DA+

Aufsatz : Der Anspruch auf Erteilung einer Kopie nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO: Ein Fremdkörper im arbeitsgerichtlichen Verfahren? : aus der RDV 1/2021, Seite 3 bis 7

Lesezeit 16 Min.

Die in Art. 15 DS-GVO enthaltenen Ansprüche auf Auskunft und Datenkopie sind zum beliebten Mittel der Prozesstaktik in arbeitsgerichtlichen Verfahren, vor allem in Kündigungsschutzverfahren avanciert. Immer häufiger verlangen Prozessvertreter von Arbeitnehmern unter Berufung auf Art. 15 Abs. 3 DS-GVO eine Kopie sämtlicher im Beschäftigungsverhältnis angefallenen personenbezogenen Daten, einschließlich interner Vermerke, Telefon- und Gesprächsnotizen, Briefkorrespondenzen, Beurteilungen, Abrechnungen, Chatverläufe, Systemdateien und E-Mailverkehr. Arbeitgeber stellt dieses Begehren vor veritable Schwierigkeiten. Die geforderten Informationen sind regelmäßig nur mit erheblichem Aufwand erbringbar. Es ist daher zu befürchten, dass sich immer mehr Arbeitgeber aus Scheu vor dem Aufwand und aus Furcht vor bußgeldbewehrten Fehlern bei der Auskunftserteilung auf Prozessvergleiche einlassen, die sie sonst nicht oder nicht so geschlossen hätten.[1]

Ungeachtet dessen ist in der Rechtsprechung und in Teilen der Literatur eine Tendenz zu erkennen, die Ansprüche auf Auskunft und Kopie aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO weit auszulegen und diesen Begehren stattzugeben.[2] Zu Recht werden vor diesem Hintergrund Konturen und Grenzen der Ansprüche auf Auskunft und Datenkopie aus Art. 15 DS-GVO derzeit intensiv diskutiert.[3]

Der nachfolgende Beitrag ergänzt diese Diskussion, indem er auf einen bislang wenig beleuchteten Aspekt fokussiert. Er zeigt auf, warum eine Begrenzung des Anspruchs aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO unter prozessrechtlichen Gesichtspunkten geboten ist und wie sich mögliche Widersprüche zwischen europäischem Datenschutzrecht und nationalem Prozessrecht interessengerecht und praxistauglich auflösen lassen.

I. Auskunftsansprüche von Arbeitnehmern im Beschäftigungsverhältnis

1. Zivil- und arbeitsrechtliche Auskunftsansprüche

Einen allgemeinen Anspruch auf umfassende Auskunft und entsprechende Übermittlung von Dokumenten und Dateien kennt das deutsche Zivilrecht nicht. Der Gesetzgeber hat vielmehr eine Fülle bereichsspezifischer Auskunftsansprüche etabliert, die dem Informationssuchenden die Möglichkeit geben, sein Auskunftsbegehren durchzusetzen, wenn ihm eine eigene Erlangung der Informationen nicht zumutbar ist.[4] Dies gilt auch für das Arbeitsrecht. Neben dem allgemeinen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB[5] existieren für bestimmte Konstellationen Ansprüche, die es dem Auskunftsberechtigten ermöglichen, im Einzelfall Informationen vom Auskunftspflichtigen zu klar abgegrenzten Sachverhalten zu erhalten. Hierzu gehören etwa § 9 BEEG, § 10 EntgTranspG und § 83 BetrVG.

2. Recht auf Auskunft und Datenkopie aus Art. 15 DS-GVO

Das europäische Datenschutzrecht räumt unabhängig hiervon dem von der Datenverarbeitung Betroffenen sehr weitgehende Auskunftsansprüche ein. Nach Art. 15 Abs. 1 DS GVO kann er von dem Verantwortlichen Auskunft darüber verlangen, ob er ihn betreffende personenbezogene Daten verarbeitet. Ist dies der Fall, hat der Verantwortliche die in Art. 15 Abs. 1 lit. a-h DS-GVO aufgeführten Informationen bereitzustellen. Zudem hat der Betroffene gemäß Art. 15 Abs. 3 DS-GVO das Recht, eine Kopie der persönlichen Daten zu verlangen, die Gegenstand der Verarbeitung sind. Diese Regelungen sind Teil eines Bündels rechtlicher Regelungen, um dem Betroffenen hinreichende Transparenz über die Verarbeitung der ihn betreffenden Daten zu verschaffen.[6] Das allgemeine Auskunftsrecht konkretisiert die Garantie des Art. 8 Abs. 2 S. 2 GrCH, wonach jede Person das Recht hat, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten.[7] Macht der Betroffene sein Auskunftsrecht geltend, muss der Verantwortliche unverzüglich, in jedem Fall innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags, die Informationen zur Verfügung stellen.[8] Die Frist kann mit Begründung auf zwei Monate verlängert werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Komplexität und der Anzahl von Anträgen erforderlich ist.[9] Wird der Verantwortliche nicht tätig oder lehnt den Antrag ab, hat er den Betroffenen hierüber unverzüglich, spätestens aber innerhalb eines Monats zu unterrichten, die Gründe darzulegen und den Betroffenen über die Möglichkeit zu informieren, Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde oder einen gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen.[10] Sofern die Ansprüche in Zusammenhang mit Arbeitsrechtsstreitigkeiten geltend gemacht werden, ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet.[11] Ein Verstoß gegen Art. 15 DS-GVO kann zudem von der Aufsichtsbehörde mit einer Geldbuße geahndet werden, für die der erweiterte Bußgeldrahmen gilt. [12]

Da weder der Text noch die Erwägungsgründe der DS-GVO einen eindeutigen Hinweis auf Inhalt und Umfang des Rechts auf Datenkopie ergeben, sind Voraussetzungen und Reichweite dieses Anspruchs heftig umstritten.[13] Eine höchstrichterliche Entscheidung steht noch aus.

II. Die Auswirkungen von Art. 15 Abs. 3 DS-GVO im arbeitsgerichtlichen Verfahren

Diese Unsicherheit belastet vor allem arbeitsgerichtliche Verfahren. Ein weit verstandener Anspruch auf Auskunft und Erteilung einer Datenkopie ist geeignet, die Struktur des als Parteienprozess ausgelegten arbeitsgerichtlichen Verfahrens in seinen Grundfesten zu verändern. Zu den prozessualen Grundsätzen im Arbeitsgerichtsstreit gehören der Beibringungsgrundsatz, der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit und der Schutz vor Rechtsmissbrauch.[14]

Ein exzessives Recht auf Erteilung einer Kopie unterläuft diese Grundsätze zum Nachteil des Arbeitgebers. Es steht damit in Widerspruch zu dem grundlegenden Regelungskonzept der Zivilprozessordnung und den dahinterstehenden verfassungsrechtlichen Wertungen, ohne dass diese Auswirkungen erkennbar im Interesse des europäischen Verordnungsgebers liegen.

1. Beibringungsgrundsatz

Jede Prozessordnung hat die Frage zu beantworten, ob der Tatsachenstoff, den das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legt, von den Parteien dargelegt und bewiesen werden muss oder ob das Gericht den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln hat. Der deutsche Gesetzgeber hat sich in weiten Teilen des Zivilprozesses, darunter dem Arbeitsgerichtsprozess, für den Beibringungsgrundsatz entschieden (§ 46 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 495 ZPO).[15] Danach ist es Sache der Parteien, die Tatsachen vorzubringen und zu beweisen, auf die das Gericht seine Entscheidung stützen soll.[16] Die Vorlage einer Urkundenkopie durch den nicht beweisbelasteten Gegner stellt im Rahmen des Beibringungsgrundsatzes die Ausnahme dar und erfolgt grundsätzlich nur auf gerichtliche Anordnung nach einem entsprechenden Parteiantrag (§ 425 ZPO).[17]

Ein weit verstandenes Recht auf Auskunft und Kopie im Prozess unterläuft aber nicht nur diesen Verfahrensgrundsatz. Es bedeutet sogar eine Umkehrung der grundsätzlichen Wertungen des deutschen Zivilprozessrechts.[18] Da im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens regelmäßig Ansprüche streitig sind, die in Verbindung mit personenbezogenen Daten i. S. d. DS-GVO stehen, würde dem Arbeitnehmer bei einem weiten Verständnis von Art. 15 DS-GVO zudem ein Instrument an die Hand gegeben, sich aus einer möglichen Beweisnot zu befreien, indem er sich sämtliche Unterlagen, die personenbezogene Daten enthalten, in Ko-pie vorlegen zu lassen.[19] Ein derartiger, dem US-amerikanischen Recht angenäherter Discovery-Anspruch kennt indes weder das Arbeitsgerichtsgesetz noch die Zivilprozessordnung.

2. Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit

Ein weit verstandener Auskunfts- und Kopieanspruch steht indes nicht nur in Widerspruch zu dem Beibringungsgrundsatz. Er verletzt auch den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit. Dieser ist Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess und sichert verfassungsrechtlich die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien.[20] Mit einem weit verstandenen Auskunfts- und Kopieanspruch würde dem Arbeitnehmer ein „prozessualer Hilfsanspruch“ zur Seite gestellt, der dem Arbeitgeber nicht in gleicher Weise zur Verfügung steht. Ein umfassender Auskunfts- und Kopieanspruch reduziert über die Abkehr vom Beibringungsgrundsatz einseitig die Prozessrisiken des Arbeitnehmers. Dieser könnte sich – ohne den „Umweg“ über eine Stufenklage[21] – die ihm für die Schlüssigkeit seiner Klage und den Beweis der anspruchsbegründenden Tatsachen erforderlichen Informationen vom Arbeitgeber zur Verfügung stellen lassen.[22] Aufgrund der Kürze der gesetzlichen Auskunftsfristen (Art. 12 Abs. 3 DS-GVO) wäre dies sogar im Rahmen eines laufenden Verfahrens möglich, wenn sich der Kläger Beweisschwierigkeiten ausgesetzt sieht und möglicherweise nur noch eine „Flucht in die Säumnis“ die ansonsten drohende Prozessniederlage verhindern könnte.[23]

Noch deutlicher wird das durch ein weites Verständnis des Art. 15 Abs. 3 DS-GVO entstehende prozessuale Ungleichgewicht, wenn man sich vor Augen führt, dass sich eine Partei gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 ArbGG nur dann mit dem Vortrag zu Angriffs- und Verteidigungsmitteln verspäten kann, wenn das Gericht eine Frist zur Darlegung bestimmter klärungsbedürftiger Punkte gesetzt hat.[24] Die durch die Arbeitsgerichte regelmäßig ergehende Auflage, auf das Vorbringen der Gegenseite fristgebunden zu erwidern, reicht nicht aus, um eine Verspätung herbeizuführen.[25] Die im Rahmen des ZPOReformG eingeführten Beschränkungen für das Berufungsverfahren in der ordentlichen Gerichtsbarkeit gelten für das Arbeitsgerichtsgesetz nicht.[26] Durch die Erteilung einer Kopie, die einem weiten Verständnis unterläge, könnten mögliche Substantiierungsprobleme in der Berufungsinstanz regelmäßig ausgeräumt werden, wenn ein Antrag nach Art. 15 Abs. 3 DS-GVO durch den Arbeitnehmer bzw. seinen Prozessbevollmächtigten rechtzeitig gestellt wird.

Hinzu tritt ein weiterer Punkt: Im Hinblick auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Arbeitsverhältnis ist der Arbeitgeber regelmäßig Verantwortlicher i. S. d. Art. 4 Nr. 7 DS-GVO, der Arbeitnehmer regelmäßig Betroffener. Einen dem Arbeitnehmer vergleichbaren Anspruch hätte der Arbeitgeber zur Verbesserung seiner prozessualen Situation jedoch nicht, wäre aber gleichermaßen mit einem umfassenden Informationsbegehren konfrontiert, dessen Erfüllung die eigenen prozessualen Möglichkeiten erheblich einschränkt. Auch hieran zeigt sich, dass die Stärkung des Datenschutzes nicht zu einem Ungleichgewicht der Wertungen im nationalen Prozessrecht führen darf.[27] Zumindest muss dem Arbeitgeber als Verantwortlichem im Sinne des Art. 4 Nr. 7 DS-GVO das in Erwägungsgrund 63 vorgesehene Recht auf Verlangen einer Spezifizierung eingeräumt werden.

3. Schutz vor Rechtsmissbrauch

Zu den im Arbeitsgerichtsprozess relevanten, gesetzlich abgesicherten Rechten des für die Datenverarbeitung verantwortlichen Arbeitgebers gehört darüber hinaus, nicht mit rechtsmissbräuchlichen Auskunfts- und Kopiebegehren unter Druck gesetzt zu werden. Der Grundsatz der „fairness“ (Treu und Glauben) ist ein allgemeiner rechtsstaatlicher Grundsatz, der auch im europäischen Datenschutzrecht gilt. Er findet sich sowohl in der EU-Grundrechtecharta (Art. 8 Abs. 2 GRCh) als auch im Katalog der Datenschutzgrundsätze der DS-GVO (Art. 5 Abs. 1 lit a DS-GVO). Die Rechtsausübung im Verhältnis zwischen dem Verantwortlichen und dem Betroffenen hat sich an diesem Grundsatz auszurichten.[28] Dieser bedeutet, dass die Parteien eines Rechtsverhältnisses Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils nehmen müssen und nicht rechtsmissbräuchlich handeln dürfen. Dementsprechend räumt Art. 12 Abs. 5 S. 2 DS-GVO dem Verantwortlichen unter bestimmten Voraussetzungen sogar ein Verweigerungsrecht ein, wenn es sich um einen offenkundig unbegründeten Antrag handelt. Auch kann sich der Verantwortliche als Folge des im Datenschutzrecht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben im Einzelfall auf einen unverhältnismäßig hohen Aufwand berufen. Der Datenschutzgrundsatz der „fairness“ verbietet es daher, mit einem Auskunftsanspruch ausschließlich oder ganz überwiegend sachfremde Zwecke zu verfolgen. Dies wäre der Fall, wenn der Anspruch allein deshalb geltend gemacht wird, um als Druckmittel in Vergleichsverhandlungen zu dienen. Ob und inwieweit dies der Fall ist, ist auch insoweit im Einzelfall durch Abwägung der gegenseitigen, berechtigen Interessen der Beteiligten zu ermitteln.

Dieser Gesichtspunkt erscheint auch deswegen von Bedeutung, weil die Instrumente, mit denen sich der auskunftspflichtige Arbeitgeber zur Wehr zu setzen vermag, kaum zur Verteidigung geeignet sind. Insbesondere wird der Arbeitgeber in der Praxis nur im Ausnahmefall die Auskunft unter Verweis auf Art. 12 Abs. 5 S. 2 lit. b DS-GVO verweigern können, da er hierzu gerichtsfest den Nachweis über die offenkundige Unbegründetheit oder den exzessiven Charakter des Auskunftsbegehrens erbringen müsste.[29]

III. Auswirkungen nicht vom Willen des Verordnungsgebers umfasst

Die Befürworter einer extensiven Auslegung führen vor allem formale Gründe ins Feld. Art. 15 DS-GVO gehe gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV in allen EU-Mitgliedsstaaten als unmittelbar geltendes Recht vor und wirke damit vorrangig gegenüber dem deutschen Verfahrensrecht. Der Wortlaut sehe mit wenigen Ausnahmen eine Einschränkung nicht vor. Der Auskunftsanspruch erstrecke sich daher grundsätzlich auf alle personenbezogenen Daten, bestehe anlasslos, und der Auskunftsberechtigte brauche für seine Neugierde weder rechtliche Gründe noch ein berechtigtes Interesse darzulegen.[30] Auch ein großer Aufwand sei daher grundsätzlich nicht geeignet, die Auskunft zu versagen.[31]

Zu überzeugen vermag diese Ansicht indes nicht. Sie berücksichtigt zum einen zu wenig die Intention des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs, die der europäische Gesetzgeber in Erwägungsgrund 63 zur DS-GVO herausgestellt hat. Sinn und Zweck des Auskunftsrechts ist es danach, dem Betroffenen die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten präsent zu machen und ihn in die Lage zu versetzen, eine Rechtmäßigkeitskontrolle hinsichtlich der Verarbeitung vornehmen zu können.[32] Damit klärt der Verordnungsgeber gleichzeitig die Funktion von Art. 15 DS-GVO im Kanon der Betroffenenrechte. Es handelt sich um einen vorgelagerten Hilfsanspruch, der den Betroffenen in die Lage versetzen soll, seine datenschutzrechtlichen Individualrechte auf Berichtigung, Löschung, Einschränkung der Bearbeitung und Datenübertragbarkeit geltend zu machen.[33] Ein umfassendes Recht auf Akteneinsichtnahme, wie es Teile der Rechtsprechung konstituieren wollen, lässt sich weder in Art. 15 DS-GVO hineinlesen, noch galt ein solches unter der Vorgängerregelung des Art. 12 DS-RL (RL 95/46/EG).[34] Ein solches wäre, soweit es Akten der Gegenseite betrifft, dem Zivilprozess auch weitestgehend fremd.[35]

Die extensive Auslegung berücksichtigt aber vor allem zu wenig, dass der Datenschutz weder im europäischen noch im nationalen Grundrechtekanon als „Supergrundrecht“ ausgestaltet ist, das sich jeder Abwägung mit anderen Rechten entzieht. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und damit auch die zu dessen Absicherung konstituierten Individualansprüche wie Art. 15 DS-GVO gelten nicht schrankenlos. Sie finden ihre Grenze dort, wo die rechtlich geschützten Rechte und Freiheiten anderer beginnen. Der EuGH hat dies bereits im Rahmen der Vorgängerregelung in Art. 12 lit. a DS-RL (RL 95/46/EG) herausgestellt und ist dementsprechend einer extensiven Auslegung des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs entgegengetreten.[36] Art. 15 DS-GVO hat im Hinblick auf den Wesensgehalt und den Grundcharakter des Auskunftsanspruchs auch keine Änderungen gegenüber seiner Vorgängerregelung in der EU-Datenschutzrichtlinie mit sich gebracht.[37] Dass der Verordnungsgeber keine Abkehr von der bisherigen Praxis und der Judikatur des EuGH vornehmen wollte, unterstreicht Art. 15 Abs. 4 DS-GVO, wonach das Recht auf Erhalt einer Kopie die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen darf. Das in der Verfahrenspraxis vor allem interessie-rende Recht auf Datenkopie steht damit ausdrücklich unter einem Abwägungsvorbehalt.[38] Zu den Rechten und Freiheiten anderer, die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind, gehören auch die Interessen des Arbeitgebers. Der Begriff der anderen Person in Art. 15 Abs. 4 DS-GVO ist aus Sicht des Betroffenen zu ermitteln, bezieht sich auf natürliche und juristische Personen und umfasst daher auch den Arbeitgeber als Verantwortlichen für die Datenverarbeitung.[39] Arbeitgeber können sich daher im Verfahren vor dem Arbeitsgericht darauf berufen, dass das Gericht bei seiner Entscheidung über die Zulässigkeit eines auf Art. 15 Abs. 3 DS-GVO gestützten Anspruchs die widerstreitenden Grundrechtspositionen ermittelt und im Wege der praktischen Konkordanz zum Ausgleich bringt. Inwieweit ein Anspruch auf Erteilung einer Kopie berechtigt ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Auf Seiten des Arbeitgebers sind indes regelmäßig zumindest zwei grundrechtliche Positionen zu berücksichtigen: Das Recht auf Gewährleistung eines fairen Verfahrens, wozu die Einhaltung des Beibringungsgrundsatzes und das Recht auf prozessuale Waffengleichheit gehören, und das Recht des für die Datenverarbeitung verantwortlichen Arbeitgebers, nicht mit rechtsmissbräuchlichen Auskunftsbegehren konfrontiert zu werden.[40]

IV. Fazit

Eine Begrenzung des Anspruchs Art. 15 Abs. 3 DS-GVO ist neben Gründen der Sachgerechtigkeit auch unter prozessrechtlichen Gesichtspunkten geboten. Ein weit verstandener Anspruch auf Erteilung einer Datenkopie würde die Grundstruktur des als Parteienprozess ausgelegten arbeitsgerichtlichen Verfahrens in seinen Grundfesten ändern, ohne dass diese Auswirkung erkennbar im Interesse des Verordnungsgebers lag. Der Konflikt zwischen dem gemeinschaftsrechtlichen Auskunftsanspruch und dem nationalen Prozessrecht ist durch Herstellung praktischer Konkordanz hinsichtlich der divergierenden Rechtspositionen zu lösen, indem die berechtigten Auskunftsinteressen des Arbeitnehmers mit den grundrechtlich geschützten Rechten des Arbeitgebers im Wege der Abwägung in Ausgleich gebracht werden. Zu den geschützten Rechtspositionen des Arbeitgebers zählen das Recht auf ein faires Verfahren und der Schutz vor Rechtsmissbrauch. Die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den widerstreitenden Rechten führt dazu, dass der Arbeitgeber bei pauschalen Anfragen verlangen kann, dass der Arbeitnehmer sein Auftragsverlangen begründet oder präzisiert, bevor er Auskunft erteilt. Begründet der Arbeitnehmer sein umfassendes Auskunftsverlangen oder präzisiert dieses, hat der Arbeitgeber den Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DS-GVO regelmäßig zu erfüllen, es sei denn, er kann im Einzelfall widerstreitende Rechte geltend machen.

Prof. Dr. Volker Lüdemann ist Professor für Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht an der Hochschule Osnabrück und Leiter des Niedersächsischen Datenschutzzentrums (NDZ). Als Gutachter und Datenschutzbeauftragter berät der Autor namhafte private Unternehmen und Körperschaften des öffentlichen Rechts. Er gehört zudem zum Kreis der Sachverständigen für Datenschutzthemen beim Deutschen Bundestag und verschiedenen Landesparlamenten.

Nils Greve, LL.M. RA ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei HLP. Heiermann Losch Rechtsanwälte, Hannover. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Beratung und der gerichtlichen und außergerichtlichen Streitbeilegung in allen Angelegenheiten des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, im Hochschulrecht sowie im Bereich des öffentlichen Dienst- und Beamtenrechts.

[1] Nowak/Bornholdt, RDV 2020, 191, 195.

[2] OLG Köln, Urt. v. 26.07.2019 – 20 U 75/18, BeckRS – BeckRS 2019, 16261 Rn. 60 ff.; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18 –, NZA-RR 2019, 242 Rn. 177 ff.; LG Landau, Beschl. v. 17.09.2019 – 3 O 389/17; AG Wertheim, Beschl. v. 12.12.2019 – 1 C 66/19; Franck, in: Gola (Hrsg.), DS-GVO, 2. Aufl. München 2018, Art. 15. Rn. 28; Riemer, ZD 2019, 413, 414

[3] Vgl. zum Diskussionsstand nur Gola, RDV 2020, 169 ff.; Nowak/Bornholdt, RDV 2020, 191; Wybitul/Brams, NZA 2019, 672; Lembke, NJW 2020, 1841 (1843 ff.); Fuhlrott, ArbRAktuell 2020, 103; Dausend, ZD 2019, 103; Laoutomi/Hoppe, K&R 2019, 297 ff.; Brink/Joos, ZD 2019, 483; Zikesch/Sörup, ZD 2019, 239; Engeler/Quiel, NJW 2019, 2201; Schulte/Welge, NZA 2019, 1110; Riemer, ZD 2019, 413, 414 f.; Specht, in: Sydow (Hrsg.), Europäische Datenschutzgrundverordnung, 2. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 18.; HessLfDI, 47. TB 2018, S. 79; BlnLfDI, TB 2019, Abschnitt 8; LfDI Saarland, 28. TB 2019, Abschnitt 4.2.

[4] Ulrici, NJW 2018, 2001.

[5] BAG, Urt. v. 21.11.2000 – 9 AZR 665/99, NZA 2001, 1093 (1094 f.); ErfK/Preis, BGB § 611a Rn. 633 m.w.N.

[6] Bäcker, in: Kühling/Buchner (Hrsg.), DS-GVO BDSG, 2. Aufl., Art. 15, Rn. 5

[7] Däubler, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer (Hrsg.), EU-DS-GVO und BDSG, 2. Aufl., DS-GVO Art. 15 Rn. 1.

[8] Art. 12 Abs. 3 S. 1 DS-GVO.

[9] Art. 12 Abs. 3 S. 3 DS-GVO

[10] Art. 12 Abs. 4 DS-GVO.

[11] § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a, Nr. 4 ArbGG; Schulte/Welge, NZA 2019, 1110, 1112 f.

[12] Art. 83 Abs. 5 lit b DS-GVO

[13] Für einen Überblick zum Streitstand, Lemkbke, NJW 2020, 1841 ff.

[14] BGHZ 98, 368, 372; Jung, in: FS Lüke 1997, 323 (331 f.).

[15] Musielak/Voit/Stadler, ZPO 17. Aufl. 2020, ZPO § 139 Rn. 1; Windau, NJOZ 2018, 761. Die Beweisaufnahme ist im Arbeitsgerichtsgesetz nur rudimentär geregelt (§ 58 ArbGG), vgl. auch ErfK/Koch ArbGG § 58 Rn. 1. Im Übrigen finden im arbeitsgerichtlichen Verfahren die Bestimmungen der §§ 355 ff. ZPO zum Beweisrecht in vollem Umfang Anwendung (§ 46 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 495 ZPO). In dem hier maßgeblichen Kontext ist insbesondere der Urkundsbeweis nach den §§ 415 ff. ZPO von Bedeutung.

[16] ErfK/Koch ArbGG; 46 Rn. 5. BAG, Urteil v. 16.03.1972 – 5 AZR 435/71.

[17] Die im Rahmen des Art. 15 Abs. 3 DS-GVO geforderten Fotokopien sind streng genommen keine Urkunden, sondern Augenscheinsobjekte. Ist jedoch ihre Übereinstimmung mit dem Original unstreitig, können sie einen vollwertigen Ersatz für den Urkundenbeweis darstellen (OLG Schleswig, Beschluss vom 11.09.2009 – 3 U 85/08; BGH NJW 1990, 1170 f.). Zum Urkundenbeweis durch digitale Dokumente vgl. Abel, MMR 1998, 644.

[18] Dies erkennt ausdrücklich auch das OLG Köln, Urt. v. 26.07.2019 – 20 U 75/18 – BeckRS 2019, 16261 Rn. 69 ff.; Fuhlrott ArbRAktuell 2020 103 (104).

[19] In diesem Sinne ebenso Wybitul/Brams NZA 2019, 672, 676.

[20] BVerfG, Beschl. v. 30.09.2018 – 1 BvR 2421/17, Rz. 27; BVerfG, NJW 2001, 2531.

[21] Hierzu OLG Köln, Urt. v. 26.07.2019 – 20 U 75/18, BeckRS 2019, 16261 Rn. 70; BGH, Urt. v. 02.03.2000 – III ZR 65/99, NJW 2000, 1645.

[22] Hitzelberger-Kijima, öAT 2019, 140, 141; Wybitul/Brams, NZA 2019, 672, 676.

[23] Musielak/Voit/Huber, 17. Aufl. 2020, ZPO § 296 Rn. 41, Baudewin/ Wegner, NJW 2014, 1479, 1482

[24] ErfK/Koch ArbGG § 56 Rn. 9; GMP/Schleusener ArbGG § 56 Rn. 26.

[25] BAG, Urt. v. 19.06.1980 – 3 AZR 1177/79, AP ArbGG 1979 § 56 Nr. 1; BGH, Urt. v. 15.03.1990 – VII ZR 61/89, NJW-RR 1990, 856.

[26] BeckOK ArbR/Klose ArbGG § 67 Rn. 1-4.

[27] Insoweit ist auch schon eine Einschränkung in Teilen der Instanzrechtsprechung zu anderen Rechtsgebieten erkennbar, vgl. LG Köln, Urt. v. 19. Juni 2019, r+s 2019, 450; AG München, Teilurteil v. 04.09.2019 – 155 C 1510/18, BeckRS 2019, 23247.

[28] Roßnagel, in: Simitis/Hornung/Spiecker (Hrsg.), Datenschutzrecht, Art. 5 DS-GVO, Rn. 15.

[29] Paal/Hennemann, in: Paal/Pauly (Hrsg.), DS-GVO BDSG, 2. Aufl. 2018, München 2018, Art. 12, Rn. 65.

[30] Riemer, ZD 2019, 413, 414.

[31] Lembke, NJW 2020, 1841 (1845).

[32] BeckOK DatenschutzR/Schmidt-Wudy, 32. Ed. 01.05.2020, DS-GVO Art. 15 Rn. 2.

[33] Lembke, NJW 2020, 1841, 1843; OLG Köln, Beschl. v. 03.09.2019 – 20 W 10/18; Hess. BfDI, 37. TB v. 31.12.2018, S. 76.

[34] Schepers DStR 2019, 1109 (1110).

[35] Anders ist dies z. B. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unter Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes, vgl. § 99 Abs. 1 VwGO.

[36] EuGH, Urt. v. 17.07.2014 – C141/12 und 372/12, BeckRS 2014, 81234 Rn. 58.

[37] Nowak/Bornholdt, RDV 2020, 191, 193; Däubler, in: Däubler/Wedde/ Weichert/Sommer (Hrsg.), EU-DS-GVO und BDSG, 2. Aufl., DS-GVO Art. 15, Rn. 29 ff.; Dausend, ZD 2019, 103, 106; Dix, in: Simitis/Hornung/Spiecker (Hrsg.), Datenschutzrecht, Art. 15 DS-GVO, Rn. 34; Lembke, NJW 2020, 1841, 1844; Zikesch/Sörup, ZD 2019, 239, 242.

[38] Die in Art. 15 Abs. 3 DS-GVO angeordnete Interessenabwägung gilt auch für das Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO ErwG 63 S. 5; Däubler, in: Däubler/Wedde/Weichert/Sommer (Hrsg.), EU-DS-GVO und BDSG, 2. Aufl., DS-GVO Art. 15 Rn. 1; Schmidt-Wudy, in: BeckOK DatenschutzR, Wolff/Brink, 25. Ed. Art. 15 Rn. 87.1.

[39] Mester, in: Taeger/Gabel (Hrsg.), DS-GVO-BDSG, 3. Aufl., Art. 15 DSGVO, Rn. 20; Bäcker, in: Kühling/Buchner (Hrsg.), DS-GVO BDSG, 2. Aufl., Art. 15, Rn. 42; Zikesch/Sörup, ZD 2019, 239, 242.

[40] Roßnagel, in: Simitis/Hornung/Spiecker (Hrsg.), Datenschutzrecht, Art. 15 DS-GVO Art. 5, Rn. 15.