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Urteil : Bestenauslese und Assessment-Center im öffentlichen Dienst : aus der RDV 4/2020, Seite 217 bis 218

(Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. April 2020 – 1 B 2734/18 –)

Archiv RDV
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  1. Als Instrument zur Qualifikationsfeststellung von Bewerbern im Rahmen der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG hat ein Assessment-Center nicht den gleichen Erkenntniswert wie dienstliche Beurteilungen/ Arbeitszeugnisse, da Erkenntnisse aus einem Assessment-Center als Momentaufnahmen lediglich Aussagen zu Eignung und Befähigung, nicht aber zur fachlichen Leistung ermöglichen.
  2. Beruhen Beurteilungen von Bewerbern auf unterschiedlichen Beurteilungssystemen, hat der für die Auswahl zuständige Dienstherr einen objektiven Vergleichsmaßstab zu bilden, auf dessen Grundlage er die Qualifikationseinschätzungen der Bewerber miteinander vergleichen kann. 3. Konstitutive Merkmale eines Anforderungsprofils müssen objektiv und ohne zusätzliches Werturteil des Dienstherrn eindeutig und unschwer festgestellt werden können.

Aus den Gründen:

Die Auswahlentscheidung zu Gunsten des Beigeladenen hat die Antragstellerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzt.

Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt.

Bei mehreren Bewerbern gilt folgendes: Hat sich der Dienstherr in der Stellenausschreibung des Personalauswahlinstruments eines Anforderungsprofils bedient und hierbei in rechtmäßiger Weise den Kreis der Bewerber durch das Aufstellen eines sog. konstitutiven Anforderungsprofils, dessen Merkmale die Bewerber zwingend erfüllen müssen, gesteuert und eingeengt, scheiden Bewerber, die ein konstitutives Merkmal nicht erfüllen, aus dem Auswahlverfahren aus. Ein umfassender Eignungs-, Befähigungs- und Leistungsvergleich (Qualifikationsvergleich) findet dann nur zwischen den Bewerbern statt, die das konstitutive Anforderungsprofil erfüllen.

Hat der Dienstherr kein konstitutives Anforderungsprofil geschaffen, so muss ein Qualifikationsvergleich sämtlicher Bewerber erfolgen.

Ausgangspunkt dieses für die Auswahlentscheidung vorzunehmenden Vergleichs sind in erster Linie die aktuellen dienstlichen Beurteilungen der Bewerber (erste Ebene). Beurteilungsmaßstab bei dienstlichen Beurteilungen sind dabei die Anforderungen des (ausgeübten oder angestrebten) statusrechtlichen Amtes, nicht hingegen die Anforderungen der (aktuellen oder beabsichtigten) konkreten dienstlichen Verwendung des Beamten (Amt im konkret-funktionellen Sinn, Dienstposten). Besteht auf der Grundlage der Gesamturteile der aktuellen dienstlichen Beurteilungen ein annähernder Gleichstand der Bewerber (sog. qualifikatorisches Patt), hat eine umfassende inhaltliche Auswertung der aktuellen dienstlichen Beurteilung anhand der in ihnen enthaltenen statusamtsbezogenen Einzelbewertungen zu erfolgen (sog. Ausschöpfung/Ausschärfung).

Ergibt der Qualifikationsvergleich nach den Gesamturteilen der aktuellen dienstlichen Beurteilungen sowie nach Ausschöpfung der in ihnen enthaltenen Einzelbewertungen eine im Wesentlichen gleiche Eignung der Bewerber, liegt es – vorbehaltlich normativer Regelungen wie § 33 Abs. 1 Satz 2 der Bundeslaufbahnverordnung – im Ermessen des Dienstherrn, welche weiteren leistungsbezogenen Erkenntnisquellen (zweite Ebene) er zur Bestenauslese im Auswahlverfahren heranzieht. Als leistungsbezogene Erkenntnisquellen kommen frühere dienstliche Beurteilungen unter dem Blickwinkel der Kontinuität und der (prognostischen) Entwicklung des Leistungsbildes der Bewerber in Betracht, aber auch in einem sog. nichtkonstitutiven (fakultativen) Anforderungsprofil enthaltene Qualifikationserwartungen des Dienstherrn, die zudem an Erfordernisse des zu vergebenden konkreten Dienstpostens anknüpfen können. Auf dieser zweiten Ebene sind auch auf konkrete Anforderungen des zu besetzenden Dienstpostens bezogene strukturierte Auswahlgespräche als leistungsbezogene Erkenntnisquellen zulässig.

Erst wenn sowohl nach den aktuellen dienstlichen Beurteilungen (erste Ebene) als auch nach der im jeweiligen Einzelfall auf Grund einer Ermessensentscheidung erfolgten Heranziehung bestimmter leistungsbezogener Erkenntnisquellen (zweite Ebene) ein qualifikatorisches Patt verbleibt, darf der Dienstherr bei der Auswahlentscheidung auf nicht leistungsbezogene Hilfskriterien (dritte Ebene) zurückgreifen (vgl. zu Vorstehendem: Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 2018 – 1 B 1830/17 – juris Rn. 14 ff.; vom 14. Juni 2018 – 1 B 2345/17 – juris Rn. 38 ff; vom 16. Januar 2019 – 1 B 229/18 – juris Rn. 19 ff. und vom 30. April 2019 – 1 B 1675/18 – juris Rn. 19 ff.).

Nach diesem Maßstab verstoßen das von der Antragsgegnerin gewählte Auswahlverfahren und die auf ihm beruhende Auswahlentscheidung gegen die Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG.

Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin allerdings nicht im Hinblick auf ein von ihr nicht erfülltes konstitutives Merkmal des Anforderungsprofils in der Ausschreibung vom 15. Dezember 2017 aus dem Auswahlverfahren ausgeschieden. Im Zusammenhang der gerichtlichen Überprüfung der von der Antragsgegnerin tatsächlich vorgenommenen Auswahl bedarf daher weder der Klärung, welche der in der Ausschreibung vom 15. Dezember 2017 unter „Ihr Profil“ aufgeführten Merkmale konstitutiven und welche lediglich fakultativen Charakter haben (sollten), noch ob die Merkmale abhängig von ihrer entsprechenden Zuordnung den jeweils für sie geltenden Rechtmäßigkeitsanforderungen genügen.

Die Nichtauswahl der Antragstellerin hat vielmehr auf einem von der Antragsgegnerin initiierten und von ihr zu verantwortenden Qualifikationsvergleich unter Beteiligung der Kienbaum GmbH beruht, in dem ausgehend von den Resultaten eines Assessment-Centers dienstliche Beurteilungen herangezogen worden sind. Das hierbei von der Antragsgegnerin gewählte Vorgehen weist grundlegende Mängel auf.

Zunächst ist die durch die Antragsgegnerin erfolgte Verwendung eines Assessment-Centers als Instrument zur Qualifikationsfeststellung von Bewerbern, dessen Erkenntniswert mit dem deren dienstlicher Beurteilungen/Arbeitszeugnisse wenigstens gleichwertig, wenn nicht überlegen sein soll, mit dem Grundsatz der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG nicht vereinbar. Dies folgt bereits daraus, dass sich vorliegenden dienstlichen Beurteilungen/Arbeitszeugnissen Aussagen zu Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung als den drei Elementen der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG entnehmen lassen. Erkenntnisse aus einem Assessment-Center als Momentaufnahmen ermöglichen hingegen lediglich Aussagen zu Eignung und Befähigung („Potentialanalyse“), nicht aber Aussagen zur fachlichen Leistung, welche eine längerfristige Beobachtung voraussetzen (instruktiv zum Thema: Günther, Assessment-Center bei Beförderungsauswahl, ZBR 2019, 18 ff.).

Zum Übersehen des grundsätzlichen Vorrangs dienstlicher Beurteilungen/Arbeitszeugnisse als Instrument zur Bewertung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung durch die Antragsgegnerin tritt als weiterer wesentlicher Mangel hinzu, dass es an einem auf die zu vergebende Stelle bezogenen Qualifikationsvergleich, der die Antragstellerin einschließt, fehlt. Einen solchen Vergleich hat die Antragsgegnerin nur zwischen den vier Bewerbern vorgenommen, die – wie der Beigeladene – aufgrund der persönlichen Gespräche mit Vertretern der Kienbaum GmbH am Assessment-Center teilgenommen haben. Für die auf „on hold“ gesetzten übrigen vier Bewerber – darunter die Antragstellerin – hat die Antragsgegnerin einen Vergleich deren dienstlicher Beurteilungen/Arbeitszeugnisse nur zur Prüfung der Frage vorgenommen, ob diese noch in das Assessment-Center einzubeziehen seien, und diese Frage verneint.

Wird der zuletzt genannte Vergleich auch als eine Form des Qualifikationsvergleichs zwischen dem Beigeladenen und der Antragstellerin interpretiert, so leidet dieser Qualifikationsvergleich seinerseits an einem schwer wiegenden Mangel: Beruhen – wie dann hier bei der Konkurrenz zwischen der Antragstellerin als Beamtin und dem Beigeladenen als Arbeitnehmer – die Beurteilungen der Bewerber auf unterschiedlichen Beurteilungssystemen, ist vom für die Auswahl zuständigen Dienstherrn für die unterschiedlichen Beurteilungen ein objektiver Vergleichsmaßstab zu bilden, auf dessen Grundlage er die Qualifikationseinschätzungen der Bewerber miteinander vergleichen kann (Herstellung von Vergleichbarkeit/Kompatibilität). Hierzu ist es unerlässlich, dass die verschiedenen Beurteilungs- und Bewertungssysteme gegenüber zu stellen sind. Erforderlichenfalls hat der auswählende Dienstherr für den Vergleich der Bewertungsmaßstäbe eine erläuternde Stellungnahme zum angelegten Maßstab und zur Frage der Übereinstimmung und Einordnung in das eigene Beurteilungssystem einzuholen (vgl. Thüringisches OVG, Beschluss vom 9. Oktober 2017 – 2 EO 113/17 – juris Rn. 13 f.; OVG Bremen, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – 2 B 141/18 – juris Rn. 25 ff.). Die Antragsgegnerin hat es versäumt, eine entsprechende Vergleichbarkeit der dienstlichen Beurteilung der Antragstellerin und des Arbeitszeugnisses des Beigeladenen herzustellen.

Der sonach an schwerwiegenden Mängeln leidende Qualifikationsvergleich der Antragsgegnerin ist auch unter Berücksichtigung des in der Ausschreibung vom 15. Dezember 2017 enthaltenen Anforderungsprofils kausal für die unterbliebene Auswahl der Antragstellerin. Das Anforderungsprofil enthält abgesehen vom Erfordernis eines erfolgreich abgeschlossenen (Hochschul-) Studiums, das die Antragstellerin erfüllt, keine konstitutiven Merkmale, bei deren Nichterfüllung die Antragstellerin ungeachtet der Defizite des durchgeführten Qualifikationsvergleichs ohnehin vom Auswahlverfahren ausgeschlossen wäre.

Ob ein konstitutives oder lediglich ein fakultatives Merkmal eines Anforderungsprofils vorliegt, bestimmt sich analog § 133 BGB nach dem objektiven Erklärungsinhalt der Ausschreibung. Rechtliche Zulässigkeitsvoraussetzung konstitutiver Merkmale eines Anforderungsprofils ist u.a., dass diese objektiv und unmittelbar, d.h. ohne zusätzliches Werturteil des Dienstherrn, feststellbar sind. Danach sind als konstitutiv einzustufen zwingend vorgegebene Merkmale, die anhand objektiv überprüfbarer Kriterien eindeutig und unschwer festgestellt werden können (vgl. hierzu sowie zu den weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen konstitutiver Merkmale eines Anforderungsprofils: Senatsbeschlüsse vom 25. Januar 2018 – 1 B 1786/17 – juris Rn. 19 f. und vom 8. Februar 2018 – 1 B 1830/127 – juris Rn. 15 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. September 2018 – 10 S 72/17 – juris Rn. 16 ff.; Baßlsperger in: Weiss/Niedermaier/ Summer/Zängl, BayBeamtenr, § 9 BeamtStG Rn. 105 ff., Bearbeitungsstand: August 2019).

Die im Anforderungsprofil in der Ausschreibung vom 15. Dezember 2017 enthaltenen Kriterien der vertieften Kenntnisse und der Erfahrung im operativen und strategischen Personalmanagement, der Erfahrung im Bereich Personalentwicklung, der Bereitschaft zur Veränderung und zu Innovationen, der fachlichen Kompetenz und der überzeugenden Persönlichkeit, der Identifikation mit dem Leitbild der DRV Hessen sowie den Grundsätzen für Führung und Zusammenarbeit, einer ausgeprägten Koordinationsund Steuerungsfähigkeit, der umfassenden Führungserfahrung, des hohen Verantwortungsbewusstseins, der Kooperationsbereitschaft, des Engagements, des sicheren sympathischen Auftretens, der Kommunikationsstärke und Verbindlichkeit, des Durchsetzungsvermögens, der Eigeninitiative, der Entscheidungsfreude sowie des Verhandlungsgeschicks und der Belastbarkeit sind nach diesem Maßstab schon infolge ihrer Wertungsabhängigkeit keine konstitutiven Merkmale des Anforderungsprofils, sondern fakultative Merkmale, die als Qualifikationserwartungen des Dienstherrn erst auf der zweiten (leistungsbezogenen) Ebene des Qualifikationsvergleichs Bedeutung erlangen können.

Im Übrigen nimmt der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main Bezug, die auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens weiterhin Geltung beanspruchen.

Die Antragsgegnerin hat gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, da ihre Beschwerde erfolglos geblieben ist. Es besteht keine Veranlassung, der unterliegenden Partei oder der Staatskasse aus Billigkeit die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, da dieser im Beschwerdeverfahren keine eigenen Anträge gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO.