Urteil : Zum Umfang der Unterrichtung des Betriebsrats bei außerordentlicher Kündigung : aus der RDV 6/2020, Seite 338 bis 339
(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Mai 2020 – 2 AZR 678/19 –)
- Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung unter Mitteilung der Gründe für die Kündigung zu hören (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG).
- Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe beurteilen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat dagegen nicht die selbständige – objektive – Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung ermöglichen (vgl. BAG 22. September 2016 – 2 AZR 700/15 – Rn. 25).
- Danach musste die Beklagte den Betriebsrat im Hinblick auf die hier vorrangig beabsichtigte außerordentliche fristlose Kündigung weder über einen möglichen besonderen Kündigungsschutz noch über die (Nicht-)Wahrung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB unterrichten.
Diese Informationen .gehört nicht zu den „Gründen für die Kündigung“ i.S.v. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.
(Nicht amtliche Leitsätze)
Aus den Gründen:
I. Die vom Berufungsgericht für die Unwirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung gegebene Begründung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Kündigung ist nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte musste den Betriebsrat weder über einen Sonderkündigungsschutz unterrichten noch weitere Ausführungen zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB machen.
1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
2. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG reicht nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess (BAG 26. März 2015 – 2 AZR 417/14 – Rn. 46, BAGE 151, 199). Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich vielmehr nach Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts. Dieser besteht darin, den Betriebsrat durch die Unterrichtung in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe beurteilen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige – objektive – Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung ermöglichen (vgl. BAG 22. September 2016 – 2 AZR 700/15 – Rn. 25).
3. Danach musste die Beklagte den Betriebsrat im Hinblick auf die vorrangig beabsichtigte außerordentliche fristlose Kündigung nicht darüber unterrichten, dass der Kläger – möglicherweise – einen besonderen Kündigungsschutz genoss. Ungeachtet der Frage, ob ein solcher überhaupt zu den „Gründen für die Kündigung“ i.S.v. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gehören kann, muss ein Arbeitgeber, der außerordentlich fristlos kündigen möchte, dem Betriebsrat jedenfalls nicht mitteilen, dass dem Arbeitnehmer ein Sonderkündigungsschutz zukommt, der – wie § 20 Nr. 4 und Nr. 5 des Einheitlichen Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2003 (EMTV) – zwar eine ordentliche Kündigung weitgehend ausschließt, die Möglichkeit einer „fristlosen“ Kündigung aber ausdrücklich „unberührt“ lässt. Dem Betriebsrat werden insoweit keine Einwände abgeschnitten. Er kann der Absicht einer außerordentlichen fristlosen Kündigung in beiden Fällen (ordentliche Kündbarkeit und ordentliche Unkündbarkeit) gleichermaßen entgegensetzen, dem Arbeitgeber sei es zuzumuten, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten (zutreffend LAG Düsseldorf 24. August 2001 – 18 Sa 366/01 – zu I 2 b der Gründe). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kündigungsfrist „real“ (ordentliche Kündbarkeit) oder „fiktiv“ (ordentliche Unkündbarkeit) ist. Neben der Sache liegt der Einwand des Klägers, der Betriebsrat müsse von einem tariflichen Sonderkündigungsschutz wissen, um beurteilen zu können, ob ein förmlicher Widerspruch nach § 102 Abs. 3 BetrVG in Betracht komme. Diese Möglichkeit ist ihm in Bezug auf eine beabsichtigte außerordentliche fristlose Kündigung – nicht eine solche mit notwendiger Auslauffrist – in jedem Fall verschlossen.
4. Die Anhörung des Betriebsrats war auch nicht im Hinblick auf die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB fehlerhaft. Die Wahrung der Ausschlussfrist gehört nicht zu den „Gründen für die Kündigung“ i.S.v. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Deshalb muss der Arbeitgeber hierzu keine gesonderten Ausführungen machen. Ein solches Erfordernis überdehnte die Zwecke des Anhörungsverfahrens. Es liefe darauf hinaus, dem Gremium die – objektive – Überprüfung der Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung zu ermöglichen (ebenso Hertzfeld FA 2013, 107, 109; Raab GK-BetrVG 11. Aufl. § 102 Rn. 98; siehe auch HaKoBetrVG/Braasch 5. Aufl. § 102 Rn. 69; Humberg/Kemper JR 2017, 191, 196). Das bedeutet allerdings zum einen nicht, dass der Arbeitgeber nicht angeben müsste, wann der Kündigungssachverhalt sich zugetragen hat. Nur so wird es dem Betriebsrat ermöglicht, die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu beurteilen und sich über sie eine eigene Meinung zu bilden. Zum anderen dürfen dem Betriebsrat mögliche – durch das Gesetz nicht inhaltlich begrenzte – Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung nicht – gezielt – abgeschnitten werden. Das gilt auch für den möglichen Einwand, eine außerordentliche Kündigung sei aus Sicht des Gremiums verfristet. Soweit der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat (freiwillig) Angaben macht, die für die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB von Bedeutung sind, müssen diese wahrheitsgemäß erfolgen (vgl. BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 736/13 – Rn. 14). Diesen Anforderungen werden die Anhörungsschreiben vorliegend gerecht. Sie enthalten die erforderlichen Angaben darüber, zu welchem Zeitpunkt sich der Kündigungssachverhalt ereignet haben soll.
II. Die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der außerordentlichen fristlosen Kündigung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
III. Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben. Der Senat kann aufgrund der fehlenden Feststellungen über den teilweise streitig gebliebenen Sachverhalt nicht selbst über die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 7. März 2018 entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).