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Kurzbeitrag : Aus den aktuellen Berichten der Aufsichtsbehörden (33): Die Digitalisierung des Bewerbermanagements – Videointerviews bei der Bewerbung : aus der RDV 1/2018, Seite 24 bis 28

Ausgewählt und kommentiert von Prof. Peter Gola, Königswinter*

Lesezeit 15 Min.

I. Vorbemerkung

Schritt für Schritt wird auch das Bewerbermanagement unter dem Stichwort des E-Recruitings digitalisiert. Ggf. startet der Bewerbungsprozess mit der Nutzung von vom Arbeitgeber angebotenen chatbots, d.h. computergesteuerter Dialogsoftware, mit der sich der Bewerber über das Unternehmen und die angebotenen Arbeitsbedingungen unterhält. Die aufgerufene Karrierewebseite lädt ein zum Abruf des Online Bewerbungsformulars und zur Teilnahme an einer IT-gestützten Eignungsdiagnose. Unter Bezugnahme auf Vergleichswerte früherer bzw. vorhandener Mitarbeiter können bereits aus den Bewerbungsdaten Erkenntnisse „analysiert“ werden, wie lange der Mitarbeiter vermutlich im Unternehmen bleiben werde und ob sich die Investitionen in seine Ausbildung lohnen. Schlusspunkt ist eine auf Grund eines Profilings erstellte Auswahlempfehlung. Die Akzeptanz bzw. Präferenz des Bewerbers für die Wahl des digitalen Kommunikationswegs hängt von diversen Faktoren ab, wie u.a. seinem Alter, der Ausbildung und der Art der Tätigkeit. Ist dem Unternehmen daran gelegen, nachgefragtes Personal zur Bewerbung zu motivieren, sollte dies entsprechend beachtet werden. Gleichzeitig muss aber vorab ermittelt werden, ob die die Digitalisierung des Bewerbungsmanagement auf datenschutzrechtliche Grenzen stößt. Das Online-Bewerbungsformular muss den datenschutzrechtlichen Vorgaben der Erhebung von Bewerberdatendaten entsprechen, wobei ggf. Informationen dem Stand der Bewerbung entsprechend nur sukzessive abgefragt werden dürfen. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass die Datenübertragung via Internet ohne dem Stand der Technik entsprechende Datensicherheitsmaßnahmen nicht geschützt ist und mit dem entsprechenden Wissen weltweit eingesehen und vielfältig ausgewertet werden kann, muss z.B. das elektronische Recruiting regelmäßig verschlüsselt erfolgen (Lorenz, Datensicherheit von E-Mails, DuD 2017, 757). Des Weiteren hat die Transparenz der Verfahren besonderes Gewicht für seine Rechtmäßigkeit (Art. 5, 13 DS-GVO).

In jüngster Zeit speziell in die Kritik geraten sind Videointerviews und Analyseprogramme zur Auswertung eines in Bild und Ton aufgezeichneten Videogesprächs. Ziel ist die Verbesserung der Nachwuchsgewinnung durch sorgfältigere und Ressourcen schonende Vorauswahl. Verfahren und Zulässigkeit werden betrachtet in Anwendung der DS-GVO und der BDSG-Neufassung.

II. Arten von Videointerviews

1. Erhebung, Aufzeichnung, Analyse

Ein Aspekt der Digitalisierung des Bewerbungsverfahrens ist, dass Arbeitgeber Bewerbern statt oder vor dem mündlichen Vorstellungsgespräch die Durchführung eines Videointerviews anbieten. In Betracht kommen im wesentliche folgende drei Varianten des Bewerberinterviews, nämlich

  • das reine Live-Interview ohne Aufzeichnung,
  • das zeitversetzten Interview mit Aufzeichnung ohne Auswertungsprogramm,
  • das aufgezeichneten Interview mit automatisierter Sprach- und Bildanalyse zwecks Profiling des Bewerbers.

Maßstab für die Zulässigkeit der Verarbeitung der Gesprächsdaten, d.h. der Erhebung und der ggf. nachfolgenden Speicherung und Auswertung ist ab dem 25.05.2018 die spezielle Norm des Beschäftigtendatenschutzes in § 26 BDSG n.F. Danach ist Voraussetzung, dass die Verarbeitung der Beschäftigtendaten für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. Der Begriff beinhaltet, dass die Maßnahme geeignet, angemessen und verhältnismäßig ist, was insbesondere bedeutet, dass mildere Mittel mit gleicher Zweckerreichung nicht zur Verfügung stehen. Dies wird von zumindest zwei Aufsichtsbehörden (LDI NW, 23. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht (2017), S. 53 und 61; LfDI Berlin, Jahresbericht 2016, S. 114 ff) verneint, wobei dies insbesondere bei zeitversetzten Videointerviews der Fall sein soll. Krause betont in dem 2016 vorgelegten BMAS-Forschungsbericht 482 zum Thema „Digitalisierung und Beschäftigtendatenschutz“ persönlichkeitsrechtswidriges Vorgehen insbesondere in der Durchleuchtung der Persönlichkeit durch die Auswertung der aufgezeichneten Interviews mittels Sprachanalyseverfahren. Aufgabe des Gesetzgebers sei es, psychologische Untersuchungsmethoden klar im Hinblick auf strenge Wissenschaftlichkeit und das Verbot der Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit einzuschränken.

Andererseits müssen Unternehmen angesichts der Arbeitsmarktsituation Auswahlverfahren anbieten, die sowohl von Bewerbern akzeptiert werden als auch ein hohes Maß an Eignungsdiagnostik haben, was wiederum für Datenschutzaspekte beachtende digitalisierte Verfahren spricht (vgl. Dierks, Videointerviews im Personalauswahlverfahren, DuD 2017, S. 750 ff).

2. Kommunikationsnutzerdaten

Ein mit dem Verfahren der Informationsgewinnung über den Bewerber nicht unmittelbar zusammenhängender Datenschutzaspekt kann sich aus der technischen Lösung der Videotelefonie, d.h. speziell eines hierbei ggf. eingesetzten Dienstleisters ergeben, was die Aufsichtsbehörde Berlin im Hinblick auf die Nutzung von Skype und die von Skype in der USA gespeicherten Kommunikationsdaten problematisiert. Bei der Nutzung von Skype werden Chat-Protokolle auf den Servern von Microsoft in den USA bis zu 90 Tage zwischengespeichert und damit für Microsoft der Zugriff auf die Kommunikationsnutzerdaten eröffnet. Die Verarbeitung der Daten bedarf, da dieser Vorgang nicht zur Begründung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist, der Einwilligung. Jedenfalls ist die Nutzung von Skype aus Sicht des Bewerbers u.a. freiwillig, wenn er z.B. den digitalisierten Kontakt zur Ersparnis der persönlichen Anreise selber wünscht und auch die Verarbeitungen von Skype akzeptiert. Diese Freiwilligkeit kann aber auch – entgegen der Meinung der LfDI Berlin (Jahresbericht 2016, Ziff. 7.2) – bei dem betrieblichen oder behördlichen Gesprächspartner bestehen, wenn er in der Position ist, selbst über den Einsatz der Gesprächstechnik zu entscheiden.

3. Sprachaufzeichnung

Bereichsspezifischer Datenschutz gilt zudem für das Recht am eigenen Wort. § 201 StGB schützt dieses Recht auch vor Aufzeichnungen, bei denen nicht der aufgezeichnete Inhalt, sondern die Sprechweise und Stimme zur Ermittlung von Persönlichkeitsmerkmalen untersucht werden sollen. Daher ist unabhängig von der datenschutzrechtlichen Regelung bereits nach § 201 Strafgesetzbuch die Aufzeichnung der Interviewgespräche ohne Einwilligung der Betroffenen regelmäßig unzulässig. Der Bewerber muss vor Durchführung des Interviews über die Aufzeichnung informiert sein. Auf die daneben ggf. erforderlichen Anforderungen einer datenschutzrechtlichen Einwilligung nach Art. 7 DS-GVO und § 26 Abs. 2 BDSG n.F. ist nachfolgend einzugehen.

III. Video-Live-Interview ohne Aufzeichnung

Eine Form des Videointerviews ist, dass das Gespräch mit dem Bewerber live erfolgt und Bild und Ton nicht aufzeichnet werden. Gleichwohl muss auch diese Art der Erhebung der Daten dem Grundsatz der Erforderlichkeit genügen. Sie muss zunächst zur Erreichung des legitimen Zwecks geeignet sein. Sodann dürfen mildere, d.h. gleich geeignete, weniger eingriffsintensive Mittel nicht zur Verfügung stehen. Nicht erkennbar ist insoweit jedoch, dass vor Ort geführte „analoge“, frontal zu einem Auswahlgremium abverlangte persönliche Präsentationen ein milderes Mittel, also eine einen geringeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Bewerbers beinhaltende Datenerhebung sein soll als ein per Video als Momentaufnahme geführtes Interview. In beiden Fällen kann der Arbeitgeber sein Fragerecht ausüben und neben den mitgeteilten Informationen auch die Art von deren Wiedergabe, d.h. die Gestik, Mimik und das sonstige persönliche Verhalten des Bewerbers beobachten und bewerten.

Zu beachten ist auch, dass für den Arbeitgeber (vgl. ausführlich bei Dierks, DuD 2017, S. 752 ff) und auch für den Bewerber zwischen einem Vorstellungsgespräch und einen Videointerview für letzteres durchaus positive Unterschiede bestehen. Das mit Hilfe automatisierter Kommunikation geführte Gespräch ist somit bei einem dem Bewerber zuvor transparent gemachten Verfahren als zulässig anzusehen.

Einer Einwilligung bedarf es jedoch hinsichtlich des § 201 StGB. Sofern diese auch (so offenbar LfDI Berlin, Jahresbericht 2016, Ziff.) dem § 26 Abs. 2 BDSG n.F. genügen muss, so ist deren Freiwilligkeit nicht in Frage zu stellen, wenn der Bewerber neben der weiterhin bestehenden Möglichkeit eines nachfolgenden persönlichen Gesprächs das Videointerview selber wünscht bzw. akzeptiert.

IV. Zeitversetztes, automatisiert geführtes Interview mit Aufzeichnung

1. Das Verfahren

Eine anders gelagerte Problematik besteht jedoch bei automatisierten zeitversetzten Videointerviews (vgl. z.B. das Produkt https://www.viasto.com). In diesem Falle werden dem Bewerber automatisiert eingeblendete Fragen ohne die Beteiligung eines präsenten Gesprächspartners gestellt. Das Programm ermöglicht es, diese Fragen nach den zuvor gegebenen Antworten zu strukturieren. Die nach einer Vorbereitungszeit gegebenen Antworten werden in Bild und Ton aufgezeichnet und können nicht korrigiert oder wiederholt werden.

In einem von der LDI NW bewerteten diesbezüglichen Verfahren einer Kommune sollte das Interview als dritter Schritt nach positiver Sichtung der Bewerbungsunterlagen und erfolgreichem Eignungstest obligatorisch vor der Entscheidung über die Einladung zu dem Vorstellungsgespräch stattfinden. Die Notwendigkeit des Interviewaufzeichnung wurde damit begründet, dass die hohe Bewerberzahl und die für die Auswahl verfügbare Zeit es nicht zuließen, alle nach schriftlicher Bewerbung und Eignungstest grundsätzlich geeigneten Bewerberinnen und Bewerber auch zu einem persönlichen Gespräch einzuladen. Mit dem Einsatz der Interview-Software könne die Anzahl der zu einem Auswahlgespräch einzuladenden Personen auf ein zu bewältigendes Maß begrenzt werden.

2. Manuelle Auswertung der Aufzeichnung

Die LDI NRW beurteilt das Verfahren als im Regelfall unverhältnismäßigen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bewerber, und zwar auch für den Fall, dass es nur in der Absicht der nicht automatisierten Auswertung der an sich zulässig gestellten Fragen erfolge. Im Wortlaut noch eindeutiger entscheidet die LfDI Berlin, nach der eine zeitversetzte Auswertung der Videointerviews für eine Bewerberauswahl „ in keiner Hinsicht notwendig“ und damit rechtswidrig sei. Die LDI NW stellt darauf ab, dass im Unterschied zu flüchtigen, weil nicht reproduzierbaren Wahrnehmungen in einem herkömmlichen Vorstellungsgespräch die Aufzeichnung in Ton und Bild eine detaillierte und intensive Auswertung auch des nonverbalen Verhaltens (etwa Mimik, Gestik, Tonfall) ermögliche. Dies könne für die Auswahl für Berufe mit starkem Öffentlichkeitsbezug – etwa bei Fernsehsendern – erforderlich und daher ggf. zulässig sein; für künftige Beschäftigte in der Verwaltung jedoch nicht. Ob das so generell gilt, mag einmal dahinstehen. Mit anderen Worten: Auch wenn derartige intensivere „manuellen“ Auswertungen nicht vorgesehen sind, soll allein ihre Möglichkeit die Rechtswidrigkeit des Verfahrens begründen. Verwiesen wird auf den hier einschlägigen § 29 Abs. 1 DSG NRW, der verlangt, dass eine Aufzeichnung und Auswertung zur Eingehung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses erforderlich sein muss, wobei das Prinzip für die öffentliche Verwaltung in stringentester Weise dahingehend ausgelegt wird, dass sie sich auf die Datenverarbeitungen und -erhebungen beschränken müsse, die für die rechtmäßige Aufgabenerledigung unerlässlich sind.

Ob diese Aussage der Unzulässigkeit einer Gesprächsaufzeichnung auch für den privaten Arbeitgeber gilt, erscheint jedenfalls dann fraglich, wenn im Rahmen der notwendigen Mitbestimmung (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) nur definierte, d.h. arbeitsplatzbezogene, manuelle Auswertungen zugelassen sind (vgl. § 26 Abs.1 S. 1 BDSG n.F.) und die Regelung hinreichende Garantien für die Betroffenenrechte vorsieht.

Die von der LDI NW an Stelle des aufgezeichneten Interviews empfohlene Konkretisierung des Anforderungsprofils oder eine stellenspezifische Ausweitung kognitiver Eignungstests sind keine gleichwertigen milderen Mittel, kommen aber als ebenfalls für die Entscheidung zur Einladung zum Vorstellungsgespräch mit entscheidende zulässige Maßnahmen auch unter den Anforderungen des künftig für private Arbeitgeber geltenden § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG n.F. in Betracht. Die geforderte Erforderlichkeit rechtfertigt auch hier eine Digitalisierung der Verfahren, so dass z.B. die Angaben auf dem mit dem Anforderungsprofil abgestimmten elektronischen Fragebogen mit den Kriterien des Anforderungsprofils in einen Scoringverfahren abgeglichen werden können.

3. Sprachgebrauchsanalyse (Keywordspotting)

Wie aufgezeigt, kann die Aufzeichnung und ggf. auch deren automatisierte Auswertung arbeitsplatzbezogen zulässig sein. Ein Beispiel bilden die von der LfDI NW erwähnten Fernsehmoderatoren. Ein anderes Beispiel bilden zur Sprachgebrauchsanalyse verwendete Aufzeichnungen, wie sie u.a. zum Monitoring von sog. Call Center-Agenten Verwendung finden. Derartige Analysen sind auch bei einem Bewerbungsgespräch möglich. Ermittelt werden kann ähnlich dem sog. Keywordspotting, ob der Bewerber bestimmte Begriffe und Formulierungen verwendet oder vermeidet, d.h. ein zulässiges Kontrollziel kann in der Feststellung des für den Beruf erforderlichen „Sprachniveaus“ liegen. Gleiches gilt für benötigte, insbesondere fachspezifische Fremdsprachenkenntnisse.

4. Profiling per Sprachanalyse

Anders gelagert und gravierender ist der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Bewerbers, wenn der Arbeitgeber oder ein damit beauftragter Dienstleister aus dem Inhalt und der Gestaltung des Gesprächs auch Erkenntnisse über Persönlichkeitsmerkmale des Bewerbers zu gewinnen versucht. Diesbezüglich bereits eingesetzte Analyseprogramme (https://www.psyware.de) basieren auf der Erkenntnis, dass sich unter Heranziehung linguistischer, psychologischer und kommunikationsbezogener Merkmale für jeden Menschen gewisse Verhaltensmuster identifizieren lassen, in denen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zum Ausdruck kommen (zur auf künstlicher Intelligenz basierter Verhaltensanalyse an Hand von Bild- und Tonaufnahmen vgl. bei Conrad, DuD 2017, S.740 (742)). So soll aus dem Gesprächsverhalten herausgelesen können, wie einsatzbereit, wie belastbar, wie kommunikativ, wie teamfähig, wie charismatisch zielorientiert, ausgeglichen und verantwortungsbereit ein Bewerber ist. Die Software analysiert nicht, was die Person sagt, sondern ausschließlich, wie sie es sagt: die Sprache und die Sprechweise – zum Beispiel die sprachliche Vielfalt, die Wortwahl, die Satzlängen, die Anzahl der Füllwörter und Pausen, aber auch die Sprachmelodie und stimmliche Eigenschaften wie Lautstärke und Monotonie sind die Grundlage der Bewertung (vgl. zu Verhaltensweisen bei Videointerviews; http://www.focus.de/finanzen/partner/cv-coach/bewerbung-was-beim-videointerview zu beachten ist). Das individuelle Ergebnis wird verglichen mit einer Referenzdatei von Vergleichspersonen, wobei als Resultat eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das Persönlichkeitsprofil des Bewerbers erstellt wird.

Die DS-GVO erfasst den Vorgang mit dem in Art. 4 Nr. 4 definierten Begriff des Profilings, das darin besteht, „bestimmte persönliche Aspekte, die sich auf eine natürliche Person beziehen, zu bewerten, insbesondere um Aspekte bezüglich Arbeitsleistung, wirtschaftliche Lage, Gesundheit, persönliche Vorlieben, Interessen, Zuverlässigkeit, Verhalten, Aufenthaltsort oder Ortswechsel dieser natürlichen Person zu analysieren oder vorherzusagen“.

Zur Zulässigkeit eines solchen Profilings äußert sich die DS-GVO jedoch nicht speziell. Es ist einmal im Zusammenhang mit automatisierten Einzelentscheidungen gemäß Art. 22 DS-GVO und zum anderen im Rahmen der im Bewertungsverfahren benötigten Erforderlichkeitsaspekte (§ 26 Abs. 1 S. 1 BDSG n.F.) zu betrachten.

5. Automatisierte Einzelentscheidungen und Profiling

Nach Art. 22 Abs. 1 DS-GVO sind Entscheidungen mit rechtlichen Folgen oder erheblichen Beeinträchtigungen für die Betroffenen grundsätzlich unzulässig, soweit sie sich ausschließlich auf automatisierte Bewertungen von Persönlichkeitsmerkmalen stützen, ohne dass eine natürliche Person die entscheidungserheblichen Sachverhalte prüft und auf dieser Basis eigenständige Entscheidungen trifft. Daraus folgt zumindest, dass auch Bewerber mit ungünstiger Bewertung ggf. noch bei einem mündlichen Auswahlgespräch eine Chance auf eine positive Auswahlentscheidung haben müssen und dass die für die Personalauswahl Verantwortlichen sich über die Softwarentscheidung hinwegsetzen können. Um nicht schon bereits unter das Verbot automatisierter Einzelfallentscheidungen zu fallen, sind daher mindestens folgende Voraussetzungen bei der Auswertung von Videointerviews zu beachten (LDI NW, 23. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht 2017, S. 62): Alle Bewerberinnen und Bewerber, deren Persönlichkeit mit der Software bewertet wurde, müssen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, in dem trotz einer ungünstigen automatisierten Bewertung eine reale Chance auf eine positive Auswahlentscheidung besteht. Dafür benötigen die Personalverantwortlichen zum einen hinreichende Kenntnisse über die Funktionsweise des Verfahrens und zum anderen eine diesbezügliche Entscheidungskompetenz.

6. Erforderlichkeit nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG n.F.

Zuvor stellt sich – abgesehen von der wissenschaftlich zu belegenden Treffsicherheit dieser Methode der Profilermittlung – jedoch die allgemeine Frage nach der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit eines solchen Personalauswahlprogramms. Den Bewerbern werden allein auf Grundlage der Sprachprobe charakterliche Eigenschaften und Kompetenzen zugewiesen oder abgesprochen, ohne dass sie durch eigene Leistungen und Darstellung ihrer Fähigkeiten einen Einfluss darauf haben. Es ist eindeutig, dass eine auf diesem Wege angestrebte Registrierung und Katalogisierung der individuellen Persönlichkeit mit der Menschenwürde und dem Schutz des Persönlichkeitsrechts auch bei „Wissenschaftlichkeit“ des Verfahrens nicht vereinbar sein kann. Die mit dieser Zielrichtung geführte automatisierte Verarbeitung von Gesprächsmerkmalen kann nicht als zur Begründung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich bewertet werden (§ 26 Abs. 1 S. 1 BDSG n.F.). Gravierend verletzt wird das den Erforderlichkeitsgrundsatz bestimmende Verhältnismäßigkeitsprinzip.

7. Gestattung der Gesprächsaufzeichnung und -auswertung per Einwilligung

Kommt man zu dem zutreffenden Ergebnis, dass § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG n.F. bzw. die entsprechenden Normen für den öffentlichen Dienst nicht die Grundlage für die Sprachanalyse des aufgezeichneten Interviews geben, verbleibt die Frage, ob der Bewerber in eine ihm nach Art. 13 Abs. 1 DSGVO offenzulegende Absicht der analytischen Verarbeitung der „Interviewdaten“ gestatten kann. Erste Voraussetzung wäre, dass die Betroffenen umfassend über die angestrebten Auswirkungen und die Tragweite des Verfahrens informiert werden und dass auch weitergehende Informationen, etwa zu den verwenden Analyse-Algorithmen, bereitgestellt werden. Dass auch Einwilligungen nach dem neuen Datenschutzrecht im Beschäftigungsverhältnis zulässig bleiben, ist in § 26 Abs. 2 BDSG n.F. klargestellt, wobei die Vorgaben des Art. 7 DS-GVO für die Informiertheit und Freiwilligkeit der Erklärung für das Beschäftigungsverhältnis verdeutlicht werden (vgl. Erwägungsgrund 155). An der Freiwilligkeit fehlt es jedenfalls zunächst dann, wenn die Einladung zu dem persönlichen Vorstellungsgespräch von einem erfolgreichen Analyseergebnis abhängig gemacht wird. Eine freiwillige Teilnahme wäre daher nur gewährleistet, wenn die Bewerber auch bei einer verweigerten Sprachanalyse ungeschmälerte Chancen auf die ausgeschriebene Stelle hätten (LDI NW, 23. Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht 2017, Ziff. S. 64)

Im öffentlichen Dienst ist ein unabdingbares zeitversetztes Videointerviewverfahren zudem auch nicht mit Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) vereinbar, nach dem über Anträge auf Zugang zu öffentlichen Ämtern nur nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung entschieden werden darf. Würden Personen, die nach den vorliegenden Bewerbungsunterlagen zwar grundsätzlich geeignet sind, aber ihr Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort nicht preisgeben und damit ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung geltend machen wollen, vom weiteren Bewerbungsverfahren ausgeschlossen, würde dies Art. 33 Abs. 2 GG zuwiderlaufen. Auch eine Einwilligung würde das rechtswidrige Verfahren nicht legitimieren.

Ferner sind bei in einem strukturierten Verfahren vorgegebenen Einwilligungen die in den §§ 307, 309 BGB vorgegebenen AGB-Anforderungen zu beachten, d.h. es ist zu fragen, ob der Bewerber nach Treu und Glauben unangemessen benachteiligt wird.

Für den Arbeitgeber stellt sich nämlich die grundsätzliche Frage, ob er die ihm im Hinblick auf die Wahrung des Persönlichkeitsrechts des Beschäftigten gezogenen Grenzen nicht durch die Einholung von Einwilligungen durchbrechen kann, um auf diesem Wege Informationen zu verarbeiten, die ihm nach dem für das Arbeitsrecht geltenden Grundsätzen unzugänglich sein sollen (Gola/Pötters/Wronka, Handbuch Arbeitnehmerdatenschutz, Rn.). Die die Rechtsbeziehungen der Vertragsparteien gestaltenden Rücksichtnahmepflichten des § 241 BGB verlangen „dass in die Privatsphäre des Arbeitnehmers nicht tiefer eingegriffen werden darf, als es der Zweck des Arbeitsverhältnisses unbedingt erfordert“ (BAG, Beschl. v. 11.5.1986 – 1 ABP 12/84). Zur Sicherstellung dieses Gebots und des dabei geltenden Verhältnismäßigkeitsprinzips hat der Gesetzgeber auch fallbezogene konkrete Verarbeitungsverbote aufgestellt. Krause (in BMAS-Forschungsbericht 482, Ziff. 3.2.6) verweist auf das generelle Verbot des § 19 GenDG, die Vornahme genetischer Untersuchungen oder Analysen zu verlangen. Die LDI NW zieht die Parallele zur Nicht-Anwendung von Lügendetektoren.

Ferner weist die LDI NW jedenfalls darauf hin, dass wie bei allen Wahrscheinlichkeitsaussagen treffsichere Feststellungen bestenfalls als Durchschnittswert für eine Gesamtgruppe, nicht aber für eine konkrete Person möglich sind. Der Einzelfall kann stets von der statistischen Regel abweichen. Der Betroffene müsse aber als individuelle Persönlichkeit und nicht als Mitglied einer statistischen Vergleichsgruppe wahrgenommen und beurteilt werden. Nicht das Einsortieren in Schubladen durch einen undurchschaubaren Algorithmus, sondern ihre tatsächlichen Fähigkeiten sollen ausschlaggebend für ihre Eignung und Befähigung sein.

* Der Autor ist Ehrenvorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V., Bonn.