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Urteil : Zu den Ermittlungen vor einer Verdachtskündigung (…) : aus der RDV 4/2020, Seite 212 bis 213

(Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Dezember 2019 – 7 Sa 557/19 –)

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  1. Der Arbeitgeber darf alle Daten speichern und verwenden, die er benötigt, um die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast in einem potenziellen Kündigungsschutzprozess zu erfüllen.
  2. Auch ohne Vorliegen eines durch Tatsachen begründeten Anfangsverdachts einer Pflichtverletzung können wenig intensiv in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifende Datenerhebungen, -verarbeitungen und -nutzungen nach § 26 BDSG zur Mitarbeiterkontrolle erlaubt sein (vgl. BAG 31.01.2019 – 2 AZR 426/18 – Rn. 53 – juris zur Vorgängerregelung in § 32 Abs. 1 BDSG).

Aus den Gründen:

Dass die Pflichtverletzung, derer die Klägerin verdächtig ist, nämlich Erschleichen einer Anwohnerparkvignette, wäre sie er wiesen, eine schwere Pflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 BGB darstellt, steht außer Frage. Eine solche Pflichtverletzung kommt typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht (BAG 31.01.2019 – 2 AZR 426/18 – Rn. 75).

2.2.4 Das beklagte Land hat diese Umstände ausweislich seines Vortrages ausermittelt. Es hat zunächst ermittelt, wer über Anwohnerparkausweise für die Zonen 42 und 43 verfüge, ohne Anwohner dieser Zonen zu sein. Weiterhin hat es überprüfen lassen, ob die jeweiligen Fahrzeuge, so auch das Fahrzeug der Klägerin, in der Nähe der Dienststelle zu Dienstzeiten abgestellt war, und dies entsprechend dokumentiert. Die von der Klägerin erhobenen datenschutzrechtlichen Bedenken in Bezug auf die Fertigung von Fotos ihres Fahrzeuges greifen nicht. Nach § 26 Abs. 1 S. 1 Bundesdatenschutzgesetz n.F. dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses unter anderem dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Zur Durchführung gehört die Kontrolle, ob der Arbeitnehmer seinen Pflichten nachkommt, zur Beendigung i.S.d. Kündigungsvorbereitung die Aufdeckung einer Pflichtverletzung, die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann. Der Begriff der Beendigung umfasst dabei die Abwicklung eines Beschäftigungsverhältnisses. Der Arbeitgeber darf deshalb alle Daten speichern und verwenden, die er benötigt, um die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast in einem potenziellen Kündigungsschutzprozess zu erfüllen. Weniger intensiv in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifende Datenerhebungen, -verarbeitungen und -nutzungen können nach § 26 BDSG ohne Vorliegen eines durch Tatsachen begründeten Anfangsverdachts – zumal einer Straftat oder anderen schweren Pflichtverletzung – erlaubt sein (vgl. BAG 31.01.2019 – 2 AZR 426/18 – Rn. 53 – juris zur Vorgängerregelung in § 32 Abs. 1 BDSG).

Nach diesen Grundsätzen liegt ein Vortragsverwertungsverbot nicht vor. Die Datenerhebung und -verarbeitung ist durch das berechtigte Interesse des beklagten Landes zur Aufklärung des Verdachts einer schweren Pflichtverletzung nach der Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt. Nachdem das beklagte Land Kenntnis davon erhalten hatte, dass Mitarbeiter der Parkraumüberwachung im Besitz von Anwohnerausweisen waren, ohne Anwohner zu sein, durfte es zur Aufklärung dieses Verdachts im System VOIS die Daten der Fahrzeuge und Mitarbeiter ermitteln, die über entsprechende Ausweise verfügten. Die dort verarbeiteten Daten dienen gerade dazu, die Berechtigung für den erteilten Ausweis zu belegen und überprüfbar zu halten. Die weiteren Ermittlungen zu den Standorten und -zeiten des Fahrzeugs der Klägerin stellt schon deshalb einen geringen Eingriff in die Sphäre der Klägerin dar, weil nur das Fahrzeug von den Beobachtungen betroffen war und dieses auf öffentlichem Land geparkt hatte. Hier überwiegt das Interesse des beklagten Landes an der Aufklärung einer möglichen schweren Pflichtverletzung gegenüber den Interessen der Klägerin. Ein gleich wirksames und weniger einschränkendes Mittel als die Beobachtung des geparkten Fahrzeuges in den entsprechenden Zonen gab es nicht.

Die Klägerin wurde zu den Vorwürfen ordnungsgemäß angehört. Sie wurde zu einem Gespräch geladen, das sie nicht wahrgenommen hat; sie hat sodann schriftsätzlich zunächst unter Hinweis auf private Lebensverhältnisse die Aussage verweigert. Dabei war der Klägerin mit Schreiben vom 05.07.2018 mitgeteilt worden, welchen Sachverhalt die Beklagte für aufklärungsbedürftig hält und zu dem ihr Gelegenheit gegeben werden soll, Stellung zu nehmen. Insbesondere hat die Beklagte in dem Anschreiben vom 05.07.2018 die Fragen formuliert, die auf die Situation der Klägerin bezogen waren. Die jeweiligen Reaktionen der Klägerin durfte die Beklagte dahin verstehen, dass sich die Klägerin zu den Vorwürfen jedenfalls der Beklagten gegenüber nicht weiter äußern werde. In einem solchen Fall ist das Verfahren dann abgeschlossen, da der Arbeitgeber von der Anhörung eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes nicht erwarten kann.

2.3 Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen der beiden Vertragsparteien war es dem beklagten Land nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Im Rahmen der anzustellenden Interessenabwägung war das Interesse der Beklagten an der Beendigung höher zu gewichten als das Bestandsinteresse der Klägerin. Auf deren Seite wogen die in die Betrachtung einzubeziehenden Sozialdaten nicht sehr hoch, denn die Klägerin ist in einem jüngerem Lebensalter und nur etwas über 5 Jahre beschäftigt. Demgegenüber fiel auf Beklagtenseite erheblich der Umstand ins Gewicht, dass der Beklagte als öffentliche Dienststelle unbedingt das Interesse haben darf und muss, seine öffentliche Tätigkeit durch Personen ausüben zu lassen, die der Rechtsordnung verpflichtet sind und die Vorschriften einzuhalten gewillt sind. Dies ist er schon den Bürgern des Landes schuldig. Besonders schwerwiegend war im Streitfalle der Umstand zu berücksichtigen, dass die Klägerin in ihrem genuinen Arbeitsbereich einer groben Pflichtwidrigkeit dringend verdächtig war. Zwar ist die Klägerin nicht für die Erteilung der Vignetten zuständig, aber der dringende Tatverdacht richtet sich gerade darauf, dass sie sich als Insiderin einen Vorteil zu Lasten ihres Arbeitgebers verschaffen wollte und hierzu bereit war, außerhalb der Rechtsordnung zu agieren. Das war unter keinen Gesichtspunkten für den Beklagten hinnehmbar und auch für die Klägerin erkennbar, so dass eine Abmahnung entbehrlich war. Die Klägerin hat im Rahmen der Ermittlungen auch keine Erklärungen zum Sachverhalt abgegeben, die das Vertrauen des beklagten Landes in ihre Redlichkeit hätten wiederherstellen können.