte führte daraufhin in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter im Bürgerservicebüro am 14.09.2020 eine Einwohnermeldeamtsanfrage hinsichtlich des Zeugen … durch und brachte so dessen aktuelle Wohnadresse in Erfahrung, die er umgehend seinem Bekannten … per WhatsApp mitteilte. Begleitend schrieb er: „Bruder wie immer hast du nicht von mir ….“
Der Angeklagte wusste, dass … die ihm übermittelte Wohnadresse der beiden Zeugen dazu nutzt, mit diesen die Auseinandersetzung vom 12.09.2020 zu „klären“, wobei dem Angeklagten auch klar war, dass … solche Angelegenheiten „mit Gewalt klärt“.
… gab die vom Angeklagten erlangten Daten an einen Unbekannten weiter, der die Zeugin … anrief und mit den Worten „Du kleine Hurentochter“ beleidigte.

 

III.
Die zulässige (Sprung-)Revision des Angeklagten führt lediglich zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

  1. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils wegen unerlaubten Verarbeitens personenbezogener Daten nach § 42 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BDSG ist zwar rechtsfehlerhaft, weil das Bundesdatenschutzgesetz nicht anwendbar ist. Jedoch rechtfertigen die getroffenen Feststellungen eine Verurteilung wegen unbefugten Verschaffens personenbezogener Daten mit Schädigungsabsicht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 lit. c) Bayerisches Datenschutzgesetz (BayDSG).

a) Die vom Amtsgericht zugrunde gelegte Strafbestimmung des § 42 Abs. 2 BDSG ist nicht anwendbar. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a) BDSG gilt das Bundesdatenschutzgesetz nur für die Verarbeitung von Daten durch öffentliche Stellen der Länder, wenn sie Bundesrecht ausführen und der Datenschutz nicht durch Landesgesetz geregelt ist. Zwar handelt es bei der Speicherung der Daten im Melderegister um die Ausführung des Bundesmeldegesetzes. Allerdings ist die in der genannten Vorschrift enthaltene negative Voraussetzung der fehlenden Regelung im Landesrecht nicht erfüllt. Vielmehr hat der Bayerische Landesgesetzgeber Vorschriften über den Datenschutz im Bayerischen Landesdatenschutzgesetz geregelt, dessen Anwendungsbereich auch für Kommunen eröffnet ist (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 BayDSG). Damit geht die Strafvorschrift des Art. 23 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 lit. c) BayDSG der vom Amtsgericht herangezogenen Bestimmung des § 42 Abs. 2 BDSG aufgrund der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a) BDSG vor (BayObLG, Beschl. v. 12.08.1998 – 5St RR 122/98 = BayObLGSt 1998, 130 = VwRR BY 1999, 68 = RDV 1999, 27 = NVwZ-RR 1999, 170 = StV 1999, 214 = DuD 1999, 543-544; BeckOK DatenschutzR/Brodowski/Nowak BDSG § 42 Rn. 14).

b) Allerdings sind die Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach Art. 23 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 lit. c) BayDSG nach den tatrichterlichen Feststellungen erfüllt.

aa) Bei den im Melderegister vom Angeklagten abgerufenen und seinem Bekannten übermittelten Anschriften der betroffenen Personen handelt es sich um personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO i.V.m. Art. 2 BayDSG, die durch eine Gemeinde, mithin eine öffentliche Stelle im Sinne des Art. 1 Abs. 1 BayDSG, gespeichert und deshalb gemäß Art. 4 Nr. 2 DSGVO i.V.m. Art. 2 BayDSG verarbeitet wurden.

bb) Der Angeklagte hat diese Daten, die er aus Dateien, nämlich dem Melderegister, erlangt hat, einem anderen verschafft, indem er sie seinem Bekannten weitergab.

cc) Die im Melderegister gespeicherten Daten waren auch „nicht offenkundig“ im Sinne des Art. 23 Abs. 1 BayDSG.

(1) Zwar hat der Bundesgerichtshof zum früheren Bundesdatenschutzrecht, das ebenfalls auf den Begriff der fehlenden Offenkundigkeit abgestellt hatte, solche Informationen, die Gegenstand einer einfachen Melderegisterauskunft gemäß § 21 Abs. 1 MRRG sein konnten, als offenkundig angesehen, weil die Auskunft nach dieser Bestimmung auf Antrag grundsätzlich jedem zu gewähren war (BGH, Urt. v. 22.06.2000 – 5 StR 268/99 = NStZ 2000, 596 = wistra 2000, 426 = BGHR StGB § 77 Abs 1 Verletzter 1 = BGHR StGB § 205 Abs 1 Verletzter 1 = BGHR StGB § 335 Abs 2 Nr 2 Annahme, fortgesetzte 1 = BGHR StGB § 353b Abs 1 Interessen, öffentliche 1 = BGHR BDSG § 1 Abs 2 Nr 1 Anwendungsbereich 1 = BGHR BDSG § 43 Abs 1 Offenkundigkeit 1 = BGHR BDSG § 43 Abs 4 Strafantragsberechtigung 1 = RDV 2001, 99 = StV 2002, 26).

(2) Diese Entscheidung beruhte indes auf anderen melderechtlichen Vorschriften, nämlich dem mittlerweile außer Kraft getretenen Melderechtsrahmengesetz, sodass deren Gründe einer Verurteilung im vorliegenden Fall nicht entgegenstehen.

(a) Offenkundig sind solche Tatsachen, von denen verständige und erfahrene Menschen ohne weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich jederzeit durch Benutzung allgemein zugänglicher, zuverlässiger Quellen unschwer überzeugen können (BGH, Urt. v. 08.10.2002 – 1 StR 150/02 = BGHSt 48, 28 = NJW 2003, 226 = NStZ 2003, 148 = BGHR StGB § 203 Abs 2 S 2 Gleichstellungsklausel 1 = JR 2003, 290). Die Offenkundigkeit ist damit gleichzusetzen mit der in § 42 Abs. 2 BDSG normierten allgemeinen Zugänglichkeit der Daten. Von allgemeiner Zugänglichkeit ist nur dann auszugehen, wenn die Daten ohne rechtliche Schranken von jedermann zur Kenntnis genommen werden können, d.h. die Auskunft nicht von rechtlichen Voraussetzungen abhängt (BGH, Urt. vom 04.06.2013 – 1 StR 32/13 = BGHSt 58, 268 = NJW 2013, 2530 = StraFo 2013, 369 = ZD 2013, 502 = BGHR BDSG § 43 Abs 2 Nr. 1 Daten, personenbezogene – nicht allgemein zugänglich 1 = JR 2014, 76 = StV 2014, 221 = NStZ-RR 2014, 187 = NZV 2014, 369).

(b) Da aber die Melderegisterauskunft nach § 44 BMG rechtlichen Schranken unterliegt, sind die im Melderegister gespeicherten Daten keineswegs allgemein zugänglich und damit auch nicht offenkundig im Sinne des Art. 23 Abs. 1 BayDSG. Nach § 44 Abs. 3 Nr. 2 BMG ist nämlich zumindest eine Erklärung, die Daten nicht für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels zu verwenden, erforderlich (vgl. Kühling/Buchner/Bergt BDSG § 42 Rn. 11; im Ergebnis ebenso: BeckOK DatenschutzR/Brodowski/Nowak BDSG § 42 Rn. 27). Die mittlerweile außer Kraft getretene Vorschrift des § 21 Abs. 1 MRRG, die der zitierten höchstrichterlichen Entscheidung (BGH, Urt. v. 22.06.2000 – 5 StR 268/99) zugrunde lag, hatte einen anderen Regelungsinhalt als die im vorliegenden Fall einschlägige Bestimmung des § 44 BMG. Während die einfache Melderegisterauskunft nach § 21 Abs. 1 MRRG an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft war, sieht § 44 BMG Einschränkungen vor, unter denen die einfache Melderegisterauskunft nicht erteilt werden darf, sodass es sich dabei gerade nicht um „offenkundige“ Fakten handelt.

dd) Die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils belegen auch das Handeln des Angeklagten in Schädigungsabsicht im Sinne des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 BayDSG. Entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte im Sinne eines zielgerichteten Wollens beabsichtigte, dass der Empfänger der Daten den Personen, deren Daten offenbart wurden, Gewalt tatsächlich antun würde. Vielmehr liegt der vom Angeklagten beabsichtigte und überdies auch eingetretene Schaden schon darin, dass er seinem Bekannten die Daten zum Wohnsitz preisgab, weil damit die vom Angeklagten erkannte Gefahr erhöht wurde, dass der Empfänger der Daten gewalttätig gegen die betroffenen Personen vorgeht.

Unabhängig davon belegt der nachträgliche Chat-Verkehr zwischen dem Angeklagten und seinem Bekannten sogar, dass es dem Angeklagten auch darum ging, dass die betroffenen Personen körperlich attackiert werden sollten. Anders kann die Telekommunikation zwischen dem Angeklagten und … am Abend des 14.09.2021 nicht interpretiert werden. Darin schrieb der Angeklagte unter anderem „hast du ihm richtig gegeben Bruder“, worauf … antwortete: „Ja bruder nasen bruch“. Soweit die Revision in der Gegenerklärung die Auffassung vertritt, es handele sich hierbei nicht um eine Sachverhaltsfeststellung, vermag der Senat dem nicht beizutreten. Der Umstand, dass diese zweifelsfrei getroffene Feststellung erst im Rahmen der Beweiswürdigung geschildert wird, ändert nichts, weil die Urteilsgründe eine Einheit bilden (vgl. nur BGH, Urt. v. 23.01.2020 – 3 StR 433/19 = NStZ 2020, 554; 21.03.2017 – 1 StR 486/16 = StV 2018, 727).

ee) Das Verhalten des Angeklagten war auch unbefugt.
Unbeschadet des Umstands, dass schon aus den oben genannten Gründen die formellen Voraussetzungen für eine Melderegisterauskunft nach § 44 Abs. 3 Nr. 2 BMG nicht vorlagen, belegt die Vorschrift des § 51 BMG, wonach wegen der bestehenden Gefahr für die Gesundheit der betroffenen Personen sogar die Eintragung einer Auskunftssperre durch den Angeklagten als Mitarbeiter der Behörde hätte veranlasst werden müssen, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens in nachdrücklicher Weise. Zudem handelte es sich um einen evidenten Fehlgebrauch des von § 44 Abs. 1 BMG eingeräumten Ermessens, zumal dem Angeklagten bekannt war, dass es seinem Bekannten darum ging, mit der erlangten Adresse gegen die betroffenen Personen Gewalt anzuwenden, mithin strafbare Handlungen zu verwirklichen, und der Angeklagte durch Erteilung der Meldeauskunft hierbei behilflich sein wollte.

2.
Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO. Die Vorschrift des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil nicht ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte anders als geschehen hätte verteidigen können.

3.
Der Rechtsfolgenausspruch hat Bestand. Der vom Amtsgericht herangezogene Strafrahmen des § 42 Abs. 2 BDSG ist mit demjenigen der einschlägigen Bestimmung des Art. 23 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 lit. c BayDSG identisch, und auch die Strafzumessung im engeren Sinn weist keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.