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Urteil : Maskenpflicht in Zeiten des Corona-Virus : aus der RDV 4/2020, Seite 213 bis 216

(Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 5. Mai 2020 – 8 B 1153/20. N –)

Archiv RDV
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Keine einstweilige Außervollzugsetzung der durch § 1 Abs. 8a CoronaVV HE 4 angeordneten Pflicht, in bestimmten Einrichtungen – insbesondere Post- und Bankfilialen sowie beim Einkaufen – eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.

Aus den Gründen:

a) Wie der Senat bereits in seinen bisherigen Entscheidungen über Normenkontrolleilverfahren gegen die Vierte Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus festgestellt hat, ist die Verordnungsermächtigung in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen – Infektionsschutzgesetz (IfSchG) – in der zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Fassung, die sie durch das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I S. 587 ff.; BT-Drucks 19/18111) erhalten hat, jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutz verfahrens nicht zu beanstanden. Die Verordnungsermächtigung verletzt insbesondere weder das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG noch den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG und die Bestimmungen der Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus finden in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSchG auch eine hinreichende gesetzliche Grundlage (Hess. VGH, Beschlüsse vom 7. April 2020 – 8 B 892/20.N – und vom 8. April 2020 – 8 B 910/20.N, 8 B 913/20.N juris). An dieser Einschätzung hält der Senat fest.

bb) Die Voraussetzungen des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1, 2. Halbsatz, 2. Alt InfSchG für die hier streitgegenständlichen Beschränkungen durch die mit der 7. Verordnung zur Anpassung der Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 21. April 2020 eingefügte Regelung in § 1 Abs. 8a CoronaVV HE 4 sind gegeben. § 28 Abs. 1 InfSchG bestimmt, dass dann, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder wenn sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen trifft. Nach dem 2. Halbsatz der Norm kann sie insbesondere Personen verpflichten, von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.

Angesichts der nach wie vor ernsten Pandemielage in Deutschland und auch in Hessen gehört die streitgegenständliche Schutzmaßnahme zu den nach § 28 Abs. 1 Satz 1 InfSchG notwendigen Maßnahmen. Das Robert-Koch-Institut gab die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland bislang an COVID-19 Erkrankten für den 3. Mai 2020 mit 162.496 an, nannte 6.649 Todesfälle und schätzte die Zahl der Genesenen auf 130.600 (rki. de, täglicher Lagebericht per 3. Mai 2020, 00.00 Uhr). Die Zahlen steigen weiter; so werden am 4. Mai 2020 bereits 163.175 Personen als an COVID-19 erkrankt mitgeteilt, 6.692 Todesfälle benannt sowie die Zahl der Genesenen auf 132.700 geschätzt (Stand: 4. Mai 2020, 08:00 Uhr; rki.de). Nach den Feststellungen des Robert-Koch-Instituts war die Reproduktionszahl des CoronaVirus in den vergangenen Wochen gesunken und schwankte in den letzten Tagen um den Wert 1. Stand 4. Mai 2020 wurde die Ansteckungsrate nunmehr mit 0,76 angegeben. Im Mittel stecken damit 10 Infizierte 7,6 weitere Personen an (rki, Täglicher Lagebericht vom 4. Mai 2020, S. 7). Für den Senat ist danach nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber bei der verfassungsrechtlich gebotenen Evaluierung der bislang zur Bekämpfung des Corona-Virus ergriffenen Schutzmaßnahmen von nicht mehr vertretbaren Tatsachen oder Annahmen ausgegangen ist. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts handelt es sich immer noch um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Die Gefährdung für die Bevölkerung wird deshalb nach wie vor als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen sogar als sehr hoch. Dabei variiert die Gefährdung von Region zu Region. Die Belastung für das Gesundheitswesen hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen wie Isolierung, Quarantäne und physischer Distanzierung ab und kann örtlich sehr hoch sein (RKI, Lagebericht vom 4. Mai 2020, S. 8, rki.de).

cc) Der mit der angegriffenen Regelung in § 1 Abs. 8a CoronaVV HE 4 vorgenommene Eingriff in das Recht der Bürger auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die ihnen dadurch gewährleistete Handlungsfreiheit ist bei summarischer Prüfung mit höherrangigem Recht vereinbar.

aaa) Die den Bürgern auferlegte Pflicht, in den in § 1 Abs. 8a CoronaVV HE 4 genannten Situationen – insbesondere beim Einkauf und in Post- und Bankfilialen – einen Mund-Nasen-Schutz anzulegen, stellt zwar einen Eingriff in das jedem Bürger durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit dar, zu dem auch gehört, sich nach eigenem Geschmack zu kleiden. Als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung, zu der alle formell und materiell verfassungsmäßigen Normen – also auch Rechtsverordnungen – zählen, stellt der hier allein angegriffene § 1 Abs. 8a CoronaVV HE 4 allerdings die verfassungsgemäße Konkretisierung einer Schranke der Rechte aus Art. 2 GG dar.

Die Regelung ist – wie bereits dargelegt – formell ordnungsgemäß zustande gekommen und begegnet auch materiell keinen Bedenken; sie ist insbesondere nicht unverhältnismäßig.

(1) Der Eingriff erfolgt zu einem legitimen Zweck, nämlich dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere einer Verhinderung der Überlastung des Gesundheitssystems.

(2) Die Maßnahme dürfte auch geeignet und notwendig sein, um dieses Ziel zu erreichen. Zwar sind Selbstisolierung bei Erkrankung, eine gute Händehygiene, Einhalten von Husten- und Niesregeln sowie das Abstandhalten (mindestens 1,5 m) nach wie vor die wichtigsten und effektivsten Maßnahmen. Daneben ist jedoch nach derzeitigem Erkenntnisstand auch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes als ein weiterer Baustein zur Bekämpfung der Pandemie insbesondere angesichts zahlreicher unbemerkter Übertragungen vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen sinnvoll (vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin vom 14. April 2020, S. 4: Mund-Nase-Bedeckung im öffentlichen Raum als weitere Komponente zur Reduktion der Übertragungen von COVID-19). Es ist insoweit nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber mit der Anordnung dieser Maßnahme die Grenzen der ihm zuzugestehenden Einschätzungsprärogative überschritten hätte. Denn der Verordnungsgeber verletzt den ihm zustehenden Spielraum nicht dadurch, dass er bei der Vielzahl wissenschaftlicher Meinungen, die derzeit kursieren, bei mehreren vertretbaren Auffassungen einer den Vorzug gibt, soweit er nicht feststehende, damit unvereinbare Tatsachen ignoriert (ebenso OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. April 2020 – 13 B 539/20.NE – Presseerklärung, ovg.nrw.de). Jedenfalls sieht der Senat keine Anhaltspunkte für eine willkürliche oder nicht mit dem Ziel der Erhaltung eines leistungsstarken Gesundheitssystems zu vereinbarenden Änderung der CoronaVV HE 4.

Dem ist der Antragsteller nicht mit überzeugenden Argumenten entgegengetreten. Soweit er geltend macht, nach derzeitigem Stand gebe es in Deutschland nur noch 47.800 Infizierte, lässt das die Notwendigkeit weiterer, flankierender Maßnahmen nicht zwangsläufig entfallen. Denn diese nach Auffassung des Antragstellers geringe Zahl Infizierter dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass Deutschland bei Auftreten der Pandemie relativ schnell und massiv reagiert hat und damit Schlimmeres – wie etwa in Italien, Spanien und Frankreich – verhindern konnte. Nun werden diese strikten Maßnahmen schrittweise gelockert und um den auf Grund dessen zu befürchtenden steigenden Erkrankungszahlen zu begegnen, hat der Verordnungsgeber die Pflicht, an bestimmten Orten einen Mund-NasenSchutz zu tragen, eingeführt.

Der weitere Einwand des Antragstellers, die Zahlen des Robert-Koch-Instituts seien mit Vorsicht zu genießen und dienten offenbar dazu, das Interesse am Institut nicht sinken zu lassen, ist eine ungerechtfertigte Unterstellung und durch sachliche Gründe nicht untermauert. Solche Gründe sind auch für den Senat nicht ersichtlich. Die steigenden Zahlen werden vielmehr auch durch die Berechnungen der Johns-Hopkins-Universität bestätigt (166.152 Infizierte, 6.993 Tote und 135.100 Genesene, coronavirus.jhu.edu, am 5. Mai 2020, 8.32 Uhr). Die geänderten Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts sind überdies der Tatsache geschuldet, dass COVID 19 durch einen neuen Virus ausgelöst wird, der noch weitgehend unerforscht ist, so dass nahezu täglich neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden, die in die Risikobewertung einzubeziehen sind.

Soweit der Antragsteller geltend macht, die sog. „Maskenpflicht“ werde die Bevölkerung nur dazu veranlassen, sich – entgegen der Empfehlung – doch mit hochwirksamen, eigentlich dem medizinischen Personal vorbehaltenen Masken einzudecken, lässt sich ein solches Verhalten bislang in den Supermärkten nicht feststellen. Die Menschen sind ganz überwiegend mit selbst hergestellten oder einfachen OP-Masken ausgerüstet. Es sind daher bislang keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung insoweit unsolidarisch verhält. Sollten tatsächlich viele Personen in der vom Antragsteller beschriebenen Weise egoistisch und unsozial handeln, da bei ihnen nicht etwa eine Erkrankung vorliegt, die sie zum besonders gefährdeten Personenkreis gehören lässt, bleibt es dem Verordnungsgeber unbenommen, die angegriffene Verordnung insofern anzupassen.

Der Einwand, der Mund-Nasen-Schutz wiege die Menschen in trügerischer Sicherheit, da er jedenfalls den Träger nicht zuverlässig vor einer Ansteckung schütze, überzeugt ebenfalls nicht. Auch wenn es derzeit noch an gesicherten wissenschaftlichen Belegen dafür fehlt, dass diese Maßnahme zuverlässig geeignet ist, die Pandemie einzudämmen, indem sie jedwede Ansteckung verhindert, erscheint es plausibel, dass dadurch Tröpfchen, die beim Sprechen, Husten oder Niesen ausgestoßen werden, in ihrer Reichweite eingeschränkt werden und so zumindest teilweise Ansteckungen unterbunden werden können. Zudem erschwert der Mund-Nasen-Schutz die unbewusste Berührung der Schleimhäute im überdeckten Bereich mit ungereinigten Händen.

Allein der Umstand, dass die sichere Handhabung des MundNasen-Schutzes nicht gewährleistet ist, spricht ebenfalls nicht zwingend gegen den Einsatz des Schutzes. Denn die richtige Handhabung der Masken wird in Funk und Fernsehen und dem Internet ausführlich dargelegt, so dass sich jeder hinreichend informieren kann.

Schließlich vermag auch der Verweis auf Schweden als leuchtendes Beispiel nicht zu verfangen. Der schwedische Weg ist durchaus umstritten und verursacht bislang – bezogen auf die Einwohnerzahl – dreimal so viele Tote wie in Deutschland (tagesschau.de, Keine Intensi.V.m.edizin für über 80-Jährige?, 5. Mai 2020, 10:48). Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber einen anderen Weg einschlägt.

Die Bestimmung, dass Kinder unter sechs Jahren keinen Mundschutz tragen müssen, ist schließlich allein der Tatsache geschuldet, dass die praktische Umsetzung in diesen Fällen nahezu aussichtslos wäre.

(3) Die angegriffene Regelung erscheint bei der im Eilverfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung auch angemessen, d.h. verhältnismäßig im engeren Sinne. Zwar ist es dem Antragsteller und mit ihm der ganz überwiegenden Mehrzahl der Bürger einstweilen bis zum 10. Mai 2020 unmöglich, die in § 1 Abs. 8a CoronaVV HE4 genannten Räumlichkeiten ohne Mund-Nasen-Bedeckung zu betreten. Auf der anderen Seite rechtfertigt der Gesundheitsschutz, insbesondere das Ziel der Verlangsamung der Ausbreitung der hoch infektiösen Viruserkrankung, in der gegenwärtigen Situation einschneidende Maßnahmen wie sie der Antragsgegner vorliegend getroffen hat. Diese werden zwar derzeit vom Verordnungsgeber nach und nach gelockert. Wie oben dargestellt, ist es nach Ansicht von Experten jedoch entscheidend, diese Lockerungen mit Augenmaß durchzuführen, um die durch die bis zum 19. April 2020 erfolgte Schließung der Geschäfte, Schulen und sonstigen öffentlichen Einrichtungen erzielten Erfolge nicht wieder zunichte zu machen. In diesem Zusammenhang erscheint die Verpflichtung, in bestimmten Situationen einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, im Vergleich zu den ansonsten angeordneten Maßnahmen relativ wenig belastend, zumal sich einige Situationen durch Online-Bestellungen, -Kommunikation oder -Banking umgehen lassen. Hinzu kommt, dass die angegriffene Regelung Teil eines aktuell sehr dynamischen Prozesses ist, bei dem die getroffenen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nahezu täglich neu überdacht und angepasst werden. So ist auch die Verordnung vom 17. März 2020 in ihrer geänderten Form vorerst nur bis zum 10. Mai 2020 befristet, um die Konsequenzen der Lockerungen beurteilen und weitere Schritte erwägen und umsetzen zu können. Angesichts der immer wieder erfolgenden Prüfung, inwieweit Einschränkungen auch weiterhin vorgenommen werden müssen, haben die Interessen des Antragstellers gegenüber den öffentlichen Interessen zurückzustehen. Denn die angeordnete Maßnahme ist zur Gewährleistung der Gesundheit der Bevölkerung, einem auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07 u.a. –, juris Rn. 119 m.w.N.), derzeit immer noch notwendig.

bbb) Die streitgegenständliche Regelung steht ferner auch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Einklang. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das daraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen ebenso wie für ungleiche Begünstigungen. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch sachliche Gründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2019 – 1 BvL 1/18, 1 BvL 4/18, 1 BvR 1595/18 –, juris Rn. 94). Die an das Alter anknüpfende Freistellung von der Verpflichtung, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ist gerechtfertigt, weil kleinere Kinder – wie dargelegt – regelmäßig nicht in der Lage sind, einen Mundschutz zuverlässig zu tragen. Die Herausnahme von Personen, die auf Grund gesundheitlicher Beeinträchtigung oder Behinderung nicht in der Lage sind, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, ist im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz ebenfalls nicht zu beanstanden.

b) Auch der Hilfsantrag bleibt aller Voraussicht nach ohne Erfolg. Die vom Antragsteller gerügte Ungleichbehandlung mit Kindern unter 6 Jahren verstößt – wie bereits oben ausgeführt – nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die vorgenommene Differenzierung erfolgt nicht ohne sachlichen Grund. Sie dürfte auch in der Praxis nur von geringerer Relevanz sein, da die Lebensmittelgeschäfte in der Regel pro Einkaufswagen nur einer Person Zutritt gewähren, so dass die meisten Eltern kleinerer Kinder davon absehen dürften, diese zum Einkaufen mitzunehmen.

II. Eine bei (unterstellt) offenem Ausgang des Verfahrens vorzunehmende Folgenabwägung käme zu keinem anderen Ergebnis.

Die Abwägung zwischen dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollziehungsinteresse erfordert die Betrachtung der Folgen, die einträten, wenn die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache hingegen Erfolg hätte. Diese Auswirkungen sind zu vergleichen mit den Nachteilen, die entstünden, wenn die streitgegenständliche Regelung außer Vollzug gesetzt würde, dem Rechtsbehelf in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre. Bei dieser Abwägung ist in Rechnung zu stellen, ob dem Antragsteller unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung eine Hauptsacheentscheidung nicht mehr in der Lage wäre. Droht im Falle der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung von Grundrechten, die durch eine dem Antrag stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnte, ist diesem Umstand ein hohes Gewicht beizumessen, dem nur der Schutz herausragend wichtiger Rechtsgüter entgegengesetzt werden kann. Bei dieser Interessenabwägung ist jeweils die Richtigkeit des Vorbringens desjenigen als wahr zu unterstellen, dessen Position gerade betrachtet wird, soweit das jeweilige Vorbringen ausreichend substantiiert und die Unrichtigkeit nicht ohne weiteres erkennbar ist (vgl. Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 13. September 1991 – 4 M 125/91 –, zit. nach juris Rn. 13 f. m.w.N.).

Nach Auffassung des Senats muss hier das grundrechtlich geschützte Interesse des Antragstellers und der ganz überwiegenden Mehrheit der Bürger an ihrer Handlungsfreiheit zurückstehen. Insoweit überwiegt – wie bereits ausgeführt – das auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gestützte öffentliche Interesse am Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung vor einer weiteren Ausbreitung der hochansteckenden Viruskrankheit und insbesondere am Schutz der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens in Deutschland und des in medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Arztpraxen tätigen Personals vor einer akuten Überlastung. Die Gewährleistung der trotz der derzeit herrschenden Corona-Pandemie bestmöglichen Krankenversorgung stellt ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dar, für dessen Schutz der Staat von Verfassungs wegen auch im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG zu sorgen hat (vgl. ebenso Hess. VGH, Beschluss vom 3. April 2020 – 2 B 925/20 – m.w.N.). Das gilt umso mehr, als nach Angaben des Robert-Koch-Instituts die strengen Kontaktverbote erste Wirkungen gezeigt haben (RKI, Epidemiologisches Bulletin Nr. 16/2020 vom 3. April 2020, S. 4 unten) und die Reproduktionszahl zurzeit bei 0,76 liegt. Bei einer Abwägung der dem Antragsteller drohenden Nachteile als Folgen eines zeitlich befristeten Eingriffs in sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit mit dem staatlichen Auftrag der Bereitstellung eines effektiven Gesundheitssystems zur Gewährleistung des Grundrechts behandlungsbedürftiger, teilweise lebensbedrohlich erkrankender Personen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG setzt sich der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 10. April 2020 – 1 BvQ 28/20 – juris). Die mit der Verpflichtung, bei bestimmten Gelegenheiten eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, verbundenen Unannehmlichkeiten erscheinen in diesem Zusammenhang vergleichsweise geringfügig und zumutbar, zumal sie nur in bestimmten Situationen gilt (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. April 2020 – 13 B 539/20.NE –, Presseerklärung, ovg.nrw.de).