Erforderlichkeit und Interessengerechtigkeit der Videoüberwachung im öffentlichen Raum
Das Interdisziplinäre Zentrum für Recht der Informationsgesellschaft (ZRI) der Universität Oldenburg nähert sich den Problemen der privaten und staatlichen Videoüberwachung im öffentlichen Raum aus den Blickwinkeln verschiedener Forschungsdisziplinen. Im Mittelpunkt der materiell-rechtlichen Beurteilung von Überwachungsanlagen stehen die Fragen der Erforderlichkeit einer Überwachung für bestimmte Zwecke und der Interessenabwägung zwischen Einsatzzwecken und Belangen der bildlich Erfassten (I.). In beiden Punkten ist das Recht auf technische und sozialwissenschaftliche Aussagen angewiesen. Interdisziplinäre Forschung sollte hierzu also einen wichtigen Beitrag leisten (II.). Es hat sich gezeigt, dass das Recht in der gegenwärtigen Umbruchsituation Ansatzpunkte bietet, künftig einen Interessenausgleich zwischen Sicherheitsbedürfnissen und Schutz der Privatsphäre zustande zu bringen (III.). Dazu ist es unausweichlich, den „Privacy by Design“-Ansatz verstärkt zu institutionalisieren (IV.).
Sicherheit im öffentlichen Raum ist ein Grundbedürfnis einer zivilisierten Gesellschaft.
Das öffentliche Leben kann sich nur frei von Bedrohung und Angst voll entfalten. Videoüberwachung soll hierzu einen Beitrag leisten, indem sie von Straftaten abschreckt oder die Verfolgung der Täter unterstützt. Videoüberwachung erfasst jedoch alle Personen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten, und nimmt Einfluss auf deren Verhalten. Ende 2018 hat das BVerfG unterstrichen, dass es zur Freiheitlichkeit eines Gemeinwesens gehöre, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen könnten, ohne dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt zu sein. Der „Düsseldorfer Kreis“ der unabhängigen Datenschutzbehörden spricht von einem Recht, sich in der Öffentlichkeit frei zu bewegen, ohne dass das Verhalten permanent mit Hilfe von Kameras beobachtet oder aufgezeichnet wird.
Dass dieses Recht in Gefahr ist, wird seit der erweiterten Kennzeichnungspflicht infolge der DSGVO noch augenfälliger. Hinweise auf Überwachungskameras springen den Passanten jetzt permanent ins Auge. Zu den zahlreichen festinstallierten kommen noch viele mobile Kameras. Der vorliegende Beitrag geht v. a. den Fragen nach, warum es in der Rechtspraxis schwer ist, die Persönlichkeitsrechte der von Videokameras potenziell Erfassten zu schützen, und wie ein Interessenausgleich möglich ist.
I. Schutz durch die Rechtsprechung
Um Probleme der Rechtspraxis besser zu verstehen, werden drei Urteile der Jahre 2017/18 untersucht, die überwachungskritische Entscheidungen der Behörden oder unterer Instanzen aufheben. Es gibt aus dieser Zeit auch Urteile, die das Behördenhandeln bestätigen. Aber die ausgewählten Urteile eignen sich besonders zur Analyse, woran der Privatsphärenschutz bei der Videoüberwachung scheitern kann.
1. Videoüberwachung im öffentlichen Personennahverkehr (OVG Lüneburg)
Die ÜSTRA AG setzt in Hannover Busse und Bahnen mit feststehenden Videokameras ein, die durchgehend Bilder vom Fahrzeuginnenraum aufzeichnen. Der festinstallierte Ringspeicher wird nach 24 Stunden überschrieben. Nach dem Blackbox-Verfahren findet keine Überwachung in Echtzeit statt. Nur bei Anlass werden Aufnahmen gesichert. Gegen den Bescheid des Landesbeauftragten für den Datenschutz vom 29.08.2014, die Videoüberwachung im ÖPNV einzustellen, klagte die ÜSTRA und bekam beim VG Hannover aus formalen Gründen Recht. Die Datenschutzbehörde verlangte in der Berufung erneut einen differenzierten Einsatz von Videokameras je nach Tageszeit und Linie unter Berücksichtigung der konkreten Gefahrenlage. Das OVG Lüneburg verwarf die Berufung jedoch mit nunmehr materiellrechtlicher Begründung unter Anwendung von § 6b BDSG aF (jetzt § 4 BDSG).
a) Erforderlichkeit
Die Videoüberwachung diene der Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG aF. Insgesamt werden vom OVG drei Zwecke anerkannt:
- Verfolgung von Straftaten bei der Fahrgastbeförderung und Sicherung von Beweismaterial,
- Gefahrenabwehr einschließlich der Verhütung von Straftaten,
- Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Fahrgäste als Nebenzweck.
Das OVG hat keine Zweifel an der Erforderlichkeit einer zeitlich unbegrenzten und auf allen Fahrstrecken stattfindenden Videoüberwachung. Die Erforderlichkeit sieht das OVG durch das Zahlenmaterial der ÜSTRA über zahlreiche Störungen in Bussen und Bahnen objektiv belegt. Aus einer Übersicht „Sicherheitsrelevante Vorfälle in Fahrzeugen“ zwischen März 2009 und Juni 2014 gehe hervor, dass in diesem Zeitraum insgesamt 1740 sicherheitsrelevante Vorfälle erfasst worden seien – mit etwa konstanter jährlicher Anzahl (also ca. 330 Vorfälle pro Jahr). Es handele sich um Vandalismus, tätliche Angriffe auf Fahrzeuge, Mitarbeiter und Fahrgäste, verbale Angriffe wie Pöbeleien, Beleidigungen, Belästigungen oder Bedrohungen sowie um schwere Straftaten wie sexuelle Nötigung, Körperverletzung, Raub und Diebstahl.
b) Interessenabwägung
Das OVG Lüneburg entwickelt für die nach § 6b Abs. 1 und 3 BDSG aF vorgesehene Interessenabwägung den Maßstab, dass eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte umfassende Abwägung zwischen den durch die Zwecke der Videoüberwachung bestimmten grundrechtlich geschützten Positionen der Anwender von Videotechnik und den Interessen derjenigen, die Objekt der Videoüberwachung seien, durchzuführen sei. Anhaltspunkte für das Überwiegen schutzwürdiger Interessen der Betroffenen sieht das OVG im vorliegenden Fall nicht.
2. Videoüberwachung in einer Apotheke (OVG Saarlouis)
Nach einer Anordnung der Landesbeauftragten für Datenschutz im Saarland vom 30.07.2014 wird der Eigentümer einer Apotheke aufgefordert, u. a. die Videoüberwachung im Verkaufsraum einzustellen. Dagegen erhebt dieser Klage, die jedoch im Hinblick auf die drei Kameras im Verkaufsraum ohne Erfolg bleibt. Das VG Saarlouis hat die Klage insoweit abgewiesen, weil es u. a. nicht nachvollziehbar fand, dass das Ziel einer Reduzierung des Warenfehlbestands mit der Überwachung tatsächlich erreicht werden könne. Der Berufung hiergegen gab das OVG Saarlouis statt.
Die Videoüberwachung, mit der sich der Kläger gegen Diebstahl im Verkaufsraum schützen möchte, sei ein Fall der Wahrnehmung des Hausrechts und diene zugleich der Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 6b Abs. 1 Nr. 2 und 3 BDSG aF. Allerdings müsse das Interesse objektiv begründbar sein und sich aus einer konkreten Gefahrenlage ergeben. Dies sieht das OVG durch die Angaben des Klägers bestätigt. Es sei bereits beim Erwerb der Apotheke von einem Wirtschaftsprüfer ein außergewöhnlich hoher Schwund festgestellt worden, was den Schluss auf Diebstähle zugelassen habe. Im Jahr 2011 sei außerdem eine Lagerdifferenz in Höhe von etwa 44.000 Euro zu verzeichnen gewesen. Diese Differenz liege, so der Kläger, über dem für Apotheken üblichen Normbereich.
Die Videoüberwachung wird auch im Interesse des Eigentumsschutzes vom OVG für erforderlich gehalten. Nach allgemeinem Begriffsverständnis setze dies voraus, dass die Videoüberwachung für den jeweiligen Zweck geeignet sei und kein milderes Mittel zur Verfügung stehe, mit dem der Zweck ebenso wirksam erreicht werden könne. Es sei, so das OVG, nicht notwendig, die am besten geeignete Alternative zu identifizieren. Die Erreichung des maßgeblichen Zwecks müsse nur sinnvoll gefördert werden. Hierzu sei eine Videobeobachtung des Verkaufsraums in der Lage. Denn es entspräche allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Wahrscheinlichkeit, dass derartige Taten begangen würden, umso geringer sei, je höher das Risiko sei, entdeckt und zur Verantwortung gezogen zu werden.
Irrelevant sei der Warenschwund nach Installation der Kameras im Jahr 2008. Denn für die Geeignetheit sei unerheblich, dass solche Vorfälle auch in Zukunft nicht ganz unterbunden werden könnten. Die Kameras existieren also seit 2008. Dennoch wird eine Lagerdifferenz des Jahres 2011 herangezogen, um die Erforderlichkeit der Kameras zu begründen.
Anhaltspunkte für ein Überwiegen schutzwürdiger Interessen der bildlich Erfassten sieht das OVG nicht. Die Intensität des Eingriffs sei im Einzelfall nicht hoch. Der Besuch einer Apotheke sei weder ehrenrührig noch ein Indiz für das Vorliegen einer Erkrankung im Sinne eines sensiblen Gesundheitsdatums. Das OVG erwägt, ob Rezepte oder Verpackungen von Medikamenten, die Personen entgegennähmen, sensible Daten offenbaren könnten. Letztlich stellt es aber fest, dass die Videoaufnahmen nur zeigten, was ein beliebiger Beobachter ebenfalls sähe. Die nur theoretisch bestehende Möglichkeit, aufgezeichnete Videos ohne ausreichenden Grund weiterzugeben oder im Internet zu veröffentlichen, führe für sich genommen nicht zur Unzulässigkeit, da andernfalls Videoaufzeichnungen, welche § 6b BDSG ausdrücklich erlaube, praktisch generell nicht mehr möglich wären.
Ähnlich wie beim OVG Lüneburg wird auch hier nicht ausreichend gewichtet, was Videoaufnahmen an persönlichen Informationen offenbaren können. Isoliert betrachtet mag es sich um relativ belanglose Daten handeln. Es bleibt jedoch fraglich, wie „theoretisch“ das Risiko eines Datenlecks tatsächlich ist und wie die Daten gespeichert und gesichtet werden.
Die Videoüberwachung, mit der sich der Kläger gegen Diebstahl im Verkaufsraum schützen möchte, sei ein Fall der Wahrnehmung des Hausrechts und diene zugleich der Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 6b Abs. 1 Nr. 2 und 3 BDSG aF. Allerdings müsse das Interesse objektiv begründbar sein und sich aus einer konkreten Gefahrenlage ergeben. Dies sieht das OVG durch die Angaben des Klägers bestätigt. Es sei bereits beim Erwerb der Apotheke von einem Wirtschaftsprüfer ein außergewöhnlich hoher Schwund festgestellt worden, was den Schluss auf Diebstähle zugelassen habe. Im Jahr 2011 sei außerdem eine Lagerdifferenz in Höhe von etwa 44.000 Euro zu verzeichnen gewesen. Diese Differenz liege, so der Kläger, über dem für Apotheken üblichen Normbereich.
Die Videoüberwachung wird auch im Interesse des Eigentumsschutzes vom OVG für erforderlich gehalten. Nach allgemeinem Begriffsverständnis setze dies voraus, dass die Videoüberwachung für den jeweiligen Zweck geeignet sei und kein milderes Mittel zur Verfügung stehe, mit dem der Zweck ebenso wirksam erreicht werden könne. Es sei, so das OVG, nicht notwendig, die am besten geeignete Alternative zu identifizieren. Die Erreichung des maßgeblichen Zwecks müsse nur sinnvoll gefördert werden. Hierzu sei eine Videobeobachtung des Verkaufsraums in der Lage. Denn es entspräche allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Wahrscheinlichkeit, dass derartige Taten begangen würden, umso geringer sei, je höher das Risiko sei, entdeckt und zur Verantwortung gezogen zu werden. Irrelevant sei der Warenschwund nach Installation der Kameras im Jahr 2008. Denn für die Geeignetheit sei unerheblich, dass solche Vorfälle auch in Zukunft nicht ganz unterbunden werden könnten.
Die Kameras existieren also seit 2008. Dennoch wird eine Lagerdifferenz des Jahres 2011 herangezogen, um die Erforderlichkeit der Kameras zu begründen. Ansonsten wird ähnlich wie im Fall des OVG Lüneburg eine allgemeine Mutmaßung über die Wirksamkeit der Videoüberwachung für aussagekräftiger gehalten als das dürftige Zahlenmaterial.
Als milderes, gleich wirksames Mittel zur Zweckerreichung zieht das OVG Wachpersonal in Betracht, das jedoch wirtschaftlich nicht zumutbar sei. Auch die Überwachung des Verkaufsraumes durch eigene Mitarbeiter des Klägers stelle keine gleich geeignete Maßnahme dar, da diese mit Kunden beschäftigt seien. Diese Aussage ist gewagt, da über den tatsächlichen Grad der Eignung der Videoüberwachung aus den Angaben des Klägers wenig hervorgeht.
Anhaltspunkte für ein Überwiegen schutzwürdiger Interessen der bildlich Erfassten sieht das OVG nicht. Die Intensität des Eingriffs sei im Einzelfall nicht hoch. Der Besuch einer Apotheke sei weder ehrenrührig noch ein Indiz für das Vorliegen einer Erkrankung im Sinne eines sensiblen Gesundheitsdatums. Das OVG erwägt, ob Rezepte oder Verpackungen von Medikamenten, die Personen entgegennähmen, sensible Daten offenbaren könnten. Letztlich stellt es aber fest, dass die Videoaufnahmen nur zeigten, was ein beliebiger Beobachter ebenfalls sähe. Die nur theoretisch bestehende Möglichkeit, aufgezeichnete Videos ohne ausreichenden Grund weiterzugeben oder im Internet zu veröffentlichen, führe für sich genommen nicht zur Unzulässigkeit, da andernfalls Videoaufzeichnungen, welche § 6b BDSG ausdrücklich erlaube, praktisch generell nicht mehr möglich wären.
Ähnlich wie beim OVG Lüneburg wird auch hier nicht gewichtet, was Videoaufnahmen an sehr persönlichen Informationen offenbaren können. Isoliert mag es sich auch hier um relativ belanglose Daten handeln. Fragt sich also, wie „theoretisch“ ein Datenleck im vorliegenden Fall tatsächlich ist. Werden die Daten vom Internet getrennt gespeichert und wie werden sie gesichtet? Schließlich können sie ihren Zweck ja nur optimal erfüllen, wenn das Bildmaterial auch tatsächlich ausgewertet wird.
3. Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel (BGH)
Der Kunstgriff des BGH in der Dashcam-Entscheidung hat darin bestanden, zwei Abwägungsentscheidungen zu kombinieren. Im ersten Schritt wird geklärt, ob der Dashcam-Einsatz des Klägers auf § 6b Abs. 1 BDSG aF bzw. auf § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG aF gestützt werden kann oder als datenschutzwidrig zu betrachten ist. Im zweiten Schritt wird in einer weiteren Güterabwägung ermittelt, ob datenschutzwidrig erlangtes Beweismaterial im Zivilprozess als Beweismittel verwertet werden kann.
§ 6b Abs. 1 BDSG aF bzw. § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG aF verlangen nach Ansicht des BGH die Erforderlichkeit der Datenerhebung im Sinne eines zumutbaren mildesten Mittels. Für den Zweck der Sicherung von Beweismitteln im Fall eines Verkehrsunfalls sei es technisch möglich, die dauerhafte Aufzeichnung zu vermeiden und lediglich eine kurzzeitige anlassbezogene Speicherung im Zusammenhang mit einem Unfallgeschehen vorzunehmen. Vorliegend sind jedoch die vorhandenen technischen Möglichkeiten, die Persönlichkeitsrechte Dritter zu schützen („Privacy by design“), nicht genutzt worden. Dies führe zu einem Überwiegen der schutzwürdigen Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer, sodass für den Streitfall von einer Unzulässigkeit der Aufnahmen auszugehen sei.
Der BGH zeigt sich offen für Befürchtungen eines Missbrauchs der Videoaufnahmen. Er betont, dass die im Fahrzeug des Klägers installierte Kamera regelmäßig über einen Zeitraum von etwa vier Stunden ohne konkreten Anlass Aufnahmen gemacht habe, nicht nur für den Fall eines Unfalls. Dabei werde festgehalten, wann ein Betroffener sich an einem bestimmten Ort, mit welchem Verkehrsmittel, gegebenenfalls in welcher Begleitung oder in welcher Verfassung aufhalte. Eine weite Verbreitung dieser Aufzeichnungsmöglichkeiten durch Dashcams im Straßenverkehr könnte bis hin zur Erstellung von Bewegungsprofilen zahlreicher Verkehrsteilnehmer ausgebaut werden und den Aufenthalt in der Öffentlichkeit unter einen dauernden Überwachungsdruck stellen, insbesondere durch die Speicherung, Zusammenführung und bleibende Verfügbarkeit der Aufnahmen. Diese Daten würden aber für eine Unfallrekonstruktion größtenteils nicht benötigt.
Im Unterschied zum OVG Saarlouis lässt der BGH also den möglichen Missbrauch als einzubeziehende Gefahr gelten. Er verlangt bei der Frage milderer Mittel, technisch schonendere Varianten in Betracht zu ziehen. Erforderlich ist das zumutbare mildeste Mittel, das offenbar auch nicht gleichermaßen geeignet sein muss, solange es den Zweck zumutbar erfüllt.
Bei der zweiten Abwägung zwischen dem Beweisverwertungsinteresse des Klägers und den Persönlichkeitsrechten des Beklagten klammert der BGH hingegen mögliche Eingriffe in die allgemeinen Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer aus. Ihrem Schutz sei vor allem durch die Regelungen des Datenschutzrechts Rechnung zu tragen. Zwar erkennt der BGH die Möglichkeit, damit Anreize für eine datenschutzwidrige Nutzung von Dashcams zu setzen, doch sei ihr Gefahrenpotential nicht im Zivilprozess einzugrenzen. Deshalb sei es für die Frage der Verwertbarkeit des Beweismittels nicht von Bedeutung, dass ein Teil der Aufzeichnung möglicherweise zu Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dritter Personen führe. Letztlich ist es auch hier die isolierte Betrachtung des einzelnen Betroffenen hinsichtlich einer einzelnen Maßnahme, die den Eingriff auf ein zu tolerierendes Maß schrumpfen lässt und damit der Beweisverwertung entgegen der Vorinstanz Raum gibt.
4. Ergebnis
Die Auswertung der Rechtsprechung verweist auf mehrere Problemfelder:
Erstens wird die Eignung der Videoüberwachung für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten von den Gerichten auch in Fällen unterstellt, in denen dies die vorgelegten Zahlen nicht erkennen lassen. Die abschreckende Wirkung soll sich ausreichend aus allgemeiner Lebenserfahrung ergeben. Das kommt einer Beweislastumkehr zulasten der informationellen Selbstbestimmung gleich. Die Datenschutzbehörde muss im Streitfall darlegen, dass die Videoüberwachung nicht wirkt.
Zweitens werden mildere Mittel in den OVG-Entscheidungen nur sehr eingeschränkt in Betracht gezogen. Dies könnte sich mit der Dashcam-Entscheidung des BGH ändern. Denn hier führt der Verzicht auf eine technische Alternative dazu, dass der Einsatz der Dashcam als datenschutzwidrig eingestuft wird. Danach ist zu erwarten, dass „Privacy by Design“-Erwägungen künftig eine zentrale Rolle in entsprechenden Konflikten einnehmen werden.
Drittens werden in der Interessenabwägung die Risiken für die bildlich Erfassten sehr unsystematisch berücksichtigt. Allerdings besteht hier ein strukturelles Problem. Denn es stehen sich hier ganz unterschiedliche Gefährdungen gegenüber, die schwer gegeneinander aufzurechnen sind. Der Punkt, an dem die Waage plötzlich zur anderen Seite ausschlägt, ist nicht bestimmbar. Also wird in Urteilsbegründungen zwangsläufig eine Seite heruntergespielt. Das gelingt bei Belangen der Privatsphäre leichter als beim Schutz von Eigentum, Leib und Leben. Denn die Verletzung der Privatsphäre ist weit weniger fassbar, psychisch vermittelt und bei geringer Eingriffstiefe auch viel leichter zu tolerieren. Erst wenn man den Zusammenhang herstellt zu vielen weiteren Beeinträchtigungen durch zahlreiche weitere Überwachungskameras sowie durch Datenlecks und Datenmissbrauch, bekommt die Beeinträchtigung der Privatsphäre Gewicht. Im einzelnen Verfahren steht aber regelmäßig nur ein kleiner Ausschnitt zur Entscheidung, der gegen Risiken gravierender Straftaten regelmäßig nicht bestehen kann.
II. Zur Faktenlage
Aus Sicht der Sozialwissenschaften kann vor allem zu der Frage ein Beitrag geleistet werden, welche erwünschten und unerwünschten Wirkungen der Videoüberwachung tatsächlich belegbar sind.
1. Sicherheitsgefühl
Vergleichsweise gut erforscht ist die Akzeptanz der Videoüberwachung in der Bevölkerung. Dabei variiert das Ergebnis je nach Fragestellung. So halten laut einer Forsa-Umfrage 83 % der Berliner die dort installierten Kameras für richtig, 73 % befürworten einen weiteren Ausbau, aber 56 % geben an, dass die Kameras keinerlei Einfluss auf ihr subjektives Sicherheitsgefühl haben.
Geringe Ablehnungswerte gegenüber Videoüberwachung um 20 % haben auch frühere Studien in anderen Regionen z. B. in Brandenburg ergeben. Zugleich werden auch hier die Auswirkungen auf das Sicherheitsempfinden vergleichsweise skeptisch beurteilt. Immerhin 40,5 % der Befragten geben an, dass die Videoüberwachung hierauf keine konkreten Auswirkungen habe. Zu ähnlichen Werten kommt eine andere Forsa-Studie aus 2018, wonach 53 % der Befragten den Einsatz von Videoüberwachung für das persönliche Sicherheitsempfinden als „sehr wichtig“ oder „wichtig“ einstufen, während 47 % angeben, dass die Videoüberwachung für ihr Sicherheitsempfinden „weniger wichtig“ oder „unwichtig“ sei. Gute Beleuchtung bei Nacht und hohe Polizeipräsenz finden danach wesentlich höhere Zustimmung bei der Frage nach der gefühlten Sicherheit.
2. Verhütung oder Verfolgung von Straftaten
Die Verwirklichung erhöhter Sicherheit durch Videoüberwachung könnte an der Abnahme von Straftaten im überwachten Bereich oder an Fällen erleichterter Aufklärung von Straftaten abgelesen werden. Viele empirische Studien im Ausland (USA, UK) haben sich bereits mit der Frage befasst, inwieweit Kriminalität durch Videoüberwachung zu beeinflussen ist. Eine Meta-Studie des Jahres 2018 auf der Basis von 76 Einzelstudien kommt zu dem Ergebnis, dass Kriminalität durch den Einsatz von Videoüberwachung durchschnittlich um 13 % sinkt. Eine andere Meta-Studie sieht immerhin einen Rückgang der Kriminalität zwischen 24 % und 28 %.
Deutsche Studien sind weit weniger zahlreich und lassen Begleitforschung oft vermissen. Eine wissenschaftlich fundierte Studie zu innerstädtischen Kriminalitätsschwerpunkten in Brandenburg 2005 ergab ungewöhnlich heftige statistische Ausschläge. In drei Orten sank die Kriminalität im überwachten Bereich um 30-60 %, in einem vierten Ort stieg sie hingegen um 30 %. Ganz im Gegensatz dazu stehen Studien, in denen die Einführung der Videoüberwachung keinerlei Wirkung auf Kriminalitätsraten zu haben schien.
Eine aktuelle kriminologische Studie bezieht sich auf sechs Städte in NRW, in denen 2016/17 Videoüberwachungsanlagen an Brennpunkten des Kriminalitätsgeschehens installiert worden sind. Die Ergebnisse sind auch hier sehr uneinheitlich. Eine verstärkt rückläufige Kriminalität im überwachten Bereich verglichen zum gesamten Stadtgebiet kann diese Studie nur für vier der sechs Städte feststellen. In Aachen sinkt die einschlägige Kriminalität im gesamten Stadtgebiet stärker als im überwachten Bereich. In Dortmund steigt sie im überwachten Bereich sogar, während sie insgesamt im Stadtgebiet sinkt. Dagegen ergibt sich in Duisburg und Essen ein deutlich verstärktes Absinken der Kriminalität in den Gebieten unter Videoüberwachung. Aggregiert ergibt diese Studie ein durchschnittlich um knapp 5 % verstärktes Absinken der Kriminalität durch Videoüberwachung. Auch hinsichtlich der Aufklärungsquote zeigt diese Studie positive Auswirkungen. Sie stieg nach Einführung der Videoüberwachung durchschnittlich um 5,7 % im überwachten Bereich gegenüber einem Anstieg von nur 1,6 % in den gesamten Stadtgebieten.
Die vorhandenen Studien machen klar: Videoüberwachung führt nicht zu kriminalitätsfreien Räumen. Es geht immer nur um eine mögliche Reduzierung der Kriminalität. Unter günstigen, aber noch ungeklärten Umständen ist lokal ein Absinken um bis zu 60 % durch Videoüberwachung möglich. So wurden etwa in Duisburg die Zahlen für schweren und einfachen Diebstahl halbiert. An anderer Stelle dagegen scheint der Effekt völlig auszubleiben. Vermutet wird, dass die Art der Implementierung der Videoüberwachung Auswirkungen auf den Erfolg hat. Es gibt daher keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass Videoüberwachung abschreckend im Hinblick auf kriminelle Aktivitäten tatsächlich wirkt. Es ist sogar möglich, dass eine schlecht implementierte Videoüberwachung gar nicht wirkt oder paradoxe Effekte hat, z. B. weil sie die Beteiligten in falscher Sicherheit wiegt.
3. Wirkungen auf die bildlich Erfassten
Zwei sehr unterschiedliche Wirkungen der Videoüberwachung können die Rechte der bildlich Erfassten beeinträchtigen: Erhöhte informationelle Fremdbestimmung und zunehmender Beobachtungsdruck.
a) Informationelle Fremdbestimmung
Das Schlagwort „Your face is big data“ machte im Frühjahr 2016 die Runde. Es kennzeichnete ein Projekt eines russischen Fotografen unter Anwendung der Gesichtserkennungssoftware FindFace, die ihm im Ergebnis die Identität von rund 70 % zufällig in der U-Bahn fotografierten Personen offenbarte sowie im Anschluss zahlreiche persönliche Zusatzinformationen aus sozialen Netzwerken. Tatsächlich erschließt sich aus dem fotografierten Gesicht eines Menschen jedoch noch weit mehr als die Identität. Big Data ist unmittelbar im Bild enthalten, indem sich psychische und physische Zustände vor allem aus der Mimik der Gesichtsmuskulatur erschließen lassen. Auch an dem Versuch, Charaktereigenschaften per KI aus dem Gesicht zu lesen, wird – unter großem Widerspruch – gearbeitet. Der Anbieter „Faception“ ist mit einer Gesichts-Persönlichkeitsanalyse bereits auf dem Markt.
Personenbilder greifen daher ungleich tiefer in Selbstbestimmungsrechte ein als die Verarbeitung sonstiger personenbezogener Daten, die begrifflich oder in Zahlenwerten festgehalten werden. Der Grund liegt in der hohen und zugleich auch schwer kalkulierbaren Informationsfülle, die das Bild eines Menschen und insbesondere seines Gesichts dem Betrachter und erst recht Analyseprogrammen übermittelt. Bewegte Bilder liefern viele zusätzliche Informationen (Handlungen, Gangbild).
Zukünftig werden Personen auf Videobildern automatisch erkannt werden, um z. B. die Bilder unterschiedlicher Quellen zur gleichen Person automatisch zusammenzuführen und damit die Aussagekraft weiter zu erhöhen. Dass dies auch geschieht, liegt u. a. an Problemen der Datensicherheit. Grundsätzlich gilt, dass alle Videoüberwachungsgeräte, die ans Internet angeschlossen sind, gehackt werden können. Geräte mit entsprechenden Sicherheitslücken sind bereits identifiziert worden. Auch gibt es im Netz Anbieter, deren Dienstleistung darin besteht, das Videomaterial auszuwerten, das ihnen hierzu übermittelt wird (Video Surveillance as a Service – VSaaS). Entgegen OVG Saarlouis ist also die Gefahr einer unkontrollierten Weitergabe sehr real.
b) Beobachtungsdruck
Der Eingriff in Persönlichkeitsrechte erfolgt schon im Vorfeld der Bilderfassung. Der Weg durch die Fußgängerzone kann zur permanenten Pose werden, weil Bildaufnahmen aus allen Richtungen drohen. Spätestens wenn Kameras zu sehen sind, werden vielfach jene psychischen Abläufe ausgelöst, die unter Beobachtung typisch sind. Dazu gehört ein gesteigerter Zustand der Selbstaufmerksamkeit („self-awareness“), in dem die Person überprüft, ob sie sich gerade so wie beabsichtigt präsentiert. Beobachtung führt typischerweise zu Selbstbeobachtung.
Hingewiesen wird in der Literatur häufig darauf, dass dies nicht nur eine gravierende persönliche Beeinträchtigung darstellt, sondern letztlich auch das gesellschaftliche Leben verarmt. Schon den „Erfindern“ des „Rights to Privacy“ Warren und Brandeis ging es 1890 u. a. um den Schutz eines sonst schwindenden Individualismus. Der entscheidende Punkt ist, dass nach der „theory of objective self-awareness“ Menschen im Zustand gesteigerter Selbstaufmerksamkeit ihr Selbst hinsichtlich Verhalten, Charakterzüge oder Einstellungen mit Standards korrekten Verhaltens, korrekter Charakterzüge oder korrekter Einstellungen unwillkürlich abgleichen. Wird bei diesem Abgleich eine Diskrepanz festgestellt, wird dies als unangenehm empfunden. Die Person reagiert mit dem Wunsch, das Selbst mit den Standards in Einklang zu bringen. Regelmäßig würden dann Bemühungen einsetzen, abweichendes Verhalten usw. an die Standards anzupassen, da sich Verhalten in der Regel leichter ändern lässt als Verhaltensstandards. Diese Reaktion ist in vielen Experimenten nachgewiesen.
4. Ergebnisse
Hinsichtlich der Wirksamkeit der Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist nur gesichert, dass ein hoher Anteil der Bevölkerung sie befürwortet und immerhin eine Mehrheit sie als wichtig für ihr persönliches Sicherheitsempfinden einstuft. Dass Überwachungsanlagen tatsächlich die Sicherheit erhöhen, kann nicht generell bestätigt werden. Gleiche Untersuchungen in verschiedenen Städten kommen zu gegensätzlichen Ergebnissen. Es scheint stark von den Umständen des Einzelfalls abzuhängen, ob Videoüberwachung im Sinne von Prävention und Repression tatsächlich wirkt.
Videoüberwachung wirkt nicht nur auf potenzielle Straftäter, sondern auch auf Bürgerinnen und Bürger, die nichts Böses beabsichtigen. Der sogenannte Beobachtungsdruck führt zu erhöhter Selbstaufmerksamkeit, die das Individuum unter Stress setzt und vielfach zu Anpassungsreaktionen motiviert. Auch diese Wirkung dürfte ähnlich wie die kriminalpräventive flüchtig und situativ ausfallen, da sie im Kern auf den gleichen Wirkmechanismen beruht.
III. Auswirkungen auf die Rechtslage
Es ist umstritten, welches Recht auf private Videoanlagen im öffentlichen Raum seit dem 25.05.2018 anzuwenden ist. Vielfach heißt es, dass § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 BDSG wegen des Anwendungsvorrangs der DSGVO für nichtöffentliche Stellen unangewendet bleiben muss. Der nationale Gesetzgeber will aber auch für nichtöffentliche Stellen an der spezifischen Regelung in § 4 BDSG festhalten, die weitgehend der alten Regelung in § 6b BDSG aF entspricht. Außerdem kommen für öffentliche Stellen spezialgesetzliche Regelungen auf Bundes- und vor allem auf Landesebene in Betracht.
Im vorliegenden Zusammenhang braucht dies nicht geklärt werden. Denn materiell bestehen im Wesentlichen identische Regelungsgehalte jedenfalls in § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BDSG einerseits und Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO andererseits:
- Berechtigtes Interesse an der Überwachung,
- hierfür Erforderlichkeit der Überwachung,
- kein Überwiegen der Interessen erfasster Personen.
Diese drei Kernaspekte der juristischen Prüfung werden nunmehr im Lichte der vorangegangenen Urteils- und Faktenanalysen konkretisiert.
1. Zwecke der Überwachung
Ein berechtigtes Interesse für den Betrieb einer Videoüberwachungsanlage kann nach Ansicht des Düsseldorfer Kreises der unabhängigen Datenschutzbehörden ideeller, wirtschaftlicher oder rechtlicher Natur sein. Soll die Videoüberwachung dazu eingesetzt werden, vor Einbrüchen, Diebstählen oder Vandalismus zu schützen, sei darin grundsätzlich ein berechtigtes Interesse zu sehen, wenn eine tatsächliche Gefahrenlage nachgewiesen werden könne.
Neben präventiven Zwecken kommen auch die Verfolgung von Straftaten und die Beweissicherung zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche in Betracht. Zu fordern seien konkrete Tatsachen, aus denen sich eine Gefährdung ergibt, beispielsweise Beschädigungen oder besondere Vorkommnisse in der Vergangenheit. Die erhöhte Gefahrenlage kann sich auch aus einer typisierten Betrachtung ergeben, sofern sich diese objektiv begründen lässt. Zum Schutz von Leben, Gesundheit und bedeutenden Sach- und Vermögenswerten soll eine nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise gefährliche Sachlage ausreichen, die man bei Tankstellen, aber auch bei Juwelieren oder Banken häufig bejahen könne.
Ohne jeden Zweifel kommt Videotechnik für den Zweck der Verhütung und Verfolgung von Straftaten in Betracht. Der Umstand, dass nach den vorliegenden Studien bei diesen Zwecken immer nur Teilerfolge möglich sind und unter Umständen auch diese ausbleiben, disqualifiziert Videotechnik keineswegs. Richtig eingesetzt kann sie einen wertvollen Beitrag zur Abschreckung und Verfolgung von Straftaten leisten. Zustimmung und Erwartungshaltung hinsichtlich der Wirkung sind allerdings in der Bevölkerung sehr hoch, sodass ein übertriebener Einsatz ins Blaue hinein nicht ausgeschlossen werden kann. Der erste Prüfschritt ist daher als Aufforderung an den Verantwortlichen zu verstehen, begründete Ziele als Ausgangspunkt einer weiteren Prüfung festzulegen. Sowohl aus Art. 5 Abs. 1 lit. b DSGVO und zugleich – soweit anzuwenden – aus § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BDSG ergibt sich, dass die Zwecke vor Beginn der Maßnahme konkret, nicht nur in Schlagworten festzulegen sind.
2. Erforderlichkeit
Die Videoüberwachung muss zur Erreichung des ermittelten Zwecks erforderlich sein. Dies setzt nach vielfach geäußerter Meinung voraus, dass die Maßnahme an sich geeignet ist und kein gleich geeignetes, milderes Mittel zur Zielerreichung existiert.
Zunächst interessiert also die Eignung der Maßnahme. Hier soll es genügen, wenn das Ziel – etwa die Verhütung von Straftaten – durch die Überwachungsmaßnahme gefördert wird; die am besten geeignete Alternative werde nicht verlangt. Wirkungslos darf die Videoüberwachung allerdings nicht sein. In der eingangs ausgewerteten Rechtsprechung wird das Problem der Eignung mit der allgemeinen Mutmaßung erledigt, dass Bildaufzeichnungen die Effektivität der Abschreckung erhöhten, weil der potenzielle Täter damit rechnen müsse, dass seine Tat aufgezeichnet und die Aufzeichnung nicht nur für seine Identifizierung, sondern auch als Beweismittel in einem Strafverfahren zur Verfügung stehen werde. Tatsächlich ist jedoch die Eignung der Videoüberwachung für die Verhütung oder Verfolgung von Straftaten äußerst ungewiss. Soweit Untersuchungen vorhanden sind, schwanken deren Aussagen sehr stark zwischen einem Befund völliger Wirkungslosigkeit und dem einer Verhütung von um die 50 % der Straftaten. Für viele Bereiche wie etwa Ladendiebstahl gibt es überhaupt keine gesicherten Erkenntnisse. Richtigerweise wird daher betont, dass es auf die objektive Prüfung der Umstände der konkreten Maßnahme ankommt. Es muss im Einzelfall gezeigt werden, dass die bildlich Erfassten nicht von einer sinnlosen Maßnahme belastet werden. Soweit dies im Vorfeld einer Maßnahme nicht geklärt werden kann, muss der Erfolg sorgfältig getestet werden. Stellt sich kein oder nur ein marginaler Erfolg der Videoüberwachung ein, ist diese abzubrechen oder wirksamer zu gestalten.
Weiter interessiert, ob es alternative Maßnahmen gibt, die zur Erreichung des Zwecks gleich geeignet sind, aber Betroffene weniger beeinträchtigen. Betont wird, dass die Alternativen auch zumutbar sein müssen und nicht etwa unzumutbare Investitionen verlangen. Aktuell steht im Vordergrund, ob tatsächlich die schonendste wirksame Videotechnik eingesetzt wird. Der BGH hat im Hinblick auf Dashcams als milderes Mittel unter dem Stichwort „Privacy by Design“ verlangt, dass die vorhandenen technischen Möglichkeiten, die Persönlichkeitsrechte Dritter zu schützen, zu nutzen sind. Insbesondere ist es für die Rechte der bildlich Erfassten risikoreich, wenn die Überwachungsanlage mit dem Netz verbunden ist und daher gehackt werden kann oder die Bilder zur Auswertung gar ins Netz hochgeladen werden. Hier wäre auf jeden Fall die Offline-Variante das mildere Mittel.
In diesem Zusammenhang wird zu klären sein, ob die technische Alternative wirklich gleich geeignet ist. Dazu muss zunächst ermittelt werden, wie hoch denn der Wirkungsgrad der eingesetzten Anlage ist. Denn allein der Umstand, dass die in Betracht gezogene Alternative Defizite hat, heißt nicht, dass sie weniger geeignet ist. Bei der Verhütung von Straftaten gibt es keine perfekten Instrumente. Im Dashcam-Fall scheint der BGH in Kauf zu nehmen, dass Alternativen weniger, aber ausreichend geeignet sind.
3. Interessenabwägung
Sowohl Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. f DSGVO als auch § 4 Abs. 1 Satz 1 BDSG verlangen als weiteren Prüfungsschritt eine Interessenabwägung. Schutzwürdige Interessen der Betroffenen dürfen nicht überwiegen. Es muss eine umfassende Abwägung aller widerstreitenden Interessen auf Grundlage der konkreten Überwachungssituation vorgenommen werden. Das Gewicht des Eingriffs durch die Überwachung werde maßgeblich durch Art und Umfang der erfassten Informationen, durch Anlass und Umstände der Erhebung, den betroffenen Personenkreis und die Art und den Umfang der Verwertung der erhobenen Daten bestimmt.
Die Interessen der Betroffenen überwiegen zweifellos dann, wenn durch die Videoüberwachung höchstpersönliche Bereiche der Intimsphäre bildlich erfasst werden, etwa durch die Überwachung von Toiletten, Umkleidekabinen, Duschen oder medizinischen Behandlungsräumen. Ein erhöhter Schutz der Privatsphäre kann auch dort erwartet werden, wo sich Menschen entspannen und erholen wollen: am Strand, im Bad, im Restaurant, im Biergarten, im Park. Beobachtungsdruck wäre hier sehr störend. Menschen halten sich hier oft lange auf und geben zwangsläufig mehr an Bildinformationen preis. So überwiegen in der Regel die Belange der Betroffenen.
Erneut zu berücksichtigen ist, dass die häufig sehr aussagekräftigen und sensiblen Bilddaten z. B. von Hackern entwendet und fremden Zwecken zugeführt werden können. Dem Betroffenen kann nicht entgegengehalten werden, dass er sich schließlich freiwillig in die Öffentlichkeit begeben habe. Denn der Aufenthalt in der Öffentlichkeit ist aus verschiedenen Gründen lebensnotwendig und unausweichlich. Verhältnismäßig können daher nur solche technische Anlagen sein, die ein hohes Maß an Sicherheit gegenüber dem Zugriff Unbefugter gewährleisten. Gefordert ist insbesondere, dass der Kreis der Zugriffsberechtigten klein und zuverlässig ist, das Löschen alsbald automatisiert erfolgt und keine Verbindung zum Internet besteht. Wenn Anlagen insoweit nicht schon am Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit gescheitert sind, werden sie hier erneut auf die Probe gestellt. Ergebnis der Interessenabwägung kann auch sein, dass ein hochwirksames Überwachungssystem wegen der hohen Eingriffstiefe gegen ein weniger wirksames zu tauschen ist.
IV. Alternative Lösung
Zunehmend wird Videoüberwachung von einem rechtlichen zu einem technischen Thema. Die Dashcam-Entscheidung des BGH war insoweit eine Landmarke. Darin muss sich der Nutzer vorhalten lassen, dass er die vorhandenen technischen Möglichkeiten, die Persönlichkeitsrechte Dritter zu schützen, nicht genutzt hat. Mit Art. 25 DSGVO ist die Pflicht zum Einsatz von Technik, die die Rechte der Betroffenen möglichst schützt, auch geschriebenes Recht. Dabei ist der Stand der Technik zu berücksichtigen. Für den Nutzer ist dies schwierig, denn es handelt sich um ein dynamisches Konzept. Er muss sich laufend vergewissern, dass seine Maßnahmen noch dem aktuellen Stand entsprechen. Der Stand der Technik kann die Interessen beider Seiten berücksichtigen, indem eine gleichermaßen wirkungsvolle wie auch die Privatsphäre schonende Videotechnik angestrebt wird.
In anderen Rechtsbereichen kümmern sich rechtlich institutionalisierte Ausschüsse um die Formulierung Technischer Regeln zum aktuellen Stand der Technik. Diese Regelsetzung sollte nicht dem Gesetzgeber, sondern einer zweiten, schneller reagierenden und fachlich versierteren Regulierungsebene überlassen werden. Der Gesetzgeber kann aber sicherstellen, dass die Regeln Legitimität und rechtliche Verbindlichkeit bekommen.
Vorbild kann für ein derartiges Regelwerk im Datenschutz die technische Regulierung des Arbeitsschutzes sein. Der Gesetzgeber hat auch hier mit dem Problem zu kämpfen, dass eine schnelle technische Entwicklung ständig neue Gefahren aufwirft, auf die kurzfristig reagiert werden muss. Es obliegt daher nicht allein der Rechtsprechung, die allgemeinen gesetzlichen Regelungen auf bestimmte technische Entwicklungen zu konkretisieren. Vielmehr dient hierzu ein System aus Verordnungen und Technischen Regeln. In diesen häufig aktualisierten Regeln wird sehr praxisnah und anschaulich beschrieben, durch welche organisatorischen und technischen Maßnahmen die allgemeinen Anforderungen des Rechts erfüllt werden können.
Wichtig ist, dass die Technischen Regeln keine bloßen Empfehlungen sind, sondern durch die Einbindung in die Verordnungswerke Verbindlichkeit erlangen. Im Arbeitsschutz können die Nutzer bei Einhaltung der Regeln davon ausgehen, dass die in der jeweiligen Verordnung gestellten Anforderungen als erfüllt gelten. Für die hohe Funktionstüchtigkeit dieser technikspezifischen Regulierungsebene sorgen Ausschüsse beim BMAS unter Mitarbeit von Ingenieuren, Chemikern, Medizinern usw., die das Regelwerk überarbeiten und ergänzen. Das Vertrauen der Praxis wird durch Mitarbeiter der verschiedenen Interessengruppen gestärkt. In einem künftigen Regelungsregime des Datenschutzes könnte ein entsprechender „Ausschuss für Videoüberwachungstechnik“ eine wichtige Rolle spielen.