Urteil : Zu den verfassungsrechtlichen Maßgaben für strafrechtliche Verurteilungen wegen ehrbeeinträchtigender Äußerungen (Ls) : aus der RDV 4/2020, Seite 206
(Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2459/19, 1 BvR 2397/19, 1 BvR 1094/19 und 1 BvR 362/18 –)
- Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht bei ehrverletzenden Äußerungen wird dahingehend klarstellend zusammengefasst, dass die Beurteilung, ob eine ehrbeeinträchtigende Äußerung rechtswidrig und unter den Voraussetzungen der §§ 185, 193 StGB strafbar ist, in aller Regel von einer Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Interessen abhängig ist, die eine Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen einer Äußerung und ihrer Bedeutung erfordert.
- Eine Abwägung kann nur in besonderen Ausnahmefällen und nur unter engen Voraussetzungen entbehrlich sein, nämlich in den – verfassungsrechtlich spezifisch definierten – Fällen einer Schmähkritik, einer Formalbeleidigung oder einer Verletzung der Menschenwürde. Umgekehrt hat die Kammer betont, dass die Ablehnung eines solchen Sonderfalls, insbesondere das Nichtvorliegen einer Schmähung, das Ergebnis der Abwägung nicht präjudiziert.
- Die erforderliche Abwägung genügt auch unter Berücksichtigung des fachgerichtlichen Wertungsrahmens den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, wenn keine hinreichende Auseinandersetzung mit den konkreten Situationen erkennbar ist, in denen die Äußerungen gefallen sind.
(Nicht amtliche Leitsätze)