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Kurzbeitrag : Lettershopverfahren und Datenschutz: Ein Beitrag zur Versachlichung der Diskussion : aus der RDV 3/2024, Seite 160-166

LL.MRAin Yvette REIFArchiv RDV
Lesezeit 25 Min.

In den letzten Monaten ist eine datenschutzrechtliche Diskussion um das sog. Lettershopverfahren entfacht, ein Verfahren, das in Deutschland jahrzehntelang Tradition hat und von Seiten des Verbraucherschutzes nicht in Frage gestellt zu werden scheint. Beim Lettershopverfahren führt eine Druckerei („Lettershop“) von einem Adressverlag zur Verfügung gestellte Postadressen mit dem Werbematerial werbeinteressierter Unternehmen zusammen und versendet Briefwerbung an die durch den Verlag bereitgestellten Adressen. Das Verfahren ist insbesondere für Unternehmen relevant, welche nicht über eigene Datensätze verfügen, um Werbung für ihre Produkte bzw. Dienstleistungen zu betreiben, oder solche, die sich einen neuen Kundenkreis erschließen möchten.

Teile der Datenschutzaufsichtsbehörden, u.a. Berlin, machen aktuell insoweit mit der Rechtsauffassung auf sich aufmerksam, dass entsprechende Verfahren nur mit Einwilligung der betroffenen Personen rechtskonform betrieben werden können sollen. Einig im Hinblick auf die datenschutzrechtliche Bewertung sind sich die Datenschutzaufsichtsbehörden allerdings nicht (vgl. LDI NRW, 28. Bericht (2023), 9.5). Dies ist möglicherweise der Grund, warum es bislang noch keine entsprechende Positionierung der DSK zu diesem praxisrelevanten Thema gibt.

Warum steht das lang bewährte Verfahren plötzlich in der Kritik? Wurde tatsächlich lange Zeit – akzeptiert durch die Daten‑ schutzaufsicht – ein Verfahren eingesetzt, das derart tief in die Betroffenenposition eingreift, dass es ohne Einwilligung nicht statthaft gewesen wäre? Diesen Fragen widmet sich der vorliegende Beitrag. Neben rechtlichen Erwägungen soll dabei insbesondere auch auf tatsächliche Aspekte und insofern möglicherweise bestehende Fehlvorstellungen eingegangen werden.

I. Begriff und Arten von Werbung

Die DS‑GVO erwähnt (Direkt-)Werbung in den ErwG 47, 58, 70 sowie in Art. 21 Abs. 2 und 3 DS‑GVO, ohne jedoch ihrerseits zu definieren, was unter dem Begriff zu verstehen ist. Bezüglich der Auslegung des Begriffs der Werbung kann auf die RL 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung zurückgegriffen werden, hinsichtlich der Definition der Direktwerbung auf die entsprechende Legaldefinition im Entwurf der EU-Kommission für eine ePrivacy-VO aus 2017.[1]

Gem. Art. 2 lit. a) RL 2006/114/EG ist Werbung „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern“. Als „Direktwerbung“ definiert Art. 4 Abs. 3 lit. f) des Entwurfs für eine ePrivacy-VO „jede Art der Werbung in schriftlicher oder mündlicher Form, die an einen oder mehrere bestimmte oder bestimmbare Endnutzer elektronischer Kommunikationsdienste gerichtet wird, auch mittels automatischer Anruf- und Kommunikationssysteme mit oder ohne menschliche(r) Beteiligung, mittels E-Mail, SMS-Nachrichten usw.“

Aus datenschutzrechtlicher Perspektive ist vor allem die Unterscheidung zwischen personenbezogener und nicht personenbezogener Werbung relevant. Gegenstand dieses Beitrags ist ausschließlich die personenbezogene Werbung per herkömmlicher Post.

Ist sog. Beipack- oder Empfehlungswerbung an individuell ausgewählte Adressaten gerichtet, ist aufgrund der stattfindenden Selektion personenbezogener Informationen der sachliche Anwendungsbereich der DS‑GVO (Art. 2 Abs. 1 DS‑GVO) eröffnet mit der Folge, dass es eines entsprechenden datenschutzrechtlichen Erlaubnistatbestandes bedarf.[2]

Keine Verarbeitung personenbezogener Daten findet da‑ gegen statt, sofern das Beipacken von Werbematerial in persönlich adressierte Sendungen ohne Berücksichtigung der konkreten Empfänger erfolgt.[3] Beispiel: Ein Versandhändler legt in jedes versendete Paket einen Werbeflyer für einen deutschlandweit tätigen Weinhändler.

II. Weitere Begriffsdefinitionen und relevante Sachverhaltsbeschreibungen

  1. Adresshandel, Adressverlag und Listbroker

Der Begriff des Adresshandels ist weder in der DS‑GVO noch im BDSG definiert. Bei der in der Praxis überwiegend anzu‑ treffenden Erscheinungsform des Adresshandels treten auf Adressdaten spezialisierte Adressverlage auf, die vornehm‑ lich aus öffentlich zugänglichen Verzeichnissen Adressdaten von Privatpersonen erheben, mithilfe statistischer Erkennt‑ nisse zielgruppenspezifisch anreichern und die so aufberei‑ teten Informationen am Markt anbieten.[4] Das Angebot kann zur dauerhaften Nutzung erfolgen oder auch für einen lediglich einmaligen Einsatz. Im ersten Fall spricht man von Adresskauf, im zweiten von Adressmiete. Wie erwähnt, stellen öffentlich zugängliche Verzeichnisse die Hauptquelle für die Generierung von Adressdaten durch den Adressverlag dar. Adressverlage generieren Kontaktdaten aber auch selbst, z.B. durch die Veranstaltung von Umfragen oder Gewinnspielen. Außerdem kaufen Adressverlage Adressdaten bei Lead‑ generierungsunternehmen und Verlagen ein. Bei der Leadgenerierung wird versucht, mithilfe verschiedener Maßnahmen die Aufmerksamkeit potenzieller Interessenten zu wecken und diese zur freiwilligen Preisgabe ihrer Kontaktdaten so‑ wie ggf. zusätzlicher Informationen über sich zu bewegen.

Sofern die Kontaktdaten nicht direkt bei der betroffenen Person erhoben werden, stellen Adressverlage ihren werbetreibenden Kunden Transparenzinformationen gem. Art.  14 DS‑GVO zur Verfügung und verpflichten ihre Kunden vertraglich, diese Informationen auf der Direktwerbung abzudrucken, um die Transparenz der Datenverarbeitung gegenüber den Werbeadressaten zu gewährleisten.

Listbroker sind Unternehmen oder Makler, die Adressen‑ listen gegen Provision vermitteln.

  1. Lifestylemerkmale

a) Allgemeines

Neben den Kontaktdaten verarbeitet der Adressverlag sog. Lifestylemerkmale, um die Adressen für die geplante Direktwerbekampagne aufgrund der Kundenvorgaben gezielt auswählen zu können. Lifestylemerkmale können auf verschie‑ denen Wegen generiert werden, auf die nachfolgend näher eingegangen wird.

b) Erhebung von Lifestyleinformationen bei der betrof‑ fenen Person

Maßgeblich ist zunächst, dass der Werbeadressat selbst ent‑ sprechende Angaben gemacht hat, z.B. im Rahmen einer Um‑ frage oder eines Gewinnspiels. Beispiel: Die Kontaktdaten stammen aus einem Gewinnspiel. Im Rahmen des Gewinnspiels wurde dem teilnehmenden Personenkreis z.B. die Frage gestellt: „Besitzen Sie ein Auto?“ oder „Wie oft gehen Sie in den Supermarkt?“.

Typischerweise erfolgt eine technische Trennung der Kontakt- und Lifestyledaten, d.h., die Speicherung erfolgt in zwei Dateien, wobei die Datensätze über eine ID verknüpft sind, also wiederzusammengeführt werden können. Im Fall der Auswahl von Adressen für einen Kundenauftrag werden im ersten Schritt IDs anhand der vorgegebenen Auswahlkriterien ausgewählt. Im zweiten Schritt werden anhand der IDs die konkreten Kontaktinformationen ausgewählt.

c) Extrapolation

Da Umfrageergebnisse im Sinne von a) üblicherweise nicht bezogen auf ganz Deutschland oder auch nur bezogen auf die potenziellen Adressaten einer ganzen geografischen Zelle vorliegen, erfolgt mittels statistischer Verfahren eine „Hoch‑ rechnung“ der Ergebnisse auf den Rest der Datei. Ähnlich wie bei b) werden auch hier Kontakt- und Lifestyledaten regelmäßig in getrennten Dateien gespeichert.

d) Verwendung kartografischer Daten

Von Adressverlagen zugrunde gelegte Lifestyleinformatio‑ nen basieren häufig auf sog. kartografischen Informationen. Solche Daten, die durchschnittliche Merkmale der Einwohner auf der Ebene von Straßenabschnitten oder geografischen Zellen liefern, werden z.B. auch verwendet, um einen ge‑ eigneten Standort für die Zulassung einer Hausarztpraxis zu bestimmen oder von Einzelhandelsketten, um einen geeig‑ neten Standort für ein neues Geschäft auszuwählen. Werden kartografische Daten verwendet, speichern die Adressverlage diese und die Kontaktdaten in der Regel in getrennten Dateien. Eine dritte Datei dient als Referenzdatei, d.h. zur Verknüpfung.

e) Aussagewert der Lifestyleinformationen

Mit Ausnahme der Konstellation a), welche in der Praxis in den wenigsten Fällen vorliegen wird, handelt es sich bei den von den Adressverlagen verwendeten Lifestyleinformationen typischerweise nicht um „echte“ Informationen über die betroffene Person, sondern um je nach Konstellation mehr oder we‑ niger präzise Schätzungen oder „Mutmaßungen“. Zwar sind auch geschätzte Informationen über eine konkrete natürliche Person personenbezogene Daten,[5]so dass bezüglich der Verknüpfung von Lifestyledaten und konkreten Kontaktdaten in jedem Fall die Vorgaben der DS‑GVO zu beachten sind. Während bei Entscheidungen mit rechtlicher oder ver‑ gleichbarer Wirkung die Verwendung von Schätzdaten aus Sicht der betroffenen Person nachteilhaft und in der Folge unzulässig sein kann, hat die Verwendung von Schätzwerten vorliegend eine genau umgekehrte Wirkung: Der Umstand, dass keine „echten“ Persönlichkeitsprofile zugrunde liegen, sondern nur Vermutungen über die betroffene Person, reduziert die Qualität des im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DS‑GVO zu berücksichtigenden Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Werbeadressaten. Das Geschäftsmodell von Adressverlagen ist insoweit anders als etwa das von Instituten, die Wahlergebnisse prognostizieren. Während es bei Letzteren darum geht, das Wahlergebnis und damit das Verhalten der bewerteten Gruppe möglichst präzise zu bestimmen, geht es bei den Adressverlagen weniger um Akkuratesse bezogen auf die Vorhersage im Hinblick auf den einzelnen Angeschriebenen, sondern darum, mit einem verhältnismäßigen Aufwand die Konversionsrate der geplanten Werbeaktion zu erhöhen.

  1. Lettershop und Lettershopverfahren

Die auf Basis der Wünsche des Kunden selektierten Kontakt‑ informationen können durch den Adressverlag auf zwei Arten zur Verfügung gestellt werden. Zum einen können die Daten direkt an den Kunden übermittelt werden, der dann den Versand des Werbematerials selbst organisiert. Die andere und praktisch häufigere Form ist, dass das sog. Lettershopverfahren zum Einsatz kommt, bei welchem das werbende Unter‑ nehmen selbst die Kontaktdaten für die Werbeaktion nicht erhält. Stattdessen werden die Adressdaten vom Adressverlag einem Dienstleister („Lettershop“) zur Verfügung gestellt, welcher Adressdaten und Werbematerial zusammenführt sowie den Druck und Versand der Werbeaussendungen vornimmt. Oftmals handelt es sich bei dem Dienstleister um eine Druckerei.

Im Einzelnen finden typischerweise folgende Schritte statt:

Schritt 1: Der Werbetreibende entscheidet, nach welchen Kriterien die Kontaktdaten für die Marketingkampagne ausgewählt werden sollen.

Schritt 2: Aggregierte, geographische Lifestyledaten werden verwendet, um geographische Bereiche auszuwählen, welche die gesuchten Attribute aufweisen (Selektion mikro‑ geografischer IDs).

Schritt 3: Den in Schritt 2 selektierten mikrogeografischen IDs werden Datensatz-IDs zugeordnet.

Schritt 4: Der Adressverlag entscheidet, welche Daten‑ sätze für die Kampagne konkret verwendet werden sollen. Unter anderem achten die Adressverlage bei Auswahl der Datensätze darauf, dass Adressaten nicht zu viel Werbesendungen erhalten, um die Akzeptanz der Briefwerbung seitens der Angeschriebenen nicht zu gefährden. Eine weitere Motivation des Adressverlags, Datensätze nicht einzusetzen, kann darin bestehen, dass diese bereits genutzt wurden, um ähnliche Produkte oder Dienstleistungen für andere Kunden zu bewerben.

Schritt 5: Der Adressverlag schickt die Kampagnendatei mit den Postadressen an den Lettershop, der als Auftragsverarbeiter (Art. 28 DS‑GVO) agiert.

Schritt 6: Die Empfänger reagieren auf das Mailing, indem sie bei der werbenden Stelle kaufen oder weitere Informationen einholen, oder sie reagieren nicht.

Abbildung: Lettershopverfahren

III. Argumente für eine grundsätzliche Interessengerechtigkeit nicht einwilligungsbasierter Briefwerbung [6]

  1. Werbung als Grundrechtsposition und geschütztes Interesse im Rahmen der DS‑GVO

Durch ErwG 47 S. 7 DS‑GVO wird die Direktwerbung explizit als potenziell berechtigtes Interesse im Sinne der Verordnung anerkannt. Die ausdrückliche Benennung im Rahmen des ErwG 47 DS‑GVO zeugt davon, dass der Verordnungsgeber werbliche Datenverarbeitungen als beson‑ ders wichtigen Anwendungsfall eines berechtigten Interesses betrachtet hat.[7] Zugleich wird hierdurch anerkannt, dass die werbliche Betätigung von Unternehmen durch das nationale wie europäische Verfassungsrecht entsprechend geschützt ist.[8] Relevant ist diesbezüglich insbesondere der Schutz der beruflichen Außendarstellung (Art. 12 GG, Art. 15 GRCh), der unternehmerischen Freiheit (Art.  16 GRCh) und der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit (Art.  5 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK, Art. 11 GRCh).[9]

Ein entsprechendes berechtigtes Interesse existiert unabhängig davon, ob zwischen Werbendem und betroffener Person vorher ein Kundenverhältnis bestanden hat, bezieht sich also auch auf sog. Neukundenwerbung und nicht nur auf die Werbung gegenüber Bestandskunden.[10]

Ob ggf. widerstreitende Interessen der betroffenen Person die berechtigten Interessen des Verantwortlichen überwiegen, ist eine Frage des Einzelfalls, vor allem des konkreten Geschäftsmodells.[11]Pauschale Aussagen zur (Un-)Zulässigkeit des gesetzlich nicht definierten Adresshandels verbieten sich insofern.[12]

  1. Geringe Beeinträchtigung durch Briefwerbung

Das Belästigungspotenzial von Briefwerbung ist verglichen mit anderen Formen des Direktmarketings als eher gering einzustufen. Während geschulte Call Center Mitarbeiter, die telefonisch Produkte oder Dienstleistungen verkaufen, häu‑ fig schwer „abzuwimmeln“ sind, muss sich der Empfänger bzw. die Empfängerin von Briefwerbung mit dieser inhaltlich näher nicht befassen, sondern kann diese ohne längere Aus‑ einandersetzung entsorgen. In der Praxis wird Briefwerbung zudem vielfach als sog. „Infopost“ verschickt. In diesen Fällen braucht der Empfänger bzw. die Empfängerin den Brief nicht einmal zu öffnen, um den werblichen Inhalt zu erkennen, sondern kann den Brief ungeöffnet entsorgen.

Wie bereits ausgeführt,[13]haben die Adressverlage ein ori‑ ginäres eigenes Interesse, die Angeschriebenen nicht unange‑ messen häufig zu bewerben. Schon um das eigene Geschäfts‑ modell nicht zu gefährden, werden Adressen deselektiert, um eine Belästigung der Angeschriebenen auszuschließen.

  1. Vernünftige Erwartungen der betroffenen Person

Ein Faktor im Rahmen der Interessenabwägung sind nach ErwG 47 S.1 Hs. 2 DS‑GVO die „vernünftigen Erwartungen der betroffenen Personen“. Über das Merkmal wird das Spekt‑ rum möglicher Verarbeitungszwecke eingegrenzt.[14] Die betroffene Person soll vor überraschenden Verarbeitungen geschützt werden.[15] Zugrunde zu legen ist insofern ein ge‑ mischt subjektiv-objektiver Maßstab: Die rein subjektive Erwartungshaltung der betroffenen Person wird modifiziert über das „Wissen der Allgemeinheit“, also die Beantwortung der Frage, ob eine Datenverarbeitung vernünftigerweise aus der Perspektive eines objektiven Dritten als erwartbar angesehen werden kann.[16] Zwar führt allein die weite Verbreitung einer Verarbeitung für sich genommen noch nicht dazu, dass jede betroffene Person sie erwarten muss.[17]Angesichts der jahrzehntelangen Tradition personalisierter Briefwerbung in Deutschland erscheint gleichwohl schwer begründbar, dass die zugehörige Datenverarbeitung nicht mit den vernünfti‑ gen Erwartungen der Angeschriebenen zu vereinbaren sein könnte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die berechtigte Erwartungshaltung nicht nur auf gewünschte Verarbeitungen beziehen kann: Auch nicht gewünschte Verarbeitungen können erwartbar sein.[18]

Die vernünftige Erwartung wird sich dabei nicht nur auf die werbliche Ansprache als solche beziehen, sondern auch auf die zugrunde liegende Selektion der Adressdaten. Auch wenn die‑ ser nicht über diesbezügliches Detailwissen verfügt, so dürfte dem durchschnittlichen Adressaten doch bewusst sein, dass nicht jede Person die gleichen Werbebriefe erhält, sondern die Zusendung auf einer Selektion von Adressen, etwa aufgrund des Wohnortes und statistischer Erwägungen, basiert.

Nach hier vertretener Ansicht kann die vernünftige Erwar‑ tung der betroffenen Personen durch transparente Hinweise nach Art. 13 f. DS‑GVO jedenfalls (mit-)geprägt werden.[19]

  1. Korrektiv über Widerspruchsrecht der angeschriebenen Personen

Werden personenbezogene Daten zu Zwecken der Direktwerbung verarbeitet, so hat die betroffene Person gem. Art. 21 Abs. 2 DS‑GVO das Recht, jederzeit – sowie ohne Be‑ gründung[20] – Widerspruch gegen diese Verarbeitung zu Werbezwecken einzulegen; dies gilt auch für das Profiling, soweit es mit solcher Direktwerbung in Verbindung steht. Es handelt sich um ein gesetzliches Korrektiv dafür, dass die Verordnung Datenverarbeitungen zu den betroffenen Zwe‑ cken auch einwilligungsfrei ermöglicht.[21] Durch dieses Rege‑ lungsgefüge wird einerseits den wirtschaftlichen Interessen der werbeinteressierten Unternehmen Rechnung getragen. Andererseits werden der Direktwerbung zugunsten des in‑ formationellen Selbstbestimmungsrechts der betroffenen Personen Grenzen gezogen, indem diese die Option haben, entsprechende Verarbeitungen jederzeit durch Widerspruch zu unterbinden.[22] Nach hier vertretener Ansicht ist diese Interventionsmöglichkeit, auch wenn es sich um ein gesetz‑ liches Recht handelt, im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten der Werbung zu berücksichtigen.

Bei gemeinsam Verantwortlichen (Art. 26 DS‑GVO)[23] kann gem. Art. 26 Abs. 3 DS‑GVO die betroffene Person ihre Rechte nach der Verordnung stets bei und gegenüber jedem einzelnen der Verantwortlichen geltend machen. Die Einrichtung einer gemeinsamen „Anlaufstelle“ i.S.v. Art.  26 Abs.  1 S. 3 DS‑GVO ist dennoch sinnvoll, um die Geltendmachung und Erfüllung von Betroffenenrechten zu erleichtern und entsprechende Begehren zu kanalisieren. Wird der Widerspruch gegenüber dem Auftragsverarbeiter erklärt, hat er das Begehren weiterzuleiten und, soweit erforderlich, bei der Umsetzung zu unterstützen.

  1. Kaum Widerspruch von Angeschriebenen in der Praxis, häufig sogar Interesse

Nicht nur abstrakt ist der Belästigungscharakter von Briefwerbung als gering anzusehen. Vielmehr wird die abstrakte Aussage auch durch die Praxis bestätigt, in welcher nur wenige Personen von ihrem Widerspruchsrecht gegen Brief‑ werbung Gebrauch machen. Tatsächlich ist es offenbar so, dass ein nicht unerheblicher Teil der Angeschriebenen sich für die werblichen Informationen interessiert und gar nicht auf die Informationen verzichten will. Infolge von Briefwerbung kommen regelmäßig Geschäftsabschlüsse zustande. In diesen Fällen müssen die Angeschriebenen die werblichen Informationen als hilfreich und sinnvoll verstanden haben, sonst hätten sie sich nicht in der Folge – eigeninitiativ und ohne Druck – an das Unternehmen gewandt, um vertragliche Beziehungen einzugehen.

Eine Selektion im Hinblick auf ihre potenziellen Interessen dient, sofern nicht unangemessen in die Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird, letztlich auch den Interessen der Angeschriebenen. Briefwerbung nach dem „Gießkannenprinzip“ ist weder aus Sicht der werbenden Stelle noch aus Sicht der Werbeadressaten eine sinnvolle Alternative.

  1. Korrektiv über Portokosten

Anders als bei E-Mail-Werbung, die bezogen auf den einzel‑ nen Adressaten keinen messbaren Kostenaufwand erzeugt, besteht im Hinblick auf Briefwerbemaßnahmen ein „natür‑ liches“ Korrektiv durch die verursachten Material- und Portokosten. Bereits die entstehenden Portokosten führen faktisch regelmäßig dazu, dass betroffene Personen nicht mit Briefwerbung überhäuft, sondern gezielt informiert werden durch die werbenden Unternehmen. Auch das versandte Werbematerial kann relevante Kosten erzeugen, etwa wenn Kataloge oder Hochglanzprospekte verschickt werden. Anders als E-Mail-Werbung werden Unternehmen Briefwerbung daher bereits im Eigeninteresse nicht wahllos und mas‑ senhaft versenden. Die Kosten haben außerdem zur Folge, dass werbende Unternehmen typischerweise Erfolgskontrollen bezogen auf ihre Werbemaßnahmen durchführen. Ebenfalls im Eigeninteresse werden werbende Unternehmen Briefwerbung nach einem gewissen Zeitraum regelmäßig einstellen, wenn die Adressaten nicht reagieren.

  1. Fehlende Vergleichbarkeit mit Onlinewerbung

Die Datenverarbeitung im Zusammenhang mit der Briefwerbung über Adressverlage unterscheidet sich im Hinblick auf den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der angeschrie‑ benen Personen wesentlich von derjenigen im Rahmen der verhaltensbasierten Onlinewerbung („Online Behavioural Targeting“). Verhaltensbasierte Onlinewerbung basiert auf Informationen über das tatsächliche Verhalten des Nutzers bzw. der Nutzerin, nämlich seines bzw. ihres Klickverhaltens. Briefwerbung über Adressverlage basiert hingegen, wie dar‑ gestellt, hauptsächlich auf eigenen bewussten Angaben des Werbeadressaten, statistischen Informationen oder Daten aus anderen Bereichen, wie z.B. kartografischen Daten. Auch wenn die Arbeit professioneller Adressverlage die Erfolgs‑ quote von Briefwerbesendungen erheblich erhöhen kann, basiert deren Tätigkeit – aus datenschutzrechtlicher Sicht begrüßenswert – typischerweise zu wesentlichen Teilen auf „Mutmaßungen“ und nicht auf konkreten natürlichen Perso‑ nen zugeordneten Persönlichkeitsprofilen.

  1. Gefährdung des Persönlichkeitsrechts durch mittelbare Übermittlung von Lifestyleinformationen?

Adressverlage werben damit, fein abgestimmte Markt‑ segmente erreichen zu können und geben ihren Kunden die Möglichkeit, diverse und feingranulare Kriterien für die Selektion der benötigten Kontaktdaten vorzugeben. Zwar stellen die Adressverlage ihren Kunden unmittelbar keine Kontaktdaten zur Verfügung, die diesen detaillierten Profi‑ len zugeordnet sind, denn die Kontaktdaten erhält lediglich der Lettershop, welcher typischerweise die Selektionskriterien selbst nicht kennt. Datenschützer haben aber zum Teil die Befürchtung, dass es zu einer mittelbaren Übermittlung detaillierter Lifestyleprofile an das werbende Unternehmen jedenfalls dann kommt, wenn sich im Rahmen der Kampagne angeschriebene Personen aufgrund der Aktion an das werbende Unternehmen wenden. Denn in diesem Moment kann das werbende Unternehmen nachvollziehen, dass der Adressverlag der betreffenden Person die von ihm vorgegebenen Selektionskriterien zugeordnet hat. Hieraus entsteht die Sorge, das Unternehmen könnte nunmehr den Datensatz des betreffenden Interessenten um die Selektionskriterien anreichern und in der Folge einen Datensatz mit einer Profiltiefe erlangen, den es ansonsten allenfalls auf Basis einer Einwilligung des Betroffenen hätte erzielen können.

Zutreffend ist insoweit, dass das werbende Unternehmen davon ausgehen kann, dass Personen, die sich in unmittel‑ barem zeitlichen Zusammenhang zu der Werbeaktion bei ihm melden bzw. sich ggf. sogar explizit auf eine bestimmte Werbeaktion beziehen, vom Adressverlag aufgrund der vereinbarten Selektionskriterien ausgewählt wurden. Allerdings wird hierdurch schon nicht zwingend ein Rückschluss auf die dem konkreten Interessenten zugeordneten Kriterien möglich. Denn die Datensätze, die einer Aktion zugrunde liegen, müssen nicht homogen sein. So kommt es in der Praxis etwa vor, dass der Adressverlag für eine bestimmte Auswahl, z.B. „Alter 40-60 Jahre, in einer Wohnung lebend, Hundebesitzer“, nicht ausreichend Adressmaterial bereitstellen kann. In diesem Fall kann es sein, dass nach Rücksprache mit dem Kunden z.B. Datensätze mit den Kriterien „Alter 40-60 Jahre, in einer Wohnung lebend, Jäger“ ebenfalls für die Aktion verwendet werden. Bei der Kontaktaufnahme kann das werbende Unternehmen dann nicht mehr nachvollziehen, welche Merkmale dem konkreten Interessenten zugeordnet waren.

Ohnedies ist eine Zuspeicherung der Selektionskriterien für die werbende Stelle nicht so interessant, wie es zunächst erscheinen mag. Wie dargestellt, handelt es sich bei den Lifestyledaten regelmäßig nur um statistisch extrapolierte Wahrscheinlichkeiten oder Verallgemeinerungen bzw. Durchschnittswerte auf Nachbarschaftsebene. Sofern eine angeschriebene Person sich bei der werbenden Stelle meldet, dürfte es für das Unternehmen regelmäßig sinnvoller sein, diese unmittelbar nach ihren Eigenschaften und Präferenzen zu befragen und auf diese Weise tatsächlich zutreffende Informationen über diese Person zu speichern, anstatt mit Mutmaßungen zu arbeiten.

  1. Wille des Verordnungsgebers

Wie dargestellt, darf gem. ErwG 47 S. 7 DS‑GVO die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke der Direktwerbung als eine einem berechtigten Interesse dienende Verarbeitung betrachtet werden. Wollte man das Lettershopverfahren, wie es eingangs beschrieben wurde,[24] lediglich bei Vorliegen einer Einwilligung der betroffenen Person als datenschutzrechtlich zulässig erachten, so liefe der offenkundig hinter ErwG 47 S. 7 DS‑GVO stehende Wille des Verordnungsgebers, Direktwerbung jedenfalls im Grundsatz auf Basis einer Interessenabwägung ermöglichen zu wol‑ len, praktisch weitgehend ins Leere. Der ErwG wäre nämlich ohne praktische Konsequenz für Stellen, die keine Bestandskunden haben, ihre Briefwerbung aber aus Kostengründen nicht nach dem „Gießkannenprinzip“ versenden wollen. Gerade diejenigen Stellen, die am meisten darauf angewiesen sind, wie Start-ups und Neugründungen ohne eigenen Kunden- und Interessentenstamm, würden von der durch ErwG 47 S. 7 DS‑GVO intendierten datenschutzrechtlichen Zulässig‑ keit von Direktwerbemaßnahmen per Brief ausgeschlossen. Dies spricht gegen eine entsprechende Auslegung der Verordnung, zumal deren Wortlaut nicht zwischen den Werbeinteressen gegenüber eigenen Kunden bzw. Interessenten und dem Interesse differenziert, bislang unbekannte natürliche Personen als potenzielle Neukunden anzusprechen. Dass der Verordnungsgeber davon ausging, dass Direktwerbung datenschutzrechtlich jedenfalls im Grundsatz einwilligungsfrei möglich sein soll, zeigen auch die Bestimmung zum Werbewiderspruch in Art. 21 Abs. 2 DS‑GVO und der zugehörige ErwG 70.[25]

  1. Einwilligung keine geeignete Alternative

Bei Bewertung des Lettershopverfahrens ist schließlich zu berücksichtigen, dass die Einholung einer Einwilligung der betroffenen Person de facto keine Alternative darstellen kann, um dieses rechtskonform zu praktizieren. Denn datenschutzrechtliche Einwilligungen sind nur dann als wirksam zu erachten, sofern sie informiert erfolgen (vgl. Art. 4 Nr. 11 DS‑GVO). Insofern hat der EDSA in seinen Leitlinien 5/2020 zur Einwilligung ausgeführt, „dass in einem Fall, in dem sich mehrere (gemeinsame) Verantwortliche auf die ersuchte Einwilligung stützen wollen, oder wenn die Daten an andere Verantwortliche übermittelt oder von anderen Verantwortlichen verarbeitet werden sollen, die sich auf die ursprüngliche Einwilligung stützen möchten, alle diese Organisationen zu nennen sind.“ Eine solche namentliche Nennung aller potenziellen künftigen Kunden ist dem Adressverlag schlicht nicht möglich.

IV. Besonderheiten bei der Werbung für Spenden durch gemeinnützige Organisationen[26]

Ob bzw. in welchen Fällen Werbung für Spenden als Werbung i.S. des Datenschutz- und Wettbewerbsrechts anzusehen ist, ist noch nicht abschließend geklärt.[27]

Festgestellt werden können wird jedenfalls Folgendes: Unterstellt man, dass auch Spendenwerbung gemeinnütziger Organisationen Werbung i.S.d. DS‑GVO darstellt, so ist jedenfalls davon auszugehen, dass die zugehörigen Datenverarbeitungen auch von ErwG 47 S. 7 DS‑GVO erfasst sind. Wollte man dies anders beurteilen, käme es zu dem widersprüchlichen und durch den europäischen Gesetzgeber wohl kaum beabsichtigten Ergebnis, dass die Einwerbung von Spenden höheren datenschutzrechtlichen Anforderungen unterliegen würde als „normale“ Direktwerbung für Produkte oder Dienstleistungen.

Zwar findet sich ein §  28 Abs.  3 S. 2 Nr. 3 BDSG a.F. vergleichbarer spezieller datenschutzrechtlicher Erlaubnistatbestand für steuerrechtlich anerkannte Spendenorganisationen im aktuell geltenden Datenschutzrecht nicht mehr, die Förderungs- und Erhaltungswürdigkeit entsprechender Organisationen kann aber im Rahmen der Interessenabwägung gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f)) DS‑GVO Berücksichtigung finden, werden doch werbliche Interessen zugunsten anerkannt gemeinnütziger oder mildtätiger Zwecke die Waagschale bei der Abwägung regelmäßig stärker zugunsten des Verantwortlichen ausschlagen lassen als die Verfolgung rein kommerzieller werblicher Interessen.

Aus dem Vorgesagten nicht abzuleiten ist hingegen, dass rein kommerzielle weibliche Interessen kein berechtigtes Interesse i.S.d. DS‑GVO begründen können. Berücksichtigungsfähig im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f) DS‑GVO sind grundsätzlich alle Interessen, welche sich im Einklang mit der Rechtsordnung befinden.[28] Hierzu zählen auch wirtschaftliche Interessen.[29] Auch kann im Fall der Werbung durch gemeinnützige Organisationen nicht auf die Abwägung der beiderseits betroffenen Interessen verzichtet werden. Die Verfolgung gemeinnütziger oder mildtätiger Zwecke lässt die Interessen der angeschriebenen Betroffenen also nicht ohne Weiteres zurücktreten.[30]

  1. Gemeinsame Verantwortlichkeit von Adressverlag und Werbendem beim Lettershopverfahren

Jahrzehntelang wurde im Rahmen des Lettershopverfahrens die werbetreibende Stelle als datenschutzrechtlich irrelevant eingestuft. Mangels Zugriffs auf die im Rahmen des Verfahrens verarbeiteten Adressdaten könne diese keine datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit tragen, so die Argumentation. Die Verantwortlichkeit der werbetreibenden Stelle beginne erst, wenn sich infolge der Werbeaktion ein Interessent an diese wende und die Stelle daraufhin die Daten der betroffenen Person verarbeite.

Angesichts der weiten Interpretation des EuGH zur gemeinsamen Verantwortlichkeit erscheint allerdings zweifelhaft, ob das Vorgesagte in dieser Form heute noch vertreten werden kann. Gem. Art. 26 Abs. 1 S. 1 DS‑GVO sind zwei oder mehr Verantwortliche i.S.v. Art.  4 Nr. 7 DS‑GVO gemeinsam datenschutzrechtlich verantwortlich, sofern sie Zwecke und Mittel der Datenverarbeitung gemeinsam festlegen. In drei zentralen Entscheidungen aus den Jahren 2018 und 2019[31] hat sich der EuGH mit dem Institut der gemeinsamen Ver‑ antwortlichkeit befasst und dabei sehr niedrige Hürden für die Annahme einer ebensolchen angenommen. Für den vor‑ liegenden Zusammenhang von besonderer Relevanz ist, dass nach dem Verständnis des EuGH gemeinsame Verantwort‑ lichkeit nicht im Sinne von gleichwertiger Verantwortlichkeit zu verstehen ist und ein gemeinsam Verantwortlicher nach dem EuGH auch keinen Zugang zu den in gemeinsamer Verantwortlichkeit verarbeiteten Daten haben muss.[32]

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es für die Begründung einer gemeinsamen Verantwortlichkeit bereits ausreichend, wenn ein Verantwortlicher die Verarbeitung allein (!) vornimmt, der andere Verantwortliche die Verarbeitung aber veranlasst bzw. ermöglicht und von deren Ergebnissen profitiert.[33] Lediglich für vor- oder nachgelagerte Vorgänge in der Verarbeitungskette, für die keine Zwecke und Mittel festgelegt werden, soll keine gemeinsame Verantwortlichkeit bestehen. Unter Berücksichtigung der Maßgaben des EuGH spricht viel für eine gemeinsame Verantwortlichkeit von Adressverlag und Werbendem beim Lettershopverfahren.[34]Denn die werbetreibende Stelle veranlasst die Datenverarbeitung im Rahmen des Lettershopverfahrens. Ohne den Auftrag der werbenden Stelle gegenüber dem Adressverlag würde die Datenverarbeitung, welche Gegenstand des Lettershopverfahrens ist, nicht erfolgen. Die werbetreibende Stelle profitiert auch von der stattfindenden Datenverarbeitung, nämlich dadurch, dass sich infolge der Werbeaussendung Interessenten an sie wenden und Geschäftsabschlüsse zustande kommen. Schließlich nimmt die werbetreibende Stelle über die Vorgabe von Selektionskriterien im Hinblick auf die Adressdaten auch wesentlichen Einfluss auf die Datenverarbeitung.[35]

Praktische Konsequenz der gemeinsamen Verantwortlichkeit ist, dass eine Vereinbarung nach Art.  26 DS‑GVO zu schließen ist. In dieser ist in transparenter Form festzulegen, wer von den Verantwortlichen welche in der DS‑GVO gere‑ gelten Verpflichtungen erfüllt, insbesondere die Betroffe‑ nenrechte und die Informationspflichten nach Artt. 13 und 14.

Keine datenschutzrechtliche Verantwortung trägt regel‑ mäßig der eingeschaltete „Lettershop“. Dieser handelt rein weisungsgebunden, führt als Auftragsverarbeiter (Art.  28 DS‑GVO) Adressen und Werbematerial zusammen und orga‑ nisiert den Versand der personalisierten Werbesendungen.

V. Fazit

Ganz bewusst verzichtet der vorliegende Beitrag auf eine abschließende Bewertung bezüglich der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit von Briefwerbung bzw. des Lettershopverfahrens. Ohnehin bedarf es stets der Beurteilung des jeweiligen konkreten Einzelfalls und es ist nicht auszuschließen, dass in der Praxis im Rahmen des Lettershopverfahrens auch Datenverarbeitungen stattfinden, die aus datenschutzrechtlicher Sicht kritikwürdig sein mögen. In Anbetracht der Vielzahl der Ar‑ gumente, die zugunsten der Briefwerbung vorgebracht werden können sowie zugunsten des Lettershopverfahrens, wie es seit Jahrzehnten von Verbraucherschutzseite im Wesentlichen kritiklos praktiziert wird, soll der vorliegende Beitrag primär ein Plädoyer dafür sein, bei der datenschutzrechtlichen Bewertung mittels des Lettershopverfahrens durchgeführter Briefwerbung das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten.

Auch mit Blick auf die aktuelle Wirtschaftslage wäre es wünschenswert, jahrzehntelang praktizierten Verfahrensweisen nicht vorschnell und ohne Not den Stempel der vermeintlichen datenschutzrechtlichen Unzulässigkeit aufzudrücken. Angesichts der Persönlichkeitsrechtsgefährdungen, welchen Bürger und Bürgerinnen insbes. im Rahmen der Internetnutzung ausgesetzt sind, müssen sich diejenigen Datenschutzaufsichtsbehörden, die das Lettershopverfahren kritisch sehen, schließlich die Frage stellen, ob ein „Angriff“ auf das Lettershopverfahren ihnen, wenn überhaupt, nicht nur einen Pyrrhussieg einbringen kann.

RAin Yvette Reif, LL.M. ist stellvertretende Geschäftsführerin der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V.

 

[1] Gola/Heckmann/Schulz, DS‑GVO/BDSG, 3. Aufl., DS‑GVO Art. 6 Rn. 70.

[2] Gola/Heckmann/Schulz, DS‑GVO Art. 6 Rn. 81.

[3] Ähnlich Gola/Heckmann/Schulz, DS‑GVO Art. 6 Rn. 80.

[4] Gola/Heckmann/Schulz, DS‑GVO Art. 6 Rn. 85.

[5] Vgl. auch § 35 Abs. 1 S. 2 BDSG a.F., nach dem Schätzdaten als solche zu kennzeichnen waren.

[6] Die nachfolgenden Argumente basieren auf der GDD-Stellungnahme vom 07.06.2022 zum DSK-Beschluss „Datenschutzkonformer Online-Handel mittels Gastzugang“ (Stand: 24.03.2022) sowie allgemein zur werblichen Verarbeitung personenbezogener Daten aufgrund eines berechtigten Interesses.

[7] Gola/Heckmann/Schulz, DS‑GVO Art. 6 Rn. 72.

[8] Gola/Heckmann/Schulz, DS‑GVO Art. 6 Rn. 72.

[9] Gola/Heckmann/Schulz, DS‑GVO Art. 6 Rn. 72.

[10] OLG Stuttgart, Beschl. v. 02.02.2024 – 2 U 63/22.

[11] GDD-Stellungnahme vom 07.06.2022 (Fn. 6), Abschnitt VI.

[12] GDD-Stellungnahme vom 07.06.2022 (Fn. 6), Abschnitt VI.

[13] Vgl. oben II. 3. Schritt 4

[14] Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Schantz, Datenschutzrecht, 1. Aufl. 2019, DS‑GVO Art. 6 Abs. 1 Rn. 108.

[15] Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Schantz, DS‑GVO Art.  6 Abs.  1 Rn. 108.

[16] Gola/Heckmann/Schulz, DS‑GVO Art. 6 Rn. 67; Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Schantz, DS‑GVO Art. 6 Abs. 1 Rn. 108; Tavanti, RDV 2016, 295 (299).

[17] Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Schantz, DS‑GVO Art.  6 Abs.  1 Rn. 108.

[18] Dazu Jens Eckhardt, Podcast Orientierungshilfe Direktwerbung 2022: Einzel‑ aspekte, Otto Schmidt live – der Podcast, 20.03.2022.

[19] Ähnlich Eckhard, ZD 2022, 307 (308 f.); Drewes, ZD 2024, 68 (70); Gola/Heckmann/Schulz, DS‑GVO Art. 6 Rn. 68; LAG Hamm, Urt. v. 14.12.2021 – 17 Sa 1185/20 (ArbG Herne); Datenschutzbehörde Österreich, Entscheidung vom 01.08.2023 (Geschäftszahl 2023-0.544.853); kritisch demgegenüber DSK, Orientierungshilfe zur Verarbeitung von personenbezogenen Daten für Zwecke der Direktwerbung unter Geltung der DS‑GVO, Stand: Februar 2022, S. 4: „Die Erwartungen der betroffenen Person können dabei nicht durch die nach der DS‑GVO vorgesehenen Pflichtinformationen (Artt. 13, 14 DS‑GVO) erweitert werden.“

[20] Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Caspar, DS‑GVO Art. 21 Rn. 20.

[21] Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Caspar, DS‑GVO Art. 21 Rn. 20 ff.

[22] Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann/Caspar, DS‑GVO Art. 21 Rn. 22.

[23] Verweis auf II. 3.

[24] Vgl. im Einzelnen Argument 4.

[25] ErwG 70: „Werden personenbezogene Daten verarbeitet, um Direktwerbung zu betreiben, so sollte die betroffene Person jederzeit unentgeltlich insoweit Widerspruch gegen eine solche – ursprüngliche oder spätere – Verarbeitung einschließlich des Profilings einlegen können, als sie mit dieser Direktwerbung zusammenhängt. […]“

[26] Dieser Unterabschnitt stellt eine Zusammenfassung der rechtlichen Wertung dar, aus Reif, Praxisfälle zum Datenschutzrecht XXIV: Einmal Spender – immer Spender?, RDV 2023, 313.

[27] Ausführlich hierzu Paal/Nikol, Spendenwerbung durch E-Mail-Direktmarketing zwischen UWG und DS‑GVO, GRUR 2023, 78.

[28] Simitis/Hornung/Spieker gen. Döhmann/Schantz, DS‑GVO Art. 6 Abs. 1 Rn. 98

[29] Simitis/Hornung/Spieker gen. Döhmann/Schantz, DS‑GVO Art. 6 Abs. 1 Rn. 98 unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 13.05.2014 – C-131/12, Rn. 81, 97, 99.

[30] Simitis/Hornung/Spieker gen. Döhmann/Schantz, DS‑GVO Art. 6 Abs. 1 Rn. 98.

[31] EuGH, Urt. v. 05.06.2018 – C-210/16 (Facebook-Fanpages); Urt. v. 10.07.2018 – C-25/17 (Zeugen Jehovas) sowie Urt. v. 29.07.2019 – C-40/17 (Fashion ID).

[32] EuGH, Urt. v. 05.06.2018 – C-210/16 (Facebook-Fanpages), Rn.  43 und 38; EuGH, Urt. v. 10.07.2018 – C-25/17 (Zeugen Jehovas), Rn. 66 und 69.

[33] GDD, Praxishilfe DS‑GVO: Joint Controllership (Stand: Dez. 2019), Abschnitt 3.1.

[34] Zur gemeinsamen Verantwortlichkeit beim Lettershopverfahren vgl. bereits Reif, RDV 2019, 30 ff.; ähnlich LfDI BW, 36. Tätigkeitsbericht (2020), S. 104; a.A. Drewes, ZD 2024, 68, 73; DDV, Stellungnahme vom 05.09.2023 zum Referen‑ tenentwurf (Bearbeitungsstand: 09.08.2023) eines Ersten Gesetzes zur Änderung des BDSG (abrufbar auf der Website des Bundesinnenministeriums).

[35] Vgl. auch EuGH, Urt. v. 05.06.2018 – C-210/16 (Facebook-Fanpages), Rn. 39.