DA+

Urteil : Unternehmenshaftung nach der DS-GVO erfordert weder Verschulden eines Repräsentanten noch Aufsichtspflichtverletzung : aus der RDV 2/2024, Seite 109-111

(KG, Beschluss vom 22. Januar 2024 – 3 Ws 250/21 –)

Archiv RDV
Lesezeit 8 Min.

Relevanz für die Praxis

Das KG hat in seinem Urteil die Entscheidung des EuGH im vorausgegangenen Vorabentscheidungsverfahren umgesetzt. Der EuGH hat hier klargestellt, dass Unternehmen nicht nur für Datenschutzverstöße, die von ihren Vertretern, Leitern oder Geschäftsführern begangen werden, haften, sondern für Zuwiderhandlungen sämtlicher Mitarbeiter. Weiter hat der EuGH festgestellt, dass eine Haftung nicht auf diejenigen Fälle begrenzt werden darf, in denen der Verstoß einer individualisierten natürlichen Person zugerechnet werden kann. Vielmehr werden die Verstöße dem Unternehmen direkt zugerechnet. Das KG spricht in seinem Urteil von einer „genuinen Verbandstat“.

Die „Verbandstat“ muss, auch das hat der EuGH bestimmt, vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sein. D.h. für die Praxis, der Verstoß gegen die DS-GVO muss erkennbar und vermeidbar gewesen sein. Das KG stellt diesbezüglich ausdrücklich klar, dass eine Verbandshaftung weder das Verschulden eines Repräsentanten noch einer Aufsichtspflichtverletzung bedarf. Die §§  130, 30 OWiG bleiben damit im Kontext der DS-GVO unanwendbar. Eine Exkulpation für Unternehmen dürfte daher in Zukunft, wenn der Verstoß war, zumeist nur noch über das Konstrukt des Exzesses möglich sein.

Durch die Urteile von EuGH und KG wird das Haftungsregime für Unternehmen nach der DS-GVO deutlich verschärft. Ein Haftungsausschluss unter Verweis auf eine sachgemäße Unternehmensstruktur wird voraussichtlich kaum noch möglich sein. Das hat bedeutende Auswirkungen für die Praxis. Es wird nach dem Urteil noch wichtiger, Compliance-Mechanismen zu schaffen, die Mitarbeiter im Bereich des Datenschutzes schulen, um Datenschutzverstöße effektiv und nachhaltig zu verhindern.

  1. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 05.12.2023 [C-807/21]) können die in Art. 83 DS-GVO vorgesehenen Geldbußen unmittelbar gegen juristische Personen verhängt werden, wenn diese als für die Datenverarbeitung Verantwortliche einzustufen sind.
  2. Hiernach erfordert eine Verbandshaftung weder das Verschulden eines Repräsentanten (§  30 OWiG) noch eine Aufsichtspflichtverletzung (§  130 OWiG). Vielmehr sind Unternehmen im Deliktsbereich der DS-GVO per se schuldfähig.
  3. Die vom EuGH für den Bereich der DS-GVO entwickelten sachlich-rechtlichen Grundzüge der Verbandsgeldbuße überformen, prägen und gestalten auch das diesbezügliche nationale Verfahrensrecht (hier § 66 OWiG). 4. Der Bußgeldbescheid muss die natürliche Person, der eine Pflichtverletzung ggf. zur Last fällt, nicht bezeichnen.

Aus den Gründen:

  1. Dass die Betroffene als juristische Person taugliche Adressatin eines Bußgeldbescheids sein kann und als solche zudem unmittelbar und nicht nur als Verfahrens- oder Nebenbeteiligte bebußt werden kann, ergibt sich aus dem in diesem Verfahren ergangenen Urteil des EuGH (Urt. v. 05.12.2023 – C-807/21 – [juris]). Der Gerichtshof führt aus, es sei möglich, „die in Art. 83 DS-GVO für solche Verstöße vorgesehenen Geldbußen unmittelbar gegen juristische Personen zu verhängen, wenn diese als für die betreffende Verarbeitung Verantwortliche eingestuft werden können“ (Rn. 44). Dies folgt, so der EuGH weiter, daraus, dass Unternehmen „nicht nur für Verstöße haften, die von ihren Vertretern, Leitern oder Geschäftsführern begangen wurden, sondern auch für Verstöße, die von jeder anderen Person begangen wurden, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit und im Namen dieser juristischen Personen handelt“ (Rn. 44). Die hierdurch – und zwar unabhängig von einem individualisierbaren Organisationsdefizit oder einer Aufsichtspflichtverletzung – möglich gewordene unmittelbare Bebußung von juristischen Personen wird auch durch die Verteidigung, soweit aus ihrem Schriftsatz vom 15.01.2024 ersichtlich, nicht mehr in Frage gestellt.
  2. Der Bußgeldbescheid der BlnBDI erfüllt die Wirksamkeitsvoraussetzungen des §  66 Abs.  1 OWiG und stellt eine ausreichende Verfahrensgrundlage dar. Ein Verfahrenshindernis besteht insoweit nicht.

a) Nach §  66 OWiG muss der Bußgeldbescheid „die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften“ enthalten. Der Bußgeldbescheid muss den Tatvorwurf nach gefestigtem Verständnis formal und sachlich umgrenzen (Umgrenzungsfunktion) und den Betroffenen ausreichend über den Tatvorwurf unterrichten (Informationsfunktion) (vgl. BGHSt 23, 336; Senat Verkehrsrecht aktuell 2019, 123 [Volltext bei juris]; OLG Celle ZfSch 2015, 649).

b) Hier ist rechtstechnisch zusätzlich zu beachten, dass die in §  66 OWiG niedergelegten verfahrensbezogenen Anforderungen an die Gestaltung des Bußgeldbescheids den durch den EuGH formulierten Grundsätzen des materiellen Rechts folgen. Die vom EuGH entwickelten sachlich-rechtlichen Grundzüge der Verbandsgeldbuße überformen, prägen und gestalten das diesbezügliche nationale Verfahrensrecht. Formuliert der EuGH etwa, die Bebußung erfordere nicht, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46), so folgt daraus zwingend, dass sich die Bezeichnung einer solchen natürlichen Person auch nicht aus dem nationalen Verfahrensrecht, hier § 66 OWiG, ergeben muss.

Der Auffassung der Verteidigung, die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids als Verfahrensvoraussetzung bemesse sich nach § 66 OWiG, trifft damit allgemein zu, denn eine Suspendierung der gesamten Vorschrift steht auch angesichts des nun anzuwendenden europarechtskonformen Verantwortungs- und Haftungsregimes nicht in Rede. Vielmehr sieht Art. 83 Abs. 8 DS-GVO vor, dass die „Ausübung der eigenen Befugnisse durch eine Aufsichtsbehörde“ unionsrechtskompatiblen Verfahrensgarantien „einschließlich wirksamer gerichtlicher Rechtsbehelfe und ordnungsgemäßer Verfahren“ unterliegt. Daher verweist § 41 BDSG auf Verfahrensvorschriften des OWiG und der StPO, und auch § 66 OWiG ist als grundlegendes nationales Verfahrensrecht anwendbar. Seine Auslegung allerdings richtet sich hier nach den sachlichrechtlichen Vorgaben des übergeordneten Europarechts in der durch den EuGH nun gegebenen Ausprägung.

c) Unter Zugrundelegung der Maßgaben aus der Vorabentscheidung des EuGH und ihrer Weiterungen auf das nationale Verfahrensrecht erfüllt der Bußgeldbescheid der BlnBDI die Voraussetzungen des § 66 OWiG. Ohne Weiteres grenzt der Bußgeldbescheid den Gegenstand des Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht ab, und die Betroffene kann mühelos erkennen, welcher konkrete Vorwurf gegen sie erhoben wird. Namentlich die durch §  66 Abs.  1 Nr. 3 OWiG erforderten Essentialia, nämlich die „Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird“ sowie „Zeit und Ort ihrer Begehung“, sind bei der gebotenen funktionalnormativen Betrachtung eingehalten.

Der Bußgeldbescheid wirft der Betroffenen vor, es zwischen dem 25.05.2018 und dem 05.03.2019 vorsätzlich unterlassen zu haben, die notwendigen Maßnahmen zur Ermöglichung der regelmäßigen Löschung nicht mehr benötigter oder in sonstiger Weise zu Unrecht gespeicherter Daten von Mietern zu treffen. Weiter wird ihr vorgeworfen, personenbezogene Daten von mindestens 15 näher bezeichneten Mietern fortgesetzt gespeichert zu haben, obgleich bekannt gewesen sei, dass dies nicht oder nicht mehr erforderlich war.

Diese – hier nur kursorisch zusammengefassten – Vorwürfe sind im Bußgeldbescheid ausgesprochen konkret und ausführlich dargestellt. Der Bußgeldbescheid bezeichnet die insgesamt 16 Tathandlungen auf mehr als 17 Seiten in einer ausdifferenzierten und nachgerade ziselierten Weise. Die Ausführungen vermitteln der Betroffenen präzise, was ihr vorgeworfen wird, und sie ermöglichen es ihr, sich hiergegen zu verteidigen. Dabei ist auch zu beachten, dass es sich bei den vorgeworfenen Handlungen (oder Unterlassungen) ersichtlich um keine Individualexzesse in einem Dunkelbereich des Unternehmens handelt. Gegenstand des Bußgeldverfahrens bildet die Speicherung bzw. Archivierung (oder Nichtlöschung) von Kundendaten. Es geht um einfach gelagerte und verständliche Sachverhalte und im Letzten um gewöhnliche Vorgänge in einem operativen Unternehmensbereich.

d) Nicht folgen kann der Senat der Überlegung der Betroffenen, der Bußgeldbescheid müsse konkretisieren, „welches Organ durch welche Handlung die Voraussetzungen des § 30 OWiG erfüllt hat“. Abgesehen davon, dass der Bußgeldbescheid die Rechtsverstöße auch in ihrer Entstehung („Handlung“) durchaus nachvollziehbar darstellt und umreißt, deduziert sich ein solches Erfordernis aus der überkommenen Vorstellung, eine Verbandshaftung erfordere das Verschulden eines Repräsentanten (§ 30 OWiG) oder eine Aufsichtspflichtverletzung (§  130 OWiG). Sie lässt die europarechtlichen Einflüsse auf das Verbandsanktionenrecht außen vor und missachtet die Rechtsprechung des EuGH im hiesigen Vorabentscheidungsverfahren. Wenn der EuGH ausdrücklich formuliert, die Bebußung erfordere nicht, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46), so stellt er klar, dass juristische Personen dafür verantwortlich sind, dass Daten im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit rechtmäßig verarbeitet werden (Rn. 44). Sanktioniert wird hiernach nicht (nur) eine fehlerhafte Organisation, sondern gerade die Pflichtverletzung des Verbands bzw. im Verband, als „genuine Verbandstat“ (vgl. als Kritik an der überkommenen nationalen Rechtslage: HK-OWiG/ Schmitt-Leonardy, 2. Aufl., §  30 Rn. 13). Nach der Vorabentscheidung des EuGH ist auch eine juristische Person schuldfähig, so dass es zu einem Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Haftbarkeit kommt (vgl. Grages/Strassemeyer, CR 2024, 10). Damit fallen alle Personen, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit handeln, in den abstrakten Verantwortungskreis der juristischen Person, und selbst eine normentsprechende Organisation führt – jedenfalls in aller Regel – nicht zur Exkulpation. Dies entspricht dem Effektivitätsgrundsatz des europäischen Rechts.

Dass der Verband (materiell-rechtlich) allein datenschutzrechtlich Verantwortlicher ist (vgl. Wünschelbaum, DSB 2024, 15), wirkt sich damit unmittelbar auf die verfahrensrechtlich gebotene Darstellungsdichte im Bußgeldbescheid aus. Insbesondere muss dieser gerade nicht bezeichnen, welchem Repräsentanten oder welchem „Organ“ welche konkrete Handlung oder welches konkrete Unterlassen zur Last fällt. Im Übrigen bleibt es aber auch insoweit dabei, dass der hier zu beurteilende Bußgeldbescheid die Tathandlungen bemerkenswert und – gemessen an den vom EuGH formulierten materiell-rechtlichen Haftungsvoraussetzungen ersichtlich – überobligatorisch konkret darstellt.

e) Auch kann sich der Senat der noch weitergehenden Überlegung der Verteidigung nicht anschließen, es sei sogar „unverzichtbar, dass ein Bußgeldbescheid die verfahrensmaßgeblichen Handlungen der natürlichen Person beschreibt“, um einen Vorwurf gegen den Verband „erkennen, abgrenzen, bewerten und sich gegen ihn verteidigen zu können“. Auch diese Auffassung verstößt eklatant gegen das im hiesigen Verfahren ergangene Urteil des EuGH. Das durch die Verteidigung erkannte Erfordernis geht darüber hinweg, dass eine Sanktionierung gerade nicht erfordert, dass ein „Verstoß von einer identifizierten natürlichen Person begangen wurde“ (Rn. 46). Dieses klare EuGH-Diktum ist mit der Forderung der Verteidigung, der Bußgeldbescheid müsse die „Handlung der natürlichen Person beschreiben“, ersichtlich unvereinbar. Allerdings gilt auch insoweit: Der Bußgeldbescheid beschreibt die vorgeworfenen Handlungen – zum großen Teil in der Form des Unterlassens der Löschung, teilweise als unterlassene Kennzeichnung von Daten – nachvollziehbar und deutlich. Der Betroffenen ist es möglich und unbenommen, im Bußgeldverfahren darzustellen, dass die Daten nicht gespeichert oder rechtmäßig gespeichert und ggf. rechtzeitig gelöscht wurden. Jedenfalls unter Zugrundelegung der vom EuGH umrissenen Grundzüge einer umfassenden Unternehmensverantwortung ist nicht ersichtlich, dass eine noch ausführlichere und noch „konkretere“ Darstellung der Tatvorwürfe im Bußgeldbescheid die Verteidigungsmöglichkeiten der Betroffenen substanziell erweitern könnte. Durch das EuGH-Judikat verringerte Exkulpationsmöglichkeiten sind nicht Folge eines unkonkret bleibenden Bußgeldbescheids, sondern einer dem Effektivitätsgrundsatz geschuldeten europarechtskonform erweiterten Verbandsverantwortung.

f) Folgerichtig ist der Verteidigung schließlich auch darin zu widersprechen, die Bezeichnung der dem Organ vorwerfbaren Tat sei unerlässliche Voraussetzung des Bußgeldbescheids. Dieses ehedem bestehende Erfordernis, das dem limitierten Haftungsregime des nationalen Rechts folgte, ist durch die im hiesigen Verfahren ergangene Vorabentscheidung des EuGH zu einer umfassenden Verbandsverantwortung nach kartellrechtlichem Vorbild obsolet. In dieser heißt es, „dass die Anwendung von Art. 83 DS-GVO keine Handlung und nicht einmal eine Kenntnis seitens des Leitungsorgans“ voraussetzt (Rn. 77).

Zur Vertiefung

Schwartmann/Burkhardt, Rechts- oder Funktionsträgerprinzip? Unternehmenshaftung nach der Datenschutz-Grundverordnung auf dem rechtlichen Prüfstand = RDV 5/20