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Urteil : Bewerberdaten für den örtlichen Betriebsrat bei zentralem Online-Recruitment-Center : aus der RDV 2/2015, Seite 95 bis 97

(Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 1 ABR 10/13 –)

Archiv RDV
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  1. Schreibt der Arbeitgeber offene Stellen zentral über ein Recruitment-Center aus, ist dieses nicht befugt, ihm ungeeignet erscheinende Bewerbungen auszusortieren und dem für die Einstellung zuständigen jeweiligen Store-Leiter und damit auch dem an der Einstellung zu beteiligenden Betriebsrat vorzuenthalten.
  2. Der Arbeitgeber ist nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG verpflichtet, dem Betriebsrat vor der Einstellung eines Arbeitnehmers alle erforderlichen Unterlagen vorzulegen, die von Personen eingereicht werden, die sich im Onlineportal auf die zu besetzende Stelle beworben haben.

(Nicht amtliche Leitsätze)

Sachverhalt:

A. Die Beteiligten streiten über die Reichweite der Unterrichtungs- und Vorlagepflichten der Arbeitgeberin bei Einstellungen.

Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin ist ein Textilhandelsunternehmen mit bundesweit 390 Filialen. Ihr Verkaufsgebiet ist in 15 Areas eingeteilt, für die jeweils ein Büro mit einem Recruitment-Center zuständig ist. Die Filiale Nr. 698 in Flensburg, in der 40 Arbeitnehmer beschäftigt sind und der antragstellende Betriebsrat gebildet ist, gehört mit weiteren 28 Filialen zur Area 1. Sie wird – wie andere Filialen auch – von einem Store-Manager geleitet. Dieser trifft in personellen und sozialen Angelegenheiten die Entscheidungen.

Seit Mai 2009 nimmt die Arbeitgeberin ausschließlich Online-Bewerbungen entgegen. Dazu teilen die Store-Manager die zu besetzenden Stellen einschließlich Anforderungsprofil dem für sie zuständigen Recruitment-Center mit. Von diesem werden die Positionen mit ihren Bedingungen in ein Onlineportal eingegeben und die eingehenden Bewerbungen gesichtet sowie daraufhin geprüft, ob ein Bewerber die geforderte Qualifikation aufweist. Anhand der ihm vom Recruitment-Center zugeleiteten Bewerbungsunterlagen trifft der Store-Manager eine Auswahlentscheidung und leitet das Verfahren zur Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG ein. In diesem Zusammenhang informiert er den Betriebsrat über die ihm vom Recruitment-Center weitergeleiteten Bewerbungen und stellt ihm die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung.

Am 8. Oktober 2010 bewarb sich Frau E, wohnhaft in Flensburg, im Onlineportal für die Position „Mitarbeiterin im Verkauf“ in Teilzeit in der den Großraum Mannheim umfassenden „Area 10“. Am 11. Oktober 2010 erhielt sie eine schriftliche Absage. Am 9. November 2011 hörte die (damalige) Store-Managerin der Filiale Nr. 698 den Betriebsrat zur Einstellung von zwei Bewerbern an, ohne über die Bewerbung von Frau E zu informieren. Daraufhin forderte der Betriebsrat die Filialleitung mit Schreiben vom 16. November 2010 auf, künftig alle Bewerbungen vorzulegen, wobei er davon ausging, Frau E habe sich aufgrund ihres Wohnsitzes auf eine Stelle in der Flensburger Filiale beworben. Im Juli und August 2011 wurden weitere die Filiale Nr. 698 betreffende Stellen ausgeschrieben; zwei als Mitarbeiter/in im Verkauf in Voll- bzw. Teilzeit und eine als Filialassistent/-assistentin. Hierauf bewarb sich u.a. Herr R. Auf seine Bewerbung als Filialassistent erhielt er mit E-Mail der „Recruitment“ vom 22. Juni 2011 eine Absage. Bei seinen Bewerbungen auf eine Verkäuferstelle ging die Arbeitgeberin davon aus, er habe diese vor Abschluss des Auswahlverfahrens zurückgezogen. Die Unterlagen seiner Bewerbungen wurden an die (damalige) Store-Managerin nicht weitergeleitet; entsprechend wurde der Betriebsrat über die Bewerbungen nicht unterrichtet. Am 1. Dezember 2011 wurde der Betriebsrat bei der Besetzung der Stelle eines Visual Merchandiser (m/w) beteiligt. Über die Online-Bewerbung von Frau V auf diese Stelle, die dem Recruitment-Center vorlag, wurde er nicht informiert.

Der Betriebsrat hat in dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren geltend gemacht, ihm müssten bei seiner Beteiligung nach § 99 Abs. 1 BetrVG auch die vom Recruitment-Center „vorab aussortierten“ Bewerbungen vorgelegt werden.

Aus den Gründen:

2. Der Antrag ist begründet. Die Arbeitgeberin ist nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verpflichtet, dem Betriebsrat vor der Einstellung eines Arbeitnehmers in der Filiale Flensburg (auch) diejenigen erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen, die von Personen eingereicht wurden, die sich im Onlineportal auf eine ausgeschriebene Stelle für diese Filiale beworben (und ihre Bewerbung nicht wieder zurückgezogen) haben und die von einem Area-Büro nicht an die Filialleitung weitergegeben worden sind. Gleichfalls ist ihm Auskunft über die Person (auch) dieser Beteiligten iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu geben.

a) Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat u.a. vor jeder Einstellung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen.

b) Hiernach besteht die beanspruchte Vorlage- und Auskunftspflicht.

aa) Bei der Arbeitgeberin handelt es sich um ein Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern.

bb) Die Vorlage- und Auskunftspflicht des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erstreckt sich gegenüber dem Betriebsrat der Filiale Flensburg (auch) auf solche die Filiale betreffende – nicht zurückgenommene – Bewerbungen, die dem Recruitment-Center vorliegen, aber nicht an die Filialleitung weitergegeben werden. Das folgt aus Sinn und Zweck der Vorlage- und Auskunftspflicht.

(1) Die Unterrichtungs- und Vorlagepflicht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG soll zum einen dem Betriebsrat die Informationen verschaffen, die er benötigt, um sein Recht zur Stellungnahme nach § 99 Abs. 2 BetrVG sachgerecht ausüben zu können. Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat daher so zu unterrichten, dass dieser aufgrund der mitgeteilten Tatsachen in die Lage versetzt wird zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverweigerungsgründe vorliegt (vgl. BAG 27. Oktober 2010 – 7 ABR 86/09 – Rn. 21 mwN, BAGE 136, 123). Zum anderen soll der Betriebsrat bei seiner Beteiligung vor einer Einstellung die Möglichkeit haben, Anregungen für die Auswahl der Bewerber zu geben und Gesichtspunkte vorzubringen, die aus seiner Sicht für die Berücksichtigung eines anderen als des vom Arbeitgeber ausgewählten Stellenbewerbers sprechen. Das gilt unabhängig davon, ob hierauf eine Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 2 BetrVG gestützt werden kann (vgl. BAG 28. Juni 2005 – 1 ABR 26/04 – zu B II 2 b aa (2) der Gründe, BAGE 115, 173).

(2) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber die Unterlagen bezüglich aller Stellenbewerber – auch der nicht berücksichtigten oder abgelehnten – vorzulegen (vgl. BAG 14. Dezember 2004 – 1 ABR 55/03 – zu B II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 113, 109; 10. November 1992 – 1 ABR 21/92 – zu B I 2 a der Gründe, BAGE 71, 337). Nur so kann der Betriebsrat seiner gesetzlichen Prüfungspflicht genügen (vgl. BAG 17. Juni 2008 – 1 ABR 20/07 – Rn. 25, BAGE 127, 51). Damit sind alle Stellenbewerber iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch „Beteiligte“, über deren Person Auskunft zu geben ist (vgl. BAG 28. Juni 2005 – 1 ABR 26/04 – zu B II 2 b bb (1) der Gründe, BAGE 115, 173; 14. Dezember 2004 – 1 ABR 55/03 – zu B II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 113, 109). Die für das Mitbestimmungsrecht relevante „Beteiligten“stellung kommt all denjenigen zu, die ihr Interesse an einem konkreten zur Besetzung ausgeschriebenen Arbeitsplatz bekunden. Auch derjenige, der sich auf eine Stelle bewirbt, deren Anforderungsprofil oder Qualifikationsvoraussetzungen er nicht erfüllt und damit – ggf. sogar offensichtlich oder objektiv – für die Stelle ungeeignet ist, bringt sein Interesse an dem ausgeschriebenen Arbeitsplatz zum Ausdruck (vgl. auch BAG 6. April 1973 – 1 ABR 13/72 – zu II 1 der Gründe). Gleiches gilt für etwaige – ohnehin mit einer rechtlichen Bewertung verbundene – nicht ernsthafte Bewerbungen.

(3) Nach diesen Grundsätzen erstreckt sich das Recht des Betriebsrats der Filiale Flensburg, die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorgelegt und Auskunft über die Person der Beteiligten zu bekommen, auch auf diejenigen Bewerbungen um eine Stelle in der Flensburger Filiale, die vom Recruitment-Center aussortiert werden, etwa weil nach dessen Einschätzung von nicht ernsthaften Bewerbungen auszugehen ist oder der Bewerber dem geforderten Anforderungsprofil nicht entspricht. Die Unterrichtung über die Bewerbung (vermeintlich) ungeeigneter Interessenten ist schon im Hinblick auf den weiten Zweck der Unterrichtungspflicht geboten, denn der Betriebsrat soll die Möglichkeit haben, Anregungen für die Auswahl der Bewerber zu geben und Gesichtspunkte vorzubringen, die aus seiner Sicht für die Berücksichtigung eines anderen als des ausgewählten Stellenbewerbers sprechen. Gleiches gilt für als nicht ernsthaft angesehene Bewerbungen. Im Hinblick auf die so eingeschätzten Bewerbungen stellen sich im Übrigen regelmäßig Bewertungsfragen, so dass schon zur Vermeidung von Abgrenzungsproblemen im Einzelfall und der damit einhergehenden Rechtsunsicherheit eine umfassende Vorlage- und Auskunftspflicht angezeigt ist.

cc) Der verfahrensgegenständlichen Vorlage- und Auskunftspflicht stehen die organisatorischen Vorgaben des Bewerbungsverfahrens durch die Arbeitgeberin nicht entgegen.

(1) Für das Beteiligungsverfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist nicht ausschlaggebend, auf welche Weise der Arbeitgeber konkrete Arbeitsplätze anbietet. Allerdings ist „Bewerber“ (oder „Beteiligter“) iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur derjenige, der sein Interesse für einen konkreten Arbeitsplatz bekundet (vgl. BAG 1. Juni 2011 – 7 ABR 117/09 – Rn. 26). Im Rahmen des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG setzt die Eigenschaft als Bewerber voraus, dass ein Anbahnungsverhältnis zum Arbeitgeber für einen konkreten Arbeitsplatz besteht (BAG 10. November 1992 – 1 ABR 21/92 – zu B I 2 b der Gründe, BAGE 71, 337). Aus diesem Grund ist etwa im Fall der Einschaltung eines Personalberatungsunternehmens, das keine Stellenanzeige für den Arbeitgeber aufgegeben hat und allein damit beauftragt wurde, geeignete Bewerber vorzuschlagen, nur derjenige als Bewerber anzusehen, der vom Personalberater vorgeschlagen wird (vgl. BAG 18. Dezember 1990 – 1 ABR 15/90 – zu B I 3 c der Gründe, BAGE 66, 328).

(2) Danach besteht vorliegend die Vorlage- und Auskunftspflicht des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch hinsichtlich solcher Personen, die sich auf eine ausgeschriebene Stelle in der Filiale Flensburg bewerben und von einem Area-Büro „vorab aussortiert“ werden. Diese sind Bewerber, weil sie ihr Interesse für einen bestimmten Arbeitsplatz aufgrund einer von der Arbeit geberin veranlassten Stellenausschreibung in einem von ihr organisierten Verfahren zum Ausdruck gebracht haben (vgl. BAG 18. Dezember 1990 – 1 ABR 15/90 – zu B I 3 c der Gründe, BAGE 66, 328).

dd) Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin ist sie – und nicht die Filialleitung – Verpflichtete der Vorlage- und Auskunftspflicht des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Die Unterrichtungspflicht des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG trifft nach dem ausdrücklichen Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung den „Arbeitgeber“. Der Store-Manager handelt bei der Einstellungsentscheidung und bei der Erfüllung der mit der Einstellung zusammenhängenden Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG für die Arbeitgeberin. Er wird dadurch nicht selbst zum (Betriebs- oder Vertrags-)Arbeitgeber. Das gilt auch dann, wenn ihm wegen seiner Befugnisse die Stellung eines leitenden Angestellten im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn zukommen sollte.

ee) Schließlich ist es für die Unterrichtungspflicht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin unerheblich, ob der für die Einstellungsentscheidung zuständige Store-Manager Kenntnis von der Bewerbung hat und ob ihm die Bewerbungsunterlagen zur Verfügung gestellt werden. Es trifft zu, dass der Arbeitgeber nur das mitteilen kann und muss, was ihm selbst bekannt ist. Auch ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, dem Betriebsrat Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die er selbst nicht hat (vgl. BAG 18. Dezember 1990 – 1 ABR 15/90 –zu B I 2 b der Gründe, BAGE 66, 328). Die Arbeitgeberin verkennt jedoch, dass es nicht darauf ankommt, ob die Filialleitung über die entsprechende Kenntnis oder Unterlagen verfügt, sondern darauf, ob ihr selbst die Bewerbungen vorliegen.