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Kurzbeitrag : Praxisfälle zum Datenschutzrecht XVIII: Videoüberwachung im Pausenraum : aus der RDV 5/2022, Seite 269 bis 272

Lesezeit 8 Min.

I. Sachverhalt

Das Kaufhaus K verfügt über einen „Sozialraum“, in den sich die Verkäufer/-innen in den Pausenzeiten zurückziehen können, um sich auszuruhen und Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Der Sozialraum wird videoüberwacht mit der Zweckbestimmung „Schutz des Eigentums der Mitarbeiter/-innen“. Als Begründung wird angeführt, dass in der Vergangenheit bereits Wertgegenstände von Mitarbeitern abhandengekommen seien, die diese nach der Pause nicht in ihre Spinde gebracht, sondern im Sozialraum gelassen haben.

Die Datenschutzbeauftragte D wird auf die Maßnahme aufmerksam. Was sollte sie tun? Ergibt sich ein Unterschied, wenn der Betriebsrat der Videoüberwachungsmaßnahme zugestimmt hat und eine diesbezügliche Betriebsvereinbarung geschlossen wurde?

II. Musterfalllösung

1. Allgemeines

Die Aufgaben eines/einer Datenschutzbeauftragten ergeben sich aus Art. 39 DS-GVO. Kernaufgaben sind danach zum einen die Unterrichtung und Beratung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters und der Beschäftigten, die Verarbeitungen durchführen, zum anderen die Überwachung der Einhaltung des Datenschutzrechts beim Verantwortlichen bzw. Auftragsverarbeiter (Art. 39 Abs. 1 lit. a und b DSGVO). D hat insofern die Aufgabe, die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung zu überprüfen und, sofern diese rechtswidrig sein sollte, gegenüber der Geschäftsleitung die Empfehlung auszusprechen, die Anlage zu deinstallieren. Eigene Weisungsrechte stehen dem/der Datenschutzbeauftragten nicht zu. Als reines Beratungs- und Überwachungsorgan könnte D die Deinstallation der Anlage also nicht selbst anweisen.

2. Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung

Entscheidend für das weitere Tätigwerden von D ist die Beantwortung der Frage, ob die Videoüberwachungsanlage im „Sozialraum“ des Kaufhauses rechtmäßig ist oder nicht.

Insofern stellt sich zunächst die Frage nach der einschlägigen Rechtsgrundlage für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit. Die DS-GVO enthält keine speziellen Vorgaben zur Videoüberwachung, jedoch findet sich eine spezifische Regelung hierzu in § 4 BDSG, die vorliegend einschlägig sein könnte. Allerdings hat § 4 BDSG nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich, nämlich „die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume“, vgl. Abs. 1 S. 1 der Regelung. Öffentlich zugänglich sind Räume, wenn sie dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind oder nach dem erkennbaren Willen des Berechtigten von jedermann genutzt bzw. betreten werden können.[1]Dies gilt etwa für Bahnsteige, Ladenpassagen, Banken, Museen, aber auch allgemein zugängliche Bereiche von Wohnungs- und Bürogebäuden wie Treppenhäuser oder Fahrstühle.[2] Eine vergleichbare Räumlichkeit stellt der „Sozialraum“ des Kaufhauses nicht dar. Unternehmensbereiche, die nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind oder aufgrund erkennbarer Beschränkungen nicht von jedermann tatsächlich betreten werden, unterfallen nicht § 4 BDSG.[3] Pausen- und Aufenthaltsräume für Kaufhausmitarbeiter/-innen befinden sich typischerweise außerhalb öffentlich zugänglicher Verkaufsflächen. Für den Zugang müssen regelmäßig Bereiche passiert werden, bei denen selbst ohne entsprechende Kennzeichnung oder Absicherung klar ist, dass diese nicht den Kunden gewidmet sind. § 4 BDSG kommt damit vorliegend nicht zur Anwendung. Ohnedies soll nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aus dem Jahr 2019[4] kein Raum für eine Anwendung des hier einzig in Betracht kommenden § 4 Abs. 1 S. 1 BDSG auf Videoüberwachungen privater Verantwortlicher bestehen. Nach Ansicht des Gerichts ist diese Konstellation nicht von den DS-GVO-Öffnungsklauseln erfasst und § 4 Abs. 1 S. 1 BSDG insoweit europarechtswidrig. In dem der Entscheidung des BVerwG zugrundeliegenden Sachverhalt filmte eine Zahnärztin den Eingangsbereich ihrer Praxis.

Als Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung im Zusammenhang mit der Videoüberwachungsanlage kommt hier nur die sog. Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO in Betracht. Nach der genannten Regelung ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten gestattet, sofern diese zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist und nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen.

Ob die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO vorliegen, ist im Rahmen einer dreistufigen Prüfung zu ermitteln. In einem ersten Schritt ist hierbei das Vorliegen eines berechtigten Interesses des Verantwortlichen bzw. eines Dritten festzustellen. Im zweiten Schritt ist sodann die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung zur Wahrung des berechtigten Interesses zu prüfen. Schließlich bedarf es im letzten Schritt der Abwägung mit den Interessen, Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Personen im konkreten Einzelfall.

Der Begriff des berechtigten Interesses i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO ist grundsätzlich weit zu verstehen, so dass die erste Stufe der Interessenabwägung eine relativ niedrige Hürde darstellt.[5] Nur eine weite Interpretation vermag den Grundrechten und -freiheiten der datenverarbeitenden Stelle angemessen Rechnung zu tragen. Ein solches Verständnis unterminiert auch nicht die Rechte der betroffenen Person, da die eigentliche Rechtmäßigkeitsprüfung erst auf Ebene der Abwägung stattfindet.[6] Als berechtigte Interessen kommen im Ergebnis alle rechtlichen, tatsächlichen, wirtschaftlichen oder ideellen Interessen des Verantwortlichen bzw. eines Dritten in Betracht, die mit der Rechtsordnung vereinbar sind.[7] Nach Angabe des Verantwortlichen hat die vorliegend zu beurteilende Videoüberwachung die Zweckbestimmung „Schutz des Eigentums der Mitarbeiter/ -innen“. Es ist unzweifelhaft, dass hieran ein grundsätzlich berechtigtes Interesse besteht, insbes. deckt Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO, wie angesprochen, auch Datenverarbeitungen im Drittinteresse (hier: im Interesse der Mitarbeiter/-innen des Verantwortlichen).

Fraglich ist allerdings, ob die Videoüberwachung vorliegend zur Erreichung des berechtigten Interesses Eigentumsschutz erforderlich ist oder ob im konkreten Fall nicht weniger eingriffsintensive Mittel zur Verwirklichung dieses Interesses zur Verfügung stehen. Hierfür spricht, dass die Mitarbeiter/-innen laut Sachverhalt die Möglichkeit haben, ihre Wertsachen in einem Spind zu verschließen. Es bestehen aus Sicht des Arbeitgebers also weniger invasive Methoden die Wertsachen vor Diebstahl zu schützen, nämlich, die Mitarbeiter/-innen anzuweisen, die vorhandenen Spinde zu verwenden. Mitarbeiter/-innen, die sich hieran nicht halten, sind nicht schutzwürdig. Eine Rechtfertigung der Datenverarbeitung iR der Videoüberwachung über Art. 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO scheitert also bereits auf der zweiten Stufe, nämlich mangels Erforderlichkeit der Verarbeitung zur Wahrung des berechtigten Interesses.

Unabhängig davon gilt, dass bei einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz die Intim- oder Persönlichkeitssphäre der Betroffenen nicht verletzt werden darf. Ein Kameraeinsatz in sensiblen Bereichen wie Umkleidekabinen, Sanitär-, Pausen-, Sozial- und Aufenthaltsräumen ist daher unzulässig.[8] Gerade Personen, die im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit typischerweise permanenter Videoüberwachung ausgesetzt sind, wie das Kaufhauspersonal im vorliegenden Fall, brauchen kontrollfreie Rückzugsorte, damit kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vorliegt.

Sofern Räumlichkeiten videoüberwacht werden, die gegen Einblick besonders geschützt sind, wie z.B. Mitarbeiterumkleiden oder Toiletten, kann sogar der Straftatbestand des § 201a StGB (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen) erfüllt sein, wonach eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bzw. eine Geldstrafe möglich ist.

Fazit: D sollte der Geschäftsleitung raten, die Anlage zu deinstallieren, da sie rechtswidrig ist.

3. Auswirkungen einer zugrundeliegenden Betriebsvereinbarung

Nach § 26 Abs. 4 S. 1 BDSG kommt als Grundlage einer Verarbeitung von Beschäftigtendaten auch eine Kollektivvereinbarung in Betracht. Dies ist von erheblicher praktischer Relevanz, denn zum einen lassen sich durch Kollektivvertrag die unbestimmten Rechtsbegriffe des Datenschutzrechts konzern-, unternehmens- oder betriebsspezifisch konkretisieren, zum anderen können die Modalitäten eines unternehmensoder konzernweiten Datenflusses geregelt werden.[9] Eine Betriebsvereinbarung ist eine Kollektivvereinbarung i.S.v. § 26 Abs. 4 S. 1 BDSG.

Die nationale Regelung hat ihre Grundlage in Art. 88 DSGVO. Art. 88 Abs. 1 DS-GVO gestattet es den Mitgliedstaaten ausdrücklich, den Erlass von Kollektivverträgen zur Verarbeitung von Beschäftigtendaten zuzulassen. Für diese Befugnis hatte sich im Verfahren zum Erlass der DS-GVO insbesondere Deutschland stark gemacht,[10] wo die institutionalisierte Arbeitnehmervertretung in Betrieben, Unternehmen und Konzernen durch Betriebsräte lange Tradition hat. Die DS-GVO räumt den Betriebsparteien allerdings keine unbegrenzte Regelungsmacht im Hinblick auf die Beschäftigtendatenverarbeitung ein. Vielmehr haben die Verhandlungspartner von Kollektivvereinbarungen die materiellen Vorgaben aus Art. 88 Abs. 2 DS-GVO zu beachten, vgl. auch § 26 Abs. 4 S. 2 BDSG. Nach Art. 88 Abs. 2 DS-GVO umfassen Rechtsvorschriften und Kollektivvereinbarungen i.S.v. Abs. 1 der Regelung „geeignete und besondere Maßnahmen zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person, insbesondere im Hinblick auf die Transparenz der Verarbeitung, die Übermittlung personenbezogener Daten innerhalb einer Unternehmensgruppe oder einer Gruppe von Unternehmen, die eine gemeinsame Wirtschaftstätigkeit ausüben, und die Überwachungssysteme am Arbeitsplatz.“

Fraglich ist, ob die Betriebsparteien auf den ihnen eröffneten Regelungsgebieten nicht nur eine Konkretisierung, sondern auch eine Verbesserung bzw. Verschlechterung des von der DS-GVO begründeten Persönlichkeitsschutzes herbeiführen können. Als unzulässig zu betrachten ist nach herrschender Meinung jedenfalls ein Unterschreiten des Schutzniveaus der DS-GVO.[11]Dabei ist aber wohl nicht jedes partielle Abweichen „nach unten“ vom Schutzstandard der DS-GVO unzulässig, sondern es ist eine Gesamtbetrachtung der innerbetrieblichen Regelung vorzunehmen und zu prüfen, ob die von Art. 88 Abs. 2 DS-GVO geforderten Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen enthalten sind.[12] Es verbleibt also ein Regelungsspielraum, der es den Interessenvertretungen ermöglichen soll, passgenaue spezifischere Vorschriften zu schaffen.[13]

Selbst wenn man der vorbeschriebenen Ansicht folgt, die ein partielles Abweichen „nach unten“ vom Schutzstandard der DS-GVO per Betriebsvereinbarung zulassen will, dürfte eine Betriebsvereinbarung im vorliegenden Fall keine wirksame Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung per Videoüberwachung darstellen. Denn eine nicht erforderliche Videoüberwachung, noch dazu in sensiblen Bereichen des Unternehmens, welche den Beschäftigten als Rückzugsort dienen sollen, an dem sie unbeobachtet sind, stellt keine partielle, im Rahmen der Gesamtbetrachtung ggf. noch legitimierbare Abweichung vom Schutzstandard der DS-GVO dar. Vielmehr wird mit dem Grundsatz der Erforderlichkeit eine der tragenden Säulen der DS-GVO verletzt, was auch mittels Abschluss einer Betriebsvereinbarung nicht geheilt werden kann. Bei dem Grundsatz der Erforderlichkeit handelt es sich um ein „übergreifendes Prinzip“ der DS-GVO, welches darin zum Ausdruck kommt, dass die gesetzlichen Erlaubnistatbestände der DS-GVO jeweils unter dem ausdrücklichen Vorbehalt stehen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten nur dann zulässig ist, wenn dies im Rahmen des jeweiligen Erlaubnistatbestands erforderlich ist.[14]

Das Vorliegen einer die Datenverarbeitung im Zusammenhang mit der Videoüberwachung rechtfertigenden Betriebsvereinbarung kann folglich an dem unter 1. gefundenen Ergebnis nichts ändern.

[1] Gola/Heckmann/Starnecker, BDSG, 13. Aufl. 2019, § 4 Rn. 23.

[2] Stöber, NJW 2015, 3681, 3683.

[3] Gola/Heckmann/Starnecker, BDSG, 13. Aufl. 2019, § 4 Rn. 26.

[4] Urt. v. 27.03.2019, BVerwG 6 C 2.18.

[5] Vgl. auch Gola/Schulz, DS-GVO, 2. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 57.

[6] Gola/Schulz, DS-GVO, 2. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 57.

[7] Gola/Schulz, DS-GVO, 2. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 57.

[8] DSK, Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen, Stand: 17.07.2020, Abschnitt 5.1.1.

[9] Kühling/Buchner/Maschmann, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2020, BDSG § 26 Rn. 65 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zu § 26 BDSG.

[10] Kühling/Buchner/Maschmann, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2020, BDSG § 26 Rn. 66.

[11] Gola, Handbuch Beschäftigtendatenschutz, 8. Aufl., Rn. 1958 ff., 1966 ff.

[12] Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG/Thüsing/Schmidt, § 26 BDSG Rn. 50 m.w.N.

[13] Heidelberger Kommentar DS-GVO/BDSG/Thüsing/Schmidt, § 26 BDSG Rn. 50.

[14] Kühling/Buchner/Buchner/Petri, DS-GVO BDSG, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 15.